Die Aprilia RSV4 Factory steht bereit, und auf der Rennstrecke von Misano regnet es Bindfäden. Hilft nichts, drauf und los. Es gibt eine Menge zu erzählen.
Die Aprilia RSV4 Factory steht bereit, und auf der Rennstrecke von Misano regnet es Bindfäden. Hilft nichts, drauf und los. Es gibt eine Menge zu erzählen.
An der Aprilia RSV4 Factory ist schon auf den ersten Blick so vieles vom Feinsten: Öhlins-Fahrwerk und Brembo-Monoblock-Stopper aus dem obersten Regal, dazu die leichten Alu-Schmiederäder beispielsweise. Vor allem aber dieses wunderschöne, mit einer atemberaubenden Zierlichkeit sehr radikal gezeichnete Motorrad selbst. Was für ein Heck!
Aprilia ließ schon am Abend vor dem Fahrtermin den Anwesenden die Gashand mächtig jucken: Max Biaggi und Shinya Nakano persönlich waren erschienen, um die Renngene der 1000er herauszukehren; die Marketing-Experten wurden nicht müde, die revolutionäre Gesinnung des komplexen 65-Grad-V4 zu betonen, und Aprilia-Racing-Boss Giovanni dall'Igna stellte klar: "The Aprilia RSV4 Factory is a racing machine - basta!"
Er hat nicht übertrieben. Das schmale Motorrad mit dem hohen Sitz und hartem Polster, den tiefen Stummeln und den hohen Fußrasten verströmt Aggressivität pur, ohne seinen Fahrer zu knechten. Der Knieschluss passt perfekt. Ist das wirklich eine 1000er? Ein Zupfer am Drive-by-wire-Gasgriff, und die RSV4 gibt die Antwort. Drehmoment, wahrlich genug davon - mit einer höchst effektvollen Soundkulisse. Da ist man noch nicht mal auf der freien Strecke draußen. Jetzt ist Selbstbeherrschung gefragt!
Die Kurven locken, das Fahrwerk möchte arbeiten, die Stopper stauchen, der Motor seinen Antritt unter Beweis stellen. Dieser verdammte Adria-Regen! Nach patschnassen Windungen kommt endlich die Gegengerade.
Brause auf, Druck marsch! Direkt, aber mit willkommener Milde nimmt der V4 im S-Modus den Gasbefehl entgegen - S wie "Sport", limitiert das Drehmoment in den ersten drei Gängen; weitere Modi: T wie "Track" - verbietet sich wegen brachialem Krafteinsatz bei diesen Bedingungen; R wie "Road" kappt die Leistung auf rund 140 PS und wirkte beim Fotofahren mit heftigen Lastwechseln ruppig.
Mit steigender Drehzahl hämmert das Superbike immer mächtiger voran. Das Donnergrollen von unten erinnert an einen V2, jedoch mit deutlich sanfteren Manieren. Die Vibrationen sind geringer, feiner, nicht besonders störend - einer Ausgleichswelle sei Dank.
Der Blick auf den Drehzahlmesser sorgt für Erstaunen: Das sind schon über 11000/min? Hört sich nach viel weniger an, und harmonisch geht das auch vonstatten. Die Arbeit der elektronisch in der Länge variierenden Ansaugtrichter haut da auch keine Kerbe rein. Und es geht noch mehr, bis 14100/min dreht der Vierzylinder der Aprilia RSV4 Factory .
Nächster Gang, noch einer, noch einer. Das Getriebe ist nicht gerade das allerfeinste, aber die Gänge rasten sauber ein. Nach dem Gangwechsel hebt die RSV4 mit entsprechend forscher Betankung der vier Ansaugtrichter die Front gen Petrus, als wolle sie um besseres Wetter flehen. Fiese schwarze Striche mit Nasseffekt wie im Haar von Gino Ginelli mahnen aber vor der zuziehenden Links wieder zur Vorsicht. Sachte anbremsen!
Holla, die Brembos der Aprilia RSV4 Factory packen ganz schön zu! Nicht bösartig, sie sind fein dosierbar, aber bestimmt. Die Anti-Hopping-Kupplung zeigt eindeutig, welches Geschmier hier lauert - das nächste Mal vielleicht einen Gang höher einkuppeln und weiter innen bleiben.
In der darauf folgenden Kurve arbeitet das System jedenfalls ordnungsgemäß, zuckt kurz im Hebel, hält das Rad aber sauber auf Spur und offenbart ein erstaunlich geringes Bremsmoment vom Motor. Dafür ballert der eine satte Fehlzündung daher; dagegen sind die Kanonen von Navarone ein Knallerbsen-Konzert - fett abgestimmt?
Nach der unter Normalbedingungen unglaublich schnellen Triple-Rechts geht es durch zwei enge Bögen, die noch mal unterstreichen, dass dieses Motorrad auch Regenfahrten nach Kräften unkompliziert macht. Die Aprilia folgt willig ihrem Herrn, ist harmonisch ausbalanciert und kitzelt ständig nach mehr.
Als der Autor in der vorletzten Kurve vor Start/Ziel ohne Brems- oder Gaseinsatz über beide Räder von dannen geht, schlägt er nicht nur auf dem harten Belag, sondern auch auf dem Boden der Tatsachen auf: Selbst bei atemberaubenden Motorrädern geht eben nichts ohne Grip! Aber der erste Test der Aprilia RSV4 Factory auf trockener Piste kommt bald, sehr bald sogar. Da bahnt sich ein echtes Fest an.
Aprilia RSV4 Factory
Antrieb: Vierzylinder-65-Grad-V-Motor, 4 Ventile/ Zylinder, 132 kW (180 PS) bei 12500/min*, 115 Nm bei 10000/min*, 1000 cm³, Bohrung/Hub: 78,0/52,3 mm, Verdichtung: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsgang-Kassettengetriebe, G-Kat
Fahrwerk: Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 Grad, Nachlauf: 105 mm, Radstand: 1420 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm Räder und Bremsen: Leichtmetall-Schmiederäder, 3.5 x 17"/6.0 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einscheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht (trocken): 179 kg*, Tankinhalt: 17 Liter Super (davon Reserve: 4 l)
Grundpreis: 19 790 Euro (inkl. Nk)