Viel hilft viel. Wenn es ums Punktesammeln geht, haben Spezialisten eher schlechte Voraussetzungen. Die Summe der Wertungen sieht Multitalente vorn
Wer also baut die besten Motorräder? BMW, na klar. Muss doch sein, wo unter den zehn am besten platzierten Maschinen die Hälfte allein von diesem Hersteller stammt. Doch auch am anderen Ende der Liste findet sich eine hohe BMW-Dichte. Interessanterweise sind es genau die Einzylinder, die BMW als Einstiegsmodelle für die Marke vergleichsweise günstig am Markt positioniert, die in der Gesamtwertung mäßig abschneiden.
Es ist kein Wunder, dass so viele BMW so weit vorne landen. Die Marke hat halt extrem viele großvolumige, fett aus-gestattete und tourentaugliche Modelle im Programm. Und was sind die nach den Maßgaben der 1000-Punkte-Wertung besten zehn Maschinen allesamt? Großvolumige, gut ausgestattete, tourentaugliche Untersätze. Die einzige Ausnahme stellt die neue Fireblade dar, die sich als bislang erster und einziger Supersportler unter die Top Ten mischen konnte.
Ein bisschen scheint das so zu sein wie beim Zehnkampf. Wer in möglichst vielen Disziplinen möglichst gut punkten kann, hat die besten Chancen, Spezialisten haben wesentlich schlechtere. 1000er-Supersportler platzieren sich zwar im Ranking insgesamt sehr weit oben, doch fehlt ihnen die Ausgeglichenheit. Sie verspielen den Punktebonus, den sie in den Wertungen Motor und Fahrwerk bekommen, weil sie in den übrigen Kategorien allenfalls mittelmäßig abschneiden.
Darüber hinaus zeigt sich, dass es kaum einem Sieger eines einzelnen Kriteriums gelingt, in der Gesamtrangliste unter die ersten zehn zu klettern. Nur die in der Alltagswertung(!) beste BMW K 1200 GT und die Honda Pan European, die in der Kate-gorie Sicherheit(!) triumphiert, schaffen das.
Wie viele Punkte stehen dem Kaufpreis gegenüber? Und welche Kosten entstehen durch Verbrauch, Inspektion, Unterhalt?
Wäre da nicht eine extrem teure Ducati 1098 S, die teuerste wäre gleichzeitig die am besten getestete Maschine BMW K 1200 GT. In der Tat besteht ein loser Zusammenhang zwischen Preis und Testperformance. Etwa in diesem Sinne: Die Spitzenreiter der Bestenliste sind, betrachtet man die Plätze eins bis zehn, mindestens doppelt so teuer wie die Maschinen mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Allein die 13490 teure Suzuki Hayabusa unterschreitet diesen Wert deutlich.
Die Preis-Leistungs-Favoriten ihrerseits liegen zwischen 3000 und 4000 Euro unter dem Durchschnittspreis aller getesteten Motorräder, der bei rund 11000 Euro festzumachen ist. Im Umfeld von Konkurrenten, die alle um die 7000 Euro kosten, durchbrechen nur die Honda Hornet und die 1250er-Bandit die 8000er-Schallmauer. Letztere ist zudem das einzige Exemplar, das nicht aus der erweiterten 600er-Klasse stammt. Weitere Auffälligkeit der Preis-Leistungs-Spitzenreiter: Acht der zehn bleiben unter 100 PS, lediglich Triumph Street Triple und Honda Hornet 600 bieten mehr Power. Alle Top-Vertreter sind überdies im weiteren Sinne Allrounder, auch für Suzukis V-Strom 650 ließe sich das behaupten. An der im übrigen kein Weg vorbeiführt, wenn es um ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis in Kombination mit einigermaßen günstigen Folgekosten gehen soll.
Normalerweise hat das eine mit dem anderen nämlich nicht wirklich was zu tun, weshalb sich kein Motorrad aus der oberen Tabelle auch in der unteren findet. Von den Maschinen mit den günstigsten Unterhaltskosten ließe sich nur BMW F 800 S und Kawasaki Versys eine anständige Relation von Kaufpreis und Leistung attestieren. Alle anderen Kostenbesten schneiden diesbezüglich mehr als bescheiden ab. Allen voran die Yamaha XVS, die mit das schlechteste Preis-Leistungs-Verhältnis überhaupt bietet.
Auf der anderen Seite zeigt sie genau wie die F- und G-Modelle von BMW, dass ein verhältnismäßig teurer Einstieg eher moderate Unterhaltskosten nach sich ziehen kann. Kann. Muss aber nicht. Und soll wohl auch nicht immer.
Die bereits angesprochene 1098 S etwa unterstreicht ebenso wie die Harley-Davidson V-Rod durch ein besonders schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis in Kombination mit hohen Unterhaltskosten vor allem eines: dass es sich um Luxusobjekte handelt, die die Bezeichnung verdienen und die man sich unabhängig von irgendwelchen Kostenfaktoren leistet.
Motor, Fahrwerk, Sicherheit sind die Bewertungspunkte, die sich auf die fahrdynamisch wichtigen Eigenschaften beziehen
Das Thema Motor ist die Domäne großer Vierzylinder. Und eines Dreizylinders, der es auf Rang sechs schafft. Mit 189 Punkten kommt der beste Zweizylinder (Ducati 1098) immerhin auf Rang 13, haarscharf vor Honda CBR 600 RR, dem besten »kleinen« Vierzylinder. Wenn also die besten Motoren Vierzylinder sind, so lässt sich über die »schlechtesten Antriebe eine ebenso generelle Aussage treffen. Unter den letzten acht dieser Wertung sind nicht weniger als sieben Einzylinder.
Ebenso allgemein, was in puncto Fahrwerk ins Auge sticht: Alle Top-Fahrwerke sind an Supersportlern verbaut. Oder anders herum: Eine Maschine, die kein supersportliches Motorrad ist, hat in der Fahrwerkswertung keine Chance auf eine Top-Platzierung. Wenn sie nicht das die Ausnahme BMW K 1200 S heißt. Denn auch die KTM 990 Super Duke darf als supersportliches Single-Purpose-Vehikel gelten. Bei den beiden »Kernwertungen« Motor und Fahrwerk kommt es zu nur vier Überschneidungen in den Top Ten, wobei Hondas neue Fireblade die am höchsten bepunktete Motor-Fahrwerks-Kombination bietet. Bezieht man darüber hinaus noch das Sicherheits-Ranking mit ein, verbleibt nur eine Maschine, die in allen drei für die Fahrdynamik relevanten Kapiteln einen Top-Ten-Rang realisiert, die BMW K 1200 S. Alle anderen Maschinen leisten sich zu-mindest einen Ausreißer. Die Supersportler in der Sicherheitswertung. Wie wohl alle Supersportler, hätten sie ein gutes ABS, auch dort einen Platz unter den besten zehn beanspruchen könnten. So wie anders herum die Kawasaki Z 1000 ohne ABS bei dieser Frage recht weit zurückfiele. Die großen Supermoto-Modelle von KTM schrammen nur ein Pünktchen an Platz zehn vorbei. Dass das Thema Sicherheit nicht auf die ABS-Frage verkürzt werden darf, zeigt die 990 Adventure. Sie bringt es trotz ABS auf drei Punkte weniger als die Konkurrenz aus gleichem Haus.
Die Alltagswertung beinhaltet unter anderem Kriterien wie Ergonomie für Fahrer und Sozius, Windschutz, Handhabung und Wartung, Gepäckunterbringung, Sicht und Licht
Dies ist die Wertung, die sich wahrscheinlich am schwersten auf einen Nenner bringen lässt. Wie der Name schon andeutet Alltag. Und der kann für einen Sportler beispielsweise darin bestehen, auf der Rennstrecke herumzuhetzen. Das allerdings wäre eine relative Bewertung, und die entspricht nicht der Logik der MOTORRAD-1000-Punkte-Wertung. Der entspricht, dass sich die BMW K 1200 GT als alltagstauglichste Maschine herauskristallisiert, wenn auch das dem Alltagsverständnis von Alltag nicht entspricht. Zur GT gesellen sich weitere fünf Vertreter der Top-Ten-Gesamtwertung. Das ist umso verblüffender, als die restlichen vier Plätze dieser Kategorie an Motorräder gehen, die in der Gesamtwertung allenfalls das gesunde Mittelmaß repräsentieren oder aber weit hinten rangieren, wie nämlich die Suzuki V-Strom 1000.
Nicht weniger überraschend ist die nach Punkten extrem breite Spreizung der Top Ten. In keiner Einzelwertung klaffen Erste und Zehnte weiter auseinander. Die K 1200 GT trennen glatte 50 Zähler von der Moto Guzzi 1200 Sport. Zum Vergleich: Im Kapitel Kosten nimmt die Beste, die BMW G 650 Xchallenge, der Zehnten (Yamaha XVS 1300 A) gerade mal neun Punkte ab. Zum weiteren Vergleich: Rechnet man von Platz elf (Honda CBF 600 S) die eben angeführten 50 Zähler nach unten, landet man genau zwischen Platz 75 (Ducati Monster S4R) und 76 (Buell Lightning XB12Ss).
Spitzenpositionen im Test sind das eine, die ersten Ränge in der Verkaufshitliste das andere. Unter den Top Ten gibt es nur zwei Maschinen in der Schnittmenge
Werden Motorräder mit dem Bauch gekauft? Mit dem Herzen? Das darf angenommen werden. Der Kopf spielt nur eine Nebenrolle. Zumindest wenn man zugrunde legt, dass die Vernunft die besten Motorräder favorisieren würde, liegt eine solche Vermutung nahe, tauchen in den Top Ten der Neuzulassungen des vergangenen Jahres nur zwei Motorräder auf, die sich in der MOTORRAD-Bestenliste ebenfalls unter den ersten zehn etablieren konnten, BMW R 1200 GS und R 1200 R. Von den Preis-Leistungs-Favoriten findet sich mit der Suzuki Bandit 1250 gar nur eine so weit vorne in der Zulassungsstatistik. Demgegenüber bringen es drei kostenintensive Supersportler auf einen der vorderen Verkaufsränge, ebenso drei echt mau bewertete Mittelklässler. Auch das spricht nicht dafür, dass beim Motorradkauf Erbsen gezählt werden. Wo tauchen die am besten getesten Maschinen in der Verkaufstatistik auf? Die Yamaha FJR 1300 A, mit 1230 ver-kauften Einheiten vergangenes Jahr, immerhin auf Rang 29. Es folgen auf 30 die BMW K 1200 S (1218 Stück), auf 36 die K 1200 GT (998). Dahinter: lange nichts, bis auf Platz 79 die Suzuki Hayabusa (349) kommt, auf 89 die Kawasaki 1400 GTR (305) und nur knapp dahinter auf 90 Hondas Pan European (285).
MOTORRAD Punktewertung
Seit 2007 bewertet MOTORRAD nach einem neuen 1000-Punkte-Schema. Fast 100 Maschinen haben seitdem dieses genormte Testprozedere durchlaufen. Jedes Modell wird nach denselben Kriterien bewertet, egal ob teuer oder günstig, Sportler, Tourer oder Chopper. So lassen sich alle Modelle untereinander vergleichen. Und die, die am Ende die meisten Punkte haben, sind nach den Maßstäben dieses Schemas die besten Motorräder. Das kann man anders sehen. Natürlich. Man muss sich nur die Bestenliste einmal anders ansehen. Dann fällt auf, dass der Hersteller, der stets auf gutes Preis-Leistungs-Verhältnis setzt, Suzuki, bei den Folgekosten zuweilen ziemlich hinlangt, und dass die Maschinen, die die Gesamtwertung anführen, teils doppelt so teuer ausfallen wie die, die das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Und so weiter.