Genau so wars: dieses Tuckern, dieses Pumpern. Genau so fühlte es sich an. Dieses stille Glück, als Theo mir endlich erlaubte, seinen Lanz zu lenken. Es war mein Geburtstag, der sechste. Zwei Runden durchs Dorf, an der Kirche, am Brunnen und beim Krämer vorbei. Stolz wie Oskar. Ich: Der Nabel der Welt. Traktor fahren war einfach das Größte. Und VN 1500 Classic Tourer fahren fühlt sich genau so an.
Was für ein Ereignis, wenn die Kolben des riesigen V2 zu stampfen beginnen, der behäbige Pulsschlag des Motors durch deine Adern strömt, du eins wirst mit der Mechanik, die unter dir werkelt. Und wenn sie sich dann aus den Federn hebt, diese große, schwere, mächtige Maschine, du für einen Moment den Atem anhältst, weil das gewaltige Gebäude kurz ins Wanken gerät, um schließlich doch in voller Würde abzuschieben: welch ein Schauspiel.
Kaum zu glauben, was Kawasaki aus der VN 15 gemacht hat. Ein paar Handgriffe nur, und der blasse Harley-Verschnitt, der sich stets charakterliche Schwäche vorwerfen lassen mußte, gedieh zum imponierenden Original. Überarbeiteter Motor, andere Auspuffanlage, fünf statt vier Gänge, zwei Koffer, ein Windschild - viel mehr war zur Persönlichkeitsbildung nicht nötig.
Nur wenige ihrer Art interpretieren das Thema Cruiser so überzeugend wie die Classic Tourer. Allein ihre Tonart: reiner, kräftiger Baß. Baldrian für die abgespannte Psyche. Eine halbe Stunde, und du hast den Rhythmus intus: kein Streß - immer im Viervierteltakt. Bald kannst du dir überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals schneller als 100 km/h gefahren zu sein.
Irgendwann ertappt man sich sogar beim Anstehen im Stau. Dabei haben die Blechbüchsen-Freunde eine Gasse gebildet, die mit der Teilung des Roten Meers konkurrieren könnte. So ein Schiff im Rückspiegel flößt Respekt ein. Würde auch ganz schön große Kratzer hinterlassen. Okay - wenn die´s so haben wollen: ab durch die Mitte.
Huldvolles Grüßen sollte man allerdings unterlassen, bei Schrittempo ist äußerste Konzentration gefragt. Hier beschwören die sieben Zentner Gewicht, der rekordverdächtige Nachlauf von 189 Millimeter sowie der fette, 150er Vorderreifen einen Eiertanz herauf, der jegliche Coolness im Keim erstickt. Vor allem in Verbindung mit längs verlaufenden Asphaltfurunkeln.
Hohe Tempi sind der Classic Tourer auch nicht unbedingt auf den Leib geschrieben. Ab 140 km/h beginnt der Dampfer zu schlingern. Allerdings birgt das Geschunkel einen gewissen Unterhaltungswert. Letztlich bleibt´s aber dabei: In mittleren Geschwindigkeitsbereichen fühlt sich das Leben mit der VN am besten an.
Und am schönsten ist´s, wenn man immer gleich den vierten oder fünften Gang einlegt. Ja, gleich nach dem Anfahren. Rack-zack durchgehackt - die Schaltwippe ist eine Wucht. Im großen Gang dahintuckern, mit dem Gasgriff die Tonlage variieren, die Drehzahl abfallen lassen, bis der Motor fast abstirbt, um ihn dann am langen Band aus dem Keller zu holen - es kann zur Sucht werden.
Mit 64 Pferdestärken scheint Kawasaki das richtige Maß für den wassergekühlten 1500er Motor gefunden zu haben. Nie kommt der Wunsch nach mehr Leistung auf. Auch weil man sich zuweilen in mißlichen Lagen wiederfindet. Beispielsweise wenn die Schräglagenfreiheit aufgebraucht ist und die komfortabel abgestimmte Fuhre Richtung Kurvenrand wogt. Huiuiui, da merkt man jedes einzelne der 354 Kilogramm.
Beim Bremsen ebenfalls: Trotz Doppelscheibe gerät die vordere Anlage schnell an ihre Grenzen. Erst unter Mitwirkung der hinteren Bremse kann das Mordstrumm erfolgreich lahmgelegt werden. Respekt vor der Materie lautet die Devise. Da findet man denn auch genügend Raum, das Legen und Schwenken der Massen zu genießen, den Blick über die reizvollen Details schweifen zu lassen, vor sich hin zu träumen, sich rundum gut zu fühlen.
Die Realität holt dich an der Tankstelle: 7,6 Liter für 100 Kilometer Bummelfahrt. Ganz schön derb. Tröstlich, zumindest fürs Gewissen, daß die neue Kawasaki serienmäßig mit Sekundärluftsystem (KCAS) und mit Katalysator zu haben ist. Und irgendwie war ja auch klar, daß so ein Egotrip auf so einem Traktor seinen Preis hat.
Mein Fazit
Nie hätte ich gedacht, daß mich nach der Honda F6 noch einmal ein Cruiser derart erreichen könnte. Und dann ausgerechnet die VN 1500. Dieses ehemals - na ja - eher fade Geschöpf. Doch Kawasaki hat es verstanden, dem dicken Ding Charakter einzuverleiben. Auf visueller, akustischer und metaphysischer Ebene. Am breiten Lenker der Classic Tourer löst sich so manches Problem von selbst. Man sieht die Welt mit anderen Augen. Irgendwie toleranter. Eben drum verzeiht man dieser Maschine auch die ein oder andere Unzulänglichkeit. Schließlich hat jeder seine Macken.