Die Traumbikes der Leser: Ducati 916
Klassischer Supersportler von Ducati

Kein anderes Motorrad war zuvor so konsequent auf den Sporteinsatz hin konstruiert worden wie Ducatis 916. Die Fachwelt war entzückt, die Fans begeistert. Man liebte sie oder lehnte sie ob ihrer Kompromisslosigkeit ab - aber kalt ließ sie niemanden.

Klassischer Supersportler von Ducati
Foto: fact

Mannomann, die sieht ja heute noch genauso klasse aus,eigentlich müsste man die unbedingt in der Garage stehen haben.“ Kollege Schmieder ist ganz aus dem Häuschen. Doch was da knackend und knis-ternd in der Redaktionstiefgarage abkühlt, ist keine moderne Supersport-Rakete, sondern schlicht eine Ducati 916. In der Tat, auch heute noch, 17 Jahre nach ihrem Erscheinen, ziehen diese kühn gezeichneten Katzenaugen, die gedrungene Gestalt den Betrachter in ihren Bann.

1994 muss sich die Konkurrenz gefühlt haben, als sei Cindy Crawford bei den Weight Watchers aufgetaucht. Eine Kawasaki ZXR 750 wog 238 Kilogramm, eine GSX-R 750 immer noch 222. Und die 1000er waren - von der noch etwas leichteren Fireblade einmal abgesehen - hart dran an der viertel Tonne. Die 916 aber brachte gerade mal schlanke 212 Kilo auf die Waage, wirkte optisch fast noch leichter und ließ ihre Vorgängerin, die 888, ziemlich pummelig dastehen.

Wir klebten mit hängender Zunge an den Schaufenstern, konnten uns an diesen Formen nicht sattsehen - nur um anschließend mit unseren 900 SS auf die Hausstrecke zu gehen. Die 916 blieb unerreichbar, schließlich wurden damals für sie stolze 28 500 Mark aufgerufen. Eine Fireblade stand für vergleichsweise schlanke 20 000 Mark beim Händler.

Doch was bedeutete das schon gegen diese hinreißenden Formen? Um so etwas zu schaffen, musste man genial oder wahnsinnig sein. Oder beides. Auspuff unter dem Sitz, wo gabs denn so was? Auch wenn er mehr der Aerodynamik denn leistungs- oder schwerpunkttechnischen Überlegungen geschuldet war. Und eine Einarmschwinge leistete sich höchstens die Honda RC 45. Aber die sprengte ja auch mühelos die 40 000-Mark-Grenze. Immerhin war sie neben der Duc das einzige Superbike, das bereits auf Einspritzung setzte.

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All das verlieh einer 916 schon etwas Mythisches. Vor allem aber war es die Dominanz, mit der Carl Fogarty fortan Weltmeister-Titel abräumte. Der 916-Motor hatte nun ein steiferes und damit standfesteres Motorgehäuse. Was auch Hobby-Racer freute. Denn bei den 888 waren im Renntrimm gerissene Motorgehäuse keine Seltenheit. Doch nicht nur für Werksfahrer und Hobby-Racer war die Ducati eine Offenbarung. Auch wer seine 916 „nur“ auf der Landstraße ausführte, dem erschloss sich sofort, welch grandioser Wurf dieses Motorrad war.

Es ist vor allem dieses Fahrwerk, das sie weit über die Konkurrenz hinaushob. Das wird schon beim gepflegten Ausritt über die Hausstrecke offenbar. Selbst heute noch. Nichts, aber gar nichts hat sie von ihrer Ausstrahlung verloren. Die geduckte Gestalt, Drehzahlmesser und Wassertemperaturanzeige in Moosgummi eingefasst, Tacho und Kontrollleuchten für Racing-Zwecke leicht zu entfernen. Dazu der Lenkungsdämpfer quer vor dem Tank, das ist auch heute noch große Klasse. Nein, mehr, die 916 war einfach perfekt. Allein die Schnellverschlüsse, dank derer sie ruck, zuck gestrippt ist. Wer je versucht hat, eine 888 zu entblättern, weiß, was gemeint ist. Massimo Tamburini hatte mit der 916 sein Meisterstück geschaffen. Sie war durchdacht bis ins Detail. Und sie war anstrengend.

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Ducati 916 auf der Rennstrecke.

Höchstens eine ZXR 750 knechtete ihren Fahrer noch genauso, zwang ihn zum tiefen Bückling, um die Lenkerstummel zu erreichen. Doch ist es bei der 916 das Opfer, das der Fahrer bringen muss, um sich dieses unerhörte Fahrgefühl zu verdienen.

Auch heute noch verblüfft, wie Sitzposition und Fahrwerk mit steigendem Tempo zusammen Sinn ergeben, der Fahrer, am besten mit ein wenig Hanging-off in den Kurven, mit dem Motorrad verschmilzt. Traumhaft, wie bombenstabil die Ducati Bögen ziehen kann, was ihr in Kurven -enorme Schnelligkeit verleiht. Und auch nach heutigen Maßstäben begeistert neben diesem „Wie-auf-Schienen-Gefühl“ die Rückmeldung von der Fahrbahn. Und: Diese -Ducati ist für die Landstraße richtig straff abgestimmt, ohne aber hinten die unangenehme Härte heutiger Superbikes an den Tag zu legen. Das ging also auch.

Aber ein Teil der Faszination dieses Meilensteins geht auch vom Motor aus. Mögen 108 PS heute niemanden mehr vom Hocker reißen, die Art und Weise, wie sanft, aber nachdrücklich der Twin bereits bei 2000/min zupackt, ist eine Wucht. Sein sattes, voluminöses Bollern aus den Endtöpfen massiert Trommel- und Bauchfell. Nicht zu vergleichen mit dem aggressiv-harten, fast schmerzhaft mechanisch hämmernden Tönen einer Panigale.

Der 916er geht mit druckvoller Mitte, und ab 5000/min, wenn er richtig die Nüstern bläht, um willig in Richtung 10 000 zu stürmen, mit energischem Ton zur Sache. Klasse, wie akkurat er dabei am Gas hängt.

Das ist auch heute noch großes Kino, das nach einem Tag im Sattel einen geschafften, aber hochzufriedenen Piloten hinterlässt. Geschafft, weil die 916 fordert. Beim Griff zur Kupplung, durch die anstrengende Sitzposition. Beim Handling, bei Schräglagenwechseln sowieso - allein schon wegen der bleischweren Dreispeichen-Räder. Und über die fade Bremse der ersten Serie hüllen wir besser das Tuch des Schweigens.

Zufrieden aber, weil dieses Motorrad wie kaum ein anderes ein Kaleidoskop an Eindrücken und Emotionen bietet, wenn man es sich einmal erschlossen hat. Und wer weiß, ob die Motorradgeschichte nochmals eine 916 erleben wird. Kollege Schmieder hat wohl doch recht.

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Diese Heckpartie war fortan stilbildend und Vorlage für viele wilde Umbauten.

Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-V-Motor, Bohrung/Hub 94,0/66,0 mm, 916 cm³, je zwei obenliegende, Zahnriemen getriebene Nockenwellen, vier desmodromisch betätigte Ventile pro Zylinder, 79 kW (108 PS) bei 9000/min, 86 Nm bei 7000/min, Einspritzung, Nasssumpfschmierung, Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette;

Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, vorn Upside-down-Gabel, 43 mm, hinten Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, Reifen v/h 120/70 ZR 17, 180/55 ZR 17, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Einscheibenbremse hinten Ø 220 mm,

Gewicht: vollgetankt 212 kg,
Höchstgeschwindigkeit: 252 km/h,
Preis: 28 490 Mark (1994)

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Erscheinungsdatum 15.09.2023