BMW HP2 Sport, die Produktion des Sportboxeres wurde eingestellt.

Die BMW HP2 Sport Produktion eingestellt: BMW HP2 Sport

BMW hat den Bau der HP2 Sport eingestellt. Sang- und klanglos. Die Idee aber lebt weiter. In der Erinnerung derer, die den ersten Sportboxer der Neuzeit entwickelt haben. In den Zylinderköpfen jedes aktuellen dohc-Boxers. Und nicht zuletzt auch in jeder S 1000 RR. Die Geschichte eines außergewöhnlichen Motorrads.

Produktion eingestellt: BMW HP2 Sport Jahn

Der junge Schweizer im Fahrerlager von Brünn kann sich nicht sattsehen an der HP2 Sport: „Schön, einfach bildschön! Schau dir nur diese Rastenanlage an. Und diese Gabelbrücke! Den Schaltautmomaten. Und das ganze von BMW. Unglaublich.“ Ob er weiß, dass Rahmenheck und Verkleidung komplett aus Karbon sind und gänzlich ohne haltendes Beiwerk auskommen? Ahnt er, dass die Räder geschmiedet und superleicht sind? Dass das Cockpit direkt aus dem Moto-GP stammt? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich bestaunt er einfach nur den blitzsauberen Aufbau, das formschöne Rahmenheck mit perfekt integriertem Auspuff, die mächtigen Krümmer. Und ertappt sich überrascht dabei, von einem Boxer zu träumen.

Das Traurige ist: Es wird bei diesem Traum bleiben. Die HP2 Sport, der sportlichste BMW-Boxer, den es je gab, wird nicht mehr gebaut. „Die Produktion der HP2 Sport begann im Januar 2008 und ist 2010 ausgelaufen“, erklärt Pressesprecher Rudi Probst. Aber nur auf Anfrage.

Zugegeben: Das Ende der HP2 passt zu ihrem Wesen. Denn sie ist ein eher stiller Star. Sie brüllt und kreischt auch hier in Brünn nicht um den Kurs, sondern beeindruckt durch Effizienz. Sie marschiert für einen luftgekühlten Boxer grandios, ohne die Leistung moderner Zweizylinder zu erreichen. Ihr Handling und ihre straffe Fahrwerksabstimmung eröffnen dem Sportboxer neue Dimensionen, ohne die üblichen Grenzen zu sprengen. Ihre Ergonomie passt auf der Rennstrecke perfekt, ihre Bremsen ziehen am Ende der Start-Ziel-Geraden dem tschechischen Asphalt einen Scheitel, der erste serienmäßige Schaltautomat der Zweiradwelt macht die (häufig nötigen) Gangwechsel zur kurzweiligen Angelegenheit. In der Tat, die HP2 Sport ist ein begeisterndes Sportmotorrad. Ein überragendes ist sie nicht. War sie nie. Aber: „Sie“ war die Initialzündung, der erste Schritt auf dem Weg in eine sportlichere BMW-Zukunft.

Rückblende. Frühjahr 2004. In München hat man sich eingerichtet mit immer wieder neuen Zitaten des alten Themas. Es ist natürlich der Boxer. Allein 13 unterschiedliche Derivate zählt der MOTORRAD-Katalog damals, bahnbrechende Entwicklungen wie die R 1200 C Monthauk sollen die vergreisende BMW-Klientel beglücken. Supersport steht für die Münchner gleichbedeutend mit Boxercup. Das heißt: verbissen geführte Duelle ambitionierter Altstars im Rahmenprogramm der Grands Prix auf der biederen R 1100 S, die mit höher gelegtem Fahrwerk und einem Laserauspuff so viel Spitzensport verkörpert wie Rainer Calmund beim Hürdenlauf. Die K 1200 S steht kurz vor der Markteinführung, ist mit nominell 167 PS mächtig kräftig, aber mit knapp 250 Kilogramm auch kein Leichtgewicht. Zu schwer jedenfalls, um ernsthaft in die Kategorie „Supersportler“ zu fallen, auch wenn man sich in München kurzfristig in diese Diktion versteigt. Dieses Feld wird zu jener Zeit von ganz anderen Kalibern dominiert. Kawasaki bringt die bärenstarke, federleichte ZX-10 R (175 PS, 196 Kilogramm), Honda präsentiert eine technisch radikal neue Fireblade. Davon spricht die Sportlerwelt. Von BMW spricht niemand.

Man darf sich das ausmalen. In einer Situation wie dieser rüstet Motorradchef Herbert Diess zum Befreiungsschlag. Der Auftrag: Das Markenimage dynamisieren. Konkrete Vorstellungen? Fehlanzeige! Außer der üblichen. Das Budget ist sehr begrenzt, eine Neukonstruktion kommt nicht infrage. Also, meine Herren, wem fällt da was ein?

Jahn
Immer eine Runde wert: Die HP2 Sport ist schon jetzt eine Rarität.

Rückblickend betrachtet grenzt es an ein Wunder, dass die Nummer nicht so endete wie die Sache mit den Fähnchen in der Sparkassenwerbung. Mitverantwortlich dafür waren zwei, die durch ihr berufliches Vorleben näher dran waren am Thema Sportmotorrad, als es bei BMW damals üblich war. Gerhard „Gegesch“ Lindner und Rainer Bäumel, beide vormals -MOTORRAD-Redakteure, nahmen die Herausforderung an. Auch, weil sie auf den richtigen Posten saßen. Lindner als Produktmanager für sportliche Fahrzeuge, Bäumel als Projektleiter in der Boxerbaureihe. Beide waren beseelt von einem Plan. „Wir wollten damals einfach den geilsten Boxer aller Zeiten bauen“, schwärmt Lindner noch heute von der Aufbruchstimmung. Auf die Frage, warum es denn der Boxer sein sollte, der ja nicht gerade ideale Voraussetzungen für einen Hochleistungssportler bot, driften die Erinnerungen allerdings auseinander. „Weil der Boxer das Markenimage verkörperte“, sagt Bäumel, der heute als Rennleiter das BMW-Superbike-Team führt, diplomatisch. „Weil sogar die neue K 1200 S einfach viel zu schwer war für das, was wir vorhatten“, erinnert sich Lindner, der heute als Erprobungsleiter mit seinem Team jeden einzelnen Entwicklungsschritt jeder BMW bis zur Serienreife überprüft, „man stelle sich einmal vor: ein selbsttragendes Karbonheck an einem 250-Kilo-Bike! Das wäre albern gewesen.“

Wer heute das Glück hat, eine HP2 Sport zu besitzen oder zu bewegen (was angesichts des Neupreises von rund 22 000 Euro und der zu erwartenden Preisentwicklung ein exklusives Vergnügen ist), registriert einen Boxer-All-Time-Bestwert mit aufrichtiger Bewunderung. 206 Kilogramm vollgetankt sind für ein so großes, hohes Motorrad mit Kardanantrieb auch Jahre später noch eine ernst zu nehmende Hausnummer. Ebenso erstaunlich ist die Art und Weise, wie er entstanden ist, denn schließlich ließ sich an den Grundfesten, also Motor- und Rahmenabmessungen, nichts ändern und die damalige Ausgangsbasis, die R 1100 S, wog selbst in Boxercup-Konfiguration noch gewaltige 229 Kilogramm. Bäumel und Lindner blieb daher nichts anderes übrig, als den radikalen Weg des klassischen Tunings zu gehen, sprich: über 20 Kilogramm durch den Einsatz leichterer Teile einzusparen. Dabei erwies es sich als weitaus einfacher, eine Wunschliste zu erarbeiten, als die BMW-internen Abläufe zu synchronisieren. Bäumel erinnert sich: „Auf unserer Liste stand praktisch alles, was wir auch realisiert haben, nämlich Schmiederäder, vorne und hinten Öhlins-Federbeine, selbsttragendes Karbon bei Verkleidung und Rahmenheck, ein Schaltautomat, ein Grand Prix-Dashboard, ein renntaugliches ABS sowie voll einstellbare, hochwertige Frästeile für Gabelbrücke und Fußrastenanlage.“ Was selbst eingeschworenen Race-Fans beim Anblick der handwerklich perfekt gemachten Details einen Seufzer des Entzückens entlockt und italienischen Edelmanufakteuren die Schamröte ins Gesicht treibt, brachte die BMW-Controller an den Rand der Verzweiflung. „Betriebswirtschaftlich war das nicht zu überprüfen“, erinnert sich Bäumel, „denn es gab zu diesem Zeitpunkt natürlich weder die Teile noch die Lieferanten.“

Was rückblickend wohl als Glück betrachtet werden muss, denn so konnte auf der Kostenseite zumindest zu Beginn ein wenig tiefgestapelt werden. Dazu gehörte es auch, die Entwicklungszeit zu verkürzen und Entwicklungsabläufe anzupassen. „Wir hatten damals bei BMW normalerweise Prototypen für alle Bereiche. Das hat sich dann ewig gezogen. Bei der HP2 Sport haben wir hingegen alles auf einmal gemacht, hatten dann sehr kurze Wege. Einmal im Jahr sind wir nach Sizilien gegangen, haben in Siracusa und Racalmuto zusammen mit Jürgen Fuchs und unserem Designer Ola Stenegard vom Prototyp über die Vorserie bis hin zur Serie alle Komponenten gemeinsam getestet,“ schwört Bäumel.

So weit, so kompakt. Weitaus schwieriger, als im kleinen Team möglichst effizient zu arbeiten, erwies sich die Überzeugungsarbeit im großen BMW-Apparat. „Die Entwicklungsabläufe bei der HP2 Sport waren wegweisend, wir haben viel gelernt“, fasst Lindner auch mit Blick auf spätere Projekte wie die S 1000 RR zusammen. Und Bäumel erinnert sich, wie schwer es war, manch ausgetretenen BMW-Pfad zu verlassen: „Wo die Tragfähigkeit von Rahmenhecks über Jahrzehnte an den Bedürfnissen einer Afrika-Durchquerung unter voller Zuladung ausgerichtet wurde, ist es schwer, plötzlich Größenordnungen von maximal 200 Kilogramm zu akzeptieren. Und wenn bei allen Boxern die Krümmer traditionell unter den Zylindern laufen, ergeben sich fertigungstechnische Probleme, sie plötzlich unter die Ölwanne zu verlegen. Dort aber mussten sie hin, weil sonst die Schräglagenfreiheit nicht ausgereicht hätte. In dieser Hinsicht war auch in Berlin, wo die HP2 Sport wie alle anderen Boxer vom Band lief, viel Überzeugungsarbeit notwendig.“

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Das gibt es nicht wieder: perfektes, multifunktionales Moto-GP-Dashboard.

Doch auch in motorischer Hinsicht gab es  jede Menge Zweifler. Nicht nur daran, dass die Kurbelwelle  wegen der kritischen Biegeschwingungen die gesteigerten Drehzahlen von über 7500/min (R 1100 S von 2004) auf 9500/min verdauen würde. Auch daran, dass der Boxer überhaupt höhere Drehzahlen und mehr Temperament entwickeln könnte, glaubten viele nicht. „Das größte Problem war der Ventiltrieb“, blickt Bäumel zurück, „mit einer Nockenwelle pro Zylinderkopf war das nicht zu machen, das war schnell klar.  Als wir mit unseren Plänen kamen, haben uns in der Motorenentwicklung alle für verrückt erkärt.“

Doch die kleine Truppe hatte auch Fürsprecher, allen voran Chef Herbert Diess und den damaligen Motorenchef Wolfgang Nehse. So wurde kurzerhand ein Zylinderkopf mit zwei horizontal angeordneten Nockenwellen konstruiert, in dem die vier radial angeordneten Ventile über Schlepp-hebel gesteuert werden. Bäumel: „Natürlich waren die Kosten für ein solch kleines Projekt hoch. Doch rückblickend kann man sagen, dass die Motorenentwicklung für die Boxerbaureihe, die später den dohc-Kopf übernommen hat, geschenkt war.“

Unter dem Strich mobilisierte die HP2 Sport bei ihrem Erscheinen 2008 auf dem MOTORRAD-Prüfstand 133 PS. Für einen luftgekühlten Boxer eine unbekannte Welt, an der sich so mancher BMW-Tuner über Jahre die Zähne ausgebissen hatte.

Erstaunlich ist, dass jetzt, nachdem die HP2 Sport Geschichte ist, gerade das Kapitel Motor und Leistung nicht den Raum einnimmt, den ihm die Entwickler zuwiesen. Es war nicht so sehr der stärkste Boxer aller Zeiten, der die HP2 Sport so beeindruckend machte. Es war die unerwartete Eindeutigkeit, mit der die Münchner sich zum Thema Sportmotorrad äußerten und die sich in der radikalen Konsequenz auch widerspiegelte. Eine Konsequenz, die sich fortsetzte. In der S 1000 RR, dem erfolgreichsten Supersportler der vergangenen zwei Jahre.

PS: Von der HP2 Sport wurden insgesamt 2259 Einheiten produziert, 2022 sind in Kundenhand. In Deutschland wurden 575 Motorräder verkauft. Im Handel sind hierzulande laut BMW noch 20 bis 25 Fahrzeuge - neu und gebraucht.

Technische Daten

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Ventildeckel aus Karbon und mit Schleifschutz.

Motor:
luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Einspritzung, Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Bohrung x Hub 101,0 x 73,0 mm, Hubraum 1170 cm³, Verdichtungsverhältnis 12,5:1,
Nennleistung 97,8 kW (133 PS) bei 8750/min,
max. Drehmoment 115 Nm bei 6000/min

Fahrwerk:
tragender Motor-Getriebe-Verbund, längslenkergeführte Telegabel, Ø 41 mm, Zweigelenk-Einarmschwinge, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17, Bereifung 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17, Bereifung: Metzeler RaceTec K3

Maße und Gewicht:
Radstand 1487 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 86 mm, Federweg v/h 105/120 mm, Sitzhöhe* 830 mm, Gewicht vollgetankt* 206 kg

 

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