Brammo Empulse R im Einzeltest
Normales Motorrad trotz Elektro-Antrieb?

Brachial beschleunigen, dynamisch kurven, genussvoll touren. Die Brammo Empulse R will trotz Elektro-Antrieb gern ein normales Motorrad sein. Mit Sechsganggetriebe, sportlichem Fahrwerk, guten Bremsen, dicken Akkus und kurzzeitiger Preissenkung will sie die E-Mobilität fördern. Frommer Wunsch oder alltagstaugliche Alternative?

Normales Motorrad trotz Elektro-Antrieb?
Foto: Jahn

"Die geht ja richtig gut ab.“ Der GSX-R-Pilot an der Ampel ist irritiert, denn soeben wurde er das erste Mal in seinem Leben von einem Elektromotorrad abgeledert. Ja, die Brammo Empulse R kommt verzögerungsfrei aus dem Startblock, dreht leichtfüßig hoch und zieht ihrem Fahrer die Arme lang. Subjektiv fühlt sich das nach mehr als 40 kW an. Glaubt man den Versprechungen des amerikanischen Herstellers, läuft die Empulse R 177 km/h Spitze, verbläst mit 90 Nm Drehmoment auf der Landstraße potente Mittelklassebikes und muss im Mittel erst nach 130 Kilometern nachladen.

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Diese Ansage von Brammo-Gründer und CEO Craig Bramscher schreit nach Überprüfung. Bramscher, dessen Elektro-Antriebe in den USA Investoren wie Polaris angelockt haben, hat seine Motorräder in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt. Er hat Elektro-Rennen gewonnen, Design-Preise eingeheimst und die Polizei von Hongkong mit seinem Elektro-Bike Enertia ausgestattet. Sein Spitzenprodukt, die Brammo Empulse R mit wassergekühltem Synchronmotor, hat er für 2014 auf 216 Kilogramm abgespeckt und weiter optimiert. Reicht das für Euphorie?

Geräuschlos fahren klingt anders

Zumindest reicht es für ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit. Denn das Leben mit Brammos Empulse R und ihrer günstigeren Schwester Empulse sorgt für Diskussionen. Man dreht den Zündschlüssel – und es passiert nichts. Erst nach ein paar Sekunden leuchten die Skalen der Instrumente. Jetzt den Startknopf drücken, dann erscheint die Anzeige „on“. Komisch, der Leerlauf des Sechsganggetriebes liegt zwischen zweitem und dritten Gang. Ich lege den Ersten ein, obwohl man prinzipiell in jedem Gang ohne Kupplungseinsatz anfahren kann. Der Dreh am „Stromgriff“ erzeugt nur mit viel Gefühl keinen harten Lastwechselschlag, dann rollt die Brammo los.

Geräuschlos fahren klingt anders. Von 1000 bis 2000 Umdrehungen jault die Brammo Empulse R wie ein mondsüchtiger Wolf, ab 4000 klingt es nach Straßenbahn und ab 6000 wie ein Zahnarztbohrer. Spätestens nahe der 8000 wird der nächsthöhere Gang eingelegt, was aber nur mit Kupplungszauberei ruckfrei verläuft. Die von der italienischen Firma SMRE zugelieferte Schaltbox mit ihrer hydraulisch betätigten Mehrscheiben-Nasskupplung nervt mit zäher Schaltbarkeit, Lastwechseln und Spiel im Antriebsstrang. Doch der Motor entschädigt dafür vor allem in den unteren Gängen mit Spaß bringendem Punch.

Insgesamt vermittelt die Brammo Empulse R ein sicheres Fahrgefühl

Schalte ich dann noch vom „normalen“ in den schärferen Sport-Modus, reagieren andere Verkehrsteilnehmer perplex. Wenn das Elektrobike an der Ampel loszischt, klingt es für die Umwelt weniger laut als für den Fahrer. Außerdem sieht es nicht aus wie ein Bastler-Prototyp, sondern wie ein fein gemachtes Motorrad. Der üppig ­dimensionierte, in Italien gefertigte Alu-Rahmen, die einstellbare 43-Millimeter-Marzocchi-Gabel, die Brembo-Doppelscheibenbremsanlage, das liegende, direkt angelenkte Sachs-Federbein und die sportliche Gitterrohrschwinge sind Eckpfeiler eines stabilen Fahrwerks. Die Wahl der Reifen fiel auf den vielfältig talentierten Continental SportAttack 2, der sich Mühe gibt, die gemessen an ihrem zierlichen Erscheinungsbild nicht sonderlich handliche Brammo Empulse R geschmeidig um die Ecken zu bringen.

Vier der sieben großen Lithium-Ionen-Akkus sind oberhalb des Rahmenprofils angeordnet, drei darunter, sodass der Schwerpunkt verhältnismäßig weit oben liegt und im Verbund mit dem übertrieben breiten 180er-Pneu im Heck für latente Hüftsteifigkeit beim Einlenken sorgt. Im Großstadt­dschungel nervt zusätzlich der begrenzte Lenkeinschlag. Insgesamt aber vermittelt die Brammo Empulse R ein sicheres Fahrgefühl. Spurtreu durcheilt sie schnelle Landstraßenkurven, die Brembo-Stopper vorn ankern mit Macht, während das hintere Pendant eher verhalten zupackt. Sobald die Straße Falten wirft, zeigt das Fahrwerk seine Schattenseite: Die Federelemente agieren überdämpft, sprechen mäßig an und nerven vor allem hinten mit unnötiger Härte.

Sechsganggetriebe erscheint unnötig

Unnötig erscheint auch das Sechsganggetriebe der Brammo Empulse R. Es ist so eng abgestuft, dass die Drehzahl nach dem Schalten nur minimal abfällt. Wozu also der Aufwand? Klar, Brammos Ingenieure möchten dem Piloten helfen, den Motor bei unterschiedlichen Übersetzungen im optimalen Drehzahlfenster zu halten, seinen Wirkungsgrad steigern, den Stromverbrauch senken. Leider vernichtet das mechanische Getriebe mit seiner Reibung und seinem Gewicht zumindest einen Teil dieser Bemühungen.

In der Stadt ertappe ich mich dabei, nur die ersten drei Gänge zu nutzen, außerhalb nur die drei letzten. Wenn schon mechanisches Getriebe, dann hätten drei Gänge ­gereicht. Eigentlich braucht ein Elektro-Antrieb gar keine Schaltbox, wie das Mitbewerber-Motorrad Zero mit teilweise besseren Fahrleistungen beweist. Als müssten sie ihr Getriebe rechtfertigen, passten Brammos Ingenieure die Motorcharakteristik der Brammo Empulse R künstlich derjenigen eines Verbrenners an. Auch wenn von Drehzahl eins an theoretisch das volle Drehmoment bereitsteht, schlägt zumindest in den unteren Gängen der Elektro-Hammer erst ab 3000 Umdrehungen zu, die volle Leistung liegt in „Sport“ bei 5400 Umdrehungen an. Und der Motor zeigt Muskeln: Selbst mit einem 100-Kilogramm-Sozius geht er nicht in die Knie. Der Sozius selbst schon, denn sein Kniewinkel ist alles andere als langstreckentauglich. Wie übrigens das ganze Motorrad kein Touring-Wunder ist, obwohl die Ergonomie für den Fahrer in Ordnung geht.

Akkus halten zwischen 60 und rund 120 Kilometer

Limitierender Faktor sind wie immer auch bei der Brammo Empulse R die Akkus. Je nach eingestelltem Modus (Sport-Modus sowie Soziusbetrieb fordern deutlichen Tribut), Straßenwahl und Fahrweise halten die mit Fünfjahresgarantie geadelten Stromspeicher zwischen 60 und rund 120 Kilometer. Beschleunigungsorgien ziehen besonders viel Saft. Die nominell gleich starke, aber drehmomentschwächere normale Empulse verbraucht etwas weniger bei geringfügig schlechteren Fahrleistungen (siehe Datenkästen). Der Stromgewinn durch Rekuperation im Schiebebetrieb ist minimal, die Bremswirkung fällt schwächer aus als bei Verbrennern.

Beide Brammos haben einen eingebauten Schnelllader, der eine Vollladung in drei Stunden erlaubt. Trotzdem werden manche Touren zur Zitterpartie, weil ich mir bei dynamischerem Fahrstil bereits 40 Kilometer nach dem Start Gedanken über die nächste Lademöglichkeit machen muss. Dann ist da noch der Preisschock. 17.493 Euro soll die Brammo Empulse R, 15.240 Euro die normale Empulse kosten. Aber Achtung: Ursprünglich wollte Bramscher seine E-Bikes bereits im April 2014 ausliefern, sie kamen aber erst Anfang August. Grund waren Lieferprobleme des Getriebeherstellers. Zum Trost werden vom 01.09 bis 31.10.2014 die Preise um satte 5600 Euro gesenkt. Wer früher gekauft hat, wird entschädigt. E-Freaks sollten jetzt zuschlagen, für alle anderen ist die Empulse mehr ein Versprechen auf eine mögliche E-Zukunft als echte Alltagsalternative.

Technische Daten Brammo Empulse / Brammo Empulse R

Jahn
Leistungsdiagramm.

Motor: Wassergekühlter permanenterregter Synchronmotor mit Oberflächenmagneten, automatische Rekuperationsfunktion, 3 kW integriertes Ladegerät, Lithium-Ionen-Akku, maximale Akku-Kapazität 10 kWh, 7 Module je 36 Zellen, 90 Ah pro Modul, Akku-Spannung 104 V, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette.
Maximale Leistung
Empulse:  40 kW (54 PS) bei 6000/min
Empulse R: 40 kW (54 PS) bei 4500/min
Nennleistung
Empulse, Empulse R: 22 kW (30 PS) ECE R 85
Max. Drehmoment
Empulse 63 Nm
Empulse R90 Nm

Fahrwerk: Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, [Empulse R: verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung], Zweiarmgitterrohrschwinge aus Stahl, Zentralfederbein direkt angelenkt [Empulse R: verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung], Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 15
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Bereifung im Test: Conti SportAttack 2

Maße+Gewichte: Radstand 1437 mm, Lenkkopfwinkel 66 Grad, Nachlauf 97,5 mm, Federweg v/h 127/69 mm, Sitzhöhe* 800 mm, Gewicht* 216 [214] kg, Zuladung 164 [166] kg.
Garantie
Fahrzeug/Batterie: zwei/fünf Jahre
Farben
Empulse: Schwarz/Rot
Empulse R: Schwarz, Rot, Gelb, Silber
Preise
Empulse: 15.113 Euro (bis 31.10.2014: 9513 Euro)
Empulse R: 17.493 Euro (bis 31.10.2014: 11.893 Euro)
Nebenkosten: 420 Euro

Messwerte

  Empulse   Empulse R  
Standard-Modus      Sport-Modus      Standard-Modus     Sport-Modus
Höchstgeschwindigkeit   
158 km/h 172 km/h 162 km/h 172 km/h
Beschleunigung
0–50 km/h 3,4 sek 2,6 sek 2,8 sek 2,2 sek
0–100 km/h 8,8 sek 6,4 sek 6,8 sek 5,6 sek
0–140 km/h 18,5 sek 13,3 sek 17,0 sek 12,7 sek
Durchzug
60–100 km/h 2. Gang 3,9 sek 2,9 sek 3,2 sek 2,7 sek
60–100 km/h 6. Gang 8,3 sek 6,2 sek 6,1 sek 4,8 sek
100–140 km/h 6. Gang 14,1 sek 9,2 sek 8,8 sek 6,3 sek
Testverbrauch/100 km 7,8 kWh 8,5 kWh 8,1 kWh 9,0 kWh
Reichweite 128 km 118 km 123 km 112 km
Ladestromaufnahme 10,0 kWh 10,0 kWh 10,0 kWh 10,0 kWh

*MOTORRAD-Messungen; Diagramm: Leistung an der Abtriebswelle; Messungen auf dem Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5 %

Unterscheide zum Basismodell und Fazit

Jahn
Subjektiv fühlt sich die Brammo Empulse R im Vergleich zum Basismodell nicht um Welten stärker an.

Brammos „normale“ Empulse (Bild rechts) entwickelt offiziell statt 90 „nur“ 63 Nm Drehmoment. Beide Motoren leisten 40 kW, die „R“ bei 4500/min, die Empulse bei 6000/min. Die von MOTORRAD gemessenen Werte weichen von den Werksangaben ab. Federbein und Gabel der Empulse sind einfacher aufgebaut, nicht voll einstellbar und in Schwarz gehalten. Subjektiv fühlt sich die Brammo Empulse R nicht um Welten stärker an.

Fazit

Gute Ansätze, aber Fahrwerksabstimmung und Getriebe gehören modifiziert. Im Moment ist die Brammo Empulse R trotz Fahrspaßbonus noch keine Alternative zu Yamaha MT-07 und Co.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023