Wie das Thema auf den Tisch kam, ist nicht mehr ganz klar. Es war in einer Morgenkonferenz. Und irgendwie kreiste das Gespräch darum, womit es sich wohl am stressfreiesten und zügigsten über die Lande toben lässt. „Hubraum, oder noch besser, Leistung, ist durch nichts zu ersetzen“, warf jemand in die Runde. Das forderte Widerspruch geradezu heraus. „Quatsch, zuallererst braucht’s ein gutes, straffes Fahrwerk“, kam prompt der Konter. „Aber nicht in einem Sportler, die gehören auf die Rennstrecke, ein Naked Bike mit Power, das ist’s.“
„Pah, auf der Landstraße fahre ich da mit einer Großenduro Kringel drum.“ Das hatte gesessen. „Sicher nicht mit so einem Dickschiff“, kam es schüchtern aus einer Ecke. „Ein guter Fahrer ist mit allem schnell“ prompt aus einer anderen. Ein Tumult stand kurz bevor. In so einem Fall hilft nur eines: Das wird ausgefahren. Schließlich geht es auch um die Frage, mit welchem Konzept das Kurvenräubern leicht von der Hand geht, welches dabei eher für Stress sorgt. Und ob ein erfahrener, schneller Pilot und ein Normalo mit den Konzepten unterschiedlich zurechtkommt. Top-Tester Karsten Schwers wird als erfahrener Testprofi Gas geben, MOTORRAD-Mitarbeiter Sebastian „Basti“ Schmidt als routinierter Durchschnittspilot in den Sattel steigen.
Maschinen gehören zum Stärksten aus jedem Segment
Die Probanden für diese Geschichte sind rasch ausgemacht. Keine Durchschnittsware. Sondern Maschinen, die kicken und zum Stärksten und Schärfsten gehören, was das jeweilige Segment zu bieten hat: Aprilias Superbike-Derivat Aprilia Tuono V4 1100 RR wird die Fraktion der sportlichen Naked Bikes vertreten. Die KTM 1290 Super Adventure die hubraumstarken Reiseenduros. Die BMW S 1000 XR soll die Fahne der Crossover-Bikes hochhalten und die Yamaha YZF-R1 für die Sportler an den Start gehen.
Weil sich das Gefühl aber allzu leicht täuschen lässt, wird mittels unbestechlichem Data-Recording aufgezeichnet, mit welchem Konzept was geht – immer im legalen Rahmen versteht sich. Und dabei auch gleich einigen Binsenweisheiten auf den Zahn gefühlt. Natürlich auf einer unserer Lieblings-Winter-Teststrecken, einem kleinen, verschlungenen Pass im Süden Frankreichs, wo um diese Jahreszeit noch ansprechende Bedingungen herrschen. Dort sollen beide Fahrer stets mit möglichst gleichem Einsatz möglichst zügig die Kehren und Serpentinen in Angriff nehmen. Und zwar bergauf wie bergab.
Yamaha YZF-R1 geht ab wie eine Rakete
Also gut, an Leistung mangelt es keiner der vier Maschinen. Immerhin reicht die Spanne von der BMW S 1000 XR und KTM 1290 Super Adventure mit 160 PS bis zur 200 PS starken Yamaha YZF-R1. Die Aprilia Tuono V4 1100 RR liegt mit 175 PS in der Mitte. Aber ist nun der riesige 1290er-Twin von KTM im Vorteil? Oder bringt allein die gewaltige Leistungsspitze einer R1 gegenüber den anderen wirklich mehr Speed?
Scheint so, denn wenn der Yamaha-Vierzylinder loslegt, dann geht die R1 ab wie eine Rakete. Allerdings zündet ihr Nachbrenner erst bei 7000/min so richtig. Dann aber mit aller Gewalt. Dumm nur, dass da im ersten Gang bereits gut 80 km/h auf der Uhr stehen. Das Ding dreht zwar wie Hölle, ist aber auch lang übersetzt. Segen auf der Rennstrecke, Fluch hier und jetzt. Soll es rasch gehen, sind erster und zweiter Gang auf der Yamaha YZF-R1 im Dauereinsatz. Und in Serpentinen kommt mitunter in bester 125er-Manier die Kupplung zum Einsatz – auch um den ersten Lastwechselruck zu glätten. „Der rasante Leistungsanstieg, die Power immer kontrolliert abzurufen, das schlaucht auf Dauer“, gibt Sebastian zu. „Die harte Gasannahme und die auf Spitzenleistung ausgelegte Leistungsentfaltung vermitteln bei gleichem Tempo spürbar mehr Stress“, pflichtet Karsten bei.

Aus engen Biegungen oder Kehren heraus geht es eben nicht mit 120 Sachen, sondern zwischen 30 und 60 km/h. Im ersten, zweiten, bestenfalls dritten Gang. Und dann muss beim Gasanlegen Schmalz da sein. Reichlich und wohldosierbar. Die Zugkraftdiagramme (siehe Messwerte und Data-Recording) sprechen eine klare Sprache. Beim ersten Antritt ist der Papierform nach die KTM 1290 Super Adventure der Star. Allerdings auch wegen einer kurzen Übersetzung. Der Schaltfuß ist bei ihr am stärksten gefordert. Schaltautomat Fehlanzeige. Sei’s drum, sie haut am Kurvenausgang die stärksten Durchzüge raus, egal in welchem Gang. Die KTM reißt mit urwüchsiger Kraft an, obwohl sie der fetteste Brummer des Quartetts ist. Legt dabei aber auch die größte Lust an den Tag, das Vorderrad in die Höhe zu reißen.
„Wie die KTM lospowert, das ist Balsam für die Seele“, freut sich Sebastian. Wirklich ausruhen kann er sich trotzdem nicht. Um häufiges Schalten kommt er nicht herum. So tun sich unterm Strich sowohl Karsten als auch Sebastian mit der Leistungsabgabe der Aprilia Tuono V4 1100 RR und BMW S 1000 XR leichter als mit KTM 1290 Super Adventure und Yamaha YZF-R1. Erfrischend schnalzen die beiden aus den Ecken, stürzen vehement aufs nächste Eck zu. Sie sind hierfür nahezu optimal übersetzt und hängen direkt am Gas. So sticht die gut verwertbare Power von BMW und Aprilia – auch ohne Bestwerte.
„Ein straffes Fahrwerk, das zählt“
Demnach müsste die Sache eigentlich klar sein. Das stabilste Fahrwerk in diesem Feld führt die Yamaha YZF-R1 mit sich, da bestehen überhaupt keine Zweifel. Wobei: Auch die Aprilia Tuono V4 1100 RR besitzt ein echtes Knaller-Fahrwerk, im Grunde jenes des Superbikes RSV4. Allerdings mit anderer Dämpferabstimmung. Steht die komfortable Fahrwerksabstimmung der KTM 1290 Super Adventure mit ihren langen Federwegen gehobenem Kurvenspaß entgegen, oder ist sie dank semiaktiven Fahrwerks Hecht im Karpfenteich? Bietet gar das Crossover-Konzept der BMW S 1000 XR mit etwas mehr Federweg als bei den Sportlern den goldenen Mittelweg?
Basti jedenfalls fühlt sich auf der KTM 1290 Super Adventure zuerst einmal pudelwohl und lässt sie in schönen Bögen mit ansehnlicher Schräglage durch die Kurven segeln. Da ist ihm selbst das mäßige Ansprechen der Gabel schnuppe. Aufrecht und komfortabel gebettet, liefert ihm der segelstangenbreite Lenker einen mächtigen Hebel, um den Vierteltonner zügig durch die Kurven zu dirigieren. Jedoch nur bis zu einem gewissen Tempo. Denn werden der Speed knackiger, die Bremspunkte später und die Schräglagen verwegener, schwinden auf der Großenduro mit ihrem schmalen 19-Zöller am Vorderrad und beim Bremsen der weit eintauchenden Front Gefühl und Präzision. Zackige Schräglagenwechsel bringen viel Bewegung ins Gebälk. Dazu verbaut die ausladende Verkleidungsfront erfolgreich den Blick aufs Vorderrad und die ersten Meter Straße davor. Engagiert in die Kurven reinhalten oder die KTM mit Schmackes durch enge Wechselkurven zu treiben, ist Basti dann doch etwas zu kitzelig.

Das lässt ihn mit mehr Zurückhaltung agieren. Auch Testprofi Karsten moniert diese Dinge, treibt mit seiner Routine die KTM 1290 Super Adventure dennoch kaum langsamer als die anderen durch die Kurven. Macht’s die Aprilia Tuono V4 1000 RR Basti leichter? Sie ist leichter, ohne breite Verkleidung. Dafür knapper Knieschluss und ein feines Sportlerfahrwerk. Kommt beim Kurvenwetz sicher besser, oder? Nur bedingt. Klar fährt die Tuono um Welten präziser, viel leichtfüßiger. Allerdings kommt erst richtig Freude auf, als die Bedingungen passen, sprich: der Asphalt einigermaßen erwärmt ist und die Pirelli Diablo Rosso Corsa richtig warm geknetet sind. Erst dann liefern die Sportpellen die Rückmeldung und den Grip, den es für vertrauensvolles Hineinbremsen und Abwinkeln braucht.
In den kühlen Morgenstunden und den schattigen und teils gar feuchten Passagen des gewundenen Asphaltbandes stellt sich für Sebastian anfangs dieses Gefühl noch nicht ein. Als die Sonne für wohlige Temperaturen sorgt, wird Sebastian zutraulicher und legt seine Zurückhaltung auf der Aprilia ab. Schmettert die leichtfüßige Aprilia Tuono V4 1100 RR mit Gaudi in die Ecken, genießt perfekte Rückmeldung und exzellente Präzision. „Wenn die Bedingungen perfekt sind, ein Mordsspaß. Ist es aber nass oder kalt, dann fährt man ein wenig wie auf Eiern, fühle ich mich entkoppelt“, macht Basti die Sonnen- wie die Schattenseiten aus. Vollgas-Tier Karsten grinst, er fühlt das Limit feiner, „die Tuono macht echt Spaß, knackiger V4, klasse Durchzug, handlich und direkt“, münzt er ihre Vorzüge in Speed um.
BMW S 1000 XR ausreichend komfortabel abgestimmt
Basti frohlockt kurz darauf beim Absteigen von der BMW S 1000 XR: „Halleluja, was für ein Motorrad.“ Nicht ganz so übereifrig handlich wie die Aprilia Tuono V4 1100 RR, dafür ausreichend komfortabel abgestimmt, straff genug für prickelnde Dynamik, hält das BMW-Chassis den Kopf frei für feurige Einlagen auf kurvigen Pisten – und das unter allen Bedingungen.
Kann da die Yamaha YZF-R1 noch eins draufsetzen? Schließlich kommt sie mit dem knackigsten Fahrwerk, eine echte Sportgranate eben. Straffe Federelemente und steifer Alu-Brückenrahmen ergeben eine Kombination, die auch den schärfsten Highspeed-Attacken standhält. Genau. Und da liegt auch ein wenig der Hase im Pfeffer. Denn damit ihre Fahrwerksqualitäten zur Geltung kommen, braucht es Speed und eher weite Kurven. Und am besten ebenen Asphalt.
Je höher das Tempo, desto geschmeidiger die R1
Eine Kombination, die sich in freier Wildbahn nicht allzu häufig findet. Läuft die Yamaha YZF-R1 in schnellen Bögen fast von alleine wie am Schnürchen, ist in engen Kehren Einsatz an den schmalen Lenkerstummeln gefragt. Von selbst geht das nicht. Sorgen die Federelemente auf ebenem Asphalt für bombastische Stabilität, ist auf holperigem Geläuf, vor allem in langsamen Kurven, Zupacken gefordert. Keine Frage, ziviles Tempo fordert auf ihr am meisten. Je höher das Tempo, desto geschmeidiger funktioniert die Sportgranate. Also eher andersrum als bei den anderen.
Solch einen Brenner auf einer verwinkelten Passstraße auszupressen, das hat etwas von Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer. Findet auch unser Aushilfsheizer. Testprofi Karsten kann zwar die Vorzüge des sportlich-straffen Sportlerfahrwerks der Yamaha YZF-R1 trotz aller Nebenwirkungen nutzen und in Tempo ummünzen. Die Fahrwerke der Aprilia Tuono V4 1100 RR und der BMW S 1000 XR sind aber auch für ihn die hilfreicheren Partner, wenn es darum geht, entspannt einen flotten Strich hinzulegen.
Bergauf geht’s leichter als bergab
Das Leben läuft nicht immer in geraden, ebenen Bahnen, mal geht es bergauf, mal bergab. Und was eben noch funktionierte, kann sich nun als hinderlich erweisen. Klar beschleunigt es sich bergab leichter als aufwärts. Die Bremsen hingegen sind abwärts wesentlich stärker gefordert. Vielleicht aber wiegt hier auch das Fahrzeugkonzept schwerer als die Physik? Schlägt nun vielleicht gar die Stunde der hochbeinigen KTM 1290 Super Adventure? Das sollen die beiden auf einer Passage mit engen Kurven und uneinsehbaren 180-Grad-Kehren herausfinden. Tricky, eng und dazu eine schnellere Passage. Per Data-Recording werden wir die subjektiven Eindrücke mit unbestechlichen Messwerten abgleichen (siehe und Messwerte und Data-Controlling).
Sebastian jedenfalls nimmt zuerst mit der KTM 1290 Super Adventure die Teststrecke unter die Räder. Entspannt und mit Überblick thronen, da sollte doch was gehen. Geht aber nur bedingt, denn bergauf schiebt der V2 wie zu Beginn geschildert zwar mächtig voran, die Lust der KTM auf Wheelies lässt aber nicht immer ungezügelten Vorwärtsdrang zu. Und bergab? „Artet es echt in Arbeit aus, die Fuhre mit ihrem 30-Liter-Fass und den nach einer kräftigen Hand verlangenden Bremsen zu entschleunigen“, schnauft Basti. Bergab ist er zwar beinahe so flott unterwegs wie beim Gipfelsturm, aber viel kräftiger gefordert.

Anderes Konzept, mehr Speed und weniger Stress? Nicht ganz. Mit der Aprilia Tuono V4 1100 RR ist er zunächst bei gleichem Einsatz ähnlich zügig unterwegs wie mit der KTM 1290 Super Adventure – zumindest bergauf. Die Talfahrt dagegen fordert Sebastian schon deutlich stärker, die Anspannung steigt, das Tempo sinkt. An der kernig packenden Bremse der Tuono kann’s nicht liegen. Die hoch angebrachten Rasten und die flache Lenkstange wirken zwar sportlich, aber der Bergabritt fühlt sich dadurch ein wenig an wie der Ritt auf der Kanonenkugel. Unser Testpilot hängt stärker über dem Lenker, angespannter. Bloß nicht zu schnell in die Kurve. Den richtigen Brems- und Einlenkpunkt finden wird wichtiger als die Power des V4 und sein feuriges Anreißen am Kurvenausgang voll einzusetzen. Das kostet eben Konzentration. Jedoch nicht so viel wie auf der Yamaha YZF-R1. Mit dem Superbike absolviert Basti die Teststrecke, na sagen wir mal: am vorsichtigsten. Und ist bergab mit ihr gar deutlich am langsamsten. Das hat freilich Gründe.
Die Lenkerstummel erfordern einen tiefen Bückling, schwer lastet das Gewicht auf den Handgelenken. Besonders auf der Bremse in Bergab-Kehren. Zieht die Yamaha YZF-R1 in schnellen Passagen wie auf Schienen quasi von selbst ihre Bahn, ist in Kehren Druck am Lenker gefordert. Erst recht, wenn sich Bodenwellen hinzugesellen. Entspannt geht anders. Und wenn bergab der Vierzylinder anreißt und die Fuhre mit Gewalt auf die nächste Kehre zuschleudert, dann steigen bei weniger abgebrühten Fahrern Puls und Adrenalinspiegel im Gleichschritt.
Mehr Vertrauen in KTM und BWM
Basti jedenfalls geht die Bergab-Passagen mit der sportlich ausgerichteten Aprilia Tuono V4 1100 RR und mehr noch mit der Yamaha YZF-R1 mit Respekt, Zurückhaltung und gebremstem Schaum an. Mehr Vertrauen flößen ihm die gediegene KTM 1290 Super Adventure und besonders das Crossover-Konzept in Form der BMW S 1000 XR ein.
Sind es ihre ausgezeichneten Assistenzsysteme? Die relaxte, aber nicht zu passive Sitzhaltung? Oder das vertrauenerweckende Fahrwerk und der antrittsstarke Motor? Wohl alles zusammen. Auf jeden Fall absolviert er mit ihr die Messstrecke nicht nur insgesamt am zügigsten, sondern auch in beide Richtungen gleich schnell.
KTM erfordert am meisten Körpereinsatz bei der Kurvenhatz
Ganz klar, geringes Gewicht ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für leichtes Handling. Prinzipiell. Aber eben nicht nur, denn erst das gelungene Zusammenspiel aus Gewicht, Schwerpunktlage und Fahrwerksgeometrie sowie Sitzposition ergeben einen quirligen Kurvenbrenner. Beim Sturm auf die Kurven schiebt sich die Tuono in den Vordergrund, giert förmlich nach jedem Einlenkpunkt. Nahezu ebenso gekonnt beherrscht die BMW das Spiel mit den Schräglagen. Geht es weniger engagiert zur Sache, lässt sie sich dank breitem Lenker und lässiger Sitzposition gar wesentlich entspannter durch die Kurven treiben. Trotz des zweithöchsten Gewichts. Da fordert bei Landstraßentempo gar das Leichtgewicht Yamaha YZF-R1 mehr Körpereinsatz. Deren Gesamtpaket entfaltet erst mit aktivem Piloten bei raschen Schräglagenwechseln seine volle Schlagkraft, ganz wie es eben der Einsatz auf der Rennstrecke erfordert. Und obwohl sie „nur“ 14 Kilogramm schwerer als die BMW S 1000 XR ist, erfordert die KTM 1290 Super Adventure durch ihren hohen Schwerpunkt am meisten Körpereinsatz bei der Kurvenhatz. Besonders bergab.
Karsten jedenfalls macht sich durchweg das bessere Beschleunigungsvermögen bergab zunutze, nimmt mit seiner Routine viel Tempo mit in die Kurven und ist mit allen bergab deutlich fixer als bergauf. Wobei der Testprofi alle Maschinen ähnlich flott durch das Kurvengeschlängel treibt. Auch ihm geht es mit der BMW S 1000 XR eine Spur einfacher von der Hand, muss er sich weniger ins Zeug legen. Doch die Unterschiede bei ihm sind, was das Tempo anbelangt, gering. Was letztlich nur eine weitere Binsenweisheit bestätigt: „Ein guter Fahrer ist mit allem schnell“.

Aber bei Karsten handelt es sich schließlich um einen echten Testprofi. So, und damit zurück zum Anfang. Was ist nun mit dem Fahrspaß, was mit Stress? Welches Konzept hält beim Räubern den Kopf frei, welches fordert den Piloten am meisten? Für Sebastian ist die Sache klar. Am einfachsten hat es ihm das Crossover-Konzept der BMW S 1000 XR gemacht. Die Rennfeile Yamaha YZF-R1 hat ihn trotz all ihrer immensen Racing-Qualitäten am meisten gefordert. Nicht nur körperlich. Die enorme Power stets gezielt einzusetzen, dabei nicht über das Ziel, sprich den Bremspunkt hinauszuschieben, die anstrengende Sitzposition – das alles fordert viel Konzentration. Dazwischen pendeln die Reiseenduro KTM 1290 Super Adventure und das sportliche Naked Bike Aprilia Tuono V4 1100 RR. Viel verwertbare Leistung am unteren Ende des Drehzahlspektrums machen am Kurvenausgang gelassen.
Für Vollblut-Tester Karsten dagegen macht es nur wenig Unterschied, auf welchem Bike er sitzt – schnell geht es mit allen vieren. Doch selbst er ist mit dem Crossover-Bike müheloser unterwegs, wogegen das Superbike auch ihm höheren Einsatz abverlangt. Letztlich aber ist das nur ein Teil der Geschichte. Fahrspaß erwächst schließlich auch aus dem subjektiven Erleben der jeweiligen Maschine. Was ein Fahrer als Stress erlebt, macht für den nächsten vielleicht gerade das intensive Gefühl und damit seinen Spaß aus. Positiver Stress eben. Was dem einen den Kopf frei hält, empfindet der andere als synthetisch und langweilig. Und eine Maschine, die für den einen anstrengend zu fahren ist, lässt den anderen am Ende einer langen Ausfahrt müde, aber zufrieden zurück. Nicht messbar, rein subjektiv. Und genau das macht doch letztlich den Spaß aus.
Teststrecke

Dass Südfrankreich ein Eldorado für Motorradfahrer ist, ist bekannt. Unweit der Rennstrecke von Le Castellet bei Gémenos liegt ein herausfordernd verschlungenes Asphaltband: der Col de l’Espigoulier. Verwegene Kurvenfolgen, viel Grip und abwechslungsreiche Streckenführung machen ihn zu einem ausgezeichneten Testterrain. Dazu hat der Col eine durchaus sportliche Historie.
Alljährlich wird auf dem Course de Côte de Gémenos ein internationales Bergrennen veranstaltet. Reichlich Bremsspuren, die teils schnurstracks auf den Fels zuführen, zeugen davon. Freilich taugt der Pass auch in zivilem Tempo ausgezeichnet zum Testen, immerhin führt er über knapp zehn Kilometer vom Beginn hinauf zum Gipfel und über knapp sechs Kilometer wieder hinab. Reichlich Platz für ausgiebiges Testen – und Genießen.
Aprilia Tuono V4 1100 RR

BMW S 1000 XR

Yamaha YZF-R1

KTM 1290 Super Adventure

Messwerte und Data-Recording

Über allem schwebt die Drehmomentwoge der KTM 1290 Super Adventure. Bereits bei 3700/min schaufelt sie so viel Newtonmeter ans Hinterrad, wie die Yamaha maximal abliefert. Bei der Yamaha YZF-R1 erkennt man die rennstreckenorientierte Abstimmung: Untenrum eher verhalten, wird’s ab 7000/min richtig lustig. Gleichmäßig verläuft die Leistungskurve der Aprilia Tuono V4 1100 RR. Bis 6000/min muss sie sich jedoch klar der BMW S 1000 XR beugen. Was sie in der Praxis aber durch das geringere Gewicht wieder kompensiert.
Data-Recording

Die Messstrecke, die wir für das Data-Recording ausgewählt haben, erstreckt sich über rund sieben Kilometer, die es in sich haben: trickreich, eng, mit Wechselkurven im mittleren Tempobereich. Dazu lange, langsame Kehren, enge Passagen und ein kurzes, schnelles Stück in der ersten Hälfte, an dessen Ende in Schräglage in eine Kehre hineingebremst wird. Das Data-Recording zeigt auf einem Teilstück, wie sich Sebastian bergab mit Yamaha YZF-R1 und BMW S 1000 XR schlägt. Dabei fällt auf, dass er die zwar geringere, aber gleichmäßiger verabreichte Leistung der BMW effizienter nutzt als die explosiv einsetzende Gewalt der R1.
Die lässt ihn offenbar eher mit Vorsicht an die Kurveneingänge herangehen, um ja nicht mit zu viel Tempo in eine Kurve hineinzuknallen. Dazu fährt er fast durchweg mit dem Crossover-Bike einen Tick zügiger und vor allem flüssiger durch die Kurven. Die aufrechte Sitzposition erleichtert ihm dank des breiten Lenkers und weniger Druck auf den Handgelenken die Kontrolle nicht nur im Kurvenverlauf. Auch an Stellen, an denen die Straße etwas schmaler ist, flößt ihm das komfortablere Paket der BMW S 1000 XR mehr Vertrauen für höheren Speed ein. Was unter dem Strich entspannteres Fahren ergibt. Oder, um mit Bastis Worten zu sprechen: „Ein bisschen Hanging-off, ein kleines Power-Wheelie – das macht schon Spaß. Aber enge, verwinkelte Bergstraßen, dazu bergab in Kehren reinbremsen, das fordert schon ganz schön.“ Und Karsten ergänzt. „So ein Superbike hat natürlich mehr Potenzial – auf der Rennstrecke.“
Zugkraft im ersten und dritten Gang

Spitzenleistung gut und schön, aber im oberen Drehzahlbereich hält man sich auf der Landstraße eher selten auf. Viel entscheidender ist, was hinten rauskommt, am Rad. Und da spielt die passende Übersetzung eine wichtige Rolle. Beeindruckend die Kurven der KTM 1290 Super Adventure, die im dritten Gang zumindest bis 80 km/h so viel Zugkraft liefert wie die Yamaha YZF-R1 im ersten. Allerdings ist bei der Österreicherin der erste Gang mit Abstand am kürzesten übersetzt und schnell ausgedreht. Den Gegenentwurf liefert wieder die R1, deren erster Gang bis knapp 150 km/h reicht. Was auf der Rennstrecke Sinn macht. Gemessen daran sind ihre Durchzugswerte aber respektabel; dass sie die Leichteste ist, hilft natürlich dabei. Die BMW hat bis 6000/min zwar mehr Drehmoment als die Aprilia, ihre Zugkraft ist aber nahezu gleich. Einen Vorteil verschafft der Aprilia Tuono V4 1100 RR beim Antritt aus den Kurven ihr gegenüber der BMW S 1000 XR niedrigeres Gewicht.
Tempo und Beschleunigung
Höchstgeschwindigkeit*
Aprilia Tuono V4 1100 RR | 280 km/h |
BMW S 1000 XR | 250 km/h |
KTM 1290 Super Adventure | 250 km/h |
Yamaha YZF-R1 | 285 km/h |
Beschleunigung 0 - 100