Es ist ein Blick, den man nie vergisst: Tief hat sich der Fluss eingegraben, sich ein gemütliches Bett bereitet. Schließlich durchströmt er dieses Gebiet gleich zweimal, macht einen großen weiten 180-Grad-Bogen, fließt in der Gegenrichtung zurück. Dorthin, wo sich die Hochebenen und sanft gerundeten Hügel abgeschliffen haben, sich ein topfebenes Tal anschließt. Wie Spielzeugboote driften die Frachtkähne um die riesige Kurve. Wirklich malerisch, diese weit eingeschnittene große Saarschleife. Mitten in Europa fühlt man sich hier richtig entrückt, es ist Ferne im Nahen. Zum In-Ehrfurcht-Erstarren.
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Herbstausfahrt mit acht Motorrädern aus dem MOTORRAD-Dauertest
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Sonderbar: Acht Männer sind wir hier mit unseren Motorrädern und ein Fotograf, stammen gebürtig aus Baden, Schwaben, Westfalen, dem Rheinland und Bulgarien, doch niemand war je zuvor hier, am Wahrzeichen des Saarlands. Irgendwie hat man das kleinste deutsche Flächenland nicht so recht auf dem Schirm. Als der Herbstnebel sich lichtet, gibt er einen spektakulären Ausblick frei. Mit ihrem leuchtenden Farbenspiel belohnt uns die Natur. Bereitwillig räumen die Touristen unserem ausnahmsweise fotogen drapierten Motorradoktett auf der Besucherterrasse am Aussichtspunkt Cloef bei Mettlach-Orscholz Platz ein.
Aus Ehrfurcht vor zusammen 400.000 Kilometern, welche die acht Maschinen im Laufe ihres Dauertest-Lebens insgesamt abzuspulen haben? Immerhin entspricht dies einer Reise einmal zum Mond. Und dabei fehlen ja noch drei Dauertestmotorräder die daheimblieben: zum einen die Ducati 1199 Panigale, mit aktuell 34.752 Kilometern auf der Uhr. Ferner fehlt die Suzuki V-Strom 1000, die bei Kilometerstand 45.967 mit Riesenschritten auf das Ende des Dauertests zuläuft. Dem ist die Yamaha MT-09 als dritte Yamaha im Bunde mit 46.437 Kilometern sogar noch näher.
Einheimische und Touristen bewundern Landschaft und Motorräder mit vereint 21 Zylindern, fast neun Liter Hubraum (8969 Kubik) und 972 PS Nennleistung. Noch ist alles still, erst mal die Maschinen von der felsigen Aussichtsplattform Cloef wegschieben. Als wir weiter oben die Motoren anwerfen, erklingt ein vielstimmiges Konzert. Gut gedämpft, leicht basslastig. Die Menschen winken zum Abschied. Tja, die Saarländer sind eben nette Leute, geduldig, entspannt, wirken alles andere als gestresst. Dies zeigt sich auf dieser Tour immer wieder. Bald geht es über flüssige, gut ausgebaute Kurvenkombinationen Richtung Mettlach, zur Saar herunter.
Testredakteur Thomas Schmieder pilotiert den schicken bayerisch-berlinerischen Roadster BMW R 1200 R, lässt die Kuh vorausfliegen, knetet das Gummi der Reifen warm. „Ein tolles Landstraßen-Motorrad ist diese R, man fühlt sich auf Anhieb wohl, richtig zu Hause“, sagte Thomas zur Abfahrt. Kräftig puncht der wunderbar bullige Wasserboxer von ganz unten, „wrroumm“, klingt kernig dazu. Dies hier ist seine zweite Chance, denn das Getriebe der R 1200 GS „LC“ flog uns während der 50.000 Dauertest-Kilometer um die Ohren. Zuvor machten auch K 1300 GT und die luftgekühlte R 1200 GS massive Probleme. Wird sich nun endlich einmal eine BMW nicht nur als innovativ, sondern auch als haltbar erweisen?
Da hat die Harley-Davidson Sportster 1200 Custom Limited Edition A (sie heißt wirklich so) einen anderen Anspruch: Lange Zeit führte eine Harley die Dauertest-Wertung von MOTORRAD an. Die Road King bewies hohe Zuverlässigkeit, gute Substanz nach 50.000 Kilometern und hohen Werterhalt. Nun soll die kleine Schwester zeigen, dass dies auch eine Sportster und nicht nur ein Big Twin draufhat. Im Fall der CA mit Mehrfarb-Lack und pflegeleichten Gussrädern. Fahrer Gabriel lächelt, genießt klassischen Maschinenbau. „Natur und tolle Industriekultur sind im Saarland auf engstem Raum vereint“, schwärmt er uns vor. Dazu passt doch die Harley, nach 112 Jahren Werkshistorie und 58 Jahren Sportster-Tradition.
Ein 1,2-Liter-V2? Pah, das zweite US-Eisen, die Indian Chief Vintage, hat volle 50 Prozent mehr Hubraum, 1811 Kubik. Hält die komplette Neukonstruktion mit Stoßstangen auf Dauer? Fahrer und Fuhrparkleiter Rainer Froberg ist optimistisch: „Was soll denn passieren bei der niedrigen Literleistung?“ 75 PS sind bloß gut 41 PS pro Liter. Leistungsschwach, aber als Langhuber unnachahmlich tief frequent bollern beide Ami-Bikes. Dem Indianer-Häuptling mit 125 Newtonmetern ab Standgas macht keiner der sieben anderen Motoren beim Thema Drehmoment etwas vor. Sanft, aber bestimmt schiebt der lederbefranste US-Cruiser im Indian Summer an der Saar an.
KTMs tolle Hightech-Reiseenduro 1190 Adventure zog sich im Dauertest gut aus der Affäre. Mittlerweile legten die Österreicher bei ihrem 75-Grad-V2 nach, pumpten volle 1301 cm3 ins Naked Bike 1290 Super Duke R. Das Kracher-Konzept einer Fahrmaschine reinsten Wassers begeistert Gerrit Franken. Er gibt der Gaudi-Granate talwärts beherzt die Sporen, das Vorderrad bleibt auf dem Boden. Noch. Dem real 168 PS starken V2 reicht ein Zylinder für die Leistung der Indian. Doch die vermeintliche Bestie gibt sich gut kontrollierbar, selbst in den Niederungen des Drehzahlkellers nicht unwillig. Ihr akustischer Auftritt ist nicht krawallig, schöne Bässe, klare Höhen, die KTM 1290 Super Duke R schüttelt nicht gleich das Herbstlaub von den Bäumen.
Dabei hämmern fetteste 108er-Kolben auf die Kurbelwelle der KTM 1290 Super Duke R. Ride-by-Wire, Doppelzündung, Anti-Hopping-Kupplung und wählbare Motor-Mappings sorgen für gute Manieren. „Der brachiale Motor hat trotz brennenden Vortriebs auch eine zarte Seite, kultivierten Lauf bei niedrigen Drehzahlen“, steht im Fahrtenbuch. Solch leidenschaftlich-lustvolle Leistungsabgabe findet Fahrer Gerrit einfach geil. Ein Feuerstuhl mit Manieren. Feinen, weichen Vibrationen etwa.
Schön elastisch-breitbandig reißt die MV Agusta Turismo Veloce 800 an, verträgt Bummeltempo bei rund 2500 Touren genauso klaglos wie potenzielles Ausdrehen weit in fünfstellige Bereiche – was auf Landstraßen nie nottut. Endlich wieder ein Dauertest-Exemplar aus Varese, und noch dazu ein Tourer von MV, mit Koffern und ruckzuck verstellbarer Scheibe! Wenn das Ago wüsste … Nun, gegen das Hochhalten der Dreizylinder-Fahne hätte der Altmeister bestimmt nichts einzuwenden, Sebastian Schmidt mag Triples ohnehin. Erst recht, wenn sie so heiser röcheln wie dieser hier. Der für 15.000 Euro plus 900 Euro für die Koffer wahrlich kein Schnäppchen ist.
Bereits auf der Anreise nervte die MV Agusta Turismo Veloce 800 mit einem Elektronik-Fips. Ihre Kühlwassertemperatur-Anzeige ging plötzlich voll auf Anschlag, rechts im roten Bereich. „Warnung, Motortemperatur zu hoch!“, prangte im Cockpit. Also runter von der Autobahn, nach dem Rechten sehen. Kühlwasser war genug im Ausgleichsbehälter, es kochte auch nicht. Glücklicherweise war März Motorradhandel in der Nähe, wo spontan der Kühlerdeckel getauscht und der Fehlerspeicher ausgelesen wurde, danke dafür!
Oder soll es doch lieber ein schöner, bewährter Reihen-Vierzylinder sein? Mit einem solchen ist die Suzuki GSX-S 1000 F unter Pilot Peter Klein dabei. Hausinternes Recycling quasi, denn das 2015 vorgestellte neue Modell befeuert der bewährte, nicht ganz so kurzhubige Motor der GSX-R 1000 „K5“. Frisch vom Wuchtberater, auf fülliges Drehmoment getrimmt und kurz übersetzt, ist der Vierzylinder ab Standgas voll bei der Musik: bester Durchzug im sechsten Gang aller acht Maschinen! Am Ortsausgang kurz Gas geben und – wow! Peter Klein gefällt das. Ganz ohne Facebook. Nur sucht er oft vergeblich den siebten Gang.
MOTORRAD-Testmitarbeiter Stefan Glück hat die Yamaha MT-07 gesattelt. Was für ein tolles, quirliges, quicklebendiges Motörchen das immer wieder ist. Spritzig, elastisch und drehfreudig. Echt antrittsstark, geschmeidig und unangestrengt serviert es seine 75 PS. Sie haben nur 184 Kilogramm anzuschieben, womit auch die Bremsen nie Probleme haben. „Master of Torque“, Drehmomentmeister, stimmt. Der Reihentwin mit der ungleichmäßigen Zündfolge (alle 270 und 450 Grad) imitiert den Puls eines 90-Grad-V2. Und bleibt dabei immer schön leise.
Das leichteste Maschinchen des Oktetts ist ein echtes Funbike. Wuselt herrlich handlich und easy durchs Winkelwerk, richtig verwegen. Scharf. „Spaßig, sparsam, spannend – emotional ist die Kleine eine ganz Große.“ So steht’s im Fahrtenbuch. Stefan weiß, weshalb er kaum runter will von der Yamaha MT-07. Sie schafft einen Spagat: macht es Einsteigern leicht und kickt selbst bei Fahrprofis. Sie können kinderleicht Wheelies üben. Ein sehr manierliches Motorrad, user-friendly. 6395 Euro Basispreis sind nur etwas mehr als die Hälfte des nächstteureren Kandidaten, der Suzuki. Niedriger Benzinverbrauch ab vier Litern relativiert den kleinen 14-Liter-Tank. Niedrig sind die Unterhaltskosten.
Erst Zubehör macht die Yamaha MT-07 wirklich tourentauglich. Dazu zählen die kleine, effektiv schützende Scheibe, der riesige Gepäckträger und die Komfortsitzbank aus dem Yamaha-Zubehörprogramm. Ferner die muckeligen Heizgriffe von Oxford. Vor allem aber das Nachrüst-Federbein von Mupo. Damit sind Gegautsche und Nachwippen des unterdämpften Serienteils vorbei und vergessen. Satt gedämpft, hält das Mupo-Federbein auch genügend Reserven für Soziusbetrieb parat. An die weiche Gabel hat sich Stefan gewöhnt. Mit allen Goodies fast 8000 Euro teuer, wird das Kurvensuchgerät MT-07 zum Universalgenie. „Ausgewogen und harmonisch“ – mehr noch als die dreizylindrige Yamaha MT-09! 3000 Exemplare stempeln die MT-07 von Januar bis August 2015 zur bestverkauften Yamaha in Deutschland. Nur die BMW R 1200 GS fand mehr Käufer!
Edelste Komponenten formen die rassige Schwester Yamaha YZF-R1. Echte 200 PS treffen auf federleichte 199 Kilogramm. Ganz klar ein Supersportler primär für die Rennstrecke. Doch landstraßiger als hier im Saargau geht es kaum. Kann die R1 das? Yes, she can. Wie gelasert durcheilt sie das Kurvenrund. Andreas Bildl, der stellvertretende Testchef, genießt Lenkpräzision höchster Prägung. Herrliche Zirkelschläge sind das. Dazu liegt die R1-Rakete unheimlich satt, lässt sich brillant „über das Vorderrad fahren“, verwöhnt mit einer supersämigen Top-Gabel. Da verzeiht man sogar das recht straff operierende Federbein.
Allerdings muss Andi auf der Yamaha YZF-R1 auch ein bisschen ackern. Der Keil auf Rädern verlangt engagierten Körpereinsatz an den tief liegenden Lenkerstummeln, mit Hanging-off selbst bei nur erlaubten 100 Kilometern pro Stunde. Beim Abbiegen heißt es aufpassen: Die Spiegel zeigen fast nichts vom rückwärtigen Verkehr, da geht leicht mal der nachfolgende Teil der Gruppe verloren. Von vier Power-Modes ist Mode eins keine gute Wahl, spricht viel zu harsch auf Gasbefehle an, Mode zwei kann’s spürbar sanfter. Heftig fallen Lastwechsel-Reaktionen im Stadtverkehr oder am Kurvenscheitelpunkt aus. Da ist viel Gefühl der Gashand gefragt.
Zusammen mit reichlich Last auf den Handgelenken trübt dies den Kurvenspaß auf der Rennsemmel schon mal. Besser ist es, wenn der Winddruck mitträgt. Mehr als ein kleines Täschchen trägt das Soziussitzbrötchen kaum. „In ihrer Kompromisslosigkeit ähnelt sie einer Ducati, nur leiser“, sinniert Andi. Registrierte Verkäufe in Deutschland 2015? Bislang 675.
Egal, jetzt machen wir erst mal Pause in Mettlach, an einer Barock-Abtei. Sie beherbergt Firmenzentrale und Erlebniszentrum von Villeroy & Boch Ausstellungen zu jahrhundertealter Keramik-Tradition. Im malerischen Park daneben steht der älteste Turm des Saarlands und der von André Heller gestaltete Erdgeist, eine 14 Meter hohe Figur mit Vogelkopf.
Doch der Sinn steht nach erdnaher Fortbewegung, weiter geht’s im Tiefflug. Problem oder Phänomen: die schlecht dosierbare Kupplung der Yamaha YZF-R1. Speziell bei kaltem Motor hat man kaum Gefühl für den Kraftschluss, würgen selbst Profis mitunter den Motor ab. Also mit schleifender Kupplung samt etwas höherer Drehzahl den langen, bis weit über Tempo 100 reichenden ersten Gang kommen lassen … Forsch angefahren, rupfen auch die Kupplungen der MV Agusta Turismo Veloce 800 und der BMW R 1200 R. Überhaupt, dieses BMW-Getriebe: Meistens kracht es peinlich laut beim Einlegen des ersten Gangs, dass schon die Passanten schauen.
Gangwechsel begleitet die BMW R 1200 R mit langen Schaltwegen und heftigem Kalonk – wenn man kuppelt. Tut Thomas es nicht, klicken die Gänge dank optionalem Schaltassistenten ab etwa 2500 Touren auf kürzesten Wegen nur so rein. Er ermöglicht gar Runterschalten ohne Kupplung („Blipper“), gibt automatisch Zwischengas. So viel Schaltkomfort bietet das Pendant der MV Agusta Turismo Veloce 800 nicht: Sebastian sagt, dass dieser Schaltassistent weniger souverän, härter arbeitet. Und der von der Yamaha YZF-R1 wiederum wirkt nur beim Hochschalten, lässt sich aber in zwei kaum unterscheidbaren Stufen einstellen.
Frei kombinierbar in verschiedenen Stufen sind ferner Rennstarthilfe (!), Drift-Kontrolle, Motorcharakteristik und Traktions- wie Wheeliekontrolle der R1. Hier und heute tut’s ihr Standard-Street-Modus. Doch selbst in ihm spielt der oben heraus so feurige, knurrige Crossplane-Reihenvierzylinder seine Trümpfe nicht voll aus. Er klingt als perfekte akustische Täuschung sinnlich wie ein V4 und dreht ebenso frei aus. Doch mit nahezu konstantem Drehmoment von 4000 bis 7000 Umdrehungen: erst zahm, um darüber dann förmlich zu explodieren. Zu spät für öffentliche Straßen. Zwar hält sich der auf Rennstrecken sauschnelle Andreas Bildl vornehm zurück: Doch die Yamaha YZF-R1 bräuchte mehr Auslauf, so wie auf der Autobahn-Anreise. Irgendwie wirkt sie in dieser Konstellation deplatziert. Als hätte sich ein hochgezüchteter Araberhengst zwischen Ackergäule und Brauereipferde verirrt.
Besser integriert sich die drahtige KTM 1290 Super Duke R ins Feld. Sie kann mild und wild, bummeln und rummeln. „Trotz des optisch aggressiven Powerauftritts macht die 1290er auch gemütlich-entspannte Ausfahrten mit hohem Kurvenspaßfaktor mit“, lobt Gerrit den Super-Herzog. „Weil sie aufs Wesentliche beschränkt ist, keinen großen Schnickschnack an Bord hat“: knapper Gitterrohrrahmen, kräftige Bremsen, Räder, Tank, Lenker, fertig. Sie fliegt nur so durch die Kurven, die Super Duke R. Offeriert aber auch langen Kerls einen entspannten Kniewinkel und bei aller Vorderradorientierung eine recht aufrecht und entspannte Sitzhaltung. Prima.
Mindestens 1272 Käufer fand die KTM 1290 Super Duke R in Deutschland 2015. Nicht so toll ist das unsensible, direkt angelenkte WP-Federbein der KTM: Es reicht Autobahn-Trennfugen oder Frostaufbrüche auf Waldstrecken gnadenlos weiter. Selbst bei geöffneter Druckdämpfung spricht es mäßig an. Komfort geht anders. „Landschaftlich ist es toll im Saarland“, ergänzt der 27-jährige Youngster Gerrit, „man fährt durch buntes Panorama, kann sich viel anschauen.“. Dabei machen wir gerade einen Abstecher nach Luxemburg, über die Mosel nach Schengen im Dreiländereck mit Frankreich: Im spartanischen Cockpit (Tacho mit ein paar LCD-Infos und wenigen Kontrollleuchten) der Harley-Davidson Sportster 1200 Custom Limited Edition A brannte bereits die Warnleuchte für drei Liter Reserve, wie immer als erste der acht Maschinen. Dabei fasst der hübsche Tank doch 17 Liter.
Egal, Super Plus für 1,10 Euro, Diesel für 95 Cent, da lohnt ein Stopp. Rainer freut sich: „Besonders faszinierend ist es auf dieser Tour für mich immer am Wasser, an Saar und Mosel.“ Fotograf Rocky findet das Saarland „extrem harmonisch: Es hat Charme, vereint etwas von Frankreich und Luxemburg in sich. Als Grenzgebiet weckt es ständig Fernweh, weil das nächste Land nie weit ist.“ Doch nur kurz nehmen wir ein paar Meter in Frankreich unter die Räder – vielleicht reisen wir ja beim nächsten Mal durchs Elsass an? Jetzt geht es erst mal nach Saarburg in Rheinland-Pfalz.
Auf uns warten ein Wasserfall mitten in der Stadt und verwinkelte Gassen. Dazu passt der perfekte Retrostyle der Indian Chief Vintage mit markanten, wie anno dazumal geschwungenen Kotflügeln samt beleuchtetem Indianerkopf vorne auf. Hugh. Bei jedem Halt wird die Rothaut extrem bewundert, gerade von Saarburgs übereifriger Politesse. Weil die Indian Pkw-Abmessungen hat? Ahnen die Passanten, dass dies definitiv kein Stadtfahrzeug ist: lang, ausladend, acht Zentner schwer? Jedes Wende- und Einparkmanöver, erst recht am steilen Hang, erfordert volle Konzentration. Kein Problem für Wind-und-Wetter-Fahrer Rainer Froberg. Doch selbst für ihn gilt: Mal eben geschwind rangieren geht hier rein gar nicht.
Für enge Kehren ist die Indian Chief Vintage nicht gebaut. Sie braucht Ferne, ihre Länge läuft. Stundenlang geradeaus fahren, das ist ihr Ding, ihr Revier. Wie Rainer sagt: „Auf eine Bulette nach Berlin oder ein Fischbrötchen nach Hamburg, Tempomat rein und gut ist.“ Ob deswegen schon über 20.000 störungsfreie Kilometer auf der Uhr stehen? Dabei ist das mächtige Ami-Motorrad ein Fall für Routiniers im breiten, braunen Ledersattel. Der Wünschelruten-Lenker ist gefühlt einen Meter lang, man sitzt weit hinten, ziemlich entfernt vom Vorderrad, hat kein Gefühl für den Ballonreifen vorn. Er kennt wiederum kaum Haftung auf feuchten Straßen. Auf Bitumenstreifen fährt man nicht, da wird man gefahren. Dabei erkennt man sie schwer, wenn Tropfen auf der senkrecht stehenden Scheibe stehen. Das ist nicht ohne.
Nun, schon allein der Preis ab 25.290 Euro, uff, begrenzt große Verbreitung. Nachgerüstete Sissy Bar samt Gepäckträger und die Lendenwirbelstütze für den Fahrer erhöhen den Touring-Komfort. Immerhin geben fünf Jahre Werksgarantie volles Vertrauen. Was den Beat eines solchen Big Block-Motors ausmacht? Der ruhige Ruhepuls – kleine LCD-Ziffern springen hin und her, 750, 800, 750. Faszinierend niedrig, dieses Drehzahlniveau: 3000 ist schon eine hohe Schaltdrehzahl. Ganz relaxed tuckert man mit 1600 Touren im vierten Gang und Tempo 50 am Ortsausgangsschild vorbei. Untermalt von tief frequentem Blubber-Sound. Fast schon zu dezent pulsiert der Biggest Twin dazu. Immerhin, die Ventile tickern und der Zahnriemen „twittert“, zwitschert.
Form, Funktion, Emotion? Dann sollte eine Harley ganz vorne sein! Okay, der 1,2-Liter-V2 hat was, dieses Metall gewordene Victory-Zeichen aus Milwaukee. Auch wenn der Bizeps hier nicht ganz so dick ist wie bei den Big Twins, bei E-Glide & Co.: Der Gummiband-V2 lebt. Die Durchzugswerte sind zwar die zweitschlechtesten im Feld, aber besser als bei der Indian Chief Vintage. Gemütlich durch die Gegend gleiten! Viel Schwungmasse lässt den V2 zäh drehen, bei knapp 6000 Touren ist Schluss. Und 265 Kilogramm sind kein Pappenstiel. Doch kein Vertun, Sportster sind in Deutschland beliebt, allein die drei Varianten der XL 1200 Custom fanden 2015 bereits gut 550 Käufer, die cleanere Schwester XL 1200 X („Forty-Eight“) wurde als bestverkauftes Harley-Modell sogar rund 1100-mal geordert. Respekt.
Am objektiven Fahrverhalten kann der Erfolg kaum liegen. Krriikk, krraakk, krriikk, Gabriel ist auf der Sportster in praktisch jeder Kurve zu hören. Speziell auf den Serpentinenstrecken, die zum Saarburger Hausberg führen. Zeitig setzen die Fußrasten auf – die Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA trägt sie kombiniert mit einem niedrigen Lenker serienmäßig eigentlich mittig. Wir haben sie nachträglich vorverlegt, um großen Fahrern mehr Platz, entspannenden Kniewinkel einzuräumen. Rechtsherum kratzen bald die Schalldämpfer samt deren Schellen Funken sprühend die Kurve. An den abstehenden Luftfilter, der das rechte Bein nach außen zwingt, muss man sich gewöhnen.
Aber das lasche, völlig unterdämpfte Fahrwerk ist sträflich! Rein gar nichts kann die konventionelle Telegabel, sackt schon beim Aufsitzen weit in sich zusammen. Reserven? Fehlanzeige. Von Dämpfung hat die Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA noch nie etwas gehört. Bergab, wir fahren wieder runter, schlägt die 39er-Forke gnadenlos durch. Auf Bodenwellen kann das bis hin zum Springen des Rades führen. Wenn Gabriel dann noch bremst und das ABS versucht, ein in der Luft befindliches Vorderrad zu regeln, wird es tückisch. Das tritt schon im Stadtverkehr auf. Dazu schlagen die weichen Federbeine mit mauen 54 Millimeter Federweg gnadenlos durch.
„Kein Spaß ist es, wenn in Senken mitten in Schräglage die gesamte Federung durchsackt und die Fuhre auf den beiden Schalldämpfern herumrutscht“, beklagt sich Gabriel. Nicht ohne Grund hat die Traditions-Company allen Sportstern für 2016 bessere, einstellbare Federbeine und Gabeln mit Kartuschen-Einsätzen spendiert. Ob wir sie an unser 2015er-Modell nachrüsten können? Reifen mit mehr Grip bei Nässe suchen wir bis heute, warten auf Freigaben von Conti Milestone (schon da) und Metzeler 888 (soll kommen). Passablen Windschutz offeriert die dezente Scheibe von MRA, besseren Rückblick bieten längere Universal-Spiegel „Magazi“ von Louis.
Bei BMW wurde praktisch ab Werk an alles gedacht. Ein 242 Kilogramm leichter Kardan-Tourer ist diese BMW R 1200 R, deren Vollausstattung jedoch locker über 3000 Euro kostet. Hier ist alles an Bord: große Gepäckbrücke, taugliche Kunststoffkoffer, mehrere Fahrmodi, mehrstufige Traktionskontrolle, semiaktives Fahrwerk, das selbsttätig auf Störeinflüsse reagieren soll, eine bis über 200 km/h schützende Scheibe (die bei Nacht nach hinten blendet), mit dem Bordcomputer kommunizierendes Navi, höhere Sitzbank zugunsten offeneren Kniewinkels. Einen Paradigmenwechsel läutet die goldene Upside-down-Gabel ein – nur so bleibt Platz für den zentralen Wasserkühler.
Ist der rote Gitterrohrrahmen eine Verbeugung vor Ducati? Denn fahrtechnisch ist die BMW R 1200 R ein Twin erster Güte, „ein Motorrad, das glücklich macht“, so steht es im Fahrtenbuch. Frech fährt dieser Boxer – dabei sind langer Radstand, flacher Lenkkopfwinkel und großer Nachlauf eher auf der stabilen denn der agilen Seite angesiedelt. Die wie bei vielen BMWs, Hondas und allen Guzzis längs liegende, quer zur Fahrtrichtung rotierende Kurbelwelle scheint auch hier handlingfördernd zu wirken. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Fußrasten bei flotter Fahrt Furchen ziehen. Diese BMW rockt!
Außer auf kurzen, harten Kanten geht der Federungskomfort voll in Ordnung. Bei ziemlich voller Beladung und welliger Fahrbahn allerdings wünscht sich Thomas für das direkt angelenkte Federbein „etwas mehr Dämpfung“, selbst in der sportlicheren Dynamik-Einstellung. Gefühlt hängt der Hintern (der Maschine, nicht von Thomas) etwas tief. Empfindlich reagiert die BMW R 1200 R schon auf minimal zu wenig Luftdruck vorn und nur ansatzweise eckig gefahrene Hinterreifen – eine Reifenempfehlung folgt bald in der Dauertest-Zwischenbilanz. Nur sensible Fahrernaturen bemerken den nicht einstellbaren Lenkungsdämpfer bei Schleichfahrt oder beim Losfahren.
Eine Pracht, wie kräftig der von oben nach unten durchströmte Boxer mit den wasserumspülten Köpfen austeilt: linker Haken, rechter Haken, dann die Gerade. Holt mit 101er-Kolben, dem gleichen Durchmesser der Indian Chief Vintage, viel Kraft aus wenig Kraftstoff: Der Spritverbrauch ist moderat, die Reichweite groß, der Durchzug im sechsten Gang von Tempo 60 auf 140 flotter als bei der Yamaha YZF-R1. Noch rasanter können es nur die KTM 1290 Super Duke R und die kurz übersetzte Suzuki GSX-S 1000 F. Genial einfach ist das BMW-Teilintegral-Bremssystem: Per Handhebel beißen alle drei Scheiben zu, per Pedal nur der Heckstopper. Lästig ist etwas Leerweg am dünnen Handhebel. Aktuell liegt die BMW R 1200 R hierzulande mit 1865 Einheiten auf dem dritten Platz der BMW-Verkaufshitparade, hinter GS und R nineT. Gratulation.
Wer hätte je von einer MV Komfort erwartet? In der bequemen Sitzmulde der MV Agusta Tourismus Veloce 800 hält man es stundenlang aus. Allerdings in ziemlich zementierter Sitzposition, schon fast zu kompakt, den Lenker nah vor der Brust: supermoto-artig, sehr vorderradorientiert. Dieser Dreizylinder ist wahrlich ein toller Mittelklasse-Motor, nicht nur mathematisch zwischen Zwei- und Vierzylinder. Obacht mit der achtstufig regelbaren Traktionskontrolle: Heftig Gas gegeben, sind schöne Freuden-Wheelies drin. Immerhin hat MV die Abstimmung des Ride-by-Wire mittlerweile gut im Griff, die dreistufig regelbare Gasannahme ist unauffälliger als bei der Suzuki GSX-S 1000 F oder der Yamaha YZF-R1 – nicht verzögert, nicht zu hart, nicht nachlaufend. Hölzern-knochig agiert die Schaltbox.
„Hier im Saarland fährt man immer viel durch den Wald, das gefällt mir“, freut sich MV-Fahrer Sebastian im Bundesland mit der höchsten Laubwald-Quote. Ein Kompliment gibt es dabei fürs feine Handling der eleganten, edlen Italienerin. Ihre Linie fließt nur so dahin. Die MV Agusta Turismo Veloce 800 fällt leicht in Schräglage, liebt lange, schnelle Kurven. Jedoch wirkt sie fast schon überagil nervös, ja kippelig, reagiert auf jeden feinsten Impuls des Fahrers. Und braucht gerade deswegen mitunter stets feine, kleine Korrekturen. „Findet keine Linie“, steht dazu im Fahrtenbuch, aber das ist fast ein zu hartes Urteil. Verstehen kann man eher die Kritik am etwas trampelig ansprechenden Federbein. Immerhin, es verfügt über ein praktisches Handrad zum Anheben des Hecks.
Chic und recht leicht bedienbar, aber mit Anzeigen überfrachtet, wirkt das bunte TFT-Italo-Cockpit. Unterschiedliche Fahrprogramme lassen maximal 80 PS (Regen-Modus), 90 PS (Touring-Modus) oder 106 von versprochenen 110 Pferden im Sport-Modus los. Selbst Motorbremse und Drehmomententwicklung sind programmierbar. Und die Abgabe steigt wie mit dem Lineal gezogen über die Drehzahl. Der gut fahrbare Triple macht an! Doch ob die MV Agusta Turismo Veloce 800 wirklich wintertauglich ist? Schon jetzt springt sie bei niedrigen Plusgraden nicht an. Anschieben scheidet wegen der Anti-Hopping-Kupplung aus. Also braucht sie jeden Morgen Unterstützung per Starthilfekabel. Dies relativiert lang gestreckte 15.000er-Wartungsintervalle etwas.
Starke, robuste Vierzylinder machten Japan als Motorradnation endgültig groß und mächtig. Einer der besten der letzten Jahre steckt in der Suzuki GSX-S 1000 F. Dumpf und sonor klingend, bringt er sich kurz vor der Völklinger Hütte noch einmal in Erinnerung, marschiert stets mächtig nach vorn. Ein kurz übersetzter Kraftprotz, der mal eben auch im dritten Gang anfährt. Kehrseite des Schubs von echten 151 PS: Aus Rollphasen heraus springt der Vierling zu harsch nach vorn, hängt hart am Gas. Da muss man sich das Gasanlegen in der Kurvenmitte zurechtlegen. Und auf die dreistufige Traktionskontrolle vertrauen. Gern geringer wünschte man sich pixelige Vibrationen in der zweiten Drehzahlhälfte.
Die Fernreise-Fraktion hätte gerne besseren Windschutz hinter der kleinen, nicht einstellbaren Scheibe der tief abgeduckten Verkleidung. Gepäckunterbringung am schmalen, kurzen, streetfighter-artig hochgelegten Heck ist ein echter Schwachpunkt. Eine Sozia bleibt auch nicht lange bei der Stange. Viel Sport, wenig Tour? Konzentration aufs Wesentliche! Frische Michelin-Reifen holen das Beste aus dem handlichen, lebhaften und stabilen Fahrwerk: gucken, einlenken, rum – spielerischer Kurvenswing. Raum für Verbesserungen lässt das unsensible Federbein des Landstraßen-Sportlers, während die Brembos nicht besonders aggressiv stoppen. Aktuell zu 12.095 Euro ist die Suzuki GSX-S 1000 F eine feurige Offerte.
Wir staunen ehrfürchtig am gigantischen Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Vor 1986 arbeiteten hier bis zu 17.000 Menschen, kochten Koks und Roheisen. Wir tauchen ein in eine verwunschene Technikwelt, heute vereint mit Kunst und Natur. Die Hochöfen wurden Ende des 19. Jahrhunderts angeblasen und liefen dann 90 Jahre lang Tag und Nacht, rund um die Uhr! Was bleibt? Wieder einmal zeigt sich, wie gut unterschiedlichste Motorradkonzepte auf Tour harmonieren können. Wenn sich nur die Fahrer mögen und die Tempolimits nichts zu großzügig auslegen (sorry, Yamaha YZF-R1). Dazu ist das Saarland für jeden von uns eine echte Entdeckung. Es lohnt sich, an die Saar zu fahren.
BMW R 1200 R
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BMW R 1200 R.
Sie fährt richtig gut, ja toll, diese BMW. Jedoch fuhren erste Testmaschinen im Winter 2015 noch perfekter, neutraler, weniger kippelig als das Dauertest-Exemplar. Unsere BMW R 1200 R reagiert empfindlich schon auf 0,2 bar zu wenig Luftdruck vorn und nur ansatzweise eckig gefahrene Hinterreifen. Direkt nach dieser Herbstausfahrt wurde die Reifenempfehlung zur Dauertest-Zwischenbilanz ausgetestet. Große Fahrer kamen mit der ursprünglich montierten niedrigsten Sitzbank nicht zurecht, wir tauschten sie gegen die höchste Version. Damit kommen Große und Kleine klar.
Sensible Fahrer bemängelten beim Losfahren den schwergängigen Lenkungsdämpfer, der harte Schaltschlag beim Einlegen des ersten Gangs stört alle. Die BMW R 1200 R rennt GPS-gemessen 228 km/h, bleibt selbst mit Koffern sehr stabil. Dabei schützt BMWs dezente Zubehörscheibe kleine Piloten gut, große mäßig. Sie blendet bei Nacht den Fahrer. Gut transportiert die R Sozius und Gepäck, bietet easy über 300 Kilometer Reichweite. So wurde sie neben der Suzuki V-Strom 1000 der beliebteste Tourer im Dauertestfuhrpark. Bleibt nur die Frage, ob diese BMW endlich auf Dauer hält. Was fürs erste Exemplar des Navis nicht gilt: Es wurde nach Elektronikdefekt getauscht.
Harley-Davidson XL 1200 CA
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Harley-Davidson XL 1200 CA.
Harleys Road King führte lange Zeit die MOTORRAD-Dauertest-Bestenliste an. Ist die Harley-Davidson XL 1200 CA ebenso zuverlässig? Wir werden sehen. Ihr Stoßstangen-V2 mit vier unten liegenden Nockenwellen stampft und pulsiert, mag mittlere Drehzahlen. Früh aufsetzende Fußrasten (mittlerweile für offeneren Kniewinkel vorverlegt) und Schalldämpfer (ständig schleift es die Schellen durch) verlangen gemäßigte Gangart. Selbst dann kommen die kaum gedämpfte 39er-Gabel und die durchschlagenden, unterdämpften Federbeine an Grenzen.
MOTORRAD-Chefredakteur Michael Pfeiffer und Testchef Gert Thöle schwitzten im Stadtverkehr Blut und Wasser: Wenn sich die Eigenfrequenz der ABS-Regelung und Eigenschwingungen des stempelnden, ungedämpften Vorderrads überlagern, steht man mitten auf der Kreuzung. Tourentauglich machen effektive Scheibe von MRA und pflegearmer Zahnriemen. Die Reserveleuchte der Harley-Davidson XL 1200 CA „kommt zu früh“: Mehr als 14,5 Liter hat noch nie jemand in den 17-Liter-Tank gezapft. Originale Michelin Scorcher 31 sind keine Top-Reifen, auf nasser Fahrbahn rutschen sie bereits beim moderaten Gasgeben durch. Nun sind Michelin Commander 2 aufgezogen, bald folgen Conti Milestone CM1 und CM2.
Indian Chief Vintage
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Indian Chief Vintage.
Die XXXL-Indian erschrickt zunächst mit enormen Abmessungen und vollen acht Zentnern – bei einem luftgekühlten Zweizylinder! Aber fast noch mehr als die opulente Masse polarisierten am Anfang die Lederfransen: Die am breiten Ledersattel und die optionalen unter den Trittbrettern hat die Redaktion entfernt. Nur die unter den Lederpacktaschen sind nicht abnehmbar. Jene bleichten bald in der Sonne aus, wurden mit Spezial-Lederfett wieder ansehnlich gemacht. Der 1800er-V2 ist ein Drehmomentriese, schiebt souverän an. Die Indian Chief Vintage ist agiler, ihr Fahrwerk mit Alu- Rahmen stabiler und komfortabler als eine Harley Electra Glide.
Doch wenig Schräglagenfreiheit, Rückmeldung und Vertrauen können irritieren, weit entkoppelt vom Vorderrad hinterm ausladenden Lenker. Nachgerüstete Sissy Bar mit Gepäckträger und Lendenwirbelstütze für den Fahrer toppen den Touring-Komfort. Bei Regen oder Nebel behindert die ausladende Scheibe die Sicht – und dies ist schon die kleinere Version. Auf Bitumen-Streifen fühlt man sich mies haftenden Dunlop-Serienreifen oder kaum besseren Pirelli Night Dragon schutzlos ausgeliefert. Gut geriet dagegen die Zuverlässigkeit: Bloß der Blinkerschalter der Indian Chief Vintage musste mal gesäubert werden.
KTM 1290 Super Duke R
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KTM 1290 Super Duke R.
Am Anfang stand ein Politikum: 180 PS vermeldete KTM selbstbewusst für den als „Bestie“ beworbenen, neuen, nackten Freudenhobel. Doch MOTORRAD fand bei keiner Testmaschine mit 1,3-Liter-V2 mehr als 172 PS. Und das Dauertest-Exemplar drückte bei der Eingangsmessung „nur“ 168 PS. Mittlerweile kommuniziert Mattighofen noch 173 Serien-PS. Freude macht der umgängliche, kultivierte Motor der KTM 1290 Super Duke R, der völlig entspannt satten Bums bei niedrigen Drehzahlen serviert, ideal zum Landstraßen-Räubern. Prima: Inspektionen sind bloß alle 15.000 Kilometer fällig.
Selbst lange Kerls sitzen auf längeren Etappen kommod. Bei höheren Tempi scheint die Lampenform für geringe Verwirbelungen um den Helm verantwortlich zu sein. Schwach wirkt dagegen die Lichtausbeute. Das Fahrwerk hat nicht ganz die hohe Güte des Motors, schlecht ansprechende Federelemente stehen auf Tour in der Kritik. Großer Durst begrenzt die Reichweite auf rund 250 Kilometer, die Rückspiegel lassen nur vibrationsverzerrte Rückblicke zu. Vom Rückruf der 2014er- Modelle (Tank-Abdichtung) war unsere KTM 1290 Super Duke R nicht betroffen. Einziger Defekt im Dauertest bisher: Der spinnende Öltemperatursensor musste getauscht werden.
MV Agusta Turismo Veloce 800
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MV Agusta Turismo Veloce 800.
Gleich zu Beginn des Dauertests musste sich die MV Agusta Turismo Veloce 800 direkt nach der Abholung im Werk beim Alpen-Masters bewähren. Dabei gefiel ihr wendiges, agiles Fahrverhalten. Doch schon bald irritierte sie mit selbstständigem Starten beim Einschalten der Zündung. Bereits einige Zwischenfälle vermeldet das Fahrtenbuch während bislang absolvierter gut 11.000 Kilometer. Schelte gab es für das beladen wenig stabile Fahrverhalten bei höheren Tempi. Forsche Fahrer monierten die stark rupfende Kupplung bei Sprint-Starts.
Ferner mahnte das recht unübersichtliche Cockpit immer wieder, Motorelektronik oder Kupplungsschalter zu checken. So musste neben dem Sensor des Kupplungsdrucks wegen eines aufgescheuerten Blinker-Kabels der Nummernschildhalter getauscht werden, ging eine Auspufftröte flöten. Auch die (Start-)Probleme während der Herbstausfahrt hielten auf Trab. Darüber sollte man aber nicht das angenehm lockere Handling der MV Agusta Turismo Veloce 800 vergessen oder ihre vorbildlich einfache Verstellung der Windschutzscheibe. An sich ist die Sitzposition aufrecht-erhaben-gemütlich, würde sie dem Fahrer bloß mehr Bewegungsspielraum lassen. Teuer: 900 Euro für die durchdachten Koffer, Novum bei einer MV.
Suzuki GSX-S 1000 F
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Suzuki GSX-S 1000 F.
Spaßig, ehrlich, direkt, ohne perfekten Feinschliff präsentiert sich die Suzuki GSX-S 1000 F ab dem ersten Meter. Negativ: die Erstbereifung von Dunlop. Feedback Fehlanzeige. Besser machen es aktuell die Pilot Road 4 von Michelin: neutral, haftfreudig und vertrauenerweckend selbst bei Nässe oder Kälte. Zweiter Kritikpunkt ist das ruppige Ansprechverhalten ihres Motors auf Gasbefehle. Aber egal. Schließlich begeistert kurze Übersetzung durch flottesten Durchzug in allen Lebenslagen. Ein bäriger Vierzylinder, der seine Leistungsangabe übererfüllt: 151 statt 145 PS, einfach zum Verlieben.
Überraschend ist das Konstantfahrruckeln bei Tempo 50, 60 und 70 (4., 5. und 6. Gang). Nicht sehr sensibel arbeitet das Fahrwerk der Suzuki GSX-S 1000 F, ihr Zentralfederbein spricht ziemlich trampelig an. Da ist während der nächsten 43.000 Kilometer Raum für Verbesserungen (Öhlins, Wilbers, etc.). Vielleicht kann MRA den Windschutz toppen? Hepco & Becker wird Tankrucksack und Softbags beisteuern. Haben Brembo oder TRW Lucas bissigere Bremsbeläge im Programm? LSL oder K-MaxX könnten einen Lenker liefern, der die Unterarme weniger verdreht. Damit der Landstraßen-Sportler nicht nur motorisch ein Eitel-Sonnenschein-Motorrad ist. Sayonara!
Yamaha MT-07
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Yamaha MT-07.
Von Anfang an bekam die Yamaha MT-07 viel Lob, stellte gar im subjektiven Redaktions-Ranking die anfänglich so hochgelobte große Schwester Yamaha MT-09 mit deren 115-PS-Dreizylinder klar in den Schatten. Der 184 Kilogramm leichte Floh bezaubert durch pure Lässigkeit. Der elastische, sparsame 75-PS-Twin ist ein großer Wurf. Die kompakte Yamaha ist eine Gaudi-Granate, die alles mitmacht. Die wenig gemütliche Original-Sitzbank wurde durch die Komfort-Sitzbank aus Yamahas Zubehörprogramm ersetzt. Bequem auf mittleren Distanzen, zwackt der Hintern nun erst nach mehreren Stunden im Sattel.
Reisetauglich machen der effektiv schützende Windschild von MRA und die riesige Gepäckbrücke von Yamaha (Anbau tricky!). Muckelig wärmen Heizgriffe von Oxford. Kritik gab es fürs weiche, wenig gedämpfte Fahrwerk. Aktuell steigert ein Zubehör-Federbein von Mupo (www.zupin.de) Fahrspaß und Kurvenstabilität, auch Wilbers und Öhlins waren schon dran. Im jüngsten Winter fror oftmals das Zündschloss ein. Ansonsten blieb die robuste, problemlose Yamaha MT-07 auf gut 30.000 Kilometern von Defekten verschont. Top! Reifenempfehlungen und ein erstes Fazit stehen in der .
Yamaha YZF-R1
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Yamaha YZF-R1.
Für die Sportfahrer in der Redaktion war im Mai 2015 schon Weihnachten, als die neue, kompromisslos auf Rennstrecke gepolte Yamaha YZF-R1 bei uns einzog. Okay, beim gemütlichen Kilometerschrubben wirkt sie deplatziert. Schwer lastet bei niedrigem Tempo das Gewicht des Fahrers auf den Handgelenken – Lenkstummel unterhalb der Gabelbrücke montiert. Zukünftig ein Fall für die leicht erhöhten Stummel „Speed Match“ von LSL? Das dünne, auf der Renne gefühlsechte Sitzpolster spendet kaum Komfort. Dasselbe gilt für sportlich-straffe Federelemente.
Dabei ist das gut ansprechende Federbein in Summe angenehmer als das poltrige Pendant der Suzuki. Richtig lustig wird es erst, wenn die Yamaha YZF-R1 rennen darf, ihr Drehzahlmesser-Balken bei 8000/min von schwarz auf grün umspringt. Nur hat man dann im ersten Gang bereits 95 km/h, im sechsten 195 auf der Uhr. Auch die Reifen huldigen Speed: Pirelli Supercorsa SP taugen als Straßenreifen mit wenig Negativ-Profil für Renntrainings. Eine Spur besser im Alltag (Nässe) ist der aktuelle Metzeler Racetec RR K3. Doch auch er kommt nach kalten Herbstnächten kaum auf Temperatur, gibt sich dann staksig. Besondere Vorkommnisse gab es während der ersten 10.000 Kilometer keine.