Reportage Einsteigerberatung
Händlerreisende

»Für höchstens 5000 Euro möchte ich ein Motorrad, das alles kann.« »Wie bitte?« »Ich habe keine Vorstellung, ich kenne mich da nicht so gut aus.« MOTORRAD wollte wissen, wie gut Händler kauffreudige Einsteiger beraten.

Händlerreisende
Foto: Strohbach

U nterwegs in geheimer Mission. Unterwegs durch sechs Städte zu acht beliebig ausgewählten Händlern. »Nehmt 5000 Euro, geht in die Motorradläden, stellt euch ahnungslos, bleibt unerkannt und schaut mal, was euch angeboten und empfohlen wird.« So lautete unser Auftrag. Wir, das sind Markus und ich, Nachwüchsler bei MOTORRAD.
Frankfurt, halb elf, diesig graue Novemberstimmung. Automeile Hanauer Landstraße. Hier gibt es alles, auch einen kleinen Motorradladen. »Holger’s Zweirad- Shop«, kurz HZS – Suzuki-Vertragshändler mit einem ansehnlichen Repertoire an
Gebrauchtmaschinen. »Wir möchten uns beraten lassen«, sage ich zur Sekretärin. Schwups, schon eilt ihr Kollege herbei,
ein bemützter, eher schmächtiger junger Verkäufer, der mehr nach Hip Hop denn Motorradeln aussieht. Ich bete meinen Text runter: »Suche Motorrad...5000 Euro Schmerzgrenze...keine Ahnung.« Erfahrung? »Ein bisschen, bin früher öfter mit den alten Klapperkisten von Freunden gefahren, aber unvoreingenommen. Ich brauche eine Maschine, mit der ich gut durch die Stadt komme, über Landstraßen und Autobahnen, auch bei schlechtem Wetter. Zuverlässig muss sie sein, und langweilig sollte sie so schnell nicht werden.« Habe ich das wirklich gesagt? Armer Verkäufer.
Doch der hat verstanden. Er ist freundlich und kompetent, nimmt sich Zeit, erklärt die Unterschiede von Zwei- und Vierzylindern, rät zum Windschutz, spricht über Wendigkeit, Sitzkomfort, Hochgeschwindigkeitsstabilität und meint schließlich in sympathischem Frankfurt-Slang: »Da haben wir was da.«
Der Hesse führt uns in einen schmucklosen Industriehallen-Anbau mit Gebrauchten reihenweise und zeigt uns eine GSF
600 S Bandit, Baujahr 2003, noch mit Werksgarantie, 7180 Kilometer, 1a-Zustand, 4690 Euro, danach eine SV 650 S, 18300 Kilometer, mit Topcase, Griffheizung und Sturzpads für 3990 Euro, die ebenfalls tipptopp dasteht. Wir setzen uns auf die Suzukis, checken die Verschleißteile. »Wie sieht es aus mit einer Probefahrt?« »Kein Problem, Leihklamotten und Helm haben wir da.« Wir hätten sofort starten können. »Was können wir
am Preis machen?« Da geht was: 150 Euro Rabatt für die SV. Und Prozente auf Bekleidung. Alles läuft vorbildlich. Nach einer Stunde sind wir fertig – und beeindruckt.
Nächster Stopp: »KBS Frankfurt«. Der Kawasaki-Händler hat seinen Hauptsitz ganz in der Nähe. Roller säumen den
Weg zur Annahmetheke. Der Laden wirkt modern und aufgeräumt, überall an den Wänden lustige Graffiti. Eine sympathische Frau verweist uns eine Etage tiefer,
sagt, sie wolle uns bei einem Verkäufer anmelden. Wendeltreppe, Stahltür, dunkler Gang. Wir landen im kalten Keller.
Ein Mann, wohl ein Gutachter, begrüßt uns mit der Frage, ob wir jetzt das Geld brächten. Häh? Woher weiß der von unserer Kohle? Der Verkäufer wirkt fast überrascht, dass hier unten plötzlich Kunden auftauchen. Wir tragen unser Anliegen vor. Nüchtern, beinahe gelangweilt spricht er über Wendigkeit im Stadtverkehr, über Reisekomfort, Hubraum, Drehmoment sowie Leistung. Und zeigt uns eine Honda Hornet 600. »Die hat zwar keinen Windschutz,
ist aber sehr handlich und drehfreudig –
ein gutes Einsteigermotorrad. Baujahr 2002, lediglich 3400 Kilometer, aus erster Hand. 4990 Euro. Dann hätten wir noch eine 1200er-Bandit S, für Neulinge vielleicht zu groß und zu schwer, für Wiedereinsteiger sicher interessant. Baujahr 2002, 13100 Kilometer, 98 PS, 4790 Euro.«
Die Maschinen drängeln sich dicht
an dicht, ohne Akrobatik kein Probesitzen. Wir sollen uns Zeit und die Motorräder in Ruhe unter die Lupe nehmen, meint der Verkäufer. Machen wir. Verschleißteile in Ordnung, die Bandit könnte jedoch sauberer sein. »Können wir die mal Probe fahren?« »Ja, Sie sollten sich aber vorher anmelden, weil es ein Weile dauert, bis wir die rausgeräumt haben.«
Dann macht er uns ein unmorali-
sches Angebot. »Ich hätte da noch eine
nagelneue Kawasaki ZR-7S, ein Auslaufmodell, die kostet allerdings 5990 Euro.« Liegt über unserer Schmerzgrenze, trotzdem keine schlechte Alternative, zumal
mit Null-Prozent-Finanzierung. »Wie sieht es mit Rabatten aus?« »Wir haben schon sehr gute Preise, weil wir den Mittel-
wert zwischen Schwacke-Einkaufs- und Verkaufspreis nehmen. Bei den beiden
Gebrauchten kann ich 90 Euro runtergehen, bei der ZR geht gar nichts.«

Rösrath, in der Nähe von Bonn, 16 Uhr, immer noch trister Himmel. Beim Honda-Händler »Motorradhaus Löhmer« brütet an der Theke ein Mechaniker über Papier. Irgendwann bemerkt er uns, weist den Weg zum Verkäufer. Der stellt sich nicht vor, hat indes seine Vorstellungen: Man solle doch wissen, was man will, lassen wir uns belehren. Und: »Hier im Rheinland heißt es, jeder Jeck ist anders.« Schließlich empfiehlt er, lieber was Kleines zu nehmen und sich nicht zu überfordern, später könne man ja ganz einfach tauschen. Wir sollten uns mal umkucken. Sein Telefon klingelt. Allein betrachten wir die eng aufgestellten Gebrauchten. Nach einer Weile kommt er zurück, rät uns von einer 1200er-Bandit ab, »viel zu schwer«, und verschwindet wieder. Zum Telefon.

Wir suchen uns Trude aus, mal sehen, wie der Verkäufer reagiert. Trude ist eine 1999er-CBR 600 F. Ihr Name steht groß auf der Verkleidung. Bis auf einige Kratzspuren ist Trude in gutem Zustand: neue Bremsscheiben, neuer Kettensatz, sauber poliert. Der schwer beschäftigte Herr taucht erneut auf, erzählt etwas über »Chopper und Rennsemmeln und dass es immer darauf ankommt, wo man das Lineal ansetzt, und es heute sowieso kaum noch scheckheftgepflegte Motorräder gibt«. Über die CBR erfahren wir nichts mehr, er hat zu tun. Es seien ja noch andere Kunden da.
Wir geben nicht auf, wollen herausfinden, warum die CBR so teuer ist. Mit 4890 Euro liegt sie etwa 400 Euro über dem Schwacke-Preis. Doch Fragen beantwortet der Verkäufer, der das Lineal wohl gleich an uns ansetzen wird, keine mehr. Nur noch die nach seinem Namen.
Später Nachmittag, Köln, »P. Kaup Motorräder«. Ein gepflasterter Hof, ein unscheinbares Schild mit dem Namen des großen Bastlerschuppens. Motorräder in vier Reihen, Ersatzteile überall, an der Decke, den Wänden, im Obergeschoss. Kein Mensch. Eine Hupe auf der Theke. Der Chef kommt aus einem Nebenraum. Lange Haare, Schrauberhände, kein Verkäufertyp. Wir gehen auf Besichtigungstour, bis er
vor einer Honda CB 750 und Yamaha FZS 600 Fazer stehen bleibt. CB-Erstzulassung 2001, 12020 Kilometer, 4600 Euro – macht einen guten Eindruck. »Vernünftiges Motorrad für Vielfahrer, aber nicht gut fürs
Geschäft, es geht nämlich nichts kaputt, die macht locker 100000.« Er grinst.
Und die Fazer? Baujahr 1998, 21800 Kilometer, 3900 Euro. Der Hinterreifen abgefahren, Batterie tot, Gabelsimmerringe undicht. »Das wird alles gemacht, kann jedoch vier bis sechs Wochen dauern, weil der Vorbesitzer den Fahrzeugbrief verlegt hat und einen neuen beantragen musste.« Er greift
an den Lenker und
balanciert die Fazer vorsichtig ein Stück nach vorn. Probesitzen. Technikfragen. Der Mann weiß alles. Preisnachlass? »150 Euro sind drin.« »Gibt es denn auch Klamotten?« »Ja, in dem Raum da drüben, da habe ich aber noch kein
Licht.« Am Ende lan-
den wir beim Aus-
gangspreis – inklu-
sive Klamotten. Neben unzähligen Kuriositäten finde ich später noch ein Polizei-Motorrad. Eine BMW für 3000 Euro. »Nur das ‚ei’ muss man noch abkratzen, dann darf man damit fahren.« Wer ein Faible
für solche Bastlerschuppen hat, akzeptiert wohl auch, dass die Fazer erst auf Vor-
dermann gebracht werden muss und der Brief noch fehlt. Ihr Preis liegt knapp über, der der CB mit etwa 300 Euro deutlich
unter Schwacke.

Nächster Tag: Düsseldorf, ein Hybridhändler, also Autohaus mit Motorradverkauf und -service. »Autocenter Dresen«, Honda. Das krasse Gegenstück zu »P. Kaup Motorräder«, ein modernes Gebäude aus Glas und Stahl. Eine Sekretärin schickt uns nach oben in die Motorrad-Etage. Der Verkäufer erwartet uns. Sehr gepflegt, ein echter Profi. Er begrüßt uns mit Handschlag und stellt sich vor. Gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat.
Der freundliche Herr versteht sofort, was wir suchen, führt uns durch den
großen, übersichtlichen und nett dekorierten Verkaufsraum zu einer Suzuki SV 650 S in Topzustand. 4490 Euro soll sie kos-
ten, 6000 Kilometer, Erstzulassung 2002. Als zweites empfiehlt er eine fast neue Honda CBF 600 mit Halbschale und ABS, Baujahr 2004, 4990 Kilometer. Der Preis läge 5790 Euro (neu etwa 6800 Euro) über unserem Limit: Er wolle uns dieses Topangebot indes nicht vorenthalten: »Nur als Tipp für Sie zum Abspeichern.« Außerdem gebe es eine interessante Finanzierungsaktion. Nebenbei erklärt er alles, was wir wissen wollen: Motorenkonzept, ABS, Windschutz, Wendigkeit, Wartungsintervalle und -kosten.
Jeweils 140 Euro Preisnachlass bietet er an, außerdem seien Zulassung und Wunschkennzeichen inklusive. Die Atmosphäre in dem Glaspalast ist zwar nicht sehr persönlich, aber Beratung und Angebot sind sehr gut.
Die nächste Station: »Motorrad Geb-
hardt«, ebenfalls in Düsseldorf, ein Händler, der Importmaschinen vertreibt. Der Verkäufer kann mit unserem Kaufgesuch zunächst nicht viel anfangen. Nach einer Weile schießt er sich auf zwei Yamaha FZS 600 Fazer ein. Eine in Rot, eine in Silber, beide in gutem Zustand. Die Rote, Baujahr 2001, 7000 Kilometer gelaufen, ist auf 25 kW gedrosselt und soll 4499 Euro kosten. 4899 Euro will er für die Silberne, weil sie ein Jahr jünger ist und nur 3023 Kilometer auf dem Tacho stehen.

Er erläutert: »Beide verkaufen wir im Auftrag von Polo, die dürfen nicht so viel verkaufen, weil die auf Zubehör spezialisiert sind, da machen wir das eben.« Wenn mal was mit den Bikes sei, müsse man halt zu Polo gehen. Aha! Klarer Nachteil, er muss uns beim Preis entgegenkommen. »Nein, hat Polo kalkuliert, wir können da nichts machen. Auch die Entdrosselung der Roten kostet extra.« Später beantwortet er uns noch die Technikfragen freundlich und kompetent. Wirklich schmackhaft macht er uns die Angebote jedoch nicht.
Von Düsseldorf geht’s weiter zu »Motorrad Winckler« in Dortmund, ein Yamaha-Händler, der für alle Japanmarken Ser-vicearbeiten durchführt. Wir betreten einen relativ klei-
nen Verkaufsraum, in dem wenige
Motorräder stehen, jedoch viel Zubehör angeboten wird. Ein freundlicher, älterer Herr, der schon lange in der Motor-
radbranche tätig ist, freut sich über Kundschaft. Zuerst empfiehlt er zwei Suzukis, eine 1999er-SV 650 S mit 18096 Kilometern und eine 2000er-GSF 600 S Bandit mit 22455 Kilometern. Beide zum Preis von je 3990 Euro.
Der zweite Vorschlag ist eine Yamaha XJ 900 Diversion, Baujahr 2000, 20000 Kilometer, für 4990 Euro. Er erzählt von
seinem Schwager, der sehr zufrieden sei mit dem Motorrad, von seiner Frau und anderen, die es wohl wissen müssen. Die Diversion charakterisiert er wie folgt: »Länge läuft, das
ist wie beim Segelboot.« Und: »20000 Kilometer sind doch gar nichts, unsere laufen viel mehr als 100000.« Sein Kommentar zur SV: »Einfach nur Spaß.«
Er redet gern, der Mann mit dem Bart. Über seine Zeit als Rennfahrer, vom letzten Urlaub, seine Digitalkamera... Nach dem Probesitzen fragen wir nach Rabatt. Er mache doch keine Mondpreise, meint der Geschäftsführer, sondern kalkuliere fair. Wenn er Rabatt gewähre, müsse er die Bikes ja vorher teurer machen. Das ginge doch nicht. Wahrheit und Klarheit am Objekt, sage er immer. Okay, gehandelt wird hier nicht, die Angebote
liegen im Rahmen der Schwacke-Empfehlungen, die Diversion sogar gut 800 Euro darunter. Wahrheit und Klarheit eben.

Die letzte Station unserer Reise heißt »Motorland Kassel«, Yamaha-Händler. In einem kleinen Verkaufsraum stehen vereinzelt Bikes. Der Verkäufer kümmert sich sofort um uns. Lederhose, Stiefel, Zopf und Bärtchen, der Mann kommt authentisch daher. Bei der spärlichen Auswahl passt eigentlich nur eine Maschine, eine acht Jahre alte Yamaha XJ 600 Diversion, 13000 Kilometer, 3800 Euro. Probesitzen.
»Nimm sie doch mal vom Ständer und schieb sie durch den Raum, damit du ein Gefühl für das Gewicht und das Handling bekommst.« Die Motivation ist gering, für das Baujahr ist die XJ zu teuer. »Ja, aber die hat erst 13100 Kilometer«, bekommen wir als Antwort. Und wegen des Preises müsse er erst mit der Chefin telefonieren, die erreiche er jetzt allerdings nicht. Andere Angebote? Fehlanzeige. Also bleiben wir hartnäckig. Bis der Verkäufer doch seine Chefin anruft – und sie wohl auch erreicht. Die XJ wird 300 Euro billiger, liegt allerdings immer noch fast 1200 Euro über Schwacke. Das ist auch angesichts des niedrigen Kilometerstands eindeutig zu viel. Wir schauen uns um, entdecken ein Regal mit Helmen, die noch mit D-Mark-Preisen ausgeschildert sind. »Da können wir auch noch was machen.« Zu guter Letzt schleichen wir um den Chopperumbau eines Kunden. Der Verkäufer meint: »Da geht nicht viel, und mit den Reifen fährt der mit 30 um die Kurve.« Sollte wohl lustig wirken. Tschüs. Wir fahren zurück nach Stuttgart.
Und was haben wir nun auf der Tour gelernt? Vor allem das: Motorrad kaufen ist eine Typfrage. Erwartet man feste Preise oder Rabatte? Perfekte Beratung im durchgestylten Laden oder Klönen im Bastlerschuppen? Oder zählt einzig der günstige Preis? Beratung und Angebot waren in den meisten Fällen gut. Besser ist es dennoch, sich vor der Händlertour bei Freunden umzuhören und ausführlich im Internet – und natürlich in MOTORRAD – zu informieren. Und lieber jemanden mitnehmen, der sich auskennt. Dann wird der Besuch beim Händler auf jeden Fall spannend.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023