Test Yamaha XV 1600 Wild Star

Test Yamaha XV 1600 Wild Star Namen sind Schall und Rauch

Road Star heißt sie in Amerika, Wild Star in Europa. Ist aber egal, denn die Yamaha XV 1600 ist eigentlich eine Harley - wenn auch nur in Kopie.

Was heißt noch mal auf spanisch: »Nein, die ist nicht aus Amerika« und »nein, das ist keine Harley«? Das sind zumindest die wichtigsten Antworten, die man bei einer Testfahrt mit der Yamaha XV 1600 im sonnigen Spanien braucht, um neugierigen Tankwarten, Kassierern an den zahlreichen Mautstellen oder neugierigen Passanten auf die immer gleichen Fragen zu antworten.
Bei der Frage, warum die XV 1600 in Europa auf den Namen Wild Star und in den USA auf Road Star hört, helfen einem allerdings auch Spanischkenntnisse nicht viel weiter. Selbst Yamaha-intern sind die Gründe dafür nicht ganz klar. Klar ist nur, daß es außer dem Schriftzug am Tank keinen Unterschied zwischen der Testmaschine von MOTORRAD und der offiziellen Europa-Version gibt: XV ist XV, und das bedeutet Hubraum satt. 1602 Kubikzentimeter verteilt auf zwei riesige, luftgekühlte Zylinder. XV 1600 bedeutet aber auch Augenschmaus. Runde, organische Formen, technisch aufwendig aufbereitete Klassik, das Ganze mit genau der richtigen Menge Chrom versehen. XV 1600 ist 335 Kilogramm überaus gefällig arrangierte Masse.
Die sich nur beim Rangieren negativ bemerkbar macht. Einmal in Fahrt, sei es auch nur im Schrittempo, wirkt die Wild Star überaus gutmütig. Gut ausbalanciert, lassen sich die 1685 Millimeter Radstand mit nur wenig Krafteinsatz am breiten Lenkgeweih um die Ecken zirkeln. Und je schneller die Fuhre sich bewegt, um so leichter hat es der Steuermann. Zielgenau und spurstabil zieht die XV ihre Bahn, wobei diese Beurteilung immer vom Standpunkt eines knapp sieben Zentner schweren Cruisers gilt. Selbst mit dem Federn und Dämpfen nimmt es die Wild Star ernst: vorn angenehm weich und fein ansprechend, hinten immerhin Bandscheiben-schonende Reaktionen bei derber Behandlung durch die zum Teil recht holprigen spanischen Landstraßen.
Und dann dieser Motor. Ein echtes Prachtstück japanischer Fälscherkunst. Sieht von außen wie der perfekte Nachbau amerikanischer Tradition aus. In seinem Innersten aber setzten seine Erbauer auf moderne Ingenieurskunst. Vier Ventile pro Zylinder, Doppelzündung, speziell beschichtete Alu-Zylinder, Hydrostößel, verzahnter Primärtrieb, ein Vorgelege per Kette und Endantrieb über einen Zahnriemen. Welch ein Aufwand angesichts der bescheiden wirkenden 65 PS, die der MOTORRAD-Prüfstand diesem 1,6-Liter-Monster bescheinigt. In Sachen Literleistung kann das XV-Treibwerk nicht mal mit einer steinalten Zweitakt-Emme aus den Sechzigern mithalten.
Doch was bedeutet schon schiere Endleistung, wenn es Drehmoment im Überfluß gibt. Für stolze 141 Newtonmeter muß sich die mächtige XV-Kurbelwelle gerade mal 2500mal pro Minute drehen. Bereits bei 1000/min stehen 135 Newtonmeter zur Verfügung. Garantie für den sprichwörtlichen Bums von unten. Zumindest in den ersten drei Gangstufen ist er tatsächlich geboten. Ein unüberhörbares »Klong« vermeldet den Kraftschluß des ersten Ganges, die angenehm leichtgängige Seilzug-Kupplung zügig kommen lassen, und ab geht die Fuhre. Nicht brutal, aber bestimmt. Souveränes Cruiser-Feelig vom Feinsten.
Dieses makellose Gefühl bleibt bis in den Dritten erhalten, immer untermalt von einem dumpfen Brabbeln und den gleichermaßen dumpfen und beruhigend wirkenden Vibrationen des dicken Vaus. Erst in den beiden letzten Fahrstufen verliert die XV etwas an Faszination. Kein Wunder, ist doch der fünfte Gang bis XXX km/h übersetzt. Ergibt bei einer Reisegeschwindigkeit von 100 km/h ein Drehzahlniveau von zirka 2100/min. Dies entspricht wiederum einer Leistung von 40 PS, die mit einem Fahrzeuggewicht von 335 Kilo zuzüglich Gewicht des Fahrer oder gar Sozius fertig werden müssen. Man muß nicht unbedingt Mathematikprofessor sein, um das erschreckend schlechte Leistungsgewicht abschätzen zu können.
So heißt es leider viel zu oft: Runterschalten. Selbst kurvige Landstraßen zwingen den Easy Rider immer wieder zu diesem - trotz imposanter Schaltwippe und leichtgängigem Getriebe - eher uncoolen Manöver. Bei Tempo 60 braucht’s bereits den Dritten, will man lästiges Geruckel vermeiden.
Obgleich die Bremsanlage bei »normalem« Cruisertempo ordentliche Verzögerung bietet, muß jenseits der 100 km/h mit Nachdruck Hand beziehungsweise Fuß angelegt werden. Immerhin ist die XV für echte xxx Sachen gut, da muß bei einer Vollbremsung schon ordentlich kinetische Energie vernichtet werden.
Es gilt also, sich beim gemütlichen Dahingleiten an der durchaus erbauenden Aussicht zu ergötzen. Die riesige, chromblitzende Lampe, der breite Lenker, das ausladende Tankfaß und der schöne, darin integrierte Tachometer. Ein echtes High-Tech-Bauteil übrigens: ultra flach, mit digitalen als auch analogen Anzeigen. Wem das noch zu wenig Prunk erscheint, für den hält Yamaha noch eine mit Scheibe, Lederpacktaschen und Sissybar veredelte Variante Namens Silverado bereit. Allerdings schlägt diese statt mit 19 990 mit xxxxx Mark zu Buche. Das spanische Wort für »Sonderangebot« muß man in dem Fall wohl nicht wissen.

Technik Wild Star-Motor

Moderner Motorenbau hinter klassischer Kulisse

Die Stoßstange als verlängerter Arm untenliegender Nockenwellen ist seit Menschengedenken ein Fall für Technik-Historiker und Harley-Fahrer. Ist? War - seit Yahama die Wild Star lancierte. Deren bewußt nostalgisch angehauchtes Layout führt geradewegs zur Philosophie dieser Maschine: »Emotional spirit« - eine Ausstrahlung, die Gefühle weckt - soll sie verkörpern. Dazu braucht es nach Ansicht von Projektleiter Mason Hashimoto einen Motor mit Leistungsbereitschaft bei niedrigsten Drehzahlen. Dazu erhielt der 1600er eine gewaltige Kurbelwelle, deren Trägheitsmoment bestens geeignet ist, dem Motor lässig über die Pausen zwischen den Verbrennungstakten zu helfen. Bei einem Hub von 113 Millimetern bieten die Hubzapfen den angreifenden Pleueln obendrein so viel Hebelarm, daß selbst laue Lüftchen im Brennraum in stattliches Drehmoment umgesetzt werden.Daß der Wild Star-Motor unter Aufbietung von vier Ventilen pro Zylinder gerade einmal 40 PS pro Liter Hubraum erzeugt, spricht für äußerst moderate Ventilerhebungskurven. So sind selbst mit Hydrostößeln, ellenlangen Stoßstangen und Kipphebeln, wie sie der Yamaha-V2 aufweist, keine Unregelmäßigkeiten in der Ventilsteuerung zu erwarten, zumal die Nenndrehzahl mit 4000/min ebenfalls sehr niedrig angesiedelt ist. Apropos niedrig: Der Griff zur untenliegen Nockenwelle spart Bauhöhe, die dem Tankvolumen zugute kommt.Nicht gespart wurde an der Baulänge des Triebwerksblocks. Ein dem Schaltgetriebe nachgeordneter Zahnkettentrieb rückt die Abtriebswelle nach hinten und senkt deren Drehzahl. So konnte die Antriebsscheibe des finalen Zahnriemens materialschonend groß gewählt und dicht an den Schwingendrehpunkt gerückt werden.

Fazit

Die wahrscheinlich beste Kopie, die es je gab. Der negative Klang im Wort Kopie wird der Sache allerdings nicht ganz gerecht. Die XV 1600 ist ein eigenständiges Motorrad, mit toller Technik im Detail und einem gut funktionierenden Fahrwerk. Noch wichtiger ist aber, daß das Feeling stimmt. Auf der XV fühlt man sich niemals deplaziert, genießt einfach das beruhigende Wummern des bislang hubraumstärksten Serien-Zweizylinders. Einzig die lange Endübersetzung entzaubert den Hubraumriesen und zwingt zu übermäßiger Schaltarbeit.

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