Mächtige Motorräder

Mächtige Motorräder Mit aller Macht

Das Prädikat »mächtig« verdient sich ein Motorrad nicht nur durch Leistung. Oder allein durch viel Masse. Dazu gehört eine natürliche Autorität. Wie sie die mächtigen Bikes dieser Geschichte besitzen.

Wegen dieses Klangs könnte ich stundenlang nebenher fahren. Oder hinterher, um mal die Mechanik und das zischende Ansaugen, mal den Auspuffton besser hören zu können. In jedem Fall wirkt dieses Geräuschgebräu schlicht berauschend. Präzise im Takt tickern die Ventile, Zahnräder mahlen eine robuste metallene Klangbasis und knapp geschnittene Auspuffrohre legen ein Trompetenquartett darüber, das sich bei höheren Drehzahlen in ein aggressives, heiseres Röhren verwandelt. Einfach genial.
Von dieser Klangkomponente kriegt der Fahrer der Münch 1200 TTS, im Volksmund Mammut genannt, leider am wenigsten mit. In seinen Ohren überwiegt ein perkussives Gemisch von Geräuschen, die der NSU-TT-Automotor produziert und die er ständig, gleichsam stethoskopisch auf Unregelmäßigkeiten abhört. Er könnte auf die leise Andeutung eines Defekts sofort reagieren. Könnte. Doch obgleich die Münch, die wir hier begleiten und selbst fahren dürfen, aus dem Jahr 1968 stammt, verbittet sie sich übertriebene Besorgnis. Erstens wird sie von ihrem Besitzer Mike Kron topfit gehalten, zweitens lässt ihre Autorität dies nicht zu. Für die drei anderen gilt dasselbe. Wer sich mit den mächtigsten Motorrädern der letzten vier Jahrzehnte einlässt, neben der Münch eine Kawasaki Z 1300 stemmen will, eine Yamaha Vmax beschleunigen oder einer Suzuki Hayabusa Auslauf gewähren möchte, soll Respekt haben. Aber nicht rumhätscheln. Also bitte, Gas auf und laufen lassen. Und zwar zügig.
Wenn es der Münch-Fahrer schafft, seine Aufmerksamkeit von der imposanten Rhythmusgruppe unter sich zu lösen, entdeckt er eine Handlichkeit und Leichtigkeit des Kurvenfahrens, welche die Legende der Mammut nicht zugesteht. Wahrscheinlich hat sich die Legende so entwickelt, weil die Mammut zu ihrer Zeit alles andere so unfassbar weit überragte, dass sie schlicht nicht für flink gehalten werden konnte. Mag auch sein, dass spätere Exemplare, die über 300 Kilogramm auf die Waage brachten, träge daherkamen. Aber die hier, die mit vollem 28-Liter-Tank 253 Kilo wiegt, einen eher kurzen Radstand und vor allem zeittypisch schmale Reifen besitzt, swingt sehr behände. Naturgemäß gelingen ihr flüssige Kombinationen mit gleichmäßig hohem Tempo besser als enge Kehren. Das liegt aber eher an der Anbremsprozedur als am Fahrwerk. Denn die riesige Duplex-Trommelbremse im Vorderrad, beißt ansatzlos, sobald ihre berüchtigten Beläge vom Typ »Ferrodo grün« den Bremsring auch nur berühren. Ohne freilich diesen Biss beizubehalten, wenn sich der Vorderreifen tapfer in die Rauhigkeit des Asphalts stemmt und bereit wäre, höhere Verzögerungskräfte zu übertragen. Kurz: Das Dosieren der Bremse wird schwierig, zumal gleichzeitig mit kräftigem Zug am Schalthebel - nach oben versteht sich – die Gänge zurücksortiert sein wollen. Am besten mit Zwischengas, sonst kracht´s garantiert im modifizierten Horex-Imperator-Getriebe. Mit Zwischengas kracht´s manchmal nicht. Immerhin.
Es gibt also viel zu tun vor der Kurve, in die man dann auch leicht etwas zu schnell hineinfährt. Denn mit dem Bremsmoment des Motors verhält es sich durchaus anders als es MOTORRAD-Testikone Ernst »Klacks« Leverkus im Jahr 1966 empfand. Es ist ziemlich gering. Die Münch zischt mit Überschuss ins Eck, auch deshalb gelingt einige atemlose Momente später der Lastwechsel sehr geschmeidig und wenn die beiden Weber-Doppelvergaser wieder aufgezogen werden, wird sowieso alles gut. Dann hängen alle Hinterherfahrenden verzückt mit den Ohren am Auspuffduett.
Dass die Kawasaki Z 1300 manchmal etwas zurückfällt, wenn die Münch vorausprescht, liegt nicht nur am rustikalen Handling des 322-Kilo-Brockens. Die Kawa ist nämlich klanglich autonom, ihr Sechzylinder verbreitet ebenfalls hochgradig faszinierende Motor-Musik, der man sich gerne alleine hingibt. Bei niedrigen Drehzahlen schnurrt er wohlig, tief, wie ein Kätzchen. Nicht umsonst gelten Reihen-Sechszylinder unter Experten als die laufruhigsten Hubkolbenmotoren überhaupt und so vollzieht sich auch das Steigen der Drehzahl mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Exakt bei 6000/min beginnt der 1286er zu fauchen und den kantigen Dritteltonner vorwärts zu reißen, als wäre er eine Katze beim Beutesprung. Bei einem sehr langen Beutesprung, wenn´s denn sein muss. Über 200 Sachen geht die Kawa schon mit zwei Personen, mit langliegendem Solisten erreicht sie gar 217 km/h. Allerdings fühlt sich dieses Tempo nicht wirklich gemütlich an, weil die Lenkung trotz fahrwerksberuhigender Metzeler-Pneus ab 180 erhöhte Pendelbereitschaft signalisiert. Also muss es meistens nicht sein. Viel schöner ist es ohnehin, in der Nähe dieser magischen 6000 Umdrehungen herumzustreichen, darüber hinweg zu beschleunigen, das Gas wieder zuzudrehen, nochmals zu beschleunigen. Nur weil der Motor dabei so wunderbar klingt. Für Außenstehende mag das sinnlos und pubertär erscheinen, dabei ist es ein Ausdruck ungeteilter Begeisterung.
Etwas mehr davon hätte die Z 1300 in den ausgehenden 70ern gut gebrauchen können. Stattdessen wurde sie arg bemäkelt von den testenden Kollegen. Als die Motorrad-Industrie ihre Produkte freiwillig auf 100 PS beschränkte, um strengere gesetzliche Regelungen abzubiegen, gehörte es wohl zum guten Ton, einen solchen Giganten zu piesacken. Wobei heute noch alles stimmt, was man damals zu kritisieren hatte. Ja, die Schräglagenfreiheit reicht kaum aus für unsere kurvigen Straßen, das Rangieren und vor allem das Aufbocken fallen schwer, richtig, dieses Motorrad war teuer. Aber kam es darauf wirklich an? War es nötig, über die Z 1300 einen Langstreckentest zu schreiben, der sich in seitenlangen Kostenrechnungen erging; der kritisierte, dass sich durch die Nachrüstung einer größeren Ölwanne ein Ölwechsel um 17 Mark verteuerte? Und in dem der Autor zum Thema Motor kaum mehr zu sagen wusste, als dass dank seiner Laufruhe der Verbrauch an Glühbirnen sehr gering gewesen sei? Das war doch wohl bloß misslaunige Nörgelei als Vernunft getarnt.
Niemand musste je vor diesem Motorrad, seinem Gewicht und seinen Unterhaltskosten gewarnt werden. Die Z 1300 hat stets grundehrlich mitgeteilt, wie sie ist. Und jeden, der sie sich nicht leisten konnte, durch einen hohen Preis von 12068 Mark vom Kauf abgehalten. Wenigstens muss die monumentale Kawasaki heute nichts mehr können, sondern darf einfach sein, was sie ist: ein Fahrzeug, dessen einzige Aufgabe darin besteht, den Genuss eines Sechszylindermotors zu ermöglichen. So ist es nur konsequent, dass die beiden »cruise«-Tasten am linken Lenkerende, die nicht etwa einen Tempomaten aktivieren, sondern die Einspritzung in den Spritsparmodus versetzen, ohne messbare Wirkung bleiben. Überhaupt die Einspritzung. Sie wurde ab 1984 eingebaut und sollte den Verbrauch gegenüber den ersten Jahrgängen mit drei Vergasern deutlich senken. Was der Kawa-Motor aber bis heute souverän ignoriert, indem er mehr als zehn Liter pro 100 Kilometer in säuselnd-unwiderstehlicher Kraftentfaltung genüsslich abfackelt.
Die Yamaha Vmax, die der Kawasaki Z 1300 noch während deren aktiver Karriere begegnete, wurde Mitte der achtziger Jahre viel freundlicher empfangen. Kann gut sein, dass viele ihre rotzfrech dargebotenen 145 PS wie einen Befreiungsschlag gegen allzu viel political correctness empfanden. Die Redaktion MOTORRAD jedenfalls schrieb immer viel Zustimmendes zum 100 PS-Limit, zögerte aber andererseits nicht, eine offene Vmax aus den USA zu holen. Um damit gleich einmal eine Galerie von Hinterradreifen einzuäschern und eine Reihe redaktionsinterner Beschleunigungs- und Durchzugsrekorde zu brechen. Natürlich aus streng wissenschaftlichen Gründen.
Es dauerte bis 1996, ganze elf Jahre, während derer mancher Grauimporteur gute Geschäfte mit der Vmax machte, bis sich Yamaha-Deutschland getraute, das »PS-Monster« selbst zu importieren. Dafür wurde es - natürlich - auf 100 PS heruntergewürgt, eine Maßnahme, die vermutlich 150 von 100 Vmax-Besitzern legal, illegal, sehr egal wieder rückgängig machten. Nein, wahrscheinlich waren es nur 120 von 100, weil in Deutschland etliche Exemplare ohne den sagenumwobenen V-Booster verkauft wurden. Der ist aber ganz wichtig für den Kick, der die richtige Vmax-Ekstase bringt. Öffnet er doch ab 6000/min zwei zusätzliche Drosselklappen, die jeweils zwischen den Ansaugkanälen der beiden Zylinderpaare sitzen. Dadurch erhält der ansaugende Zylinder Gemisch seinem eigenen und zugleich vom benachbarten Vergaser. Und dann geht es ab. Schlicht und überaus ergreifend.
Man stelle sich das Einfahren in eine Autobahn vor. Während die Vmax auf den Beschleunigungsstreifen biegt, sind sich die Bürgerkäfige dreier gut gefüllter Fahrspuren uneins, wer denn auf den Galaplatz nach links vorne darf. Dann auch noch so ein zweirädriger Störenfried. Schon kommt zusätzliche Nervosität ins Gedrängel. Doch der Vmax-Fahrer klappt voll stiller Vorfreude das rechte Handgelenk nach unten, lauscht dem anschwellenden V4-Geprassel und wird ganz plötzlich wie vom überstarken Gummiband nach vorn gerissen. Am Ende der Beschleunigungsspur, die ihren Namen hier einmal zurecht trägt, sind die Autofahrer wieder unter sich und in Empörung endlich vereint. Offenbar wissen die wenigsten, dass rechts überholen auf einem Beschleunigungsstreifen gestattet ist.
Die Vmax kann selbstverständlich mehr als nur geradeaus brennen. Trotz ihrer Dragster-Anmutung, einem Gewicht von über 280 Kilogramm und einer beachtlichen Länge taugt sie auch für kurvige, enge europäische Straßen. Klar, die Schräglagenfreiheit fällt nicht üppig aus, etwas Vorsicht beim Einlenken ist geboten. Doch die Hecklastigkeit sorgt beim Beschleunigen aus der Kurve für enorme Traktion und entsprechenden Vortrieb, so dass bei fast jedem Sprint der Booster-Bereich erreicht werden kann. Klasse.
Und die Suzuki Hayabusa? Die war das erste Serienmotorrad, das über 300 km/h rannte. Weil sie aber schon immer unsagbar viel mehr konnte, versteht sie die Aufregung darüber immer noch nicht. Warum sie heute nur noch 299 rennen darf, erst recht nicht. Macht doch keinen Unterschied. Wichtig ist ihr, nicht dauernd nur unter diesem Aspekt betrachtet zu werden. Die drei Alten der mächtigen Vier haben das gleich anerkannt. Und die Hayabusa blieb bescheiden. Sie hatte nichts dagegen, ihr Tempo nach den anderen zu richten. Erst als Mike Kron sein Mammut gegen den Falken tauscht, deutet sie an, was geht. Er ist schwer beeindruckt von der satten Straßenlage, vor allem aber vom Durchzugvermögen des Hochleistungsmotors. »Die geht ja wirklich ab 30 im sechsten Gang. Und reißt schon in der Mitte wie die Hölle. Dabei habe ich nur bis 6000 gedreht. Aber sie läuft rau«, stellt er richtigerweise fest. »Und sie lenkt wegen der breiten Reifen auch nicht so willig ein wie deine Münch« ergänze ich. Es war auch gut zu beobachten, dass die Hayabusa in der Kurvenmitte kaum schneller fährt als die Münch und dafür mehr Schräglage fordert. Was ihre modernen Reifen viel besser beherrschen als das historische Material, macht jedoch richtig schnell: In Schräglage bärige Beschleunigungskräfte übertragen.
Auf einem nahegelegenen, kleinen Flugplatz probiere ich aus, für wie viel Beschleunigung bei vollem Leistungseinsatz die Rollbahn reicht. Sie reicht gerade bis zum ausgedrehten zweiten Gang. Ich biete Mike die Hayabusa nochmals an für eine kurze Bekanntschaft mit der Höchstleistung. Doch er winkt ab. So weit will er die Beziehung mit der Moderne doch nicht treiben. Dafür fahre ich noch mal mit der Münch. Auf und ab, auf und ab. Als die Sonne untergeht, lasse ich es gut sein. Bitte um Entschuldigung für die Verspätung. Aber sie musste einfach sein, denn ich bin selten so erlebnisreich geradeaus gefahren.

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