MOTORRAD präsentiert: Suzuki VL 1500 Intruder
Machtprobe

Jetzt kommt`s ganz dick: Mit hemmungslosem Materialeinsatz und reichlich eingeschenktem Hubraum ist die Suzuki VL 1500 Intruder ein spätes, dafür umso machtvolleres Bekenntnis zum Straßenkreuzer.

Hauptsache dabeigewesen - dieser hehre olympische Gedanke gehört bei Suzuki sicher nicht zu den Grundpfeilern des Produktmagements. Mit Volldampf Trends setzen statt ihnen kurzatmig hinterherzulaufen, wo es irgend geht, die Nummer eins sein, ist vielmehr die Devise.
Da muß es schon ein wenig verwundern, daß Suzuki in Sachen Cruiser mit untypischer Verzögerung auf die Zeichen der Zeit reagiert hat und erst jetzt in die breiten Reifenspuren der Konkurrenz einschwenkt. Sei´s drum: Die VL 1500 Intruder mag spät kommen, aber sie kommt dafür um so gewaltiger.
Gewaltig nicht im Sinne eines überbordenden Leistungsangebots. Der Motor ist in seinen Grundzügen ein VS 1400-Aggregat, das dank einer großzügigeren Auslegung von Bohrung und Hub nun die prestigeträchtige 1,5-Liter-Marke streift und sich statt 64 PS gerademal deren 68 gutschreiben läßt.
Gewaltig hingegen, was ihre Körperfülle angeht. Mit deutlich über sechs Zentnern Masse beläßt es die VL 1500 nicht dabei, objektiv zu den ganz schweren Brocken zu gehören, nein, sie bekennt sich mit ausladenden Gesten auch äußerlich ganz unverholen zur »Bigger is better«-Philosophie: Schwellende Kotflügel, martialisch anmutende Gußräder, feiste Reifen, armdicke Gabelholme, eine Sitzgruppe wie aus dem Möbelhaus und mittendrin ein chromblitzes Trumm von Motor - all die fließt zu einer Körpersprache zusammen, in der kein Platz ist für leise Töne. Wohl aber für Superlative: Mit 170 Zentimetern Radstand ist die Suzuki nicht bloß ein großer Cruiser, sondern das wahrscheinlich längste (Serien-) Motorrad der Welt.
Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang: Man merkt es ihr beim Fahren nicht an. Wer in der VL 1500 den klassischen Langholztransporter sieht, der auf schwankendem Kurs um die Ecken eiert, muß schnell einsehen, daß er seine Vorurteile besser beim Ausfassen der Fransenjacke an der Garderobe abgegeben hätte: Nach Cruiser-Maßstäben sind die Fahreigenschaften der VL überraschend benutzerfreundlich. Ohne nennenswerte körperliche Anstrengungen läßt sich das Schwergewicht zu Richtungsänderungen bewegen, ohne Korrekturen gelingt es, die Maschine um enge Biegungen zu zirkeln, ohne Fußeln geraten Wendemanöver auf handelsüblich breiten Straßen zum sauberen Zirkelschlag. Lediglich in Kurvenpassagen kommt es häufiger zu Unmutsäußerungen. Sobald der Versuch unternommen wird, den Begriff »Schräglage« ansatzweise mit Leben zu erfüllen, sagt die Maschine mit häßlich kratzenden Trittbrettern: nicht mit mir.
Wer damit Probleme hat, wird sich aber vermutlich auch über die mangelnde Bodenfreiheit seines Fernsehsessels beklagen - auf jeden Fall hat er dieses Motorrad nicht verstanden. Die VL 1500 ist Aussichtspunkt und Ansichtssache. Tiefere Einsichten in die Welt des Cruisens vermittelt sie nur dem, der das Thema mit der gebührenden Gelassenheit angeht.
Beim Motor heißt dies: ihn im Bereich seines Drehmomentzenits - so um die 2500/min - traben zu lassen und ihm niedertouriges Stolpern ebenso zu ersparen wie hektische Drehzahlbetriebsamkeit. Dazu hält das Getriebe praktischerweise fünf Gänge bereit, die über eine ergonomisch geschickt ausgelegte Wippe aus dem Fußgelenk abgerufen werden können.
Beim Fahrwerk lautet die Devise: immer mit der Ruhe. Rechtzeitig vom Gas gehen, den Umkehrschub des V2 nutzen und lieber zu langsam als zu schnell in die Ecken stechen - siehe oben. Zur Unterstützung der Motorbremse hat die VL zwei Stopper, die sich bei beherztem Zugriff - respektive Zutritt - ganz passabel gegen die Trägheitsgesetze ins Zeug legen, wenn es denn doch einmal eng wird.
In Sachen Komfort nur soviel: die Ansprüche auf ein Mittelmaß herunterschrauben. So locker-entspannt die Sitzhaltung, so gut die stoßdämpfenden Qualitäten von Sitzkissen und gummigelagertem Lenker - auf schlechten Straßen zeigen die wenig nachgiebigen Federungselemente nachdrücklich, wer Herr im Haus ist.
Schließlich sei mit Blick auf die Design-Phiosopie der VL noch geraten: nicht so genau hinschauen. Zwar erfüllt die Maschine das Reinheitsgebot des Cruiserbaus insofern, als sie konsquent auf die Verwendung von fadenscheinigen Plastikteilen verzichtet. Auf der anderen Seite zeigt sie in einigen Punkten (Tank und Luftfilterkasten - nur zwei Beispiele - sind Attrappen), daß Form und Funktion nicht immer deckungsgleich sind.
Was dann aber auch wieder irgenwie in Ordnung geht - schließlich gehört die Machtprobe zwischen Sein und Schein traditionell zur Wesensart des Straßenkreuzers.

Unsere Highlights

Ahnenforschung: Zu den Wurzeln der VL 1500 - Gerührt, weil geschüttelt

Ob Chopper oder Cruiser, für die gemächliche Art des Fahrens braucht es einen Zweizylinder im V-Format - Ausnahmen bestätigen nur die Regel.Wie groß der V-Ausschnitt tunlichst zu sein habe, ist freilich eine Frage, an der sich die Geister scheiden. Ein Zylinderwinkel von 90 Grad ist das Optimum für bekömmliche Laufruhe, zieht aber ein großes Bauvolumen nach sich und sorgt für unregelmäßige Zündabstände. Ein engerer Winkel - etwa die von Harley favorisierten 45 Grad - macht den Motor kompakter und verleiht ihm einen gleichmäßigeren Pulsschlag, läßt ihn wegen des erheblich schlechteren Massenausgleichs aber zu einem heftigen Schüttler werden.Als bei Suzuki die Anforderungen an die Triebwerke der Intruder-Familie festgeschrieben wurden, schien ein Entscheidungsnotstand vorprogrammiert gewesen zu sein: Der Motor sollte erstens seine Zylinder (vorbildgetreu) zum 45-Grad-V spreizen, zweitens nicht mehr als ein verträgliches Maß an Vibrationen an den Tag legen, drittens das Auspuffstakkato eines 90-Grad-Motors zum Besten geben.Geht nicht? Doch, mit einem Griff in die Trickkiste. Statt eines Hubzapfens für beide Pleuel, wie bei klassischen V-Triebwerken üblich, hat der Intruder-Motor deren zwei, die um 45 Grad zueinander versetzt sind und damit sowohl Massenausgleich als auch Zündfolge beeinflussen. Das Ergebnis ist ganz im Sinne der Erfinder: Der Intruder-V2 hat das gewünschte Erscheinungsbild, klingt ein wenig nach Ducati und vibriert kernig, aber nicht material- und menschenmordend.Anders als die in Wassermäntel gehüllten kleinen Intruder-Motoren mit 600 und 800 Kubik setzen die 1400er und 1500er Big Blocks auf eine spezielle Art der Luft-/Ölkühlung. Dabei begnügt sich der vordere Zylinder damit, seine Rippen dem Fahrtwind auszusetzen, während dem hinteren Topf im Bereich des Zylinderkopfs durch einen besonderen Ölkreislauf zusätzlich Wärme entzogen wird. Weitere Besonderheiten der großvolumigen V2-Triebwerke sind der hydraulische Ventilspielausgleich und eine Kupplung, die im Schiebebetrieb einen Schlupf von 40 Prozent ermöglich und damit ein Stempeln des Hinterrads verhindern soll.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023