Schon bisher war das Multifunktionswerkzeug ein echtes Wohlfühl-Motorrad. Doch das toppt die neue S-Klasse noch. Es ist ein bisschen wie bei Ducatis Konzernmutter Audi. Da erwarten die Kunden ja auch keinen spartanisch ausgestatteten Kleinwagen. Sondern sportlich-elegante Autos mit allem Schnick und Schnack. Doch vor das Fahren kommt die Presse-Konferenz, um all die Neuerungen auch verstehen und einordnen zu können.
Umfangreich erweiterte Ausstattung
Also, die 2019er-Multistrada 950 (sie ist stets feuerrot und kostet 13.590 Euro plus Nebenkosten) hat in der Basisversion folgende Features neu:
- eine 6-achsige Bosch IMU (Inertial Measurement Unit), mit dreistufig regelbarem Kurven-ABS
- die Berganfahrhilfe Vehicle Hold Control (VHC) für leichteres Anfahren am Berg (insbesondere mit Beifahrer und Gepäck)
- eine hydraulisch betätigte Kupplung mit geändertem Innenleben
- eine um 500 Gramm erleichterte Schwinge aus der 1260 Enduro
- ebenfalls 500 Gramm (in Summe) leichtere Leichtmetallguss-Räder
- Blinker mit automatischer Abschaltfunktion (abhängig von Schräglage und Wegstrecke)
- ein überarbeitetes LCD-Cockpit
- Radiale Bremspumpe und Kombi-Bremsfunktion (Handhebel aktiviert angepasst auch die Hinterradbremse)
S-Version bietet noch mehr
Zusätzlich trägt die S-Version der Multistrada 950 (ab 15.490 Euro plus Nebenkosten) das komplette Elektronik-Paket für noch mehr (Bedien-)Komfort. Dazu zählen:
- Das Elektronische, semiaktive Fahrwerk „Ducati Skyhook Suspension“ (DSS)
- Schaltassistent Ducati Quick Shift (DQS) für kupplungsfreies Hoch-und Herunterschalten
- Voll-LED-Scheinwerfer mit Kurvenlicht-Funktion (Ducati Cornering Lights DCL)
- ein hochauflösendes, buntes 5-Zoll-TFT-Display
- Tempomat und hintergrundbeleuchtete Lenkerarmaturen
- Konnektivität mit Smartphone inklusive Freisprecheinrichtung
- optionale Speichenräder ab Werk (600 Euro Aufpreis)
Souveränes elektronisches Fahrwerk

Dieses Ausstattungspaket erinnert eher an Luxuslimousinen als an die obere Mittelklasse der Reise-Enduros. Enduros? Ja, warum denn nicht, denn immerhin lässt die Multistrada 950 (S) vorn einen 19-Zöller rotieren. Und zwar gripstarke Pirellis „Made in Germany“. 170 Millimeter Federweg vorn wie hinten sprechen zwar eher gegen harte Offroad-Einsätze. Aber genug für komfortables Gleiten ist das allemal. Das macht die kleine Multi vom ersten Meter an klar. Denn wie sie über hohe Rampen vor und hinter den Zebrastreifen hier in Spanien hämmert, das hat schon was. Kein Zweifel, die „situationsabhängige Dämpfung“ funktioniert: Die elektronisch beaufschlagten Dämpferventile in der 48er-Upside-down-Gabel von ZF und dem direkt angelenkten ZF-Federbein passen sich augenblicklich an Änderungen der Fahrbahnoberfläche an, regeln richtig feinfühlig.
Spürbar ist das digitale Eingrätschen nie – der gehobene Federungskomfort hält fast alle Störimpulse vom Hintern fern. So bügelt die Duc selbst derb aufgerissene Flickenteppich-Straßen glatt wie ein graues Spannbettuch. Ducati hat die Multi am Himmelshaken aufgehängt. So ist das. Wem das alles noch nicht reicht: Selbst die Federbasis hinten lässt sich auf Knopfdruck einstellen: für Sozius oder Passagierbetrieb, jeweils mit oder ohne Gepäck. Mehr „Zuladung“ hebt das Heck elektronisch gesteuert an. Das bringt mehr Druck aufs Vorderrad und toppt das Handling. Weit taucht die Front beim Gefühl zur den radial betätigten Brembo-Vierkolbenstoppern ab.
Neu mit Kombi-Bremsfunktion
Kein Problem, in jedem der vier Fahrmodi lässt sich die Dämpfung vorn wie hinten in 24 Stufen weicher oder härter stellen. Ganz nach Gusto: Komfortabel oder sportlich straff. Das wiederum IST deutlich zu spüren. Stichwort Bremsen: Neu ist die automatische Anpassung des Bremsdrucks an die gefahrene Schräglage („Kurven-Funktion“). In zwei der drei ABS-Regelstufen hält die Elektronik selbst bei Gewaltbremsungen das Hinterrad am Boden („Abhebe-Erkennung“). Erlebbare Brems-Stabilität ist das.
Ein Novum für die 2017 erschienene 950er-Multistrada ist ab sofort die Kombi-Bremsfunktion von vorn nach hinten. Sie minimiert die Bremswege. Gleichzeitig lässt sich die Hinterradbremse auch selektiv ansteuern, etwa in Spitzkehren oder bei Wendemanövern. Gern genommen, gut gemacht. Und Wenden kann die Multistrada 950 S selbst auf engen Landstraßen in einem Zug.
Spielerisches Fahrverhalten

So fährt diese Duc insgesamt: sehr benutzerfreundlich. Dazu trägt dieses typische Mulitstrada-Gefühl seinen guten Teil bei: Tief ist die ausgeprägte Sitzmulde ins Motorrad-Design integriert. Hoch ragt der breite Lenker vor dir auf. Deine Füße ruhen mit ganz bequemem Kniewinkel auf gezackten-Enduro-Fußrasten mit dicker Gummi-Auflage. Du sitzt mitten drin, sehr im Motorrad. Das ergibt dieses ganz spezielle, charakteristische Multistrada-Sitzgefühl. Du würdest es mit verbundenen Augen erkennen, dieses Feeling absoluter Sicherheit und Geborgenheit. Aufrecht, erhaben, souverän. Um bei 840 Millimeter Sitzhöhe beide Fußsohlen auf den Erdboden zu bringen, solltest du schon 1,75 Meter groß sein. Für kleinere Piloten und lange Kerls gibt es in Duactis großem Zubehör-Programm auch zwei Zentimeter niedrigere oder höhere Sitzmöbel.
Schön präzise, wunderbar berechenbar zirkelt die Multistrada 950 S um Kurven aller Radien. Fährt toll, das graue Bike mit dem roten Herzen. Findet Schlafwandlerisch die richtige Linie und hält bei Bedarf verdammt enge Linien. Das ergibt ein spielerisches Fahrverhalten. Kurskorrekturen nimmt die Duc dankbar an, falls man sich doch mal verschätzt hat. Schwer agil für ein Touring Bike ist sie. Allenfalls in schnell aufeinander folgenden, flottgefahrenen Wechselkurven braucht die Baby-Multi beherztere Lenkimpulse. Na und? Dafür ist der Lenker doch so breit.
Gefühlt immer genug Leistung
Und das Herzstück, der charakteristische 90-Grad-V2? Begeistert wie eh und je. Der Ultra-Kurzhuber feuert herrlich aus den Ecken heraus. Ein echter Treibsatz ist das hier im spanischen Kurven-Karrussel. 937 Kubik gelten heute ja nur noch als „obere Mittelklasse“. Ist aber quatsch. 113 PS sind mehr, als eine luftgekühlte BMW R 1200 GS oder eine Honda Africa Twin je hatten. Noch Fragen? Auf den kurzen Zwischengeraden brilliert das Bike aus Bologna mit echten Spurt-Qualitäten. Mittlere Drehzahl, mittlere Gang und der Tag ist Dein Freund. Das kesselt. Der Testastretta-V2 treibt drei Ducatis an: Neben der Multistrada 950 auch die Hypermotard und die Supersport.
Er hält zwischen 3.500 und 9.500 Touren stets über 60 Newtonmeter parat. Das sind 80 Prozent oder mehr des maximalen Drehmoments. Gelebte Twin-Elastizität: In den drei ersten Gängen läuft der V2 ruckelfrei ab 2.000 Touren, im Vierten ab 2.500 und im Fünften und Sechsten ab rund 3.000/min. Ja, der V-Twin vibriert in der zweiten Drehzahlhälfte. Warum auch nicht? Scheu vor hohen Drehzahlen? Kennt der Desmo-V2 nicht. Ist das nun Dreh- oder Lebensfreude? Beides. Und das Ansaugschnorcheln beim Öffnen der Drosselklappen macht süchtig. Kein Vertun: Der Auspuff-Sound, dieses typische V2-Stakkato, ist nicht prollig laut. Sondern angenehm gedämpft.
Multistrada mit hohem Nutzwert
Richtig leicht lässt sich die nun hydraulisch betätigte Kupplung ziehen. Eine echte Zweifingerkupplung. Besser als zuvor lässt sich nun auch der Leerlauf. Vier Fahrmodi (Sport, Touring, Enduro und Urban) beeinflussen Gasannahme und Leistungsabgabe. Aber es lässt sich auch alles individuell einstellen, bei diesem Multifunktionsgerät. Ein Motorrad jür alles(s). Viel Fahrspaß trifft hier auf richtig Nutzwert. Garniert mit guten Manieren und überschaubaren Service-Kosten: Ölwechsel steht nur alle 15.000 Kilometer, Ventilspielkontrolle der aufwendigen des Desmodromik sogar nur alle 30.000 Kilometer an. Vertrauensbildende Maßnahme in Ducatis exklusive Zwangssteuerung der Ventile. Zeit für ein Fazit: Das hier ist womöglich die ausgewogenste aller Ducatis. So wird es Konzernmutter Audi sicher gefallen: Vorsprung durch Technik.