KTM und Husqvarna, kantiger Look und fließende Linien, Firmenchef Pierer und Designchef Kiska: In Österreich hängt alles mit allem zusammen und ergibt eine Gemengelage, in der derzeit nicht nur Motorräder, sondern sogar Marken produziert werden.
KTM und Husqvarna, kantiger Look und fließende Linien, Firmenchef Pierer und Designchef Kiska: In Österreich hängt alles mit allem zusammen und ergibt eine Gemengelage, in der derzeit nicht nur Motorräder, sondern sogar Marken produziert werden.
Das eine ist „nur“ ein neues Motorrad, das andere ist mehr. Es ist nichts weniger als der gewagte Versuch, mit der aktuellen Technik der einen Marke einem anderen Namen wieder neue Strahlkraft zu geben. Husqvarna! Wer meint, das sei kein Problem, sollte mal in München nachfragen.
KTM traut es sich trotzdem. Was sonst? Schon allein, um es dem Lieblingsgegner zu zeigen. Das Label, an dem BMW verzweifelte, soll unter der Regie von Mattighofen auch auf der Straße zu alter Größe erwachen (siehe Interview). Der Plan: die bekannte KTM-Technik in ein neues Gewand stecken. Kann das klappen?
Wer die zwei Erlkönige der wichtigsten Neuheiten von KTM und Husqvarna nebeneinander betrachtet, mag das auf den ersten Blick kaum glauben. Im matten Schwarz versinken Formen und Strukturen zu undefiniertem Einheitsbrei. Identische Lampenmasken tun den Rest, um Unterschiede zu verwischen. Und wenn dann noch ein Testfahrer in KTM-Kombi auf der Husqvarna hockt, wird die Sache beinahe witzig. Der Aha-Effekt stellt sich erst ein, wenn man das Showbike Husqvarna Vitpilen 701 und die MOTORRAD-Computerretusche des erwarteten Mittelklasse-Twins vergleicht: Beide Design-Linien, das sogenannte „Edge Design“ der KTM mit seinen Ecken und Kanten und die fließenden Linien der Husqvarna, setzen sich entschieden voneinander ab – und stammen doch vom selben Design-Team. Von Kiska-Design in Anif bei Salzburg.
Die Differenzierung gelingt also – jedenfalls optisch. Niemand würde vermuten, dass in der großen Vitpilen 701– es wird ja auch noch die kleinen Schwestern mit dem 390er-Motor geben – die bekannte Technik der 690er-Baureihe steckt, und zwar komplett. Selbst der Gitterrohrrahmen scheint eins zu eins aus dem Teileregal der KTM 690 Duke zu stammen. Und trotzdem schreit die Vitpilen es förmlich in die Welt hinaus: Seht alle her, so muss eine moderne Husqvarna aussehen!
Das mit der Markenidentität können sie bei Kiska, keine Frage. Und sie werden es ebenso durchziehen wie „Ready to race“ bei KTM. Die lange Husqvarna-Tradition (siehe Wechselspiele) in eine neue, unverwechselbare Form gießen und technisch alles einsetzen, was aktuell und gut ist – das ist die Aufgabe. Wie schwierig und komplex das sein kann, zeigt der optische Vergleich zwischen dem Husqvarna-Showbike und dem Prototyp. Da ist noch jede Menge KTM-Design im Spiel. Doch Mattighofen gibt Entwarnung: Die nur rund 160 Kilogramm schwere Vitpilen 701 mit dem mittlerweile bis zu 73 PS starken Single wird erst 2018 die Motorradszene bereichern. Da bleibt noch Zeit für Detailarbeit.
Doch zurück zum harmonischen Nebeneinander der beiden so unterschiedlichen Marken mit gleicher technischer Basis. Deutlich weiter fortgeschritten als die 701 ist die Entwicklung des wichtigsten Projekts von KTM, des neuen Mittelklasse-Zweizylinders mit rund 800 Kubikzentimetern, der allem Anschein nach im Messeherbst 2016 debütieren wird, und zwar zunächst in der Duke. Folgen die Österreicher auch hier ihrem Ready-to-race-Ansatz, dürfen sich die KTM-Händler freuen: Leicht (so um die 190 Kilogramm) und stark (so um die 110 PS) müsste die neue Mittelklasse dann werden, später werden weitere Varianten folgen. Und dann – noch etwas später – wird uns auch dieser Motor wiederbegegnen. Wohl nicht als 790er in der KTM, sondern als 801 in mehreren Husqvarnas. Und auch die wird man sofort erkennen.
Heute gilt Husqvarna allgemein als Offroad-Spezialist, doch vor dem Zweiten Weltkrieg bauten die Schweden großvolumige Straßenmaschinen, gewannen sogar GP-Rennen.
Gegründet wurde die Firma Husqvarna bereits 1689, zunächst wurden Musketen produziert. Daher auch das Firmenlogo, das nicht wie oft geglaubt eine Krone, sondern einen Waffenlauf mit Kimme und Korn darstellt. 1903 bauten die Schweden ihr erstes Motorrad mit einem 1,25 PS leistenden FN-Motor. Damit gehört Husqvarna zu den ältesten heute noch existierenden Marken.
Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurden Motoren bei verschiedenen Lieferanten eingekauft. Die erste komplett eigene Maschine war 1918 das Modell 150 mit 12 PS starkem 550er-V2. 1928 war allerdings schon wieder Schluss mit der teuren Eigenproduktion, die Schweden verwendeten danach Motoren von Sturmey Archer und Jap. Gleichzeitig entwickelte der Ingenieur Folke Mannerstedt Motoren für den Rennsport. Ab 1930 stieg das kleine Werk damit in den GP-Sport ein. Mit Erfolg: Die Werksrenner siegten etwa bei allen Heimrennen in Saxtorp von 1932 bis 1935. Bekanntester Fahrer war der Brite Stanley Woods.
Ab 1938 konzentrierte sich Husqvarna bei Serienmaschinen auf kleine, billige Zweitakter, da sich die großen Viertakter immer schlechter verkauften. Auf diesen basierte die berühmte Silverpilen von 1955. Eine kleine 175er, die von vielen Fahrern fürs Gelände umgebaut wurde. Ihre robuste Konstruktion bildete die Grundlage für die äußerst erfolgreichen Geländemaschinen der 1950er und 1960er. Die Krise kam in den 1980ern, als die kleine Firma technisch mit den Japanern nicht Schritt halten konnte. Es folgte der Verkauf an Cagiva und anschließend eine wechselhafte Odyssee, die 2013 bei KTM ihr Ende fand.
Gerald Kiska über die enge Beziehung zwischen KTM und Kiska, knappe Ressourcen und Fluch und Segen einer klar definierten Markenidentität
? Herr Kiska, wie würden Sie die Konstellation Kiska/KTM beschreiben?
! Es ist für viele unvorstellbar, dass zwei Unternehmen so eng miteinander arbeiten und dass sich auch die zwei Chefs der beiden Firmen nach 23 Jahren so gut verstehen – unsere Frauen sind da schon richtig neidisch auf uns.
? Also verstehen Sie sich auch als Teil von KTM?
! Ich glaube, das geht in beide Richtungen. Die Auseinandersetzung mit und der Stolz auf das jeweils andere Unternehmen sind groß. Wir sehen uns jeweils als Multiplikator. Als schönes Beispiel dafür, dass eins und eins mehr als zwei sein kann.
? Und wer von beiden hat dann KTM in seiner heutigen Form erfunden?
! Einer alleine kann das nicht, dazu braucht es beide Seiten. Da ist auch viel gemeinsames Brainstorming dabei, es geht hin und her. Und zum Schluss weiß man nicht mehr, wer eigentlich welche Idee gehabt hat.
? Okay, fassen wir es enger. „Ready to race“ – von wem kommt das?
! Um ganz ehrlich zu sein, das haben wir schon ein bisschen geklaut. Als KTM Husaberg übernommen hat, hat Husaberg in Pressetexten schon mit diesem Claim gespielt, und wir haben das dann einfach zum Claim von KTM gemacht.
? Wann war das?
! Ich meine, 1996. Letztendlich war ja auch der Viertakt-Offroad-Motor ein Beutestück aus dieser Übernahme. Damals ein sehr interessanter Ansatz, aber fehlerbehaftet. Der wurde dann unter KTM standhaft gemacht und hat eine neue Ära im Offroad-Sport eingeleitet.
? Und seither müssen Sie mit „Ready to race“ leben. Haben Sie das schon mal verflucht?
! Das wurde immer wieder mal infrage gestellt, weil KTM ja enorm gewachsen ist. Wir haben uns schon häufiger gefragt, ob es denn noch möglich ist, sich so scharf und spitz zu positionieren. Meine Antwort darauf ist immer wieder die gleiche. Ich schaue neugierig zu Ferrari. Wenn die irgendwann keine zweisitzigen Sportwagen mehr bauen und ihre Autos auch nicht mehr rot anmalen, dann ist es für uns auch Zeit, darüber nachzudenken, etwas anderes zu tun. Aber es gibt einen Haufen toller Marken in allen möglichen Bereichen, die ihr Erbe pflegen. Es geht ja nicht um die Anbetung der Asche, sondern um den Erhalt des Feuers, und ich glaube, da ist KTM breit genug aufgestellt, um auch in Zukunft links und rechts des heutigen Angebots für die eine oder andere Überraschung zu sorgen.
? Es wird aber doch sicher auch in Ihrem Hause diskutiert, wie weit man gehen kann, ohne dieses Motto zu verwässern?
! Zum Glück sind die knappen Ressourcen in jede Richtung – also Produktion, Logistik, Platz, Manpower – immer noch der viel größere limitierende Faktor für das Wachstum von KTM als die Positionierung. Sprich: Wir hangeln uns seit 22 Jahren ganz knapp am Machbaren entlang, und das Machbare wird nicht vom Markt diktiert, sondern von den eigenen Kapazitäten.
? Okay, nehmen wir die neue Super Duke GT. Haben Sie bei diesem Modell nicht darüber diskutiert, wie weit sich KTM in diesen Touring-Bereich wagen darf?
! Das ist doch die gleiche Diskussion, die wir bei der Adventure hatten. Ich glaube, dass es viele Motorradgattungen gibt, wo KTM mit einem ganz eigenen Ansatz zu überraschenden Ergebnissen kommen kann. Das heißt aber auch, dass es einen Fahrer geben muss, der diesen KTM-Ansatz goutiert. Der ein fahraktives, möglichst leichtgewichtiges Motorrad haben will, das speziell im Alltag eine Überlegenheit liefert, die er anderswo nicht bekommt. Eine Super Duke – egal ob R oder GT – fährt trotz aller Kraft und Souveränität wie anderswo eine 350er. Von daher haben wir auch unter diesem Ready-to-race-Ansatz immer genügend Platz für ein überraschendes Kapitel.
? Gibt es da keine Grenzen? KTM-Entwicklungschef Phillip Habsburg hat gesagt, in seiner ganzen Truppe fände sich kein Einziger, der einen Cruiser entwickeln wollte.
! Ja, das stimmt vermutlich. Aber natürlich kann man auch mal nach links und nach rechts schauen. Ich glaube, auch bei Ducati hat vor ein paar Jahren auch noch niemand geglaubt, dass er mal einen Cruiser entwickelt. Ich denke, dass es da in Zukunft unter der Marke KTM wesentlich mehr gibt, als wir heute zeigen. Wie weit das geht? Ich weiß es nicht. Wie gesagt: Zum Glück haben wir derzeit andere limitierende Faktoren.
? Was ist mit dem typischen, kantigen „Edge Design“ von KTM? Ist das ein Faktor, der hier und da auch einschränkt?
! Eigentlich nicht. Meiner Meinung lässt sich jede Motorradgattung auch in diesem Format ausdrücken. Selbst einen Cruiser könnten wir mit dem gleichen Handwerkszeug machen. Aber das wäre dann eben ein sehr aggressiver, sehr fahrdynamischer Cruiser. Das entspricht dann ja auch der Leitlinie von KTM. Man sieht ja bei unserer Arbeit mit Husqvarna, was man mit einem anderen formalen Repertoire an Charakteränderungen herbeiführen kann. Damit versuchen wir, jeder Marke den Ausdruck zu geben, der im Wesentlichen den Geist und Esprit dieser Marke verkörpert.
? War die Entscheidung für das glatte, flächige Husqvarna-Design dann ein bewusst gesetzter Kontrapunkt zum eckigen KTM-Outfit?
! Wissen Sie, im Gegensatz zu KTM hat Husqvarna ja eine elendslange Historie, die mehr als hundert Jahre zurückreicht. In dieser Zeit hat es alle Arten von Motorrädern gegeben, ganz anders als bei KTM, wo sich die Vergangenheit ja zum großen Teil offroad abgespielt hat. Das große, schwere, tolle Motorrad haben wir in der Husqvarna-Vergangenheit gefunden, und im Prinzip ist das ja der Anknüpfungspunkt für uns, wo wir jetzt mit der Straßenpalette weitermachen. Wir gehen dorthin zurück, wo Husqvarna Pionier war und echte Meilensteine geschaffen hat.
? Was ist Ihr Lieblingsentwurf bei KTM?
! Da gibt es jedes Jahr einen, sozusagen (lacht). Ich kann es nicht sagen. Da hätten Sie die letzten 25 Jahre in meine Garage schauen müssen. Was immer da drin stand in jener Zeit – das war wohl mein Lieblingsentwurf. Und da stand einiges drin. Ganz aktuell die erste Super Duke GT, die verfügbar war. Die macht so viel Spaß …
? Anderes Thema: Wenn Sie sich eine andere Motorradmarke aussuchen könnten – für wen würden sie gerne mal arbeiten?
! Wir erfüllen uns Wünsche ja eigentlich schon, nur können wir nicht darüber reden. Wir sind seit vielen, vielen Jahren im Automotive-Bereich tätig, haben da ein paar große Deutsche direkt vor der Haustür, Italien ist auch nicht allzu weit. Da haben wir ein paar schöne Sachen gemacht, im Vierradbereich haben wir uns unsere Wünsche sehr gut erfüllt. Wir machen Motorboote, andere Zweiradmarken, wir haben einiges für Triumph gemacht. Dazu gibt es rund um das Thema KTM befreundete Unternehmen, sei es Bajaj in Indien oder CF Moto in China, den dortigen KTM-Importeur.
Herr Kiska, vielen Dank für das Gespräch.