Tracktest: Valencia GP-Maschinen

Tracktest: Valencia GP-Maschinen Masterbike

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Journalistentests in Valencia. Wir schreiben den Tag 1 nach Nicky Haydens Weltmeistertitel. Auf mich wartet das Siegermotorrad vom Vortag: die Ducati Desmosedici, mit der Superbike-Weltmeister Troy Bayliss als Gaststarter mal eben das abschließende MotoGP-Rennen gewonnen hat. Solche Testfahrten haben zwischenzeitlich Volksfestcharakter. Eine Horde Kollegen, vom Ex-GP-Star bis hin zu ganz normalen sterblichen Journalisten, wuselt, gesteuert von mehr oder weniger strikten Zeitplänen, durch die Boxen der Werksteams. Ein Wahnsinn

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Ein spezieller Tag

Wie kaum ein anderes Volk können Italiener ihre Emotionen den Mitmenschen ganz subtil offenlegen. Der blondierte Ducati-Werksmechaniker neben mir ist da keine Ausnahme: Ich glaube, ach was, ich weiß genau, dass er solche Tests fürchterlich überflüssig findet und mich für komplett unwürdig hält, die Desmosedici auch nur anzufassen. Sie starten das Ungeheuer trotzdem, widerwillig überlässt er mir sein Baby.

Aufsteigen. Mein Gott. was für eine altmodische Sitzposition. Tief, lang, unbequem... Ich drücke den ersten Gang rein und versuche unter maximal vorstellbarem Getöse, Fahrt aufzunehmen. Bamm! Nach fünf Metern stirbt der V4 ab. In der Boxengasse steht die Zeit still, als mich schätzungsweise 300 Augenpaare mitleidig bis belustigt fixieren. Nur mich. Wie unendlich peinlich. Der ausländische Kollege, zeitgleich mit der Capirossi-Ducati am Start, lächelt mich noch überlegen an, bevor auch er den Motor abwürgt.

Doch es geht noch deutlich peinlicher: Nebenan vor der Repsol-Honda-Box liegt ein ansonsten recht vorlauter und nassforscher TV-Kollege aus Italien nach einen missglückten Anfahrversuch wie ein Maikäfer auf dem Rücken, über ihm Pedrosas RC211V. Super Sache. Nur weg hier.

Das Pech bleibt mir treu: Auch nach zwei Runden reicht mein Mut nur für Pussy-Schräglagen. Ständig knickt das Ducati-Heck weg, der Reifen fühlt sich schlapp an, als hätte er höchstens ein halbes Bar Druck. Gar nicht gut, die ganze Geschichte, dabei hatte ich mich so darauf gefreut. Eine Klageaudienz beim Ducati-Chefpressesprecher hilft nichts: kein zweiter Turn bei Ducati. Keine Zeit. Scusi.

Kawasaki steht auf dem Programm. Die Grüne streichelt die Seele, weil die Bridgestone prima funktionieren, ganz anders als auf der Duc. Zum ersten Mal ansatzweise erleben dürfen, wie sich so ein MotoGP-Brenner in etwa anfühlen könnte, wenn man etwa 10, besser noch 15 Sekunden schneller wäre. Macht nichts. Die Ninja ist ein Brüller, ein Biest, und produziert wundervolle Fehlzündungen. Was für ein Spaß.

Der lässt sich noch steigern. Zwei Honda-Termine stehen auf meinem Plan. Dani Pedrosas RC211V, die glücklicherweise unbeschadet das Boxengassenmassaker überlebt hat. Bemerkenswerterweise ein Vorjahresmotorrad. Und als Krönung Nicky Haydens Arbeitsgerät, das einzig wirkliche 2006er-HRC-Werks-MotoGP-Motorrad. Nach 3 von 4 Runden passiert es. Eingang der Start/Ziel. Ein Kollege, der mir schon die ganze schnelle Links über im Nacken saß, setzt zum Ausbremsen an, der Sack. Soll er mal probieren! „No racing“, hat der nette Honda-Pressemann zwar befohlen und dabei versucht, autoritär zu wirken.

Mir völlig egal. Gegenhalten! Der Adrenalinpegel stimmt. Wir biegen also gemeinsam auf die Gerade ein und – mein Atem stockt. Schwarze Dainese-Kombi, die 34 auf den Stiefeln, weiß-roter Arai-Helm: ER überholt mich, the Godfather of Racing. Wenige Minuten zuvor hat ER bei seinem Eintreffen in der Honda-Box für einen mittelschweren Medienauflauf gesorgt. Während andere Ex-Weltmeister, etwa Dirk Raudies und Alex Crivillé sowie GP-Helden wie unser Freund Randy Mamola völlig unbehelligt ihre Testfahrten in Angriff genommen haben, hat ER sich den Weg durch ein Kameramikrofonnotizblockmeer zum jeweiligen Motorrad bahnen müssen. Aber ER ist nicht irgendwer. Auf seinem schmalen Rücken steht SCHWANTZ.

Jetzt nicht hyperventilieren. In seinem Windschatten drücke ich mich die Start/Ziel herunter. Kevin gibt auf der Pedrosa-Honda nicht alles, bremst deutlich früher als nötig. Dranbleiben. Maximal 20 Meter trennen uns im winkligen Infield von Valencia. Erste Reihe für mich, freie Sicht, der Traum aller, die Schwantz und seine außerirdischen Darbietungen noch erleben durften. Einmalig und deshalb unverkennbar, sein extremes Hanging-off. Er spielt mit der Honda. Kevin, der Schlacks, schlank und rank wie immer, hat Probleme mit der Ergonomie, die für den 1,59 Meter großen Pedrosa bestens passt. Auf Haydens Honda wird er sich anschließend deutlich wohler fühlen. Wie genau, schildern Kevin Schwantz und Randy Mamola auf den nächsten Seiten im exklusiven Doppelpack. Womit Kevin am schnellsten war? Auf der Suzuki – wer hätte das gedacht? Da ließ es der Texaner, mächtig angefixt vom alten Haudegen Mamola, noch mal richtig krachen.

Honda RC211V - Die Königin

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Schwantz sagt: Die Honda durfte ich gleich zweimal ausprobieren. Oder besser gesagt: Beide Versionen der RC211V, die von Weltmeister Nicky Hayden und die von Dani Pedrosa.

Ich fand das Motorrad des Spaniers ein bisschen nervös, mit einem etwas unruhigen Lenkkopf. Mir fiel sofort auf, dass mir die Sitzposition nicht richtig passte, dass ich zu hoch auf dem Motorrad saß. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es zwischen Dani Pedrosa und mir etliche Zentimeter Größenunterschied gibt.

Ich war erst kurz vorher von der Ducati gestiegen, und jetzt kamen mir die Richtungswechsel extrem leicht und spielerisch vor. Es reicht, ein bisschen Druck auf die Fußrasten auszuüben, und schon folgt die Honda. Sie ist sehr leicht zu fahren, und sicherlich ist das hintere Federbein etwas zu weich für mich. Ich hätte auch ein bisschen mehr Platz gebrauchen können, konnte nicht auf dem Sitz hin und her rutschen, weil er so klein war; ich fühlte mich eingezwängt. Das Motorrad kam mir winzig vor, doch es hat mich überrascht, wie spontan es auf alles reagierte. Ein flinker Spurwechsel für ein anstehendes Überholmanöver? Kein Problem. Sie gehorcht.

Nicky Haydens Honda ist definitiv angenehmer zu fahren. Es ist ein großartiges, schönes Motorrad, das genau das macht, was du willst. Sie lässt sich leicht einlenken, ist handlich bei Richtungswechseln, vermittelt aber nicht die Nervosität von Danis Motorrad.

Die Bremsen beißen nicht übermäßig spontan zu, doch das Ansprechverhalten der Bremse und ihre Dosierbarkeit sind eine sehr persönliche Sache. Offensichtlich gefällt Nicky ein weicher Einsatz der Bremsleistung beim ersten Antippen des Hebels. Echte Verzögerung spürt man erst nach einer Weile.
Ganz im Gegensatz zu Kenny Roberts’ Motorrad, das ich vor einiger Zeit mal fahren durfte. Sobald du den Bremshebel auch nur berührst, ist es, als hättest du
einen Anker geworfen.

Eine Sache, die mich überraschte: Wenn du beim Anbremsen die Gänge runterschaltest, kommt es dir vor, als hättest du ein zweites Motorrad neben dir. Das Auspuffgeräusch scheint sich zu verdoppeln, was vielleicht mit der Position der Auspuffendrohre zusammenhängt.

Auch mit dem Motorrad von Nicky ist es spielerisch leicht, für ein Überholmanöver die Spur zu wechseln. Sein Motorrad bügelt außerdem alle Unebenheiten glatt und ist in diesem Punkt das angenehmste Motorrad von allen.

Doch was mir am Motorrad des Weltmeisters am meisten gefallen hat, ist seine unmittelbare und mächtige Reaktion auf den Dreh am Gasgriff. Am Ausgang der Spitzkehre, sowie du Gas gibst, katapultiert sie dich unwiderstehlich nach vorne. Ein fantastisches Gefühl. Mamola sagt: Letztes Jahr war die Elektronik bei den Werks-Hondas sicherlich das größte Problem. Keine Ahnung, wie die Techniker das in den Griff bekommen habe. Fakt ist, dass die Fahrhilfen diese Saison sowohl bei Pedrosas 2005er-Motorrad als auch bei Haydens 2006er-Evo-Version nun perfekt funktionieren. Als Fahrer bekommst du nichts davon mit, so diskret regelt die Elektronik. Nickys Motorrad fährt etwas unhandlicher, aber dafür stabiler, vor allem beim harten Anbremsen, das saugt sich förmlich auf den Asphalt. Leichtgewicht Pedrosa benötigt weichere Federelemente, ganz klar. Mit seiner RC211V kann man einfacher mehr Speed mit in die Ecken nehmen. Dann wird das Motorrad aber wirklich kompliziert. Wenn man es übertreibt, läuft man Gefahr, sehr schnell übers Vorderrad zu stürzen. Pedrosa und Stoner haben die Erfahrung in der abgelaufenen Saison des Öfteren machen müssen. Nicky stimmt sein Motorrad viel straffer ab, deshalb fährt es präziser. Außerdem fühlt es sich am Kurvenausgang deutlich satter an. Die Traktion beim Herausbeschleunigen ist wirklich unglaublich.

Yamaha M1 - Die Präzise

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Bevor Kevin die Yamaha mit der Startnummer 46 anvertraut bekommt, zeigt ihm Matteo Flamigni, Data-Recording-Spezialist des Teams, den Schalter, der es dem Fahrer erlaubt, in die Elektronik einzugreifen. Er wählt eines der drei zur Verfügung stehenden Mappings und erklärt, dass Valentino Rossi sie ändert, je nachdem, in welcher Phase sich das Rennen befindet. Stellung eins ist für die erste Phase: maximaler Schub. Stellung zwei nimmt er, wenn die Reifen die ersten Ermüdungserscheinungen zeigen. Schalterposition drei ist für das Finale, wenn es darum geht, das Motorrad noch zu beherrschen, obwohl es unter deutlichem Gripmangel leidet.

Schwantz sagt: „Mit diesem Motorrad habe ich mehr Feeling als mit jedem anderen. Es vermittelt mir Sicherheit. Die Vorderpartie ist beruhigend stabil, der Gewichtstransfer von vorn nach hinten so deutlich spürbar wie bei keiner anderen. Es funktioniert wirklich gut.

Ich bin sicher, dass die Körpermaße von Valentino, seine Größe, sein Gewicht, dazu beitragen, dass auch ich mich auf der Yamaha fühle wie in Abrahams Schoß. Was die Konfektionsgröße angeht, sind wir ziemlich ähnlich, und offensichtlich auch bei vielen Vorlieben fürs Setup. Die Bremsen beispielsweise packen spontaner zu als bei Haydens Motorrad, und das ist mir lieber.

Auch der Motor hängt lebendiger am Gas. Wenn du beschleunigst, fühlt er sich im unteren Drehzahlbereich fülliger an. Doch ich glaube, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Honda in den ersten drei Gängen gedrosselt wurde. Bei der RC211V gibt es einen großen Unterschied im Schub zwischen diesen und anschließend dem vierten und fünften Gang. Zu viel Unterschied.

Was mir an der M1 noch ganz besonders gut gefallen hat, ist die Verbindung zwischen Gasgriff und Hinterrad. Das Zusammenspiel zwischen dem Öffnen des Gasgriffs und der Reaktion des Hinterrads ist vollkommen verzögerungsfrei, einfach perfekt. Diese willige, sofortige Reaktion auf alle Befehle gab es bei keinem anderen Motorrad. Sie beschränkt sich nicht auf den Antrieb, sondern sorgt auch beim Fahrwerk für einen optimalen Eindruck. Die Yamaha verdient sich Bestnoten bei Richtungswechseln und das Maximum der Bewertungsskala in den Kurven. Kein anderes Motorrad lässt sich so leicht einlenken und in enger werdende Kurven einfädeln wie die M1.

Ich hatte viel Spaß daran, die M1 so zu fahren, wie sie war. Den Knopf für die Elektronik habe ich gar nicht angefasst. Das Motorrad funktionierte einfach gut so, kein Anlass für Experimente.

In der letzten Runde habe ich sogar gegen meinen eigenen Vorsatz verstoßen, mit den Motorrädern nur zu 80 Prozent ans Limit zu gehen – ich habe ein bisschen mehr Druck gemacht. Dabei habe ich dreimal heftig gepatzt, trotzdem kam meine schnellste Runde heraus. Wenn ich nur diese Zehntelsekunden nicht auf der Piste liegen gelassen hätte.“

Mamola sagt: „Die M1 trägt eine Maske. Die lässt sie besser aussehen, als sie eigentlich ist. Die Maske heißt Valentino Rossi. Die M1 ist ein tolles Motorrad, aber eben nicht perfekt. Das belegt Rossis Kollege Collin Edwards: Warum ist er während der gesamten Saison zu langsam gewesen und zu inkonstant? 33er-Runden mit diesem Motorrad in Valencia zu fahren, ist extrem schwer, ähnlich schwierig wie mit
der Kawasaki oder der Suzuki. Rossi drehte nach seinem Sturz im Finale konstant 33er-Runden. Ganz sicher bewegte er sich auf diesem Niveau permanent am Rande des Abgrunds. Am Limit ist dieses Motorrad sehr schwer zu fahren. Rossi versteht es, alles leicht und kontrolliert aussehen zu lassen. Genau das ist seine Absicht. Er macht sich nicht nur permanent Gedanken über sein Motorrad, er grübelt auch dauernd herum, wie er seine Konkurrenten im Laufe eines Rennens am besten entmutigen kann. Dazu zählt eben seine spielerisch wirkende Fahrweise“.

Suzuki GSV-R - Die Meine

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Das Suzuki-Team behandelte die ehemaligen Werksfahrer Kevin und Randy nicht wie normale Presse-Testfahrer. Beide bekamen für ihren Turn frische Slicks montiert. Auf der Strecke passierte, was passieren musste: Die beiden alten Kämpfer trafen sich. Die Begegnung entwickelte sich zu einem Mini-Grand-Prix zweier Freunde, bei dem sich Kevin über alle Erwartungen ins Zeug legte.

Schwantz: „Randy vor mir zu haben, gab mir auf dieser Piste ein größeres Selbstvertrauen. Er kennt die Strecke gut, während ich noch nie zuvor in Valencia gefahren bin und die Linien dadurch herausfand, dass ich den MotoGP-Piloten im Training zuschaute. Doch von außen zuzuschauen, ist etwas anderes, als selbst zu fahren. Ich bin ja schon bei anderen Gelegenheiten von Suzukis gefallen, wenn es hier wieder passiert wäre, hätte man mir bestimmt verziehen. Während ich mich bei den anderen Motorrädern auf 80 Prozent des Limits beschränkte, legte ich bei der Suzuki noch 10 Prozent drauf. Mein Glück, dass ich dieses Motorrad als letztes ausprobierte, denn mit zunehmender Erfahrung auf der Strecke hatte ich das nötige Vertrauen, etwas mehr Gas zu geben. Ich hatte wirklich meinen Spaß.

An was ich mich noch bei der Suzuki erinnerte, die ich 2002 ausprobierte, war die Mühsamkeit von Richtungswechseln. Und ich muss sagen, dass sie über die Jahre handlicher geworden ist. Sie ist nicht so hart wie die Ducati, kommt ihr aber nahe. Trotzdem hat mir der Charakter gefallen, vor allem das Feeling beim Bremsen. Ich muss sagen: Je mehr Druck ich machte, je schneller ich fuhr, desto besser fühlte sich das Motorrad an. Schritt für Schritt sind einige Charakteristika meiner eigenen Suzuki in meine Erinnerung zurückgekehrt; es war, als ob ich sie in dieser Maschine wiederfand. Und ich glaube nicht, dass es nur Einbildung ist.“

Nie vergessene und wiederentdeckte Mechanismen erlaubten es Kevin, die Stoppuhr bei 1:37,1 Minuten stehen zu lassen und Mamola zu überholen, der nicht mit Komplimenten sparte: „In der Kurvenmitte hast du immer noch diesen Stil, der dich schneller macht als viele andere. Es ist deine Art, das Motorrad aufzurichten, und die ist einzigartig. Zusammen mit Kevin einige schnelle Runden auf den Suzukis zu drehen, war ein großartiges Gefühl, wirklich der Hammer. Mein Sohn Dakota schaute uns von der Boxenmauer aus zu und meinte hinterher: Wow, das war als habe jemand die Zeit zurückgespult. Die Suzuki gefiel Randy gut: „Ihr Handling ist besser als das der Hondas. Suzuki hat mit GSV-R Fortschritte gemacht, wenngleich sie auch in diesem Jahr noch kein Siegmotorrad war. Dennoch hat Suzuki viel Boden auf die Konkurrenz gewonnen, vor allem, nachdem sie die Probleme mit der pneumatisch unterstützten Ventilsteuerung und den daraus folgenden Motorschäden aussortiert hatten. Suzuki hat mit dem V4-Konzept und dem guten Chassis der GSV-R ein tolle Basis für die nun anstehende 800er-Ära.“

Kawasaki Ninja ZX-RR - Die Unbezähmbare

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Wenn Kevin von der Kawasaki sprach, führte er gern die offene rechte Hand in unmissverständlicher Weise in gerader Linie zu seiner Nase, um so die unwiderstehliche Tendenz zu Wheelies zu veranschaulichen. Fiorenzo Fanali, Cheftechniker von Shinya Nakano, bestätigte, dass der Leistungseinsatz die Achillesferse der Kawasaki darstellt. Die Werksfahrer haben sich damit arrangiert und gelernt, die Ninja mit der richtigen Nutzung von Gängen und Gasgriff im Zaum zu halten. Das Team versuchte die ganze Saison über, den Motor zu verbessern. Mehr Top-Leistung und bessere Fahrbarkeit lauteten die Ziele.

Schwantz sagt: Ich genoss jeden Meter der Strecke, dachte: „Wow!“ Wie gut die Kawasaki in die Kurven einlenkt. Unglaublich! Und wie viel Leistung sie hat! Wild, widerspenstig, schwierig zu bändigen.

Die Ninja vermittelt dir ein optimales Gefühl beim Bremsen und Einlenken in die Kurve. Wenn du sie in ein Eck reinklappst, fährt sie wie an der Schnur gezogen genau so, wie du willst, und wenn du das Gas öffnest, hat sie keinerlei Tendenz, nach außen zu schieben. Sie bleibt auf Kurs und fährt genau die Linie, die sie fahren soll.

Nachdem ich dann mit anderen Motorrädern gefahren war, bei denen ich auch den ersten Gang benutzt hatte, wurde mir klar, dass ich bei der Kawasaki nie weniger als den zweiten Gang eingelegt hatte. Denn über die gesamte Rennstrecke fand ich im unteren Drehzahlbereich einen weichen, angenehmen Leistungseinsatz. Doch selbst auf der kürzesten Geraden verwandelt sich die Kawasaki in eine Furie. Sowie du Gas gibst, bäumt sie sich auf, und es scheint die schwierigste Aufgabe der Welt zu sein, das Vorderrad am Boden zu halten.

Die Gänge hochzuschalten fühlt sich an wie im Casino: Du weißt nie genau, was passieren wird. Selbst beim Wechsel vom vierten in den fünften bäumt sie sich immer noch frech auf. Wenn du sie vom Zaum lässt, ist sie zweifellos ein wildes Biest. Ich denke, dass die anderen im Gegensatz zur Kawasaki eine effektivere elektronische Kontrolle haben, die das Vorderrad besser unten hält. Wahnsinn.

Bis vor einigen Jahren beschwerten sich die Fahrer, weil die Motorräder ihrer Meinung nach nicht genügend Leistung hatten. Heute, das behaupte ich mal, ist
mehr als genug Kraft da. Mamola sagt: Kawasaki hat im Vergleich zur letzten Saison die Ninja in allen Belangen deutlich verbessert. Verbesserte Fahrbarkeit, zuverlässige Triebwerke. Was ihr auf die Honda fehlt? Die Möglichkeit, die Kawa schnell auf jede MotoGP-Rennstrecke abzustimmen. Außerdem mangelt es im Vergleich zu Honda, Yamaha und Ducati noch immer etwas an Spitzenleistung, aber gerade im unteren Drehzahlbereich verfügt sie über gewaltiges Drehmoment.

Handling und Einlenkverhalten sind toll. Sie wird unter Last beim Herausbeschleunigen vielleicht eine Spur unruhiger, zumal sie trotz einer deutlich verbesserten Elektronik noch immer gern das Vorderrad hebt. Meiner Meinung nach ist das die Erklärung für die wertvollen Zehntelsekunden, die sie Kurve für Kurve verliert, was sich im MotoGP nun mal zu riesig erscheinenden Rückständen addiert.

Ducati Desmosedici - Die Harte

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Schwantz sagt: Beim Rausfahren aus der Boxengasse fühlte ich Feuer in der rechten Hand; ungefähr wie „Hoppla, mein Handschuh brennt!“ Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Hitze dieses Motorrad ausstrahlt! Wenn du erst mal auf offener Strecke bist, verflüchtigt sich das etwas, doch das rechte Handgelenk brannte weiter, bis ich an die Box zurückkehrte.

Ich kann nicht beschreiben, wie viele Pferdchen in der Desmosedici galoppieren. Sie hat Leistung im Überfluss, immer und überall.

So ein störrisches Tier, es zieht ungestüm geradeaus, verlangt auf jedem Meter harten Muskeleinsatz – und fährt trotzdem nicht dahin, wo ich will. Es ist unmöglich, sie bei geöffnetem Gasgriff zu Richtungswechseln zu zwingen. Zumindest für mich. Du musst das Gas zurückdrehen und wie ein Verrückter an den extrem breit gestellten Lenkerhälften reißen. Jetzt kapiere ich auch, warum Capirossi die so weit außen haben will.

In den wenigen Runden, die ich gefahren bin, habe ich keinen
Weg gefunden, mich mit diesem Motorrad anzufreunden. Ich glaube aber, dass bei der Desmosedici viel von der Abstimmung abhängt. Da müssen die Fahrer alle Register ziehen, vor allem, um sie so handlich wie irgend möglich hinzustellen.

Capirossi sagt ja gern, dass er den Hauptteil seiner Zeit im Training damit verbringt, mit Hilfe der Elektronik nach optimalem Leistungseinsatz und optimaler Fahrbarkeit des Motors zu suchen. Die Techniker loben Loris für seine Fähigkeit, sich dem Charakter der Desmosedici anzupassen, wenn es anders herum schon unmöglich ist. Viel Raum für Kompromisse lässt diese Italienerin nicht.

Mamola sagt: Die Ducati braucht einen Chef. Einen starken Fahrer, der sie extrem hart fährt. Einen wie Capirossi oder Bayliss. Einen passionierten Sportler. Gewöhnt, zwei Superbike-Läufe an einem Tag abzuspulen. Am Tag nach seinem Sieg mit der Desmosedici war er komplett zerstört. Das sagt alles über die Herausforderung, die dieses Motorrad bietet.

Dieses Jahr fühlt es sich zwar stabiler, aber auch noch unhandlicher an als die Jahre zuvor. In der Schikane hier in Valencia mit Abstand der größte Dickkopf. Beim Bremsen fühle ich mich auf Loris' Motorrad, als müsste ich einem wütenden Stier den Kopf festhalten.

Ein wichtiger Unterschied zu Honda und Yamaha, den beiden anderen Siegmotorrädern dieser Saison, sind die Bridgestone der Ducati; dazu noch der breiteste Hinterreifen in der gesamten Klasse: Die Bridgestones waren oft der Schlüssel für die diesjährigen Rennerfolge der Ducati, auch in Valencia. Bayliss hatte dank Bridgestone und eines guten Setups über die gesamte Renndistanz keine Traktionsprobleme. Dazu liebt er diese Strecke. Sein Sieg war also nicht überraschend, sondern logische Konsequenz.

Größter Unterschied der Bridgestone zu den Michelin-Slicks? Sie fühlen sich eher wie ganz normale Straßenreifen an. Weicher, komfortabler, stabil auf der Bremse und auch am Grenzbereich immer schön neutral. Was mir persönlich ein bisschen fehlt, ist das Gefühl fürs absolute Limit bei maximaler Schräglage.

Die Michelin fahren sich mehr wie traditionelle Rennreifen. Sie lenken nicht so agil, nicht so progressiv ein, dafür bieten sie glasklare Transparenz an der Rutschgrenze.

Fazit

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Die Unterschiede zwischen einer 500er aus meiner Ära und den heutigen MotoGP-Bikes? Auf der 500er gab es nur einen elektronischen Baustein, den Schaltautomaten, der Gangwechsel unter Volllast erlaubte. Die Traktionskontrolle saß im rechten Handgelenk – und sie war nicht immer zuverlässig. Die Teams widmen der Elektronik in den MotoGP-Maschinen enorme Aufmerksamkeit. Diese Motorräder sind in jeder Hinsicht besser und fahrbarer als die 500er. Doch sich nach 30 Runden unter den Ersten zu behaupten, ist immer noch genauso schwierig wie damals; physisch und mental. Bei diesen Tests bin ich mit allen Motorrädern außer der Suzuki zu 80 Prozent an mein persönliches Limit gegangen. Ich wollte keinen Schrott riskieren. Es wird behauptet, für diese Tests habe man die Motorräder ein bisschen sanfter gemacht. Ich habe lediglich einen gewissen Unterschied beim Beschleunigen in den ersten drei Gängen gespürt, verglichen mit den dann folgenden Gängen, bei der einen Marke mehr, bei der anderen weniger. Wenn ich noch mal einen GP mit einer der Maschinen fahren müsste, dann wäre meine Präferenz so: Yamaha, Honda, Suzuki, Kawasaki, Ducati. Aber keine Angst, Jungs, das wird nicht passieren.
Euer Kevin Schwantz.

Schulstunden vom Champion

„Es war eines der aufregendsten und intensivsten Rennwochenenden, die ich je erlebte: Nicky holte den WM-Titel, Valentino ging zu Boden. Und am nächsten Tag hatte ich Gelegenheit, unter anderem ihre Motorräder und die Sieger-Ducati von Bayliss zu testen“, gibt Randy Mamola Einblick in seine Gefühlswelt. „Ein sehr spezieller Tag für mich. Auch deshalb, weil ich die beiden Testtage auf einer Suzuki beenden konnte und die einmalige Gelegenheit hatte mit meinem alten Freund Kevin einige tolle Runden zu drehen“, kommentiert PS-Gasttester Randy seine Eindrücke der alljährlichen Journalistentestfahrten.

Mamola, in einer langen und erfolgreichen GP-Karriere unter anderem 13-facher 500er-GP-Sieger und viermal Vizeweltmeister in der Königsklasse, blieb dem Rennzirkus wie kaum ein anderer Pilot verbunden. Er arbeitet unter anderem als Markenbotschafter für BMW und Alpinestars, aber auch als Kommentator für Eurosport und als Fahrer des berühmt-berüchtigten Ducati Desmosedici-Zweisitzers, mit dem er VIP-Gäste in Echtzeit um die Strecken chauffiert. Zu seinen Beifahrern zählten schon Michael Schumacher, Basketballstar Michael Jordan und Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone.

Der in Spanien lebende US-Amerikaner ist nach wie vor in Topform und bewegte die Boliden durchschnittlich nur drei Sekunden langsamer um den Kurs als die angestammten und viel jüngeren Profis.

In Kevin Schwantz’ Schule kann man in Alltagskleidung ankommen und muss nicht einmal ein Motorrad dabei haben. Die gesamte Ausrüstung wird zur Verfügung gestellt: Lederkombi, Stiefel und Handschuhe gibt’s natürlich von Dainese, bei den Motorrädern handelt es sich um Suzuki GSX-R 600 und SV 650. Man kann auch das eigene Motorrad mitbringen, doch es muss eine Suzuki sein. Irgendwie logisch.

Die Kurse leitet Kevin Schwantz allesamt persönlich. Sie finden zwischen März und Oktober auf der Strecke von Road Atlanta, Georgia statt. Die meisten gehen über zwei Tage, doch es gibt auch Fortgeschrittenen-Lehrgänge von drei Tagen Dauer in den Monaten April und August. Jeder kann an diesen Kursen teilnehmen, sogar blutige Motorradanfänger. Natürlich gibt es verschiedene Niveaus, von Neulingen bis zu Experten, die ihre Fahrkunst verfeinern wollen. Die Basiskurse kosten 1200 US-Dollar (mit einem Leihmotorrad 1600), die Fortgeschrittenen-Kurse über drei Tage, das sogenannte Champion-Paket, kosten 2700 US-Dollar. Kein Pappenstiel, doch dafür sind Verpflegung, Lehrmaterial, eine DVD mit den Aufnahmen des Kurses, an dem man teilnimmt, sowie etlicher anderer Schnickschnack im Preis enthalten. Inoffizieller Höhepunkt: eine Barbecueparty „Schwantz-Family-Style“, mit Kevin am Grill. Maximal 30 Teilnehmer sind bei jedem Kurs dabei.

Interessierte finden weitere Informationen im Internet unter www.schwantzschool.com; einschreiben kann man sich per E-Mail: team@schwantzschool.com.

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