Motorradphysik einfach erklärt: Warum dein Motorrad nicht umkippt

Kreiselkräfte, gyroskopischer Effekt, Kenterbereich
Darum kippt dein Motorrad nicht um

Veröffentlicht am 26.06.2025

Weisheiten am Stammtisch gibt es wie Sand am Meer. "Länge läuft" oder "Je schwerer das Bike, desto unhandlicher", um nur zwei Beispiele zu nennen. Und oft ist auch etwas dran an diesen Sprüchen.

Wie ein Motorrad sich unter dem Fahrer oder der Fahrerin verhält, hängt allerdings von vielen verschiedenen Faktoren ab, und deren korrekte Erklärung erfordert oft ein gründliches Eintauchen in die Welt der Physik. Klingt trocken? Ist es ganz und gar nicht.

Kreiselkräfte – Geschenk und Bürde zugleich

Zusammen mit den Fahrdynamik-Experten Benno Brandlhuber und Dirk Wisselmann sowie Renn- und Testfahrer Stefan Nebel beleuchtet MOTORRAD die Prinzipien, die dem Motorradfahren zugrunde liegen. In diesem Teil beschäftigen wir uns mit den Basics des Einspurfahrzeugs: den Kreiselkräften und -momenten. Sie sind, wie wir sehen werden, Geschenk und Bürde zugleich.

Dass wir mit einem Motorrad fahren können, ohne umzufallen, ist ein Geschenk der Natur. Ohne bestimmte physikalische Grundsätze wäre das überhaupt nicht möglich. Mit nur zwei hintereinander angeordneten Rädern fällt das Motorrad im Stand nämlich einfach um. Darum nehmen wir alle an der Ampel den Fuß von der Raste auf den Boden. Beim Anfahren heben wir ihn dann aber ab und fahren ohne Abstützen los. Wie ist das möglich?

Praktische Übung zur Veranschaulichung

Um das zu verstehen, beginnen wir den theoretischen Teil mit einer praktischen Übung: Wir bauen das Vorderrad eines Fahrrades aus, halten es vor der Brust mit beiden Händen an der Achse fest und bitten eine zweite Person, das Rad in Drehung zu versetzen (so, dass es sich oben von uns wegdreht). Wir haben damit einen Kreisel in den Händen und stellen uns vor, es sei das Vorderrad unseres Motorrads.

Wir versuchen nun, unser Vorderrad um eine horizontale Achse nach links zu kippen (wie ein Motorrad, das nach links fällt) – und stellen fest, dass es nicht einfach kippen will, sondern dass es um eine vertikale Achse nach links drehen will (wie ein Lenkeinschlag nach links beim Motorrad).

Motorrad-Fahrtechnik-Serie Fahrdynamik - Teil 1
Lena Weber

Diese "Drehkräfte" nennt man Kreiselmomente, die ein drehendes Rad immer um 90 Grad versetzt zu der Achse kippen, um die man ein Drehmoment aufbringt (siehe Grafik). Man nennt dieses Verhalten "gyroskopischer Effekt".

Was bedeutet das nun?

Nehmen wir an, unser Motorrad sei tatsächlich durch eine Seitenwindböe nach links gekippt. Der Schwerpunkt hat sich dadurch seitlich nach links aus der Spurlinie verschoben und will, dass unser Motorrad umfällt. Das wollen aber die Kreiselmomente nicht, sie schlagen nämlich die Lenkung nach links ein.

Das Vorderrad fährt dann für einen kurzen Moment tatsächlich nach links. Oder fahrdynamisch korrekt formuliert: "Die beim Lenkeinschlag nach links am Reifen induzierte Seitenkraft schiebt die Fuhre dort, wo der Reifen die Fahrbahn berührt, nach links." Diese Seitenkraft nach links schiebt das Vorderrad zurück unter den Schwerpunkt und unser Motorrad fährt wieder geradeaus.

Alles unter 25 km/h ist Kenterbereich

Unser Moped stabilisiert sich also dank der Kreiselmomente und Reifenkräfte "wie von selbst". In der Praxis spielt sich diese Kettenreaktion aus Kippen, Lenkeinschlag und Wiederaufrichten unter der Wahrnehmungsschwelle des Fahrers ab – vorausgesetzt, er fährt schneller als ca. 25 km/h.

Unter 25 km/h müssen wir aktiv am Lenker arbeiten, um unser Bike auf Kurs zu halten. Im Stillstand brauchen wir dann schon akrobatisches Geschick, damit die Fuhre nicht umfällt. Nun ist nicht jeder ein Trialfahrer (die können das), also stellen wir lieber die Füße auf den Boden.

Den Bereich unter ca. 25 km/h nennen die Fahrdynamiker "Kenterbereich". Darüber wird alles sehr viel stabiler und wir können bei Geschwindigkeiten über ca. 50 km/h bedenkenlos die Hände vom Lenker nehmen und fröhlich vor uns hin motorradeln (man sagt dazu auch "dynamischer Bereich").