ABS im Vergleich
Ausgebremst

BMW F 650 GS und 1100 S, Honda VFR: drei verschiedene Antiblockiersysteme – und eine faustdicke Überraschung

ABS für Motorräder, eine segensreiche Erfindung, über die eigentlich jedes Zweirad verfügen sollte. Bislang jedoch nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Drei Antiblockiersysteme nahm MOTORRAD unter die Lupe: Alle stellen ein wirksames Plus an aktiver Sicherheit dar, haben jedoch noch Verbesserungspotenzial.
So lupft die BMW R 1100 S trotz ihres 1040 Euro teuren Teilintegral-ABS bei der Vollbremsung aus Tempo 100 keck das Hinterrad.
Bei der nächsten Bremsung bleibt das Heck am Boden, weil der Rechner dann die optimale Bremskraftverteilung gelernt hat. Und sie speichert, solange die Zündung eingeschaltet bleibt. Unterbricht man den Zündstrom nach einer Vollbremsung, erreicht die BMW mit 9,2 m/s² nicht das vorher gezeigte hohe Niveau. Weiteres Problem für den ABS-Computer der BMW: Reibwertsprünge, also wechselnde Fahrbahnbeläge oder Kanten und Absätze, wie sie gerne auf Autobahnen auftreten. Bei einer Vollbremsung steigt auch hier das Hinterrad in die Luft, weil das Rechenprogramm diese Situation nicht berücksichtigen kann.
Das ABS der Honda VFR, Aufpreis 1000 Euro (inklusive einer hydraulischen Verstellmöglichkeit der Federbasis), reagiert auf Reibwertsprünge feinfühliger, allerdings neigt der Sporttourer dabei zu einem spürbaren Pendeln um die Hochachse. Zudem birgt das Dual-CBS, so nennt Honda sein Verbundbremssystem, einen Nachteil:
die starre Verteilung der Bremskraft. Vor allem der hintere Bremskreis bereitet bei der Vollbremsung Probleme, weil etwas zu viel Bremskraft ans Hinterrad geleitet wird und dieses dann früh blockiert. Wird nämlich nur die hintere Bremse betätigt, erreicht die VFR eine mittlere Verzögerung von 7,9 m/s². Dieser Wert zeigt, dass der Sporttourer sein mögliches Potenzial nicht annährend ausschöpft. Honda sollte etwas mehr Bremskraft auf die vorderen Bremssättel verteilen. Um mit der VFR die maximale Verzögerungleistung zu erreichen, müssen Hand- und Fußbremshebel aktiviert werden, nur dann kommen alle neun Bremskolben zum Einsatz, auch dies ist am Anfang gewöhnungsbedürftig. Zudem neigt die Honda genau wie die BMW R 1100 S beim harten Zupacken zum Abheben des Hinterrads. Für den Normalfahrer eine Schrecksituation, bei der er die Bremse öffnet und dann wertvolle Meter verschenkt.
510 Euro Aufpreis kostet das ABS der BMW F 650 GS, mit Abstand das günstigste dieses Vergleichs. Doch es liefert unter Berücksichtung aller getesteten Fahrsituationen die besten Resultate. Trotz der ausgeprägten dynamischen Radlastverlagerung, durch viel Federweg und einen hohen Schwerpunkt begünstigt, überzeugt der Einzylinder vor allem mit einer sehr guten Bremsstabilität. Die Funduro pendelt weder um die Hochachse, noch neigt sie dazu, das Hinterrad anzuheben. Eine Überschlagsgefahr besteht also nicht. Allerdings stellt die erreichte mittlere Verzögerungsleistung von 7,5 m/s² mit der vorderen, einzelnen Bremsscheibe einen nur durchschnittlichen Wert dar. Hier besteht für BMW Verbesserungsbedarf. Die Regelung des ABS sollte dahingehend modifiziert werden, dass die F 650 GS an einen Wert von durchschnittlich 9,8 m/s² herankommt. Den erreicht sie nämlich ohne ABS problemlos.

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Fazit

Ein Verzögerungsverlauf ohne große Einbrüche bei der BMW F 650 GS, auf Reibwertsprünge (rote Kurve) reagiert sie mit einem starken Einbruch. Regelungsbedingt zeigt die Honda VFR-ABS starke Schwankungen, reagiert aber am senibelsten auf einen Reibwertsprung. Im Vergleich baut die Honda den Bremsdruck am schnellsten wieder auf. Wegen der adaptiven Bremskraftverteilung steigt die Verzögerung bei der BMW R 1100 S während der ersten Blockierbremsung kontinuierlich an, allerdings öffnet ihr ABS bei Reibwertsprüngen abrupt und braucht am längsten, um den Bremsdruck erneut aufzubauen. Deshalb benötigt der Zweizylinder dann den längsten Bremsweg.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023