Mal eben über die Nordschleife brennen oder vollbepackt in den Süden touren - die Kawasaki ZZ-R 600 meistert diesen Spagat seit neun Jahren. Ist das Allroundtalent noch immer auf Höhe der Zeit?
Mal eben über die Nordschleife brennen oder vollbepackt in den Süden touren - die Kawasaki ZZ-R 600 meistert diesen Spagat seit neun Jahren. Ist das Allroundtalent noch immer auf Höhe der Zeit?
Bei ihrem ersten Auftritt Ende 1989 sorgte die Kawasaki ZZR 600 mächtig für Furore: Mit einer Leistung von nominell 100 PS übernahm sie bei den 600er auf Anhieb die Spitze im Leistungswettstreit. Die Dominanz hielt jedoch nicht lange an; schon im Jahr darauf zog Honda mit der CBR 600 gleich. Weitere attraktive Sportler folgten und drängten den Sportler immer mehr in die Tourenecke.
Aber bei Kawasaki bewies man Stehvermögen und behielt den Allrounder über all die Jahre im Programm. Mehrfach überarbeitet, ist die alltagstaugliche, leistungsstarke und agile ZZ-R 600 in der von immer extremeren Sportlern dominierten Mittelklasse mehr denn je eine Alternative für sportlich ambitionierte Tourenfahrer.
Mit Hauptständer, Tankuhr, ausklappbaren Gepäckhaken und dem kleinen Staufach in der Verkleidung ist sie für Langstrecken besser gerüstet als viele Mitstreiterinnen. Selbiges gilt für die Sitzposition, die mit vergleichsweise hoch angebrachten Lenkerhälften und dem kurzen Tank erfreulich entspannt ausfällt. Weniger bequem ist der Beifahrer untergebracht, der seine Beine stark anwinkeln muß auf den zu hoch angebrachten Rasten. Höher dürfte dafür die Verkleidung ausfallen, deren Schutzwirkung bei schneller Fahrt nur bis zum Oberkörper reicht, während der Helm dem Fahrtwind ausgesetzt ist.
Auf diese Weise bewahren ZZ-R-Fahrer aber wenigstens einen kühlen Kopf, wenn sie es mal richtig brennen lassen. Tatsächlich verbirgt sich hinter der etwas biederen Hülle ein motorischer Brandstifter, dessen Leistungsentfaltung auch nach fast einem Jahrzehnt nichts von seiner Faszination verloren hat. Immer wieder ist man versucht, per Dreh am Gasgriff diesen explosionsartigen Kick im oberen Drehzahlbereich abzurufen. Notwendig sind solche Drehzahlorgien jedoch keineswegs, denn der wassergekühlte Reihenvierer weiß auch bei niedrigen Touren zu gefallen. Rund 4000/min genügen ihm, um im sechsten Gang des exakten und gut gestuften Getriebes lochfrei und mit Nachdruck voranzuschieben.
Daß der kraftvolle Eindruck nicht täuscht, belegen die Meßwerte, die sich selbst im Vergleich zu modernen, deutlich leichteren Supersportlern sehen lassen können. Weitere Meriten verdient sich der Sechzehnventiler mit seinem fast vibrationsarmen Lauf sowie dem genügsamen Umgang mit Kraftstoff. Störend ist lediglich das schlechte Kaltlaufverhalten, das sich mit ungesund hohen Drehzahlen sowie ruckelnder Gasannahme bemerkbar macht. Den durchweg positiven Eindruck dieses potenten Triebwerks kann es aber nicht ernsthaft beeinträchtigen.
Gut, daß das Fahrwerk keine Mühe hat, die Kraftausbrüche des Motors in geordnete Bahnen zu lenken. Voraussetzung ist jedoch, daß die zu weiche Feder des hinteren Zentralfederbeins maximal vorgespannt wird. In der Grundeinstellung geht die Federung bereits mit einem leichten Fahrer in starke Progression; heftige Schläge durch Bodenwellen sowie ein immer wieder versetzendes Heck sind die Folge. Die Einstellarbeit am schwer zugänglichen Federbein wird mit mehr Reserven an Federweg und somit höhrem Komfort belohnt. Und die Hinterhand harmoniert nun mit der in Federbasis und Zugstufendämpfung einstellbaren Gabel gut; außerdem verbessert sich die Schräglagenfreiheit um entscheidende Millimeter.
So gerüstet, stimmen sowohl Komfort als auch Fahrverhalten auf welligen Landstraßen. Handlich und zielgenau durcheilt die ZZ-R weite wie enge Biegungen und läßt das vergleichsweise hohe Gewicht von 224 Kilogramm beinahe vergessen. An der guten Fahrstabilität gibt es auch bei Topspeed nichts zu kritisieren, weder Längsrillen noch Bodenwellen beeinträchtigen den Geradeauslauf. Prima Noten verdienen sich ebenfalls die Stopper, die feine Dosierung mit bester Wirkung kombinieren.
Für 15120 Mark ist die Kawasaki ZZR 600 auch heute noch ein attraktives Motorrad, das die Konkurrenz in der Mittelklasse zwar nicht mehr aufmischt, aber jederzeit mitmischen kann.
Ende 1989 rollte die ZZ-R 600 ins Rampenlicht. Damals war sie mit der Leistung von nominell 100 PS nicht nur die Stärkste ihrer Klasse, sondern auch die erste 600er mit einem Aluminium-Fahrwerk. Diese intern ZX 600 D genannte Version wurde bis 1992 unverändert gebaut. Kritik an den zu harten Federelementen, dem Leistungsloch bei 6000/min, den blendenden Reservewarnlampen sowie dem großen Spiel im Antriebsstrang veranlaßte Kawasaki zu einer gründlichen Modellpflege für die Saison 1993. Diese fiel so umfassend aus, daß man getrost von einer neuer ZZ-R sprechen konnte: Neu waren nicht nur der Modell-Code (ZX 600 E), sondern auch Rahmen, Federbein, Zylinderkopf, Cockpit mit zusätzlicher Tankuhr sowie das doppelte Ram-Air-System. Weitere Modifikationen erfuhr die ZZ-R 1995. Seitdem ist die Gabel in Federbasis und Zugstufe einstellbar, außerdem rotieren moderne Radialreifen auf den Felgen. Strengeren Geräusch- und Abgasgrenzwerten trugen geänderte Schalldämpfer in Verbindung mit den mehrmals optimierten Vergaserabstimmungen Rechnung. Die ZZ-R 600 (ZX 600 E) in MOTORRAD: Test 2/93; Vergleichstest 5/93; Gebrauchtkauf 9/94.