Vergleichstest Mittelklasse-Cruiser
Kreuzfahrt: Fünf Cruiser im Test

Sächsische Dampfschifffahrt: Wir legen ab zur Kreuzfahrt mit fünf Maschinen, die das Thema Cruiser optisch sehr unterschiedlich interpretieren. Eine Reise gemütlicher Art zwischen der ältesten und größten noch aktiven Raddampfer-Flotte der Welt und den Bergen der Sächsischen Schweiz.

Kreuzfahrt: Fünf Cruiser im Test
Foto: Bilski

Zuerst ist es bloß ein entferntes Stampfen, dann wächst es zu einem tiefen, rhythmischen Rauschen an. Wenige Sekunden später ist der Schaufelraddampfer Krippen unter tiefem Wummern auf der Elbe bei Meißen an uns vorbeigezogen. Er lief 1892 vom Stapel und ist eines der Flaggschiffe der Sächsischen Dampfschifffahrt. Dagegen verblasst sogar die leuchtende Erscheinung der fünf Kreuzer, die zwischen Ufer und „Sächsischer Weinstraße“ parken. Normalerweise kann man mit diesem Quintett nirgendwo unbemerkt anhalten. „Der Sachse ist eher ein gemütlicher Typ“, hatte der motorradfahrende Hotelier noch am Morgen erklärt. Die fünf Cruiser passen also bestens hierher. Ruhe genießen, Hektik hinter sich lassen, sich nichts beweisen müssen. Gemütlich Land und Leute entdecken. Überholen? Wozu? Nur das gute Gefühl, das muss stimmen. Honda Shadow 750, Kawasaki VN 900 Custom, Suzuki Intruder M 800 Z, Triumph Speedmaster und Yamaha XVS 950 A Midnight Star laden ein zum Leben am Fluss, zum Leben im Fluss. Im Einklang mit sich, der Maschine, der Landschaft. Herrlich, wenn‘s links und rechts gleichmäßig bollert. Oder vorn und hinten bei den vier V-Motoren.

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Hauptsache, man bewegt sich. Was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Beim Schieben und Rangieren erfordern gut fünf Zentner Gewicht Tribut. 266 Kilogramm wiegt die Triumph, erstaunliche 267 die zierliche Honda, die sich auf wundersame Weise deutlich leichter anfühlt. Noch ein Kilo sattelt die Suzuki oben drauf. Und Kawa wie Yamaha bringen gar satte 280 Kilos auf die Waage. Auch wenn die fünf unter Cruisern zur Einsteigerklasse zählen, gelten an Bord dieser „leichten“ Kreuzer andere Maßstäbe. Zwar flätzen sich die Hintern samt und sonders in fetten, tief montierten Sätteln, anfängerfreundlich ist hier aber nichts. Gilt auch fürs Wenden, bei dem einen ausladende Lenker behindern. Und das breite Straßen erfordert. In einem Zug ist das nur in den seltensten Fällen zu machen.

Dumm nur, wenn in engen Kehren und bei niedrigem Tempo bei der Triumph das Vorderrad von allein weiter abklappt und man schlagartig korrigierend eingreifen muss, will man eine Havarie verhindern. Geschafft, alle fünf Lampen weisen in die richtige Richtung, Kurs Süd-Ost. Winzige, schlecht ablesbare Kontrollleuchten auf sämtlichen Steuerständen führen zu Rekorden im Dauerblinken. Na und?Der Duft der leuchtend gelben Rapsfelder entschädigt für solche kleinen Nickeligkeiten. Voll im Wind, „nackich“, wie der Sachse sagen würde, ist die vorbeiziehende Natur ein besonderer Genuss. Zurück-gelehnte Sitzpositionen und Jethelme machen offen für ein großes Erlebnis. In Dresden bewundern wir das weltbekannte Barock-Panorama hinter der Brühlschen Terrasse. Und die vor Reede liegenden Dampfschiffe. Wobei auch unsere Flotte auf viel Tradition zurückblickt. Die Honda Shadow 750 etwa wirft einen langen Schatten. Ihr Urahn erschien bereits 1986. Wie eh und je treibt sie der 52-Grad-V2 mit drei Ventilen an. Als Garnierung gibt‘s reichlich Chrom oder verchromten Kunststoff, poliertes Aluminium und funkelnde Speichenräder. Kontrastiert alles sehr fein mit adrettem Zweifarb-Lack und den je nach Gusto für Gepäcktransport eher praktischen oder peinlichen Packtaschen für zusammen 600 Euro Aufpreis.

Cruiser-Manieren

Auf solche Insignien kann die Kawasaki VN 900 Custom verzichten. Pur und puristisch, verkörpert sie den gechoppten Way of Life. Mit superschmalem, doch im Durchmesser riesigem 21-Zoll-Rad vorn. Hier glänzt‘s dunkel und düster: Luftfiltergehäuse, Lampenglocke, die Tauchrohre der Gabel, sogar die kratzempfindlichen Auspuffe. Verdammt schwarz, dieses Iron Horse. Ihr Understatement kommt richtig gut rüber. Fast schon Harley-mäßig. Für alle, die‘s barocker mögen, hat Kawa noch die VN 900 Classic in petto, mit dem gleichen 55-Grad-V2. Deren Vorgängerin VN 800 wurde 1994 präsentiert. Suzukis erste Intruder 750 stand schon 1986 in den Schaufenstern. Damals, neben der 1400er, der erste echte Japan-Chopper, stilecht, schmal und clean. Heute gibt sich der „Eindringling“ ausladender, länger und flacher. Dazu mit minimalem Hubraumplus (803 statt einst 745 cm³) und Doppelzündung, aber wie gehabt mit klassischen 45 Grad Zylinderwinkel. Tante Trude macht mit Upside-down-Gabel, fließenden Formen und LED-Rückleuchte im Bobtail-Heck auf Muscle Bike. Und mit dem versteckt liegenden Federbein, wie Kawa und Yamaha, schwer auf Starrrahmen-Optik.

Stolz präsentiert die elegante Triumph ihre glänzend-verchromten Stereo-Federbeine. Die Speedmaster ist drahtiger, muskulöser als die Schwester Bonneville America. Ihren sportlichen Anspruch betont die einzige Doppelscheibenbremse dieses Felds. Individuell: die „Gunfighter“-Sitzbank mit fest angedocktem, ungünstig nach hinten abfallendem Notsitz für den Passagier. Nostalgisches Flair verströmen historisierende Marken-Em-bleme und handgezogene Zierlinien am Zweifarb-Tank sowie dessen nicht abschließbarer Verschluss. Der riesige Tacho am Lenker erinnert an klassische Smiths-Uhren. Mit der Triumph lässt man sich gern sehen. Individuell ist die Sitzhaltung hinter dem auf hohen Risern thronenden, nach unten gekröpften Büffelhorn-Lenker. Charakteristisch: der einzige Reihen-Twin des Testfelds. Neben BMW ist Triumph der einzige Großserienhersteller, der komplett auf V-Motoren verzichtet. Zwar soll hier eine Kurbelwelle mit 270 Grad Hubzapfenversatz in Sound und Charakter einen V2 imitieren. Das allerdings, so viel vorab, gelingt nur bedingt. Bildschön dagegen: die lang gestreckte Linie, geprägt von den schmalen, schnurgeraden Schalldämpfern, den einzigen, die backbord wie steuerbord verlegt sind. Die Japaner tragen ihre zwei Endtöpfe rechts übereinander gestapelt.

Viel Dampf, wenig Sound?

Moment mal, die 950er-Yamaha pufft nur durch ein Endrohr aus: dumpf, trocken und tief. Traditionell luftgekühlt wie bei der Triumph sind ihre um 60 Grad gespreizten Zylinder. Long and low ist sie. Maximal gestreckt, in Radstand und Länge über alles. Relaxed fällt die Sitzposition mit dem extrem breiten Lenker aus. „Klonk“, Klopfprobe bestanden: Nur die XVS trägt im Wortsinn echte Schutzbleche, massiv-metallisch statt aus schnödem Plastik. Ebenfalls exklusiv an der Midnight Star: Schaltwippe und tief platzierte Trittbretter. „Klonk“ tönt es auch aus dem Getriebe, dem schlechtesten von allen. Die Gänge rasten nicht exakt, lassen sich hart, hakig und schwergängig schalten. Ausgerechnet der motorische Riese mit dem längsten Hub des Vergleichs löst das Versprechen einer „Schub-Karre“ mit sattem Durchzug und schaltfauler Fahrweise nicht ein. Einmal den letzten Gang einlegen und dann weiter und weiter, zum Horizont und ewig darüber hinaus... Nun ja, unter Tempo 60 schüttelt sich die 950er in der finalen fünften Fahrstufe. Der bärigste Motor gibt sich am unelastischsten, die lange Gesamtübersetzung killt einen Teil des kräftigen Drehmoments. Schade. Das konnte vor zehn Jahren schon die XVS 1100 Drag Star besser, die ganz nebenbei auch besser bremste. Also heißt es hier und heute runterschalten bei Stadtfahrten. So wie jetzt in Bad Schandau.

Auf in die Sächsische Schweiz! Links Sandsteinfelsen, rechts der Fluss. Darüber weiße Schäfchenwolken am azurblauen Himmel. Nur kein Sound-Echo für die Triumph. Wenn sie an einem vorbeifährt, geht’s noch, für den Käpten selber klingt sie wie eine Nähmaschine. Satter Viertakt-Beat? Vergiss es. Neben der Akustik fehlt es dem Reihen-Twin an Spirit. Er hat die höchste Leistung, echte 69 PS, und die größte Drehfreude. Und somit alles, was ein Cruiser nicht wirklich braucht. Dieser Motor ist zu kurzhubig, er kickt nicht. Als die „Speedy“ 2003 erschien, hatte sie 790 cm³ Hubraum, mittlerweile sind es 865. Doch durchs Aufbohren wurde der Geburtsfehler eher schlimmer.

Die breitesten Kolben sausen am kürzesten auf und ab. Der (optionale) Drehzahlmesser vor der Brust vermeldet, dass der Twin in den oberen Gängen mindestens 3000 Touren für ordentlichen Rundlauf verlangt, bei Bedarf bis 8000/min ausgequetscht werden kann. Etwas Nachdruck brauchen die Gangwechsel am ultralangen Schaltgestänge. Englischer Spleen: In den Vergasergehäusen sitzen mittlerweile Einspritzdüsen – Euro 3, aber bitte schön mit Stil. Zum Kaltstart muss man den Choke am „Vergaser“ ziehen, eine Kaltstartanhebung, sonst sprotzelt der Twin bloß. Englisch? Alle (kleinen) Zweizylinder-Modelle baut Triumph mittlerweile in Thailand. Immerhin, das Finish stimmt, mit Ausnahme von Rostansatz im Tankstut-zen. Pflegeintensiv ist die Kette, alle anderen setzen auf saubere, wartungsärmere Lösungen: Kardan bei Honda und Suzuki, Zahnriemen bei Yamaha und Kawasaki. Im Gegenzug überzeugen nur bei der Triumph die Bremsen einigermaßen. Sie schnappen fast schon zu giftig zu, stauchen die weichen Gabelfedern heftig zusammen – dicke Hüllrohre erwecken lediglich den Eindruck großer Stabilität.

Fahrwerk und Fahrgefühl

Bei der Auffahrt zur Bastei, einer ehemaligen Bergrennstrecke, spielt die Speedmaster trotz etwas bockiger Federbeine ihre größte Schräglagenfreiheit aus. Doch Obacht, links herum setzt zuerst der Seitenständer auf. Bei Speed-Eskapaden ist die Yamaha schon lange ins Nirwana abgedriftet. Sehr früh fallen ihre Trittbretter dem schleifenden Materialabtrag zum Opfer. Kurz danach kommen ganz cruiselig deren Ausleger an die Reihe. Und die geben nicht nach, treiben die Fuhre schlagartig nach außen. Also Eile mit Weile an Bord der MS „Mitternachtsstern“. Weite Bögen bevorzugt auch die mit fetten Ballonreifen besohlte Suzuki. Ihr Fahrwerk hat eklatante Schwächen. Lenkpräzision? Fehlanzeige. Man kommt in Kurven halt irgendwo raus. Stabilität? Nein, ständig ist viel Unruhe und Bewegung im Chassis. Neutral ist anders. Das gilt sogar bei Geradeausfahrt. Bei langsamem Tempo taumelt die Trude, bei hohem pendelt sie. Ihr allzu straffes Federbein ist in der Zugstufe überdämpft, es bleibt unten stecken. Und spricht unsensibel an, poltert über Bodenwellen, haut einen auf miesem Asphalt aus dem Sitz. Zum Verändern der Federvorspannung, etwa für den Passagier, müsste man in die Werkstatt. Wer konstruiert so was? Und das, wo die Suzi neben der Kawasaki Sozius‘ Liebling ist.

Hinten Springbock. Vorne Gleiter. Der dicke Reifen weist komfortfördernd viel Eigendämpfung auf. Die Upside-down-Gabel der Suzuki ist gar nicht schlecht, verwindet sich jedoch beim Griff zur extrem schlechten Bremse. Sie verquickt hohe Handkraft mit mäßiger Dosierbarkeit und mieser Wirkung. Hinten bremst wie an der Honda eine zahnlose Trommel. Also immer schön vorausschauend fahren. Dabei ist unter Alleen die Ablenkung besonders groß. Wenn sich knorrige Äste und sattgrüne Blätter gekrümmt im Chrom der Suzuki- oder Honda-Lampe spiegeln. Super. Cruisen, das kann die Suzuki. Der beste Lenker des Felds liegt ideal zur Hand. Absolut entspannt ist die Sitzhaltung, der Fahrer toll in die Trude integriert. Und der Vau-Zwo trifft genau den richtigen Punch, ist elastisch wie belastbar. Dazu pulsiert er sanft und präsent, mit good Vibrations des Typs „Seelenmassage“. Nerviger kribbelt die kleine Honda in Lenkergriffen und Fußrasten. Dafür klingt der Bonsai-Cruiser besonders erwachsen. Er blubbert dumpf und sonor wie ein ganz Großer. Das perlt. Die bescheidene Leistungsausbeute dagegen kaum. Hier schieben maximal 44 PS an. An Steigungen, wie der zur Festung Königsstein, ist der Honda-Fahrer einen Gang niedriger unterwegs als seine Kollegen. In der Ebene reicht die Power. Die sparsame Honda ist einfach noch mehr als die anderen für Fahrer bestimmt, denen zweistellige Geschwindigkeitsbereiche genügen. Darüber wird die Shadow ziemlich zäh.

Ergonomie und Fazit

Schwacher V2 und billige Thai-Reifen von Maxxis mahnen zur Mäßigung. Die Federung arbeitet komfortabel, man fährt wie in Watte. Auf derben Bodenwellen schlägt die weiche Gabel durch, und die soften Federbeine sind überfordert, schnellen unterdämpft nur so heraus. Außerdem zuckt die Shadow dann schon mal mit dem zu weit nach hinten gezogenen Lenker. Überhaupt die Ergonomie: Größere Fahrer können mit den Knien lenken. Da verkörpert die Kawa genau das Gegenteil. Eine coole Karre. Und ein verdammt stimmiges Konzept. Mit abgefahrenen Felgen, vorne Wagen-, hinten Scheibenrad, und Dekors in Tattoo-Optik. Fühlt sich einfach gut an, den in seiner Position unverrückbaren, hohen Lenker zu greifen. Die Füße ruhen weit vorn, echt souverän. Dazu passt der kernige Klang, der V2 schiffsdieselt immerhin ein wenig. Weich pulsiert er, ganz smooth, treibt einen geschmeidig und elastisch durchs komplette Drehzahlband. Völlig frei von Lastwechselreaktionen nimmt er Gas an. Fein.

Auf Bremsen und Fahrwerk ist Verlass. Zielgenau und berechenbar zieht der Kawa-Chopper seine Bahn. Er stellt sich beim Verzögern in Schräglage null-komma-null auf und bleibt, wenn‘s denn mal sein muss, selbst auf der Autobahn stoisch stabil. Gabel und Federbein haben im Fahrbetrieb genügend Reserven. Echt nicht schlecht, das Custom-Bike von der Stange. Der leicht erhöhte Kraftaufwand beim Wedeln in schnellen Wechselkurven passt zu diesem Männer-Motorrad. Das mit knapp 8500 Euro in der Mitte des Spektrums zwischen 8000 und 9000 Euro liegt. Dafür gäbe es auch schon eine Harley Sportster 883. Zurück in Dresden. Vor der Semperoper staunen die Touristen. „Das sind alles Nachbauten, alles Nachbauten.“ Der ältere Herr steht auf seinen Krückstock gestützt vor den fünf funkelnden Maschinen. „Nur die Triumph, die ist original.“ Nun ja, so ganz ist er wohl nicht im Bild. Der ideale Mittelklasse-Cruiser hätte die Coolness der Kawa, das Design der Triumph, die Sitzposition der Suzuki, den Sound der Honda und den Punch der Yamaha. Das muss der ältere Herr ja nicht ahnen, als er weiter humpelt: „Wenn ich mal gar nicht mehr laufen kann, dann kauf‘ ich mir auch ein Motorrad.“

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Erscheinungsdatum 15.09.2023