Als Wohnzimmer bezeichnet man gemeinhin den Ort, an dem man sich wohl fühlt. Dabei muss ein Wohnzimmer nicht zwangsläufig ein Raum sein. Die Lieblingskombi ist zum Beispiel ein Wohnzimmer oder der nach langer Eingewöhnungsphase endlich perfekt sitzende Handschuh. Auch die Lieblingsrennstrecke ist ein Wohnzimmer. Für mich ist die 2008er-Fireblade, die mir Jens Holzhauer unter den Hintern schiebt, der Maßstab aller Wohnzimmer, und Jens damit der Haute-Couturier der Wohnzimmermacher. Kein Witz, schon die Outlap auf der rot-weißen Waffe kommt einer Offenbarung gleich. Honda-typisch passt alles wie maßgeschneidert, obwohl die Blade nicht für mich, sondern für einen nicht ganz Unbekannten der Motorsportwelt aufgebaut wurde. Seis drum, die Blade schert es nicht, wer in ihrem straffen Racingsattel sitzt. Sie kommt sanftfüßig, nahezu vibrationslos und sehr druckvoll aus dem Keller, schiebt sich selbst und den Piloten unerwartet unspektakulär in der Besichtigungsrunde über den Kurs. Runde 2: Die Strecke ist sauber, die Pirelli-Slicks im richtigen Temperaturfenster, also Hahn auf!
Die Remus-Titananlage schmettert die Lebenslust des Holzhauer-Tiers mit 115 dB Richtung Tribüne, die 200 Pferde legen sich ins Zeug und katapultieren Mann und Maus über die viel zu kurze Start/Ziel-Gerade, lassen irgendwie den Parabolika-Bogen schrumpfen. Hockenheim, mein Wohnzimmer, ein wahrer Genuss auf dieser Tausender. Den engen Eingang der Parabolika nehme ich im Zweiten, nach dem Scheitelpunkt lege ich schnell den Dritten ein und öffne das Gas beherzt, aber nicht unkontrolliert. Trotz "Anti-Spin-Control" sind Highsider möglich, mahnte Jens vor der Abfahrt. Doch im dritten Gang bei gutem Grip tut sich selbst dieses Rennpferd schwer, seinen auf ihm sitzenden Ballast abzuwerfen. Und dann dieses unglaublich fesselnde Gefühl der Beschleunigung! Der dritte Gang dreht aus, auf den Tellert getappt dieser bietet für jeden Gang einzeln programmierbare Zündunterbrechungszeiten der vierte flutscht gangradschonend an seinen Platz, und die Orgie geht weiter. Kaum einen Wimpernschlag später stehen wieder 13 600/min auf der Uhr, der Schaltblitz flackert, der fünfte ruft. Sekunden danach folgt Gangstufe 6, knapp danach naht das Ende, die Spitzkehre! Auch jetzt herrscht Wohnzimmeratmosphäre, obwohl Arme und Schultern vom heftigen Ankern arg beansprucht werden.
Punktgenau, mit viel Gefühl für den vorderen Gummi lässt sich die Blade zusammenstauchen und dank famos abgestimmter Anti-Hüpf-Kupplung mit leichtem Druck auf der inneren Fussraste in einen leichten Anbremsdrift pressen. Wow, federleicht den ersten Gang reingesteppt, Hahn auf, und auf dem Hinterrad raus aus der Spitzkehre. Schalten muss man früh, da ab 8000 Touren der Überschlag droht. Jens Holzhauer hat eine 200-PS-Fireblade gebaut, die jedem Spaß macht und kaum einen überfordert. Fahrwerk, Fahrbarkeit und Finish ein Traum! Da fangen selbst Tester gerne mal an zu spinnen: "Nie war ich in Hockenheim so zügig wie mit dieser Honda. Selbst der Martin Bauer war mit 1:43,6 nur fünfeinhalb Sekunden schneller. Wenn ich den Schumi bitte, mir das Moped zu leihen, könnte ich dieses Jahr noch einen Superbike-Gaststart in der IDM fahren." Schlaf weiter, Träumer...
Nicht jeder kann aus dem Vollen schöpfen und sich ein traumhaftes Motorrad wie die Holzhauer-Fireblade zur Linken leisten. Der Normalbürger muss sich budgetbedingt oft mit kleineren Brötchen zufrieden geben. Dass diese aber nicht minder schmackhaft sind, beweist Karsten Bartschat mit seiner Kawasaki ZX-10R. Die ist genau an den richtigen Ecken mit dem richtigen Mass an Feinschliff nachgearbeitet worden. Wie Jens Holzhauer folgt Karsten einer einfachen Philosopie: Fahrbarkeit ist ihr Dreh- und Angelpunkt. Nur wer es hinbekommt, einem Piloten dieses Wohlgefühl der Vertrautheit im Sattel eines Rennmotorrades zu verschaffen, ermöglicht es ihm, sich mit viel Spaß und Sicherheit ans Limit heranzutasten. Denn schnell fährt nur, wer den Kopf frei hat und sich wohl fühlt. Die ZX-10R des 08er-Jahrgangs ist serienmäßig relativ stark durch ihre Elektronik gegängelt. Im Serientrimm benimmt sich die Tausender bis 6000/min wie eine 600er, schiebt irgendwie nicht richtig und geht erst über dieser Marke tausenderwürdig zur Sache. Euro3 spielt dabei eine Rolle, japanische Bedenkenträger, die ZX-10R-Fahrern nicht mehr Drehmoment zumuten wollen, eine andere. Wie dem auch sei. Der Powercommander stimmt mit einem entsprechenden Mapping den penibel eingestellten Motor und den Leovince-Auspuff aufeinander ab das Kawasaki-Kit-Steuergerät befreit die Lüchow-Zehner aus dem Würgegriff der Homologation, entkorkt sie nicht nur in den unteren Gängen, sondern wartet auch mit Schlupf-Kontrolle, Launch-Control und einem Speed-Cutter für die Boxengasse auf. Dieser Posten belastet die Kasse mit etwa 1000 Euro, bringt aber laut Karsten Bartschat eine höhere Standzeit der hinteren Pellen, da seiner Erfahrung nach die Elektronik den Gummi schont.
Ob dem tatsächlich so ist, konnte bei den Testrunden nicht herausgefahren werden. Definitiv überzeugte Karstens Hobbyracer allerdings in Sachen Hinterradgrip. Dank der langen Schwinge (mittels geänderter Aufnahmen in der Schwinge wandert die Achse maximal nach hinten) und einer darauf angepassten Federbeinabstimmung powert die Zehner aus den Ecken wie sonst kaum eine Kawa. Ihre gemessenen 178 PS lassen sich gefühlvoll ans Hinterrad weiter reichen und dort wohldosiert in Vortrieb umsetzen. Allerdings ist das überarbeitete Serienfahrwerk nicht in der Lage, über ein 20 Runden langes Rennen der Gewalt der Grünen entgegenzuwirken: Nach 8 bis 9 Runden ließ die Dämpfung spürbar, aber nicht dramatisch nach. Leichtes Pumpen begleitet dann den Piloten und vermittelt ihm das Gefühl, die Karre voll auszuquetschen. Dabei lässt sich die Kawa leichtfüßig in die Ecken knallen und auf der gewünschten Linie durch die Kurve surfen. Es bleibt also ein positiver Eindruck. Mit vertretbarem finanziellen Aufwand weckt der Bike Shop jene Talente, die in einer Serien-Zehner schlummern. Für knapp über 5500 Euro wird eine gelieferte ZX-10R zu einem soliden, handlichen und kontrollierbaren Hobbyracer. Und dass diese Summe nicht gesponnen ist, beweist ein Blick in die Liste der Komponenten: Für die GfK-Rennverkleidung inklusive Lack und Dekor werden 799 Euro aufgerufen. Der Fahrwerksumbau ist inklusive der Achsaufnahmen und einer langen Kette mit 650 Euro gar ein Schnäppchen. Wer also eine böse Grüne forciert auf der Landstraße und gelegentlich auf dem Ring bewegt, sollte zumindest über diese Maßnahme scharf nachdenken.