In der verschlafenen oberösterreichischen 5000-Einwohner-Gemeinde Mattighofen - drei Kneipen, zwei Cafés, ein Gasthof - 30 Kilometer östlich der Grenze zu Bayern liegt das recht unscheinbare Werksgelände von KTM. Kraftfahrzeuge Trunkenpolz Mattighofen bedeutet das Kürzel, das der Firma dank zahlreicher Weltmeisterschaftsiege im Moto Cross und Geländesport einen schönen Klang verleiht. Doch beinahe wäre KTM im Dezember 1991 vor die Wand gefahren. Der veritable Konkurs des Unternehmens war dem renommierten FirmensaniererJosef Taus zu verdanken, der die Motorradproduktion ganz einstellen und sich auf Fahrräder und Fahrzeugkühler konzentrieren wollte. 750 Millionen Schilling Bankschulden - etwa 107 Millionen Mark - hinterließ der Wirtschaftsexperte und Altaktionär und einen schlechten Eindruck dazu: »Man hat nie gewußt, woran man war. Die haben mit uns nicht geredet«, beklagt der Leiter der Fahrzeugmontage, Hans Bader, das damals sehr abgekühlte Betriebsklima. Aus alten Tagen unter Erich Trunkenpolz, dem Sohn des Firmengründers, waren die KTM-Werker eher ein familiäres Miteinander gewohnt.
Zum Glück ist das heute wieder so. Die neue Firmenleitung weiß offenbar das ungeheure Kapital zu schätzen, das in den Mitarbeitern steckt, die zumeist eine sehr lange Firmenzugehörigkeit haben und sich stark mit KTM identifizieren. Der Arbeitsstil ist wieder kooperativ, die Motivation hoch. Woher kommt der neue Schwung? »Wir haben richtig Spaß am Motorrad bekommen. Anfänglich wollten wir nur ordentliche Sanierungsarbeit leisten und das Unternehmen, sobald es profitabel arbeitet, wieder veräußern. Aber jetzt bleiben wir dabei«, bringt Stefan Pierer, Vorstandsvorsitzender von KTM, seine Freude am gutgehenden Geschäft rüber. Der 41jährige, der selbst Motorrad fährt und mit dem ehemaligen Moto Cross-Weltmeister Heinz Kinigardner, dem sportlichen Aushängeschild der Firma, schon manchen Sprunghügel meisterte, kam mit der Cross Holding zu KTM, einer Firma, die sich mit der Sanierung mittelständischer Unternehmen befaßt. Die Cross Holding gründete im Januar 1992 zusammen mit den vier KTM-Importeuren aus Holland, Italien und den beiden Deutschen Toni Stöcklmeier und Helmut Staab die KTM Sportmotorcycle GmbH und erwarb das Unternehmen für 55 Millionen Schilling (knapp acht Millionen Mark). Der Bereich der Kühlerproduktion wurde sofort an einen italienischen Hersteller verkauft, der Fahrradbereich war schon zuvor aus der Konkursmasse herausgelöst worden.
190 der ehemals 360 Mitarbeiter wurden übernommen, und da noch Material für zirka 1000 Motorräder im Werk lagerte, konnte sofort wieder produziert werden. Obwohl bereits im Geschäftsjahr 1992/93 6000 Motorrräder weltweit verkauft wurden, kam der richtige Kick erst mit der Einführung der Hard-Enduro-Linie, der LC 4 mit dem Viertaktmotor. Die Initiative, mit Viertakt-Enduros die Hobby-Geländefahrer anzusprechen, ging von Toni Stöcklmeier aus. Der Plan war gut, der Verkauf der Viertakter lief blendend. Deutschland hat mittlerweile mit xx Fahrzeugen im Geschäftsjahr 1995/96 und mit 32 Prozent Umsatzanteil den US-Markt (23 Prozent) überholt. Insgesamt setzte KTM 1996 weltweit 18 000 Motorräder ab.
Nachdem die Importeure ihre Firmenanteile 1993 an die Cross Holding verkauft hatten, wurde das Unternehmen im Jahr darauf in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, in die KTM Motorrad Holding AG. Im November 1996 ging die Holding sodann an die Wiener Börse. Damit ist die firmeninterne Neuordnung erst einmal abgeschlossen. Und auch die Qualitätsverbesserung hat gegriffen. »Zwei Drittel der italienischen Zulieferer kann man vergessen«, spricht KTM-Chef Pierer klare Worte. Inzwischen haben die Mattighofer zuverlässigere und bezahlbare Zulieferer im süddeutschen Raum gefunden.
Nun gilt es, weitere Marktnischen zu besetzen - das soll mit der E-Start-Version 620 EGS-E und der Tourenversion Adventure passieren. Und da blickt der Firmenchef über die nahe Grenze, wo er einen Mitbewerber ausmacht: »Der Feind sitzt in München«, bringt es Pierer scherzhaft auf den Punkt. »Diese Wald-und-Wiesen-Enduro F 650 ist ein Konkurrent der LC 4. Denn die BMW ist das typische Wieder-Einsteiger-Motorrad.« Diesen Kundenkreis erkennt Pierer auch unter den Käufern der KTM-Hard-Enduros. »Die 30- bis 50jährigen, gutes Einkommen, angestellt oder selbständig, legen sich eine LC 4 als Freizeitgerät zu.« Deshalb will KTM nächstes Jahr ein Motorrad aus der LC 4-Linie bringen, das stark in Richtung F 650 geht.
Den Mattighofern ist natürlich bewußt, daß sie allein mit dem Einzylinder-Viertakter im Endurobereich auf Dauer nicht weiter wachsen können. Seit zwei Jahren entwickelt KTM deshalb an einer Zweizylinder-Hard-Enduro. »Leicht, schmal und sportlich«, so Pierer. Da war es clever, daß KTM 1995 den schwedischen Konkurrenten Husaberg übernommen hat. Damit hatten die Österreicher Zugriff auf das Motorenkonzept des Lars Nielsson (siehe Kasten auf Seite 75). Der Motor wird natürlich in Mattighofen weiterentwickelt und auch gebaut. Denn: »Der Motor ist das strategische Element einer KTM. Zwei Prototypen gehen in Kürze in Erprobung.« Und Stefan Pierer verspricht: »Sie werden die LC 8 bald fahren können.« Das ist ein Wort.
Kurzporträt Hans Bader
Dreifaches Jubiläum für Hans Bader: Seit 25 Jahren arbeitet er für KTM; kürzlich verließ das 250 000. Motorrad das Montageband, für das der Österreicher seit 14 Jahren verantwortlich zeichnet; und schließlich wird der jugendlich wirkende Mann im Oktober 50. »Ich bin immer noch sehr motiviert«, sind seine ersten Worte beim Besuch in seinem Büro. »Ein optimales Arbeitsklima«, fügt er offenherzig hinzu. »Früher, zu Trunkenpolz Zeiten, war es auch sehr gut.« Mit einigem Widerwillen erzählt er von den schlechten Jahren vor dem Konkurs, als die Vertrauensbasis zwischen Unternehmensführung und Belegschaft zerstört war. Doch darüber geht Hans Bader, der aus dem nahegelegenen Altheim stammt, schnell hinweg und berichtet lieber, wie er zu KTM kam. »Nach der Schule schaute ich immer an der Werkstatt von Ingenieur Morawitz vorbei. Der hatte Autounion und Mercedes. Das hat mich total fasziniert.« Nach der Mittleren Reife wurde der Morawitz sein Lehrherr. Und der ging später als Entwicklungschef zu KTM. Bader verschlug es zunächst als Mechaniker nach München, wo er alsbald in der Sportabteilung von BMW unterkam. 1971 - KTM hatte bereits ein Moto Cross-WM-Team gegründet - ließ Eigentümer Erich Trunkenpolz über den früheren Lehrherrn bei dem jungen Mechaniker anfragen, ob er im Rennteam mitmachen wolle. Lust hatte Bader schon, aber so einfach aus der Großstadt weggehen, Freundin und so, das wollte er auch nicht. »Das Leben in München - als junger Mann kann man sich da nicht so leicht entscheiden«, lacht er. Schließlich tat ers doch: am 20. Dezember 1971. So ein Datum merkt man sich. Neun Monate lernte er auf eigenen Wunsch noch in der Produktion des luftgekühlten 250er Zweitakt-Motors, bis er dann für den Russen Gennadi Moiseev schraubte, der 1974, 1977 und 1978 Moto Cross-Weltmeister wurde. Und Bader war maßgeblich beteiligt. »Wir haben uns schon verstanden, obwohl der Moiseev kein Deutsch konnte und ich kein Russisch. Wir haben uns mit ein paar Zetteln beholfen.« Wieder lacht der Abteilungsleiter verschmitzt, auch als er über seine Frau zu sprechen kommt, mit der er zwei Töchter hat. »Sie hatte viel Verständnis, ich war ja manchmal bis zu drei Wochen fort.« Acht Jahre später tauschte er den streßigen Rennmechanikerjob gegen die Endmontage im KTM-Werk ein - nicht zuletzt wegen der Familie. Bald wurde er zum Leiter der Endmontage befördert. In dem Zusammenhang muß er die neue Firmenleitung sehr loben: »Die lassen uns sehr flexibel arbeiten und gehen auf unsere Vorschläge ein.« Die Montage verläuft an zwei Bändern, die Modelle werden täglich mehrmals gewechselt. 90 Leute bauen bis zu 95 Motorräder am Tag. »Das ist machbar. Mit einer zweiten Schicht schaffen wir sicher bis 150 Stück.« Damit ist die Frage beantwortet, wie die neue Zweizylinder-Enduro produziert werden könnte. »Eng wirds dann schon. Aber wir haben auch nicht geglaubt, daß wir 90 Stück hinbekommen.« Und das ohne Akkord, doch mit Prämien für besonders gute Arbeit.
Der Konstrukteur: Der LC 8-Motor basiert auf Ideen von Lars Nilsson
Auf einem Bein zu stehen kann auf Dauer eine recht wacklige Angelegenheit werden. Das hat auch KTM erkannt, deren Erfolg mit straßenzugelassenen Motorrädern in den letzten Jahren allein auf die gestiegene Nachfrage nach der mittlerweile breit gefächerten LC 4-Modellpalette aufbaute. Daher wollen die Österreicher schon in naher Zukunft das Fundament verstärken, ein Zweizylinder-V-Motor soll den einsamen Single ergänzen. Naheliegend war zunächst, Bauteile der LC 4 zu verwenden. Deutsche BoT-Rennfahrer hatten vor einigen Jahren bereits vorexerziert, wie der Ein- zum Zweizylinder wird. Doch das Baukastensystem von der Einzylinder-Reihe auf den Zweizylinder auszuweiten, hieße sehr viele Kompromisse einzugehen. KTM prüfte daher verschiedene Konzepte anderer Hersteller, etwa von Aprilia (Rotax) und Harley-Davidson. Als Nebeneffekt der Übernahme des schwedischen Herstellers Husaberg Anfang 1995 kam das österreichische Mutterhaus nun an das Motorenkonzept des Schweden Lars Nilsson. Ehemalige Husqvarna-Techniker hatten in Kooperation mit der kleinen Technik-Schmiede Folan Mitte der achtziger Jahre nach dem Verkauf von Husqvarna den Husaberg-Viertakter entwickelt. Später hatte Folan selbständig Zweizylinder auf Husaberg-Basis gebaut. Gut 20 Stück produzierte Folan und setzte sie in Moto Cross-Gespannen oder BoT-Rennmaschinen ein. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen Folan-Chef Lars Nilsson und Husaberg ging daraus bei Folan eine eigenständige Konstruktion eines V-Motors mit je zwei obenliegenden Nockenwellen hervor. Allerdings fehlte dem Klein-Betrieb die Finanzkraft, das Projekt zur Serienreife zu bringen und zu produzieren. Erste Gußteile waren aber bereits angefertigt und die Köpfe modelliert worden, der Motorblock existierte sogar schon als Gußmodell (MOTORRAD 16/1995). Exakt diese Teile finden sich nun an dem KTM-Zweizylinder-Prototyp. Ob der so in Serie geht, ist aber noch nicht entschieden. Zur Zeit überlegen die KTM-Ingenieure, ob sie statt des Doppelnockenkopfes einen einfacheren und flacheren Einnockenkopf verwenden können. Das Grundprinzip steht aber: 60 Grad Zylinderwinkel, 750 bis 900 cm³ Hubraum, ein gemeinsamer Hubzapfen, Ausgleichswelle, E-Starter, Trockensumpfschmierung, Motorgewicht zwischen 50 und 60 Kilogramm. Das spezifische Leistungsvermögen wird nicht ausgenutzt, etwa 80 PS sollte für eine Sport-Enduro nach Vorstellungen der KTM-Führung genug sein. Eine Einspritzung ist zunächst nicht geplant, nachdem auch der LC 4-Motor mit Kat und Abgasrückführung erstaunlich gute Abgaswerte schafft. LC 8 soll das Motorrad getauft werden als logische Fortsetzung des erfolgreichen LC 4-Singles. Gemäß dem Image von KTM wird es eine sportliche Enduro sein. Die KTM-Leute bestätigen, daß die Zeichnung auf Seite 68 den Vorstellungen sehr nahekommt. Allerdings wird der Motor den Kettenantrieb auf der rechten Seite haben. Wegen des niedrigen Gewichts, des leichten Handlings und der Fahrdynamik eignete sich eine solche LC 8 bestens als Wüstenrenner und Motorrad für Extremreisende. Zum Beweis wird KTM eventuell bereits an der nächsten Dakar-Rallye teilnehmen und Yamaha mit dem Dauergewinner Stéphane Peterhansel einheizen. Erste fahrfertige Prototypen werden bald die Werkshallen verlassen, um noch in diesem Sommer zu ausgiebigen Probefahrten aufzubrechen. Ein serienreifes Motorrad präsentieren die Österreicher auf der IFMA 1998. Mit Sicherheit ein solides zweites Standbein für das KTM-Programm und eine echte Bereicherung für die gesamte Enduro-Szene.