Das sonore Bollern des großen Einzylinders flutet die Tiefgarage. Direkt entschwindet man dem Leistungsfanatismus, fühlt sich noch im selben Augenblick in die eigenen Anfänge der Motorradkarriere zurückversetzt. Herrlich, wie der fette Kolben hoch und wieder runterstampft, jeder Verbrennungstakt durch den geschlossenen Raum reflektiert wird. Motorradfahren kann schon im Stand so schön sein! Dabei ist die neue Husqvarna TR 650 Strada kein Prolet, lässt akustisch aber bereits erahnen, dass sie von beträchtlich anderem Kaliber ist als die neben ihr stehende, etwas bieder ausschauende und zugeschnürt klingende BMW G 650 GS. Wirklich überraschend ist das nicht, aber ziemlich interessant. Denn in beiden Kandidaten werkelt der gleiche Einzylinder, der schon in der alten F 650 GS (bis 2007) seinen Dienst tat. Ein alter Bekannter sozusagen. Tausendfach in China von Loncin gebaut und bewährt, weshalb auch der Strada-Motor dort gefertigt wird.
Doch wäre Husqvarna - zumindest seit der Übernahme durch BMW - nicht Husqvarna, wenn sie dem Motor nicht mit etlichen Modifikationen mehr Dampf einhauchen würden. Im Gegensatz zum Modell Nuda 900, das als Basis den Reihenzweizylinder der F 800 R in sich trägt, verzichtet man dieses Mal zwar auf eine Erhöhung des Hubraums, dennoch soll die junge Wilde nominal ganze 10 PS mehr drücken als ihre - sagen wir - Organspenderin. Ob das auf Kosten der Laufruhe und der Alltagstauglichkeit geht? Bei der Interpretation eines eigenständigen Einzylinder-Motorrads haben sich die Italiener zumindest viel Mühe gegeben, um sich optisch wie technisch vom BMW-Pendant abzusetzen - das sieht man auf den ersten Blick: neuer Stahlbrückenrahmen, schickere Schwinge, eine Upside-down-Gabel von Sachs mit 190 Millimetern Federweg, ganz schmale Silhouette, über zwei Grad steilerer Lenkkopfwinkel. Von einer billigen Kopie der BMW kann also keine Rede sein, und es fällt nicht so sehr ins Gewicht, dass der Lenker samt Armaturen, die Felgen sowie die Bremseinheiten aus demselben Teileregal stammen wie die der kleinen GS.
Genug der Formalitäten: bereit machen zum Aufsitzen! Die BMW bettet einen ziemlich tief. Man sitzt nicht auf, sondern eher in dem Motorrad. Unbequem ist das dank der breiten und komfortablen Sitzbank keineswegs, und die 80 Zentimeter Sitzhöhe sind für kleinere Piloten durchaus zu begrüßen. Allerdings vermittelt die Ergonomie eine Prise Passivität. Nicht übersportlich um die Ecken wetzen, sondern im angenehmen Landstraßentempo unbeschwert Motorrad fahren, das ist ihre Devise. Für die einen ist das pure Entspannung, für die anderen jedoch ziemlich langweilig. Letztere Gruppe sollte sich besser auf die Strada setzen: Die schmale und straffe Sitzbank der Husqvarna befindet sich stattliche sechs Zentimeter höher. Dank einer geringen Schrittbogenlänge haben dennoch beide Füße guten Kontakt zum Asphalt. Der Arbeitsplatz ist minimalistisch gehalten - das passt zum Konzept. Schließlich schweift der Blick vor das Vorderrad und - schwups! - man beginnt zu grinsen. Denn nicht nur ist die Ergonomie einen Tick harmonischer als auf der BMW, die vorderradorientierte Sitzposition macht unmissverständlich klar, was für einen Geist die Strada verkörpert: den eines Funhobels in Lauerstellung. Ein Motorrad also, das nach viel Dynamik schreit. Wie die Husqvarna das macht? Der fabelhafte Überblick von der Kommandozentrale auf die Straße in Verbindung mit dem nah am Körper befindlichen Lenker gibt einem das Gefühl, überall hinfahren zu können - und zwar mit jeder Geschwindigkeit, in jedem Radius. Ob das Motorrad diesen Spirit, diese Suggestion auch auf der Straße aufrechterhalten kann?

Exakt lässt sich die Kupplung dosieren, und der Motor schiebt das Bike schon beim Anfahren druckvoll und ganz ohne Sperenzchen voran. Zu zaghaft sollte man es mit dem Gasgriff jedoch nicht halten. Dann macht es nämlich mitunter „bopp“, und der Motor steht still. Bei der BMW ist es genauso. Große Einzylinder eben. Also weiter! Im Stuttgarter Stadtverkehr heißt es für beide Mopeds: erst mal langsam einrollen. Wahnsinn, wie sanft der Husqvarna-Motor am Gas hängt - und das trotz der zünftigen Mehrleistung. Schön direkt und dabei ganz ohne Nervosität reagiert er auf Änderungen der Drosselklappenstellung, beschleunigt die 188 Kilogramm schwere Strada ab 2000 Umdrehungen mit gleichmäßiger Leistungsabgabe, hackt zu keinem Zeitpunkt auf der Kette rum. Das ist schon mal eine vielversprechende Ansage - die die BMW diesbezüglich jedoch gekonnt parieren kann. Ob das so bleibt?
Endlich ist kurviges Landstraßengeläuf in Sicht. Dann darf also mal Feuer gegeben werden. Die BMW tritt trotz ihrer 198 Kilogramm Gewicht kernig an und entwickelt bis zum Begrenzer von 7400 Umdrehungen einen linearen Vortrieb. Die gemessenen 52 PS hauen einen vielleicht nicht vom Hocker, reichen aber aus, um flott und mit reichlich Drehmoment aus den Kurven heraus zu beschleunigen. Lässt sich die G bei niedriger Geschwindigkeit noch äußerst handlich bewegen und leicht in Schräglage werfen, ist bei flotter Fahrt ein wenig Nachdruck am Lenkerende gefordert. Einmal in die Kurve eingelenkt, folgt die BMW dann jedoch stoisch und sehr neutral der angepeilten Linie. Dass die Dämpfung vorn wie hinten (das Federbein ist in Federbasis und Zugstufe einstellbar) eher komfortabel ausgelegt ist, passt zum Gesamtkonzept und ist auch deshalb akzeptabel, weil sich das Motorrad bei forschem Tempo und pockigem Asphalt nicht besorgniserregend aufschaukelt. Eine gelungene, ziemlich vernünftige Vorstellung der BMW.

Und die Strada? Die will nun zeigen, was wirklich in ihr steckt. Mit einer guten Portion mehr Leichtigkeit klettert die Husqvarna durchs Drehzahlband, legt bei etwa 5000 Umdrehungen ein paar Briketts nach und zieht locker bis zur Maximaldrehzahl von 8500 Umdrehungen an der Mini-GS vorbei. Das Faszinierende daran:
Über den gesamten Drehzahlbereich dringen keine nennenswerten Vibrationen zum Fahrer durch. Das war doch eben auf der BMW noch ganz anders, oder? Es folgt erneut der direkte Vergleich, dann ist klar: Die zahlreichen Modifikationen am Motor haben nicht nur die Leistung auf gemessene und erlebbare 59 PS erhöht, sondern zudem eine erstaunliche Laufkultur zur Folge. So smooth wie der Einzylinder in der Husqvarna läuft, so sehr rappelt er in der BMW.
Im Strada-Motor sind ein leichterer Schmiedekolben, gewichtsreduzierte Kurbel- und Ausgleichswelle, ein neuer Zylinderkopf samt Nockenwelle und größere Ein- wie Auslassventile verbaut. Schließlich wurde auch die Verdichtung von 11,5 auf 12,3 erhöht. Alle Maßnahmen haben dem Antrieb äußerst gutgetan. Der Mehrverbrauch von 0,3 Litern auf 100 Kilometer geht daher wirklich in Ordnung. Da muss sich der Basismotor in der BMW geschlagen geben. Chapeau!

Ganz so zivil und ausgewogen gibt sich die Husqvarna fahrwerksseitig hingegen leider nicht. Ist sie vor allem bei höheren Geschwindigkeiten ein gutes Stückchen handlicher als die G, lässt sie sich im langsamen Parcours nicht ganz so exakt und präzise einlenken. Dafür liegt sie in Schräglage satter auf der Straße und gibt eine bessere Rückmeldung an den Fahrer ab. Schade, dass die nicht einstellbare Sachs-Gabel so schlecht anspricht und ziemlich ungeniert über Bodenwellen hinwegstuckert. Sonst wäre das Gefühl für das Vorderrad noch besser. Das sportlich-straffe Federbein, das in Federbasis und Zugstufendämpfung angepasst werden kann, bedarf hingegen keiner Kritik. Das gilt jedoch nicht für die ABS-unterstützten Bremsen beider Testkandidaten, die bei beiden Maschinen Serienausstattung sind. Diese verlangen viel Handkraft für nur durchschnittliche Verzögerungsleistungen.
In der Summe überrascht die günstigere Husqvarna ihre Kontrahentin aus gleichem Hause mit einem grandiosen Einzylinder. Letztlich bleibt es aber eine Geschmacksfrage: Die BMW ist ein ordentliches Tourenbike, die Strada eher etwas für den jungen Dynamiker. Zum Glück ist man nur so alt, wie man sich fühlt. Danke Husqvarna - und BMW.
Punktewertung

Motor
Der modifizierte Motor in der Husqvarna ist ein prächtiger Einzylinder. Gegenüber der BMW ist er nicht nur deutlich kräftiger und durchzugsstärker, sondern spielt auch bezüglich der Laufruhe in einer anderen Liga. Geringe Lastwechsel und ein ordentliches Getriebe können wiederum beide vorweisen. Kaltstarts quittieren sie hingegen mit hoher Standgasdrehzahl.
Sieger Motor: Husqvarna
Fahrwerk
Die TR 650 Strada gewinnt dieses Kapitel nur knapp. Die schlecht ansprechende Upside-down-Gabel und ein leichtes Pendeln um die Längsachse bei hoher Geschwindigkeit verhindern ein besseres Abschneiden. Die BMW zeigt sich von der soliden, komfortablen Seite. Dafür ist die Rückmeldung einen Tick schlechter, und in Linkskurven setzt der Seitenständer recht früh auf.
Sieger Fahrwerk: Husqvarna
Alltag
Hier schlägt die Stunde der G 650 GS. Wer auf große Tour geht, greift lieber zur BMW. Der Sozius sitzt besser, es gibt ein bisschen Windschutz und falls es dunkel wird, leuchtet das Licht die Fahrbahn ordentlich aus. Die Strada bietet ihrem Fahrer ein feines Plätzchen an, patzt jedoch bei Windschutz, Licht und Verarbeitung. Hohe Reichweiten bieten beide, die BMW sogar bis zu 400 Kilometern.
Sieger Alltag: BMW
Sicherheit
Die Bremsen sind bei beiden nicht überragend. Die baugleichen Einscheibenbremsen vorn benötigen hohe Handkräfte für nur mäßige Verzögerungsleistungen. Das ABS regelt zwar recht grob, aber sicher.
Sieger Sicherheit: Husqvarna
Kosten
Die BMW ist sparsamer. Durch die 10 000er-Intervalle müssen (vermutlich) beide nicht allzu häufig zur Inspektion.
Sieger Kosten: BMW
Preis-Leistung
Die Strada kostet deutlich weniger und bietet dafür verdammt viel. Eine echte Empfehlung.
Sieger Preis-Leistung: Husqvarna
Max. Punktzahl | BMW G 650 GS | Husqvarna TR 650 Strada | Gesamtwertung | 1000 | 590 | 592 |
Platzierung | 2. | 1. | Preis-Leistungs-Note | 1,0 | 1,8 | 1,5 |

Husqvarna TR 650 Strada
Der modifizierte BMW-Einzylinder überzeugt auf ganzer Linie und kann so viele Punkte verbuchen, dass es schlussendlich für den Sieg reicht. Bis auf die Gabelabstimmung und die dürftigen Bremsen ein wirklich tolles, nicht zu radikales Motorrad.

BMW G 650 GS
Der direkte Vergleich offenbart es: Der Ursprungseinzylinder erzeugt mehr Vibrationen bei weniger Leistung. Ansons-ten bleibt die GS ein Allrounder. Unkompliziert, solide und gut verarbeitet. Lediglich die Bremsen sollten forscher zupacken.
Daten- und Leistungsmessungen

BMW G 650 GS | Husqvana TR 650 Strada | |
Motor | ||
Bauart | Einzylinder-Viertaktmotor | Einzylinder-Viertaktmotor |
Einspritzung | Ø 43 mm | Ø 43 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung |
Bohrung x Hub | 100,0 x 83,0 mm | 100,0 x 83,0 mm |
Hubraum | 652 cm3 | 652 cm3 |
Verdichtung | 11,5:1 | 12,3:1 |
Leistung | 35,0 kW (48 PS) bei 6500/min | 43,0 kW (58 PS) bei 7250/min |
Drehmoment | 60 Nm bei 5000/min | 60 Nm bei 5750/min |
Fahrwerk | ||
Rahmen | Brückenrahmen aus Stahl | Brückenrahmen aus Stahl |
Gabel | Telegabel,Ø 41 mm | Upside-down-Gabel, Ø 46 mm |
Bremsen vorne/hinten | Ø 300/240 mm | Ø 300/240 mm |
Assistenz-Systeme | ABS | ABS |
Räder | 2.50 x 19; 3.50 x 17 | 2.50 x 19; 3.50 x 17 |
Reifen | 110/80 R 19; 140/80 R 17 | 110/80 R 19; 140/80 R 17 |
Bereifung | Metzeler Tourance EXP, vorne „B“ | Metzeler Tourance EXP |
MAßE + Gewichte | ||
Radstand | 1477 mm | 1501 mm |
Lenkkopfwinkel | 61,9 Grad | 64,0 Grad |
Nachlauf | 113 mm | 101 mm |
Federweg vorne/hinten | 170/165 mm | 190/190 mm |
Sitzhöhe** | 790–820 mm | 865 mm |
Gewicht vollgetankt** | 198 kg | 188 kg |
Zuladung** | 182 kg | 196 kg |
Tankinhalt/Reserve | 14,0/0 Liter | 14,0/0 Liter |
Service-Intervalle | 10000 km | 10000 km |
Preis | 7300 Euro | 6690 Euro |
Preis Testmotorrad | 7618 Euro*** | 6690 Euro |
Nebenkosten | 390 Euro | 300 Euro |
MOTORRAD-Messwerte | ||
Höchstgeschwindigkeit* | 170 km/h | 175 km/h |
Beschleunigung | ||
0–100 km/h | 5,1 sek | 4,8 sek |
0–140 km/h | 11,3 sek | 9,6 sek |
Durchzug | ||
60–100 km/h | 5,7 sek | 5,1 sek |
100–140 km/h | 7,5 sek | 6,7 sek |
Verbrauch Landstraße | 3,5 Liter/Normal | 3,8 Liter/Super |
Reichweite Landstraße | 400 km | 368 km |
*Herstellerangabe
**MOTORRAD-Messungen
***inkl. Hauptständer 121 Euro, inkl. Heizgriffen 197 Euro

Der BMW- und der Husqvarna-Motor entwickeln ihre Leistung sehr homogen. Beide stellen ab Standgas ordentlich Drehmoment zur Verfügung. Der Knick in der Kurve der Strada ist nicht wirklich spürbar. Die Mehrleistung ab etwa 5000 Umdrehungen hingegen schon. Subjektiv schiebt die Husqvarna mit mehr Leichtigkeit durch das Drehzahlband. Ebenfalls zu erkennen: die unterschiedlichen Maximaldrehzahlen.
Modifikationen am Einzylinder der Strada

• Neuer Zylinderkopf mit strömungsoptimierten Ein- und Auslasskanälen
• Neues Kraftstoff-Einspritz-System
• Durchmesser der Einlassventile von 36 auf 38,5 Millimeter erhöht, Auslassventile von 31 auf 34 Millimeter
• Nockenwelle mit längeren Steuerzeiten, neuen Ventilerhebungskurven und vergrößerten Ventilhüben
• Verdichtungsverhältnis von 11,5 auf 12,3:1 erhöht
• um 112 Gramm leichterer Schmiedekolben im Vergleich zur BMW gewichtsreduzierte Kurbel- und Ausgleichswelle
• neu gestaltete Airbox
• neue Edelstahl-Auspuffanlage mit zwei Endschalldämpfern