Roberto Colaninno ließ sich hinreißen: »Noch in Jahrzehnten«, rief der sonst so kühle Piaggio-Präsident vor rund 200 Journalisten aus aller Welt begeistert, »werden wir uns daran erinnern, dass wir an diesem historischen Tag dabei waren!« Anlass für den ungewohnt emotionalen Auftritt war die erste öffentliche Präsentation der Hybrid-Roller des Hauses.
Eine Kombination aus Benzin- und Elektromotor soll bei den Rollern Verbrauch und Abgase drastisch reduzieren. Neu ist die Technik nicht: Toyota verkaufte vom Hybrid-Wagen Prius weltweit bereits eine Million Stück und stieg inzwischen zum größten Autobauer der Welt auf. Piaggio hat nun den Ehrgeiz, das erste Hybrid-Zweirad auf den Markt zu bringen und damit durchaus Chancen, wie Toyota seinen Absatz kräftig zu steigern. Kein Wunder, dass mit dem 64-jährigen Piaggio-Boss Colaninno bei solchen Aussichten die Gäule durchgingen.
Doch noch befinden sich die Hybrid-Scooter namens HyS im Prototypen-Stadium und stehen damit unter besonderem Schutz. Nur eine Handvoll Journalisten darunter MOTORRAD als einzige ausländische Zeitschrift durfte die rollenden Labors ausprobieren.
Drei Fahrzeuge standen auf Piaggios hauseigener Teststrecke in Pontedera in der Toskana bereit: eine Vespa LX 50, ein Piaggio X8 125 und ein MP3 250, Piaggios innovatives Dreirad. Rein äußerlich unterscheiden sie sich kaum von den Standardmodellen, weil die Techniker den Elektromotor geschickt an der Automatikkupplung der Roller am Hinterrad unterbrachten, nur deren Gehäuse geriet etwas üppiger. Erst der Blick unter die Sitzbank enthüllt mehr: Hier finden sich die Batterien, bei der Vespa und beim X8 aus Blei, beim MP3 aus Lithium. Platz für Gepäck beziehungsweise einen Helm bleibt dennoch. Der Vespa dient zu diesem Zweck ein farblich abgestimmtes Topcase.
Auf zur ersten Runde. Ein wenig Einweisung braucht es allerdings, da die drei Hybriden einen Wahlschalter für den Fahrmodus haben. Außer im reinen Elektrobetrieb arbeiten der Benzin- und der Elektromotor immer parallel, die Batterien werden beim Bremsen und im Schiebebetrieb beim Gaswegnehmen aufgeladen wie stark, lässt sich über besagten Schalter einstellen. Für den Anfang empfiehlt Piaggios Projektleiter Luca Carmignani den Standard-Modus. Dabei steuert der Verbrennungsmotor 65 Prozent, das Elektroaggregat 35 Prozent zur Leistung bei.
Das Ganze fährt sich fast schon enttäuschend normal, Unterschiede zu den konventionellen Modellen lassen sich ad hoc nicht feststellen. Für ein wenig Nervenkitzel sorgt einzig der MP3, der dank seiner beiden Vorderräder Schräglagen bis zur Verkleidungskante ermöglicht. Damit das trotz des dickeren Kupplungsgehäuses auch beim Hybriden so bleibt, verpassten ihm die Ingenieure ein 14er- statt des serienmäßigen Zwölf-Zoll-Hinterrads.
Doch wir wollen mehr nämlich das ultimative Hybrid-Erlebnis. Und es kommt tatsächlich. Zunächst mit dem Fahrmodus »geringe Ladung«. Dabei werden die Batterien kaum geladen, der Elektromotor stellt nahezu seine ganze Kraft zur Verfügung. Und das wirkt sich aus: Die Roller ziehen aus dem Stand ab. Und das kernig. Piaggio spricht von einem Beschleunigungszuwachs bis zu 85 Prozent. Was ganz neue Möglichkeiten beim Ampelstart verheißt noch dazu (fast) ohne schlechtes Gewissen, da die Roller in diesem Modus außerdem besonders wenig Benzin schlucken. Im Idealfall soll der Verbrauch auf 100 Kilometer bei nur 1,7 Litern liegen.
Aber die Hybriden können noch ganz anders nämlich rein elektrisch. Gerade in Italien, dem Mutterland des Rollers, besteht ein reges Interesse an Elektrofahrzeugen, immer mehr Städte sperren wegen Smog und Feinstaub ihre Zentren für den normalen Verkehr. Für die Hybriden sind solche Sperrzonen kein Hindernis, wenn sie per Wahlschalter auf Elektrobetrieb gestellt werden. »Vorher bis auf etwa 30 km/h abbremsen und dann einfach umschalten«, rät Projektleiter Carmignani. Und in der Tat, der Verbrennungsmotor verstummt, die Fahrt geht rein elektrisch weiter. Die Szene wirkt wie aus einem surrealen Film: Eine Mini-Rennstreckemit farbigen Curbs und Steilwandkurven, auf der sich drei Roller jagen und außer dem Abrollgeräusch der Räder ist kein Laut zu hören. Beinahe schon gespenstisch.
Aber für die Rennstrecke hat Piaggio die Hybriden natürlich nicht entwickelt. Für Langstrecken eignen sich die Scooter nur, wenn hauptsächlich die Benzinmotoren Leistung produzieren. Gedacht sind sie vor allem für die Städte. Nach dem ersten Fahreindruck dürften die Hybrid-Roller dort eine gute Figur machen: schadstoffarm, auf Wunsch rein elektrisch und noch dazu mit besseren Fahrleistungen in bestimmten Modi. Praktisch zu handhaben ist die Technik obendrein, da sich die Batterien während der Fahrt aufladen. Reicht das nicht aus, werden sie zu Hause an eine ganz normale Steckdose angeschlossen.
Als erster Hybride soll in etwa einem Jahr ein MP3 125 auf den Markt kommen, und zwar mit Lithium-Batterien. Im Vergleich zu bislang üblichen Bleibatterien weisen diese laut Piaggio eine sechsmal so hohe Lebensdauer auf, sind nur halb so groß und wiegen immerhin 70 Prozent weniger. Weshalb der Hybrid-MP3 lediglich 20 Kilogramm mehr auf die Waage bringen soll als das gewöhnliche Modell, also rund 220 Kilogramm trocken.
Die 125er-Version wählt Piaggio für den Start, weil sie in vielen Ländern auch mit dem Autoführerschein gefahren werden darf. Und das Dreirad MP3 muss es deshalb sein, weil sich so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen: »Wir bieten damit im Vergleich zu Standard-Rollern nicht nur ein umweltfreundlicheres, sondern auch noch ein sichereres Fahrzeug«, gibt sich Piaggio-Boss Colaninno selbstbewusst. Der Preis für die im Zweiradsektor neue Technik dürfte allerdings eher hoch liegen: Die vorläufige Aussage »unter 10000 Euro« klingt nicht gerade nach einem Sonderangebot.
Technik im Detail
Der Hybrid-Antrieb der Piaggio-Roller besteht aus einem Elektro- und einem Viertakt-Ottomotor, die mechanisch und elektronisch miteinander verbunden sind. Bei Bedarf lässt sich der Verbrennungsmotor abschalten, die Fahrt geht geräusch- und abgasfrei weiter. Ansonsten arbeiten die Aggregate parallel, wobei der Elektromotor unterstützend eingreift, was gerade beim Beschleunigen zu deutlich verbesserten Leistungen führt. Beim Bremsen und im Schiebebetrieb fungiert er als Generator und lädt mittels der Bremsenergie, die ansonsten wirkungslos verpuffen würde, seine Batterien wieder auf.
Erfunden hat Piaggio diese Technik nicht, setzt sie aber als erster Hersteller für die Serienproduktion von Zweirädern um. Der Elektromotor sitzt dabei über der Automatikkupplung des Rollers, die Batterien finden unter der Sitzbank Platz. Die komplette Steuerung übernimmt ein Ride-by-wire-System. Es sorgt dafür, dass der Verbrennungsmotor möglichst effektiv arbeitet und reduziert so bereits dessen Schadstoffe. Piaggio gibt minimal 40 g/km Kohlendioxid-Ausstoß im Vergleich zu 90 g/km bei konven-tionellen Rollern an, vorausgesetzt, der Elektro-Motor steuert 35 Prozent der Leistung bei. Zudem analysiert das System permanent verschiedene Parameter, beispielsweise den Ladezustand der Batterie, und entscheidet in der Folge, welcher der beiden Motoren für wie viel Leistung aufkommen muss. Piaggio verspricht maximale Effizienz für seine Hybrid-Roller, nämlich einen um bis zu 60 Prozent reduzierten Kraftstoffver-brauch und eine um bis zu 85 Prozent bessere Beschleunigung.
An den Piaggio-Prototypen, die MOTORRAD fuhr, kann der Fahrer zudem beeinflussen, wie das System arbeiten soll, und zwar über einen Wahlschalter am Lenker. Neben einem Rück-wärtsgang und dem reinen Elektrobetrieb stehen drei verschiedene Fahrstufen zur Verfügung: Im »Hybrid Standard« wird der Ladezustand der Batterien auf einem optimalen Niveau gehalten (75 Prozent). Im Modus »hohe Ladung« geht mehr Energie an die Batterien, die auf 95 Prozent geladen werden. Am meisten Spaß macht der Modus »geringe Ladung«: Dabei werden die Batterien auf einem Niveau von nur 20 Prozent Ladung gehalten, der Elektromotor stellt seine ganze Power in den Dienst des Rollers. Resultat: Der Benzinverbrauch und die Emissionen sinken, gleichzeitig erhöht sich die Leistungsabgabe kräftig. Ob diese wählbaren Modi auch im Serien-fahrzeug erhalten bleiben, steht noch nicht fest.
Interview mit Luca Carmignani
Der Chef der Abteilung Motoreninnovation bei Piaggio, Luca Carmignani, über die Entwicklung der Hybrid-Scooter.
Seit wann läuft die Entwicklung der Hybrid-Motoren?
Seit 2001, und zwar in Zusammenarbeit mit der Universität Pisa. Bei Piaggio sind wir inzwischen eine Gruppe von zehn Leuten.
Wie sehen Ihre praktischen Erfahrungen mit den Fahrzeugen aus?
Die Roller werden nicht nur von unseren Testfahrern, sondern auch außerhalb erprobt. Seit einem Jahr sind je zwei Vespa LX 50 und Piaggio X8 125 bei den Stadtverwaltungen von Mailand und Florenz im täglichen Einsatz. Bis-lang läuft dieser Praxisversuch sehr erfolgreich.
Im Elektrobetrieb haben die Roller eine Reichweite von 20 Kilometern. Ist das nicht ein bisschen wenig?
Wir finden eigentlich, dass es ganz schön viel ist. Der Toyota Prius schafft nur neun Kilometer. Unsere Reichweite von 20 Kilometern genügt locker für jene Sperrzonen, in denen Verbrennungsmotoren inzwischen tabu sind, beispielsweise in den Altstädten von Rom oder Florenz. Zudem laden sich die Batterien über den Verbrennungsmotor schnell auf, wenn man die Sperrzonen verlässt: Dabei generieren die Batterien innerhalb von zehn Minuten Fahrt wieder Leistung für 2,5 Kilometer im reinen Elektrobetrieb.
Alle drei Prototypen, die wir ausprobiert haben, sind im Elektrobetrieb recht langsam. Können die nicht schneller?
Oh doch, durchaus. Die 50er-Vespa schafft mit Elektromotor 45 km/h, der 125er und der 250er sogar 60 km/h. Aber wir haben das Tempo im Elektrobetrieb ganz bewusst begrenzt, beim 50er auf 25 km/h, bei den anderen beiden auf 35 km/h. Zum einen vergrößert sich dadurch die Reichweite, zum anderen halten wir eine höhere Geschwindigkeit für gefährlich. In den angesprochenen Sperrzonen bewegen sich hauptsächlich Fußgänger und Radfahrer, und wenn da ein 200-Kilogramm-Roller wie der MP3 mit 60 Sachen ankommt, sind Unfälle fast unver-meidlich, denn er fährt ja völlig geräuschlos.
Der Hybrid-Roller MP3, der in rund einem Jahr auf den Markt kommen soll, wird mit Lithium-Batterien ausgestattet. Wie hoch ist deren Lebensdauer?
Sie liegt bei etwa 30000 Kilometern, das entspricht bei einem durchschnittlichen italieni-schen Rollerfahrer etwa fünf Jahren. Danach kann man die Batterien auch austauschen, aber um da über Kosten zu sprechen, ist es noch zu früh.
Die Batterien für den Elektromotor lassen sich nicht nur über den Verbrennungsmotor, sondern auch übers Stromnetz aufladen. Wie lange dauert das?
Bis sie ganz voll sind, drei Stunden. Aber nach zwei Stunden liegen sie bereits bei 85 Prozent Aufladung, da kann man getrost schon wieder starten.
Piaggio hatte 1998 bereits einen Hybrid-Roller vorgestellt, den Zip&Zip. Der war aber kein Erfolg. Warum sollte es jetzt anders sein?
Der Zip&Zip hatte eine andere Technik, es gab nur entweder Elektro- oder Benzinbetrieb, nicht beides gemeinsam, und seine Batterien luden sich während der Fahrt nicht auf, die Reichweite war daher gering. Außerdem existieren zumindest in den italienischen Großstädten heutzutage Ladestationen für Elektrofahrzeuge, das gabs damals nicht. Und dann hat sich natür-lich auch das Klima geändert, sowohl atmosphärisch wie politisch. Immer mehr Städte machen ihr Zentrum für Normalverkehr dicht oder erheben Mautgebühren. Deshalb besteht heute eine viel größere Nachfrage nach umweltfreundlichen Fahrzeugen.