Alpinestars-Rennservice MotoGP

Alpinestars-Rennservice in der MotoGP Was passiert mit einer Sturz-Kombi?

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Was passiert mit der Lederkombi eines MotoGP-Piloten nach einem Sturz? Fliegt sie in die Tonne oder wird sie repariert? Und wer sind die Menschen, die sich um die Gewänder kümmern? PS besuchte den Alpinestars-Racing-Service in Valencia.

Was passiert mit einer Sturz-Kombi? Jahn
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Moto-GP-Piloten sehen immer aus wie geleckt und scheinen nur nagelneue Lederkombis zu tragen. Erst wenn man im Paddock über den Wohnmobil-Parkplatz der Moto2- und Moto3-Piloten schlendert, sieht man Leder mit Kampfspuren – meist mehr oder weniger gut ausgebessert. Da drängt sich die Frage auf, wieso die Topstars immer aussehen, wie aus dem Ei gepellt? Bekommen die alles geschenkt? Wie viele Lederkombis besitzt ein MotoGP-Fahrer überhaupt? Sind das Wegwerfartikel oder werden die Anzüge nach Stürzen repariert?

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Alpinestars gewährt PS beim letzten GP der 2014er-Saison in Valencia hinter den Kulissen einen Blick über die Schultern des Racing-Service.

Das Team hinter den Kulissen

Entgegen der Erwartung herrscht bereits am Samstagvormittag richtig Trubel in der kleinen, gerade mal acht Quadratmeter großen Werkstatt, in der alle Alpinestars-Fahrer im MotoGP-Feld ­betreut und versorgt werden. Diese ist im Heck eines Lkw-Trailers untergebracht. Über eine steile Treppe gelangt man in die „Flick-Stube“. Drinnen ­wirbeln Jarno, Marco und „Anto“, die eigentlich Antonietta heißt. Alle drei sind schon seit Jahren im Rennzirkus dabei, jede Saison von Neuem mit auf Tour. Anto begann vor 16 Jahren bei Alpinestars als „Patch-Maker“, als Zuschneiderin für Lederstücke der damals ganz neu ins Programm aufgenommenen ­Alpinestars-Lederkombis. Heuer ist sie im Paddock nicht nur die Zauberin an der Nähmaschine, sondern die gute Seele der Service-Crew. Als sie 2004 in Le Mans das erste Mal mit dem Racing-Service im Fahrerlager zum Dienst antrat, waren ihre heute anwesenden ­Kollegen Jarno und Marco knapp dem Teenageralter entwachsen. Seither arbeitet sie jede Saison bei den GP-Rennen in Europa – bei Übersee-Veranstaltungen müssen die „Buben“, wie sie die Alpinestars-Piloten nennt, ohne ihre Dienste zurechtkommen.

Jarno, der holländische Fahrerbetreuer, tingelt seit 2008 mit dem MotoGP um die Welt. Davor war er in der Superbike-WM unterwegs. Marco ist der Dritte im Bunde. Er ist das Mastermind hinter dem Airbag-System von Alpinestars. Der studierte Mathematiker mit Master-Abschluss in BWL ist für die Weiterentwicklung des Sicherheits­systems verantwortlich und liest nach jedem Sturz die Crash-Daten aus dem Airbag-Steuergerät im Höcker der Kombi aus. Außerdem müssen noch die Sensoren und die Verkabelung gecheckt werden – alles okay? Gibt Marco das „Go“, wird mit Reinigung und Reparatur der Kombi begonnen.

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"Ich bin ein Schisser und kein ­Racer"

Ein Mathematiker und BWLer als Airbag-Entwickler? „Ich kann nicht ­anders! Ich liebe diese Szene, ich liebe die Renn-Action und ich möchte mithelfen, den Sport sicherer zu machen. Und weil ich ein Schisser und kein ­Racer bin, muss ich eben meine Begabung auf einer anderen Ebene in den Sport einbringen“, erzählt er lachend. Anto kontrolliert währenddessen den Ärmel an einer Kombi von Alex Márquez. „Dieses Blau erinnert mich immer an das Suzuki-Blau von John Hopkins“, schmunzelt die kleine Italienerin. „Der hat mir 2009 in Brünn eine schlaflose Nacht bereitet. An dem ­Wochenende ist John so oft gestürzt, dass ich aus drei seiner Kombis eine zusammenpuzzeln musste. Sonst wäre er sonntags im Warm-up in Unter­hosen am Start gestanden!“

Alpinestars-Fahrer haben in der ­Regel vier bis fünf für sie nach ihren Wünschen und Vorlieben zugeschnittene Kombis im Umlauf. Mittlerweile alle mit dem großen Race-Airbag-System bestückt. Jeder Sturz wird dokumentiert, die Kombi wenn möglich repariert. Dennoch verschliss alleine Cal Crutchlow 2014 zehn bis zwölf Kombis. 

Sturz von Marc Márquez in FP 3

Der Weltmeister und die Gallionsfigur der Marke sorgt für Aufregung im Truck. Marc Márquez geht im dritten freien Training in der berüchtigten Kurve vier zu Boden. Was nun passiert, ist für die Service-Crew Routine, für uns ein spannender Blick in den Alltag des ­MotoGP-Zirkus.

Protokoll eines ­typischen Vorgangs:

10.25 Uhr: Márquez geht zu Boden. ­„Rider o.k.“ heißt die Meldung, aber ­Maschine und Kombi sind lädiert.

11.30 Uhr: Fahrerbetreuer Jarno hat Kombi, Handschuhe und Stiefel aus der Box abgeholt und in die Werkstatt gebracht. Dort wird alles gründlich inspiziert, Jarno beginnt sofort mit der Reinigung der eingesauten Stiefel. Uns fällt auf, dass die linke Sohle vom „Bein-raus“-Bremsen stark verschlissen ist. Ein Grund für neue Treter ist das aber selbst beim MotoGP-Weltmeister nicht. Abseits des GP-Glamours wird ­offensichtlich nüchtern gewirtschaftet! Anto verschafft sich einen schnellen Überblick über die Schäden an der Kombi. Die Kontroll-LEDs der Airbag-Kombi signalisieren: Es gab einen Sturz, der Airbag hat nicht ausgelöst.

11.35 Uhr: Anto präpariert die benötigten Ersatzteile für Marcs Kombi. Für jeden betreuten Fahrer hat der ­Lederhersteller diverse Teile wie Ärmel und Beine, teilweise ganze Rücken­stücke in Vorratskisten mit dabei. Während Antonietta die Teile zusammensucht und Platz auf der Arbeits­fläche schafft, liest Marco die Sturzdaten aus dem Speicher des Airbag-Steuergeräts aus. Das Race-Airbag-System von Alpinestars arbeitet mit sieben Beschleunigungssensoren in der Größe eines kleinen Fingernagels, die Beschleunigungswerte an Torso und ­Extremitäten aufzeichnen. Marco zieht diese Daten aus der Blackbox und wertet sie sofort aus. Nach einer ­Überprüfung der Sensoren gibt er die Kombi zur Reparatur frei. „Das hier ist die Rüstung einer ‚meiner Jungs‘. Und ich will, dass ihnen bei Stürzen so wenig wie möglich passiert – da bin ich wie eine Mama“, gibt Anto preis. Ihr Blick verrät, dass sie es ernst meint. „Ihre Jungs“ sind ihr über die Jahre wirklich ans Herz gewachsen.

11.40 Uhr: Anto gibt Gas. Sie reinigt die Kombi und legt sich einen Plan zurecht. Was ist beschädigt? Wo fängt sie an? Zur Reparatur muss man wissen, was in welcher Reihenfolge vernäht wurde, wo Teile überlappen und wo nicht. Als Erstes wird vorsichtig die Kunststoff-Schulterkappe abgelöst. Dazu müssen rundherum die Nähte geöffnet werden. Danach trennt sie den kompletten rechten Arm ab. Eine Fummelei, die sie trotz Zeitdruck hochkonzentriert und geduldig abspult. Ihre für diese Arbeit überraschend zarten Finger hantieren routiniert mit dem scharfen Cutter, Narben sucht man vergebens. Kein Wunder: Anto ist jetzt nicht ansprechbar, scheint in ihrer eigenen Welt zu sein. Schnell ist der Ärmel ab, der neue liegt bereits parat. Marco zeigt uns die ausgelesenen ­Daten auf seinem Laptop. Lauter Linien und Zahlen, für das Laienauge ein undurchschaubares Kuddelmuddel. Der Mathe-Crack erläutert das Chaos der Crash-Daten von Marcs leichtem Abgang. Vom „Loss of Control“ – also dem Moment, in dem der Airbag über die Signale der Beschleunigungssensoren erkennt, dass eine abnormale Fahr­situation beginnt – bis zum „end of accident“, dem Stillstand des Piloten, sind 2,8 Sekunden vergangen. Der Airbag wurde nicht ausgelöst, da der Pilot nur gerutscht ist. Die maximale Belastung des Körpers lag bei 6,7 g über einen Zeitraum von 20 Millisekunden. Marco erklärt, dass diese Werte bei einer so kurzen Einwirkungsdauer absolut unkritisch sind. Deshalb kann er Anto für die Reparatur grünes Licht geben.

12 Uhr: Von ihr kommt nur ein leises „gazzo“ mit drei Ausrufezeichen durch den Raum geflogen, denn sie hat ein Problem. Zwar nur ein kleines, dafür aber ein zeitintensives. Der Ersatzärmel stammt noch vom Saisonbeginn. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn Repsol-Honda nicht während des Jahres die Farbe des Stretch-Inlays am ­Ärmel von Schwarz auf Dunkelblau ­umgestellt hätte. Und Ärmel mit dunkelblauem Stretch sind momentan leider ausverkauft, denn das Ende der Saison steht unmittelbar bevor. Aber unrepariert darf die Kombi nicht bleiben, denn nach dem letzten Rennen am Sonntag stehen ab Montag die ersten Tests fürs nächste Jahr an.

Was folgt, ist für Menschen, die nicht professionell nähen, die Höchststrafe. Denn Anto muss nun vom zerkratzten Ärmel den blauen Stretch herauslösen und an den neuen Ärmel mit dem schwarzen Stretch annähen – natürlich noch bevor sie den gesamten Arm an die Kombi ansetzen kann. Die nette Dame ist sehr still geworden, blickt Fotograf und Autor kurz an und bittet uns, in einer Stunde wiederzukommen. Sie hätte nichts sagen müssen, manchmal sagen Blicke mehr als tausend Worte.

12.09 Uhr: Jarno kommt von Crutchlow  aus der Ducati-Box zurück, bringt ­einen Satz Handschuhe mit. „Cals ­Lieblinge“, sagt er, schwenkt die erkennbar getragenen Handschuhe ­dabei in seiner Hand. „Cal hat eine leicht geschwollene rechte Hand, ­weswegen der Handschuh etwas drückt. Ich werde ihn jetzt anpassen“, führt der junge Holländer aus.

12.45 Uhr: Anto ist immer noch mit Marcs Ärmel beschäftigt, summt aber zur Erleichterung aller schon ­wieder leise vor sich hin.

13.30 Uhr: Erwischt! Anto näht den fertigen Ärmel an die Kombi. Dabei werden alle sicherheitsrelevanten ­Nähte doppelt ausgeführt, das Leder dazu umgeschlagen. Mit flinken Fingern und ratternder Nähmaschine wird so die Kombi des neuen und alten MotoGP-Weltmeisters komplettiert.

13.45 Uhr: Das Finale, zumindest am Oberteil rückt näher. Anto fischt sich aus ihrer „Repsol“-Kiste eine neue Schulterkappe. Dieses dicke Plastikteil wird sorgfältig und langsam auf die Schulterpartie aufgenäht. Jeder Stich muss sitzen. Die Nadel sollte jetzt lieber nicht abbrechen, sonst müsste die Kappe wieder runter und alles nochmals von vorne beginnen.

14 Uhr: Oben herum ist Marc Márquez‘ Leder wieder tippitoppi, Anto muss an die rechte Hüfte ran. Die Schäden an Gesäß und Oberschenkel sind mit minimalinvasiven Eingriffen zu beheben. Soll heißen, die Sponsorenaufnäher werden abgetrennt und ersetzt, das aufgeraute Leder geglättet und farblich behandelt. Die ganze Aktion dauert eine Dreiviertelstunde.

14.45 Uhr: Die Lederkombi ist repariert und wird für den Rücktransport in die Box fertig gemacht. Es läuft das zweite Qualifying der MotoGP. Márquez, Pedrosa, Lorenzo und Rossi kämpfen um die Pole-Position, Marco, Jarno und Anto verfolgen die Action live auf dem kleinen Monitor in der Werkstatt. Antos Augen kleben am Bildschirm, dennoch erzählt sie: „Da schau! Diese Intensität und Spannung des Qualifyings und der Rennen, die will ich nicht missen. Seit Jahren bin ich fasziniert davon. Und ­jedes Jahr freue ich mich aufs Neue darauf, mit ‚meinen Buben‘ wieder loszuziehen und dieses Leben hier zu leben. Schließlich kenne ich die meisten von ihnen schon sehr lange. Marc Márquez zum Beispiel, seit er als Rookie anfing. Ist das nicht herrlich, so eine Arbeitsstelle zu haben?“ 

14.50 Uhr: Während das reparierte ­Leder auf den Rücktransport in die Repsol-Box wartet, stürzt Marc erneut. Wieder auf die rechte Seite. Wieder auf den rechten Ärmel. Anto erschrickt wie eine Mutter, holt tief Luft und zischt ein ganz leises „gazzo“.

14.51 Uhr: Rossi fährt Pole, doch das interessiert hier keinen mehr. Die Schneiderin durchsucht bereits die „Repsol“-Ersatzteilbox und bereitet sich praktisch und mental auf ihren Beitrag zum großen MotoGP-Zirkus vor.

Cal Crutchlow im Interview

PS sprach mit Alpinestars-MotoGP-Pilot Cal Crutchlow zum Thema Schutzkleidung und deren Entwicklung. Cal, der erst seit der 2014er-Saison mit Alpinestars zusammenarbeitet, ist hochgradig begeistert. Natürlich erhält er eine kleine Apanage dafür, dass er das „A mit dem Stern“-Logo trägt. Doch was ihn viel mehr begeistert als die Kohle sind die Airbag-Technologie und die Service-Kompetenz der Italiener.

Cal, du bist seit einem Jahr Mitglied der Alpinestars-Familie. Was begeistert dich am meisten?
Zunächst freue ich mich natürlich, dass es 2014 endlich mit Alpinestars geklappt hat. Ich glaub ich bin denen fast zehn Jahre hinterhergelaufen. Jetzt ist es endlich so weit.

Warum hat es so lange gedauert und warum wolltest du unbedingt zu ihnen?
Ich glaube sie betreuen immer nur eine bestimmte Anzahl von Athleten, um beim Service keine Kompromisse machen zu müssen. Und das ist auch der Grund, warum ich zu ihnen wollte. Ihr Service-Know-how und ihre Kompetenz am Rennplatz.

Nenne uns bitte Beispiele dieser Kompetenz.
Okay, da ist zum Ersten der wichtige Kleinkram. Zwickt mich meine Kombi, sage ich es denen und die korrigieren das sofort. Heute zum Beispiel habe ich eine geschwollene rechte Hand, und der Handschuh drückt. Ich sage das Jarno, ihrem Servicemann, und der kümmert sich darum. Sie bearbeiten  den Handschuh so lange, bis ich ein besseres Griffgefühl für Gas und Bremse habe. Das ist Service, verstehst du? Und dann ist da noch dieses fantastische Airbag-System. Sie werfen es uns nicht einfach hin. Nein, sie binden uns in die Entwicklung ein. Und da geht es um Auslösezeitpunkte, Auslöseschwellen, Schutz­bereiche, Tragekomfort und vieles mehr.

Macht dich das Airbag-System ­schneller oder mutiger?
Nein Mann (lacht...), ich wünschte das wäre so. Dann würde ich einfach ein größeres Airbag bestellen und allen anderen da draußen davon­fahren! Aber im Ernst: Verletzungen sind ein ernst zu nehmender Teil vom Racing-Business. Und Alpinestars sucht mit Hochdruck nach Wegen, Verletzungen zu minimieren. Das gibt einem natürlich schon ein gutes Gefühl.

Reinigst du eigentlich deine Kombis nach Champagner-Duschen auf dem Podest selbst?
Spinnst du, nach der Siegerehrung saug ich das Ding so lange aus, bis es wieder trocken ist (lacht laut...). Nein,
im Ernst: Ein dickes Dankeschön an die ­Alpinestars-Crew, die das für mich macht. Ich respektiere das sehr und möchte mich auf diesem Weg einmal bei allen Service-Mitarbeitern bedanken. Ihr macht alle einen klasse Job. Danke!

Hast du sonst noch Privilegien?
Nein, im Grunde fahre ich eine Maßkombi, wie sie jeder kaufen kann. Außer dem Airbag-System und meinem persön­lichen Schnitt gibt es da keine exotischen Details dran. Wir verwenden auch die selben Protektoren wie im ­Serien-Leder.

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