BMW R 18 B, Harley-Davidson Road Glide Special, Indian Challenger Dark Horse im Vergleich

Bagger von BMW, Harley und Indian im Vergleich
R 18 B, Road Glide Special, Challenger Dark Horse

Zuletzt aktualisiert am 22.02.2022

Top-Tester Timo kniet vor der Harley und stopft die Koffer mit Zeugs voll. Nein, nicht nur Klamotten. Eine komplette Hartschale nimmt nur Verpflegung auf. Genug, um von Stuttgart bis zum Nordkap zu düsen. So weit wollen wir aber gar nicht. Aus dem Redaktionsumfeld gab es einen Tipp: "Ihr wollt baggern? Dann fahrt doch mal zu richtig großen Baggern!" Unser grobes Ziel: Halle an der Saale. Doch was sind das eigentlich, die Bagger? Sehen aus wie Touringbikes im Cruiser-Style. Ganz verkehrt ist das nicht. Die Bezeichnung "Bagger" leitet sich vom englischen Wort "bag" für Koffer ab. Die sollten sich bei Baggern möglichst flüssig, mit derselben Formensprache integrieren. An der Front zieren Bagger massive Tourenverkleidungen mit gekürzten Scheiben sowie große Vorderräder, was den Motorrädern einen einzigartigen Auftritt beschert.

Genug Theorie, etliche Kilometer und unbekannte Wege warten auf uns. Wie praktisch, dass alle drei Bagger ein fettes TFT-Display samt Navi in den riesigen Frontverkleidungen transportieren. Ein gutes Feature, allerdings nur, wenn sich Ziele auch einfach eingeben lassen. Besonders entgegenkommend schmeicheln sich auf den ersten Blick die Screens von Indian und Harley-Davidson ein. Touchdisplays! Kein Drücken an irgendwelchen Knöpfen nötig. Zumindest theoretisch. Bei der BMW braucht’s erst einmal eine eigene App samt WLAN- und Bluetooth-Verbindung zum Display, damit überhaupt eine Navigation möglich ist.

Indian mit Wasserkühlung und 122 PS

Machen wir es kurz: Auf allen Displays erscheint früher oder später das gewünschte Ziel. Wer sein Smartphone aber einfach ans Bike hängt, ist auch nicht schlechter dran. Und wer eine rasche Konnektivität wie beispielsweise per "Android Auto" im Pkw erwartet, findet eher Frage- als Ausrufezeichen. Da sind die Vierräder schon ein gutes, intuitives Stück weiter. Egal, denn die Motoren blubbern endlich. Bei allen stecken Zweizylinder majestätisch in den Rahmenkonstruktionen. Mal als 45-Grad-V2 wie bei der Harley, als 60-Grad-V-Motor in der Indian – oder eben als riesiger Boxer, der seine Rippen weit in den kühlenden Fahrtwind hinausstreckt. Einen Wassermantel zur Regulierung des Temperaturhaushalts? Gibt es nur bei der Indian. Die zaubert daraus gleich mal mit 122 PS die höchste Leistung, schiebt ihren Indianer-Kopf auch bei den Fahrleistungen klar vor den anderen ins Ziel – und das trotz kleinstem Hubraum. Wobei "klein" den Nagel nicht ganz auf den Kopf trifft, schließlich drückt eine urige Kraft aus 1.768 Kubik den Indianer voran. Bei der BMW sind’s 1.802 cm³, bei der Harley gar 1.868 Kubik. Das sorgt für Gelassenheit ab dem ersten Meter. Wie die dicken Pötte die schweren Bagger schon ab Standgas souverän antreten lassen, entspannt sofort. Gleich den nächsten Gang nachlegen und weitergleiten. Wann gibt es das im Zeitalter von Depressionen und Burn-outs endlich auf Rezept? Diese Lässigkeit eint sie alle. Wobei ihre Motoren die ganz tiefen Drehzahlen im nächsten Moment schon wieder verlassen müssen. Wie immer erfolgte der Aufbruch zu spät. Die Tage sind kurz, jetzt zählen nur noch die nächste Autobahnauffahrt und Meter machen.

BMW R 18 B, Halrey-Davidson Road Glide Special, Indian Challenger Dark Horse Vergleichstest
Jörg Künstle

Schnell regeln die Tempomaten den Speed knapp über der BAB-Richtgeschwindigkeit ein, läuft das Trio stoisch Richtung Nordosten. Gibt die BMW beim Autobahn-Kolonnenverkehr allerdings den Vorfahrer, ist Obacht angesagt. Ihr Tempomat ist automatisch mit einer Abstandsregelanlage – sprich einem Radarsensor – verknüpft. Der besitzt drei Stufen und verzögert die R 18 B automatisch, wenn Bike und Fahrer nach seiner Ansicht zu dicht auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auflaufen. Weil Indian und Harley bei dieser Technik noch hinterherhinken, fechten deren Piloten einen ständigen Feintuning-Kampf mit ihren Tempomaten aus, wenn die BMW an der Spitze rollt. Die gibt – sobald das Hindernis nicht mehr im Weg ist – auch automatisch wieder Gas. Und die anderen Beiden gucken in die Röhre, regeln wieder nach. Daher dauert’s nicht lang, und der BMW-Boxer muss sich hinten einsortieren.

Benzintanks mit 24 Liter und 22,7 Liter

Erste Pause, Sprit nachfassen – was durchaus ein paar Momente dauert. Die Bagger sind Benzinbunkermeister. 24 Liter passen ins BMW-Fass, 22,7 Liter sind’s bei der Harley und der Indian. Da bleibt trotz Verbräuchen von knapp über fünf Litern (Harley) bis hin zu fast sechs Litern (BMW) die Reichweite enorm. 400 Kilometer am Stück packen alle. Nur die Road Glide Special gerade so nicht mehr. Müde kam Timo mit dem US-Bike an die Tanke gerollt, schimpft laut über die Kupplung, die im sechsten Gang bei kleinsten Zupfern am Gas durchrutscht wie Fischstäbchen durch eine Teflonpfanne. Vernünftiges Beschleunigen nicht mehr möglich – Ende einer Dienstfahrt? Nein, nur viel zu wenig Spiel im Kupplungszug. So konnten die Reibscheiben beim Testbike keinen kompletten Kraftschluss herstellen. Nach ein wenig Fummelarbeit am Zugeinsteller rechts vorne neben dem Motor stimmte das Spiel wieder. Ganz aufhören zu klagen wollte Timo aber nicht. Die recht kompakte Sitzposition auf der Harley ging ins Kreuz. Weil deren Lenker weit nach hinten ragt, hockt man immer etwas zurückgelehnt auf dem an sich bequemen Polster, muss sich aktiv nach vorne drücken. Da ist Aua vorprogrammiert. Bevor’s ein Taschentuch für die Top-Tester-Tränen gab, folgte ein Fahrzeugwechsel. Einmal durchgetauscht, ist die Bahn wieder unsere. Der nächste Wunschstopp lautet: Weimar. Wenn man die Stadt in Thüringen schon fast streift, unter anderem ein kulturelles Schwergewicht wegen des Goethe- und Schiller-Archivs und als Gründerstadt der von Walter Gropius erdachten Bauhaus-Kunstschule, sollte man auch vorbeischauen.

Verwunschen-verschlungen führen die Straßen ins Zentrum, sollen uns zu Goethes Wohnhaus leiten. Die Navis kennen wieder mehrere Wege, wir suchen den besten. Und stehen wenig später in einer buckeligen Kopfsteinpflaster-Sackgasse, auf der uns gleich zwei Ordnungshüter begrüßen. Schieben ist bei Gewichten von 383 Kilogramm (Indian) bis 410 Kilogramm (BMW) – jeweils vollgetankt – keine Option. Wir müssen irgendwie wieder raus aus dem engen Weg, strampeln hilflos mit den Füßen. Denn die Bikes haben einen mächtigen Drang, bei niedrigem Tempo und leichter Schräglage Richtung Boden zu kippen. Der Weg ist zwar nicht weit, trotzdem will niemand die Bagger aufheben.

R18 mit Rückwärtsgang

Nach einem halben Liter Schweiß haben wir es gepackt. Nur beim Fotografen findet sich keine Perle der Anstrengung auf der Stirn. Das hat zwei Gründe: Erstens besitzt die BMW, auf der er gerade hockt, eine akkurat dosierbare, hydraulische Kupplung und zweitens einen Rückwärtsgang. Der fehlt den US-Bikes, genau wie gut dosierbare Kupplungen. Sie paaren hohe Handkräfte mit nicht optimal fühlbaren Schleifpunkten. Niedriges Tempo artet schnell zum Balanceakt aus. Die hinteren Bremsen sind dabei keine Hilfen. Bei der Indian und der Harley liegen die Pedale weit über den Trittbrettern, erschweren so feinfühliges Stop-and-go-Tempo, bei der BMW befindet sich das Pedal nur knapp über dem kurzen Trittbrett. Mehr Raum bleibt wegen des darüberliegenden rechten Zylinders einfach nicht. Sensibles Verzögern? Fast nicht möglich. Vorm Landesarchiv Thüringen direkt gegenüber dem Stadtschloss sowie vorm Bauhaus-Museum fallen die Plätze größer aus. Wenden in einem Zug als angstschweißfreie Wohltat.

Schon drängt die Zeit wieder, Halle wartet. Ab jetzt aber bitte nur noch über Landstraßen. Wenig hügelreich leiten uns kleine und große Wege weiter, führen durch winzige Orte mit hohem Kopfsteinpflaster-Anteil. Wer da auf der Harley sitzt, hat verloren. 55 Millimeter Federweg hinten, in Worten: fünfundfünfzig. Mehr hat sie nicht zu bieten. Und damit die einfach aufgebauten Stereodämpfer nicht permanent am Anschlag rumhüpfen, geriet die Abstimmung stramm. Schließlich müssen die Dämpfer auch für 229 Kilo Zuladung bereitstehen. Entweder kennen sie in den USA nur topfebenen Sahneasphalt oder ignorieren den Aspekt Fahrkomfort einfach. Die Harley ist davon auf schlechten Teerbändern so weit entfernt wie die amerikanische West- von der Ostküste. BMW und Indian zeigen, wie es viel besser geht. Zwar verkraften auch sie mit 220 Kilogramm Zuladung bei der BMW und üppigen 245 Kilogramm bei der Indian richtig viele Extra-Pfunde, ihre 120 und 114 Millimeter Federweg hinten geben sich dennoch kommod und rückenschonend freundlich.

BMW R 18 B, Halrey-Davidson Road Glide Special, Indian Challenger Dark Horse Vergleichstest
Jörg Künstle

Durch kilometerlange Alleen trägt uns die Straße weiter vorwärts – und dann gibt es sie doch noch: Kurven. Schon klar, diese Bikes wurden nicht für den zünftigen Schräglagenrausch gebaut, dennoch sollten sie vernünftig-sicher durch jede Biegung rauschen. Die BMW überrascht dabei. Für ihr Gewicht von mehr als acht Zentner klappt sie fast schon nervös-gierig in Schräglage, braucht eher Gegendruck am Lenker, um nicht zu tief abzutauchen. Weil: Viel geht nicht. Als Erste raspelt sie die kleinen Trittbretter Funken sprühend ab, schiebt dem Kurventanz einen Riegel vor. Eine gewisse Nervosität begleitet die BMW dabei bei fast allen Fahrzuständen. Eine Ursache dafür könnte die lenkerfest montierte Verkleidung sein. Wie bei allen fällt sie riesengroß aus, besitzt Lautsprecher und viel Cockpit-Zierrat. Das kann nicht leicht sein, nur montieren Indian und Harley-Davidson ihre weit nach vorne reichenden, üppig ausgeformten Verkleidungen am Rahmen. Die Lenker können sich also frei von Einflüssen und Gewicht der formgebenden Schale bewegen. Bei der BMW ist das nicht so. Die Vorderradführung schleppt bei jedem kleinen Impuls die große und schwere Bagger-Verpackung mit. Ein neutrales Fahrverhalten gelingt so nicht.

Weit weg von einem typischen Straßenmotorrad

Mehr schrägen Spaß erlaubt die Harley. Ordentlich spät kratzen ihre Fußableger durch Kurven, ist ihr die Nervosität der BMW fremd. Allerdings verschwendet sie viel von ihrem Schräglagentalent mit ihrer Erstbereifung. Ihre Dunlop D408 vorne und D407 hinten vermeiden den vertrauensvollen Rapport Richtung Fahrer, brauchen zudem Temperatur, um ihre volle Haftung aufzubauen. Den Volltreffer in Sachen Bagger-Kurven-Fun liefert sie so auch nicht. Mit anderen Reifen sähe das schnell anders aus. Vielleicht so wie bei der Indian.

Die erstaunt schon fast mit dem normalsten Fahrverhalten – kommt gewohntem Motorradfahren am nächsten. Warum die Bagger nicht als ganz alltäglich durchgehen? Bitte mal einen Blick auf Radstände, Nachläufe und Lenkwinkel werfen. Da stehen fast überall Werte, die weit von einem Naked Bike entfernt sind. Allein der Abstand zwischen den Radachsen: überall mehr als 1,6 Meter, bei der BMW sind’s fast 170 Zentimeter. Also grob 20 bis 30 Zentimeter mehr als bei einem typischen Straßenmotorrad. Mit 65 Grad Lenkkopfwinkel wedelt die Indian aber ziemlich verlässlich durch jeden Radius. Auf den ersten Blick mutet das ungewöhnlich an: Weit schiebt ihr Tank den Fahrer Richtung Heck, ist die obere Gabelbrücke hinterm ausladenden, breit geformten Lenker beinahe nur noch per Fernglas erkennbar. Bei der BMW und der Harley sitzt der Fahrer zentraler, mehr im Motorrad-Mittelpunkt. Dennoch: Die Indian kann’s. Ihre Metzeler Cruisetec grippen überzeugend, die Challenger zieht sicher und lässig-unaufgeregt durch jeden Knick, sodass ihr in diesem Trio zu Recht der Titel des Kurvenkönigs gebührt.

Harley-Scheinwerfer weisen den Weg

Beim Licht sieht’s schnell wieder anders aus. Nachdem der Fotograf hinter Kalzendorf noch schnell sein stimmungsvolles Sonnenuntergangsbild schießen durfte, umfangen uns Dunkelheit und Kälte. Wie helle Blitze, die jedes Jedischwert zum Statisten degradieren, weisen die Harley-Scheinwerfer den Weg, machen die Nacht zum Tag. Da kommen die Scheinwerfer der BMW und vor allem der Indian nicht heran. Dafür friert der Indian-Pilot weniger. Ihre breite Baggerscheibe fährt per Knopfdruck stufenlos ein paar entscheidende Zentimeter hoch. Keine schützt wirkungsvoller vorm Fahrtwind. Auf der Road Glide Special hilft nur ducken, auf der BMW nichts. Ihre Verkleidung – weil gabelfest montiert – liegt viel dichter am Fahrer als die Pendants der US-Bikes. Die Folge: ein ziemlich turbulentes Rauschen genau auf Helmhöhe ab guten 90 km/h, das bei höherem Tempo nicht besser wird. Praktisch bei der Harley: Über einen simplen Taster öffnet sich unter ihrer Scheibe ein riesiger Belüftungsschlitz, der bei hitzigen Temperaturen einen kühlenden Luftstrom zum Fahrer leitet. Aktuell sind’s knapp über fünf Grad, die Klappe bleibt zu.

BMW R 18 B, Halrey-Davidson Road Glide Special, Indian Challenger Dark Horse Vergleichstest
Jörg Künstle

Endlich, das Hotel liegt in Sichtweite. Noch einmal voll in die Eisen und dann "gute Nacht". Vehement schieben sich BMW und Harley dabei in die Bremsen-­Pole-Position. Die R-18-Anlage packt nach langem Leerweg am Hebel progressiv kräftig zu, bei der Road Glide Special nimmt die Bremskraft mit jedem Millimeter mehr Zug ebenfalls immer stärker zu. Ihr stünde zudem ein einstellbarer Hebel wie bei BMW und Indian gut – damit unterschiedlich große Hände sicher zupacken können. Die Challenger Dark Horse quetscht sich als Letzte mit kurzem ABS-Ruck in die Parklücke vorm Hotel. Viel Kraft braucht’s, um Mensch und Maschine rasant zum Stehen zu bringen, dafür fällt die Dosierbarkeit äußerst linear aus.

Nach spätem Start am nächsten Tag muss erst einmal eine Thüringer Rostbratwurst in Bitterfeld in die leeren Mägen, bevor ein schneller Stopp am Großen Goitzschesee kurzen Müßiggang erlaubt. Unendlich weit erstreckt sich das klare Binnenbecken. Das gibt es erst seit 2002. Bis 1991 reckten noch riesige Braunkohleabbaubagger ihre stählernen Arme in Richtung Boden, förderten den fossilen Brennstoff. Dann war Schluss, und es folgte die Rekultivierung des riesigen Areals samt der Flutung des Abbaugebiets. Flächen, die sich ob ihrer schieren Größe kaum mit dem bloßen Auge erfassen lassen.

Der ehemalige Tagebau begleitet uns weiter, hin zu Ferropolis, der Stadt aus Eisen bei Gräfenhainichen. Ursprünglich standen hier unter anderem die Werkstätten des Tagebaus Golpa-Nord, ein Teil des Bitterfelder Bergbaureviers. Mitten im Gremminer See gelegen, ebenfalls künstlich durch den Tagebau entstanden, bewachen fünf stille, stählerne Giganten aus der Ära der Braunkohleförderung das Areal. Zugleich bewahren sie ein industrielles Andenken an jene Zeit, in der in 20 Tagebauen 60.000 Bergleute jährlich bis zu 100 Millionen Tonnen Kohle förderten.

Neben "Medusa", "Mosquito", "Gemini", "Mad Max" und "Big Wheel", den so benannten Stahlkolossen, wirken die drei Bagger auf zwei Rädern wie Spielzeug. Staunend und sprachlos cruisen wir an diesen Industriedenkmälern, die Perspektiven verschieben und Größen neu ordnen, vorbei. Wir haben das Ziel unserer langen Reise erreicht. Mit den größten Baggern auf zwei Rädern zu richtig großen Baggern. Bigger, Bagger – Better wird’s in diesem Moment nicht mehr.