Motorradlärm
Debatte um Lautstärke von Motorrädern

Auspuff-Lautstärke nach Euro 3, Euro 4 und realem Empfinden

Euro 3- und Euro 4-Messungen So laut sind Schalldämpfer wirklich

Streckensperrungen, Fahrverbote, Wutausbrüche. Der Stigmatisierung des Motorrads als Krawallmaschine kann sich kaum ­einer unserer Szene noch entziehen. Ob sich mit dem neuen Geräuschlimit von 77 Dezibel versöhnliche Töne anstimmen lassen? Der ultimative Auspuff-Praxistest: Euro 3 vs. Euro 4.

So laut sind Schalldämpfer wirklich Jörg Lohse
16 Bilder

Experten werten die seit Euro 4 in Kraft getretene Geräuschverordnung ECE-R41 als wichtigen Erfolg in Sachen Lärmschutz: "Wir konnten tatsächlich auch eine Veränderung des Geräuschpegels feststellen", urteilt Paul Lohmar, Homologationsexperte des TÜV Rheinland im MOTORRAD-Interview. Eine gewisse politische Komponente darf bei der Verordnungsnovelle natürlich nicht außer Acht gelassen werden. So schien eine plakative Absenkung des bis zur Einführung von Euro 4 gültigen Fahrgeräuschs von 80 Dezibel dringend erforderlich gewesen zu sein. Mit dem neuen, sinnigerweise als "urban" bezeichneten Schalldruckpegel von 77 dB(A) hörte sich das zunächst auch sehr erfolgversprechend an.

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Euro 3- und Euro 4-Messungen So laut sind Schalldämpfer wirklich
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Ist Euro 4 überhaupt leiser als Euro 3?

Umso erstaunter blätterte man sich durch die Messmethodik der neuen Verordnung, um festzustellen, dass sich die alten 80 Dezibel mit dem neuen Grenzwert überhaupt nicht in Bezug setzen lassen. Motorräder, die sowohl nach Euro 3 und 4 homologiert waren und trotz technisch identischer Ausführung auf dem Papier unterschiedlich laut bzw. leise waren, stützten diese Zweifel.

Womit nun dieser Praxisvergleich gesetzt war: Wie leise ist ein Euro4-Motorrad tatsächlich geworden? Ist es im Vergleich zu Euro3 überhaupt leiser geworden? Und gibt es vielleicht Methoden, mit denen laute und leise Bikes realistisch und alltagsnah zu rastern sind? Schauen wir uns nun die Motorräder und Zubehör-Schalldämpfer genauer an, sprechen bereits Prüfstands­kurven und Standgeräuschmessung eine deutliche Sprache.

Denn Tuning per Auspuff, das war einmal. Vorbei die Zeiten, wo sich per Umstecken des Endtopfs einfach und schnell ein Leistungsplus von zehn Prozent oder gar mehr auf die Prüfstandsrolle zaubern ließ. Inzwischen haben sich die eigentlichen Unterschiede nahezu egalisiert. Im Wesentlichen muss der Zubehör-Endtopf heutzutage eigentlich mehr als optisches Gimmick herhalten, maximal beim Gewicht treten im Vergleich zur Serie noch einigermaßen habhafte wie nennenswerte Unterschiede auf. Auf dem Leistungsprüfstand sowie bei den Standgeräuschen bleibt man deshalb nahezu auf dem Niveau der Werksvorlage. Was damit zusammenhängt, dass Vorschalldämpfer oder fest integrierte Klappensysteme wichtige Aufgaben übernommen haben. Was nun wiederum nicht heißt, dass Auspuffbauen zu einer designverspielten Rohrbiegerei verkommen ist. Technisch bleibt es weiterhin eine anspruchsvolle Aufgabe, einen Auspuff so zu konstruieren, dass dieser ordentlich funktioniert, keine Leistung gegenüber der Serie kappt und auch in Einklang mit den rechtlichen Anforderungen steht.

Die Test-Kandidaten

mps-Fotostudio
BMW Original (Euro 4).

BMW Original (Euro 4)

Material: Edelstahl
Gewicht: 4,9 kg
Herstellungsland: Polen
ECE-Prüfzeichen: 13 (Luxemburg)
Preis: ab 704,05 Euro
Infos: www.bmw-motorrad.de
Kaufmöglichkeit: Motorrad-Marktplatz

mps-Fotostudio
BMW Original (Euro 3).

BMW Original (Euro 3)

Material: Edelstahl
Gewicht: 4,9 kg
Herstellungsland: Polen
ECE-Prüfzeichen: 24 (Irland)
Preis: ab 686,89 Euro
Kaufmöglichkeit: www.ebay.de

mps-Fotostudio
Akrapovic Slip on (Euro 4).

Akrapovic Slip on (Euro 4)

Material: Titan
Gewicht: 4,6 kg
Herstellungsland: Slowenien
ECE-Prüfzeichen: 24 (Irland)
Preis: 1149 Euro
Bezugsmöglichkeit: www.louis.de

mps-Fotostudio
Bos Desert Fox (Euro 4).

Bos Desert Fox (Euro 4)

Material: Edelstahl
Gewicht: 4,3 kg
Herstellungsland: Niederlande
ECE-Prüfzeichen: 13 (Luxemburg)
Preis: ab 799 Euro
Bezugsmöglichkeit: www.louis.de

mps-Fotostudio
Remus Black Hawk (Euro 4).

Remus Black Hawk (Euro 4)

Material: Edelstahl
Gewicht: 3,1 kg
Herstellungsland: Österreich
ECE-Prüfzeichen: 4 (Niederlande)
Preis: 765 Euro
Bezugsmöglichkeit: www.ebay.de

Remus Black Hawk

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Fahrgeräusche nach Euro 4

Die Distanz: 20 Meter. Das Tempo: zwischen 30 und 70 km/h. In diesem Bereich werden die rechtlich relevanten Fahrgeräusche fürs Motorrad bestimmt. Am Ende muss ein Dezibel-Wert stehen, der kaum mehr als einem Windrauschen am Ohr entspricht. Euro 4-GS, Zubehör-Schalldämpfer und das Euro 3-Schwestermodell im Vergleich.

MOTORRAD
Fahrgeräusche nach Euro 4 für BMW R 1200 GS.

Keine leichte Übung, nach der neuen ECE-Regelung R41 die rechtlich relevanten Fahrgeräusche zu bestimmen. Vorbei die Zeiten, als noch generell über einen Kamm geschert wurde. Für jedes Motorrad gibt es nun individuelle Vorgaben, die auch am Fahrzeug angebracht sein müssen. Unsere Test-BMW ist laut Zulassungsdokumenten mit 75 dB(A) eingetragen. Diese Dezibel-Angabe, die als L (urban), also mehr oder minder Lärm-Wert für den städtischen Verkehr bezeichnet wird, lässt sich allerdings nicht einfach so messen. Unsere Grafik veranschaulicht die Komplexität des neuen Geräuschprüfverfahrens.

Im Falle der R 1200 GS geht es zum einen bei der beschleunigten Vorbeifahrt mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 38,8 km/h im vierten Gang über die 20 Meter lange Messstrecke. Beim Passieren der AA-Linie wird der Gasgriff voll aufgezogen, bei BB wieder geschlossen. Wichtig: Beim Passieren der Mittellinie (wo auch die Mikrofone positioniert sind) muss die Geschwindigkeit 50 km/h betragen. Diese Vorgabe ist für alle Motorräder gleich, weshalb nun verständlich wird, dass je nach Beschleunigungsvermögen des jeweiligen Bikes individuelle Ausgangswerte (Tempo, Gangstufe) gelten. Der maximal zulässige Dezibel-Wert, bei der Beschleunigungsmessung als L (wot) bezeichnet, beträgt im Falle der GS 81,2 dB(A). Um L (urban) zu bestimmen, fehlt aber noch der zweite Prüfpunkt: die Durchfahrt in gleicher Gangstufe mit Tempo 50. Unter Einbeziehung eines motorradabhängigen Teillastfaktors ergibt sich nun per Formelberechnung aus Konstant-Schalldruckpegel L (crs) und Beschleunigungswert L (wot) das Fahrgeräusch L (urban).

MOTORRAD-Fazit zu Euro 4-Messungen

Prüfung bestanden. Sowohl die BMW R 1200 GS in Originalausführung wie auch die dafür erhältlichen Zubehör-Auspufftöpfe halten den Fahrgeräuschwert locker ein. 75 dB(A) sind eingetragen, und eigentlich wäre der Geländeboxer sogar mit zwei Dezibel mehr noch Euro 4-konform. Aber: Auch die Euro 3-GS nimmt diese Hürde ganz locker. Stellt sich die Frage: Sind Motorräder leiser geworden?

BMW
Original (Euro 4)
BMW
Original (Euro 3)
Akrapovic
Slip on (Euro 4)
Bos
Desert Fox (Euro 4)
Remus
Black Hawk (Euro 4)
Fahrgeräusch MOTORRAD-Messwerte

bei Beschleunigung,
L (wot) in dB(A)

79 82 81 82 81
bei konstant 50 km/h,
L (crs) in dB(A)
71 71 71 71 70
Stadt, L (urban) in dB(A) 74 75 75 75 74

Fahrgeräusche nach Euro 3

Sportler, Tourer, Chopper, Crosser: Vor dem Gesetz waren bei dieser Messmethode alle Bikes gleich. Jedenfalls was das Prozedere betrifft. Das Fahrgeräusch wird aus dem Durchschnitt von diversen Beschleunigungsfahrten und nicht mit einer abstrakten Formel errechnet. Ist die Euro 4-GS auch in dieser Testrealität ein Leisetreter?

MOTORRAD
Fahrgeräusche nach Euro 3 generell.

Diese Übung ist uns in den letzten Jahren bei zahlreichen Auspufftests in Fleisch und Blut übergegangen. Und ein Blick auf das Schaubild zeigt: Vom Wesentlichen her sattelt die neue Euro 4-Regelung zur Bestimmung des Schalldruckpegels auf der alten Europa-Richtlinie 97/24/EG auf. Zumindest, was die generellen Anforderungen an die Örtlichkeit, die Anordnung der Messstrecke, die Position der Mikrofone, aber auch das generelle Testprozedere betrifft. Unsere 2013er-R 1200 GS, die sich nun dem Vergleich mit ihrer Euro 4-Schwester stellen muss, darf laut Zulassungsdokumenten das Fahrgeräusch von 80 dB(A) nicht überschreiten. Damit schöpft sie auch den erlaubten Rahmen komplett aus. Mehr Schalldruck darf sie nach Gesetzeslage nicht von sich geben.

Zum Vergleich: Die Euro 4-R 1200 GS mit den eingetragenen 75 dB(A) hätte noch Luft nach oben – in ihrer Leistungsklasse wären 77 dB(A) erlaubt. Bei der alten Fahrgeräuschmessung gelten für alle Motorräder die gleichen Ausgangsbedingungen, also keine individuellen, fahrzeugabhängig errechneten Werte wie zuvor bei der Euro 4-Methode. Mit Tempo 50 geht es im zweiten Gang in die Messstrecke, dann wird unter Volllast 20 Meter durchbeschleunigt. Das Gleiche wiederholt sich im dritten Gang. Aus den Durchschnittswerten aller Messungen wird schließlich das rechtlich relevante Fahrgeräusch errechnet. Bei unseren vielen Auspufftests fiel auf, dass Fahrzeughersteller (aber auch Zubehöranbieter) über spezielle Klappensysteme das Fahrgeräusch "hörbar" absenken konnten. Kaum hatte man im zweiten oder dritten Gang 50 km/h erreicht, ging eine Klappe im Krümmertrakt zu und erst wieder bei rund 80 km/h auf. Interessanterweise verfügt auch die Euro 4-R 1200 GS über die gleiche Klappensteuerung wie ihre Euro 3-Schwester. Selbst ohne Blick auf das Messinstrument ist deutlich wahrnehmbar, dass der Schalldruckpegel bei beiden Boxern zwischen 50 und 70 km/h sinkt.

MOTORRAD-Fazit zu Euro 3-Messungen

Ein Bild, wie wir es aus der Vergangenheit unserer Auspufftests kennen: Die 80 Dezibel sind kaum zu stemmen. Wie manche Hersteller das homologieren können, bleibt ein Rätsel. Aber: Auch die vermeintlich leisere Euro 4-GS scheitert an der 80-dB(A)-Hürde.

BMW
Original (Euro 4)
BMW
Original (Euro 3)
Akrapovic
Slip on (Euro 4)
Bos
Desert Fox (Euro 4)
Remus
Black Hawk (Euro 4)
MOTORRAD-Messwerte

Fahrgeräusch
gemittelt in dB(A)

82 81 83 86 85

Realtistische Einschätzung der Fahrgeräusche

Keine Teillastfaktoren, keine Formelberechnung eines fiktiven Schalldruckpegels für das urbane Umfeld. Zum Schluss geben wir den Boxern einmal so die Sporen, wie es vielerorts im Alltag geschieht. Das ist natürlich fernab jeder Homologation, aber deutlich näher an der Realität, in der Streckensperrungen und Fahrverbote drohen.

MOTORRAD
Fahrgeräusche nach eigener und praxisnaher MOTORRAD-Messmethode.

Stellt euch bitte vor, ihr sitzt auf eurem Bock und macht eine Ausfahrt: Sonntagvormittag, Ortsrand, die Bebauung geht zurück, ihr nehmt die kurvige Landstraße ins Visier. Drei Tipper runter: zweiter Gang, voller Durchzug, ausdrehen. Keine 50 Meter hinter dem Ortsschild röhrt der Motor in Begrenzernähe, also hochschalten, und weiter geht’s in Landstraßenrichtgeschwindigkeit. Alles in allem eigentlich noch harmlos, doch was ist, wenn sich dieser Vorgang an einem sonnigen Tag zehn-, 50- oder gar 100-fach wiederholt? Nachvollziehbar, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Motorradfahrers da auf der Kippe steht, oder?

Um die Dezibel-Werte besser vergleichen zu können, haben wir als drittes Messprozedere noch unseren eigenen, praxisnahen und realistischen Test durchgeführt. Der Testaufbau folgt im Wesentlichen den Vorgaben, wie wir sie bereits aus den Euro 3- und 4-Prüfungen kennen. Nur, dass wir jetzt keine feste Streckendistanz definieren, sondern die Mikrofone zur Aufzeichnung des Schalldruckpegels dort positionieren, wo die Motorräder in den Begrenzer rennen. Also auch wieder wie bei Euro 4 eine individuell aufs jeweilige Bike und sein Beschleunigungsvermögen abgestimmte Methode. Die Einfahrt in die Messstrecke erfolgt im zweiten Gang mit konstanten 50 km/h, beim Passieren der AA-Linie wird unter Volllast durchbeschleunigt. Aus dem Durchschnitt verschiedener Vorbeifahrten errechnet sich nun der MOTORRAD-Schalldruckpegel. Kein ­abstrakter Urban-Wert, sondern eine realistische Zahl, mit der im Alltag beispielsweise auch viele Anwohner auf beliebten Ausflugsstrecken leben müssen.

MOTORRAD-Fazit zu praxisnahen Messungen

Willkommen in der Realität. Wer ohne Rücksicht am Gas dreht, konfrontiert seine Umgebung bereits ohne illegale Brülltüte mit einem deutlichen Dezibel-Plus. Euro 3- und 4-GS geben sich dabei nichts. Obwohl sie sich in ihren Homologationswerten deutlich voneinander unterscheiden.

BMW
Original (Euro 4)
BMW
Original (Euro 3)
Akrapovic
Slip on (Euro 4)
Bos
Desert Fox (Euro 4)
Remus
Black Hawk (Euro 4)
MOTORRAD-Messwerte

Fahrgeräusch
2. Gang, Begrenzer in dB(A)

94 94 95 96 97

Leistungs- und Standgeräuschmessungen

Kommt es zur Kontrolle am Straßenrand, gibt eine Standgeräuschmessung eigentlich nur Auskunft darüber, ob ein Zubehörauspuff möglicherweise manipuliert wurde. Eine tatsächliche Begrenzung der Standgeräusche, die bei halber Nenndrehzahl auf Austrittshöhe mit einem halben Meter Abstand im 45-Grad-Winkel gemessen werden, gibt es auch nach den aktuell gültigen Euro 4-Bestimmungen nicht.

Interessant ist, dass sich Euro 3- und 4-GS mit den eingetragenen Standgeräuschen nicht unterscheiden. Die Zubehörtöpfe sind ­minimal lauter, allerdings müsste man diese ­Abweichung unter Messtoleranz verbuchen. Ähnlich das Szenario auf dem Prüfstand: Das meiste drückt der Euro 3-­Boxer, dann folgt Euro 4 in Originalausführung. Mit den Zubehörtöpfen sinkt die Leistung um weniger als drei Prozent, zusammen mit dem nahezu identischen Kurvenverlauf ist diese Abweichung ebenfalls als belanglos einzustufen.

BMW
Original (Euro 4)
BMW
Original (Euro 3)
Akrapovic
Slip on (Euro 4)
Bos
Desert Fox (Euro 4)
Remus
Black Hawk (Euro 4)
MOTORRAD-Messwerte

Fahrgeräusch
bei 3850/min in dB(A)

94 94 96 96 95

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So testet MOTORRAD

Der ehemalige Militärflughafen in Neuhausen ob Eck erfüllt die wesentlichen Voraussetzung: Neben einer breit asphaltierten Fläche darf keine schallreflektierende Bebauung im Umkreis der Fahrstrecke die Messergebnisse verfälschen. Für diesen Euro 3/Euro 4-Praxisvergleich kam neben einer ganz frischen 2018er-BMW R 1200 GS auch das Euro 3-konforme Modell von 2013 zum Einsatz. Drei Anbieter von bereits Euro 4-homologierten Zubehörschalldämpfern runden unsere Messfahrten ab, die sowohl nach dem neuen Euro 4-Standard, nach alter EU-Verordnung 97/24/EG und nach einem komplett neuen MOTORRAD-Standard erfolgen.

Interview mit dem TÜV-Experten

Paul Lohmar ist beim TÜV Rheinland der Experte, wenn es um die Homologation von Kraftfahrzeugen geht. Im Gespräch mit MOTORRAD nimmt er Stellung zur neuen Geräuschregelung, die im Rahmen der Euro 4 in Kraft getreten ist.

Die neue ECE-Regelung zur Geräuschentwicklung von Krafträdern liest sich kompliziert und wirkt extrem verklausuliert. Hätte man das Thema nicht einfacher und eingängiger lösen können?

Nein, da durch diese Regelung das Geräuschverhalten leistungsstarker Fahrzeuge eingedämmt werden sollte. Die neue Regelung beinhaltet erstmals die Erfassung und Einrechnung des Leergewichts sowie der Leistung des betreffenden Fahrzeugs. Motorräder mit einem geringen Leergewicht und einer hohen Leistung haben es bei diesen Prüfungen nach ECE-R41.04 schwerer, da deren Beschleunigung höher ist. Beispiel: Ein Motorrad hat ein Leergewicht von 200 kg und eine Leistung von 150 kW. Damit ergibt sich ein Leistungs-Masse-Verhältnis, bezeichnet als PMR-Wert, von 545. Die vorgeschriebene Bezugsbeschleunigung beträgt 4,95 m/s². Dagegen gilt für ein Fahrzeug, welches auch 200 kg Leergewicht, aber dann nur 70 kW Leistung hat, mit einem PMR-Wert von 255 die vorgeschriebene Bezugsbeschleunigung von 3,85 m/s². Vereinfacht ausgedrückt: Das Motorrad mit einem geringen Leergewicht und einer hohen Leistung kommt schneller vom Fleck. Dadurch steigt schlagartig die Drehzahl, was ein höheres Geräuschverhalten zur Folge hat.

Euro 4-Motorräder dürfen im Fahrbetrieb nun maximal 77 Dezibel laut sein. Vorher galt ein Grenzwert von 80 dB(A). Unsere Messungen lassen Zweifel aufkommen, dass die neuen Motorräder nun tatsächlich leiser geworden sind. Wie sind die Erfahrungen des TÜV Rheinland?

Das stimmt so nicht ganz. Motorräder, die nach der Europa-Verordnung VO (EU) 168/2013 typgenehmigt wurden, müssen in Bezug auf das Geräuschverhalten den Anforderungen gemäß Anhang VI Teil D entsprechen. Darin heißt es für zwei- und dreirädrige Fahrzeuge bis zu 80 cm3 Hubraum: Geräuschpegel maximal 75 dB(A). Für Krafträder zwischen 80 cm3 und 175 cm3 Hubraum beträgt der Geräuschpegel maximal 77 dB(A) und für Kraft­räder über 175 cm3 maximal 80 dB(A). Wir haben ebenfalls Referenzmessungen durchgeführt und konnten bei den uns vorgestellten Kraftfahrzeugen tatsächlich auch eine Veränderung des Geräuschpegels feststellen. Gerade Hersteller leistungsstarker Fahrzeuge mit geringem Gewicht müssen nun deutlich mehr in die Entwicklung von Schalldämpfern investieren, um die Geräuschwerte einhalten zu können.

Ein erklärtes Ziel schien zu sein, dass man mit der Euro 4 den Einsatz von Klappensystemen, die das Motorrad nur im rechtlich relevanten Messbereich leiser machen, ausschließen wollte. Nun gibt es aber weiterhin – von den Motorradherstellern selbst wie auch im Zubehör – klappengesteuerte Anlagen mit Euro 4-Zulassung. Ein Widerspruch?

Ja und nein, Klappensysteme sind ausdrücklich gemäß VO (EU) 168/2013 Artikel 19 nur dann verboten, wenn die darin genannten Forderungen nicht erfüllt sind. Wenn der Motor aber nur mit dieser Klappensteuerung zur Schalldämpfung betrieben werden kann und der Motor sonst Schaden nehmen würde – eine Erklärung des Herstellers muss dem Technischen Dienst bzw. der Genehmigungsbehörde vorliegen –, oder wenn zusätzliche Prüfungen durchgeführt wurden, die den Umfang der Klappensteuerung beinhalten, sind diese erlaubt. Unter anderem auch durch das sogenannte ASEP-Prüfverfahren, in dem die Messung von Geräuschemissionen für Fahrzeuge, die verschiedene Betriebszustände aufweisen, geregelt ist. Zum Beispiel Klappensteuerungen oder elektronisch geregelte Betriebsmodi wie Sport, Race usw. Verboten sind dagegen teilweise mechanische Klappensteuerungen, die per Hand bedient werden können. Es sei denn, diese erfüllen die Bedingungen der VO (EU) 168/2013 Artikel 19 und Anhang VI Teil D.

Bürgerinitiativen stemmen sich gegen die Lärmflut von Motorrädern auf beliebten Ausflugsstrecken, Streckensperrungen sind die Folge. Gäbe es überhaupt die Möglichkeit, eine Geräuschnorm zu entwickeln, die Motorradfahrer mit gutem Gefühl am Gas drehen ließe und die schwarzen Schafe klar benennen würde?

Das ASEP-Prüfverfahren ist ein erster Weg in diese Richtung, muss aber noch weiter verfeinert und vor allem konsequent durchgesetzt werden. Das Absenken der Geräuschpegel ist die einzig wahre Möglichkeit, dem entgegenzuwirken. Allerdings sind hier durch den geringen Bauraum und die aktuellen technischen Möglichkeiten Grenzen gesetzt. Im Allgemeinen liegt es aber auch hauptsächlich an den Fahrern selbst, grundsätzlich sollten die sich ja an die §§ 1 und 30 der StVO halten – sprich Rücksicht nehmen und unnötigen Lärm vermeiden. Da diese Überprüfung allerdings sehr aufwendig ist und nicht konsequent verfolgt wird, gibt es die besagten Streckensperrungen. Alternativen bieten aktuelle Versuche, den Lärm zu messen und den Fahrern auf einer Anzeigetafel anzuzeigen.

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