Mit der Aprilia Caponord 1200 ABS wollen sich die Italiener einen Anteil am stetig wachsenden Segment der Reiseenduros zu sichern. Ist die Hoffnung begründet? Ein erster Test.
Mit der Aprilia Caponord 1200 ABS wollen sich die Italiener einen Anteil am stetig wachsenden Segment der Reiseenduros zu sichern. Ist die Hoffnung begründet? Ein erster Test.
Willkommen in der Zukunft: Speziell für die Aprilia Caponord 1200 ABS hat Aprilia für das iPhone eine Software entwickelt, die über Bluetooth interessante Daten wie Geschwindigkeit, Durchschnittsverbrauch oder auch Schräglage überträgt. Am Ende der Etappe kann der Fahrer auf dem Handydisplay alle Daten in einer Übersicht sehen und speichern. Man könnte am Treffpunkt theoretisch beim alkoholfreien Pils die Fahrdaten der letzten Runde vergleichen. Und falls mal einer gestürzt ist, zählen Ausreden wie „Rollsplitt“ nicht mehr. Falsch gebremst, übergroße Schräglage, zu früh ans Gas bei ausgeschalteter Traktionskontrolle: alles reproduzierbar. Schöne neue Welt.
Willkommen darin. Und willkommen auf Sardinien, der Insel, auf der die Aprilia Caponord 1200 ABS präsentiert wird. Auf dem Plan stehen zuerst 160 kurvige Kilometer durchs sardische Hinterland. Vorab erklären die Techniker ihre neueste Kreation. Schnell stellt sich die Frage, ob man vielleicht im falschen Film oder vielleicht sogar auf der Computermesse Cebit gelandet ist. Denn der Fahrer einer neuen Caponord in der Travel-Pack-Version ist auch gleichzeitig elektrischer Reiter. Fast alles funktioniert elektrisch oder elektronisch: Gas geben per Seilzug? Vergiss es! Ride by wire. Es gibt einen elektronischen Tempomaten, ein semiatives Fahrwerk, das elektronisch gesteuert wird, Traktionskontrolle, ABS sowie eine automatische Niveauregulierung und drei wählbare Fahrmodi. Allein die technischen Möglichkeiten und Finessen dieser Systeme detailgenau zu beschreiben, würde den Umfang dieses Fahrberichts sprengen.
Darum sitzen wir einfach mal auf und fahren los. Die Straßen sind teilweise noch feucht, die Wolkendecke ist dick und die Temperaturen sind erträglich. Bevor es losgeht, heißt es wählen. Die Traktionskontrolle, die nicht ans ABS oder andere Systeme gekoppelt ist, stellt man auf die sensibelste Stufe drei (bei Regen empfohlen). Stufe eins ist dem sportlichen Einsatz vorbehalten, Stufe zwei soll die ideale Einstellung im trockenen Alltag sein. Kurz noch das Fahrwerk der Aprilia Caponord 1200 ABS auf „eine Person ohne Gepäck“ einstellen, und es kann losgehen. Einstellen klingt für diese Tätigkeit jetzt etwas überzogen. Es sind lediglich zwei Tastendrücke.
Kernig klingt er, der 1200er. Potent, bassig, herzhaft. Er macht schon im Stand Laune. Und erst recht in der Fahrt. Der wassergekühlte 90-Grad-V2 basiert auf dem bereits von der Dorsoduro bekannten Antrieb. Für den Einsatz in der Aprilia Caponord 1200 ABS hat man ihn domestiziert: Drosselklappen mit geringerem Durchmesser und zwei statt einer Einspritzdüse sollen dem Antrieb zu mehr Drehmoment in unteren sowie mittleren Drehzahlen verhelfen und Sprit sparen. Die Dorsoduro war nämlich als Säufer bekannt. Zehn Liter auf 100 Kilometern waren keine Seltenheit. Die Sitzhöhe ist mit 840 Millimetern vergleichsweise niedrig und die Ergonomie für Durchschnittseuropäer super. Auf den ersten Metern verlangt die Italienerin ziemlichen Nachdruck beim Einlenken. Der nicht gerade als Handling-Hero berühmte Dunlop Qualifier II muss erst auf Betriebstemperatur kommen. Doch selbst dann mutiert die vollgetankt 247 Kilogramm (Werksangabe) schwere Travel-Pack-Version nicht zur Ballerina. Die Caponord läuft zwar zielgenau, aber bei Weitem nicht so leichtfüßig wie beispielsweise die neue BMW GS 1200, in deren Revier die Italiener mit ihrer Reiseenduro ja wildern möchten.
Es geht hinauf in die Berge, wo trockene Straßen warten. Stufe drei der Traktionskontrolle (ATC) funktioniert selbst unter schwierigen Bedingungen mit ständig wechselnden Belägen einwandfrei. Auch das Conti-ABS arbeitet gut, die Bremsen sind kräftig, aber nicht bissig. Wenn man allerdings weiß, wie leicht die Kupplungsbetätigung sein kann (KTM Adventure 1190), fragt man sich, warum sie hier an der Aprilia Caponord 1200 ABS so extrem schwer gehen muss.
Trockene Straßen. Jetzt kann mit ATC in Stufe zwei weitergefahren werden. Einbiegen, abwinkeln, Gas aufziehen. Sardiniens Hinterland ist eine einzige Achterbahn, die einem das Lächeln ins Gesicht meißelt. Der Motor macht Laune. Ganz untertouriges Fahren ist allerdings nicht seine Stärke: Unterhalb von 2500/min rumpelt und ruckelt es im Gehäuse. Der gutturale Sound aus der Airbox ist hingegen genial. Es bollert, es wummert, es klopft gierig. Die Seele dieses V2 kommt am ehesten den Suzuki TL 1000-Antrieben nahe. Er schiebt fast gleichmäßig und gut kontrollierbar über das ganze Drehzahlband. Im Touring-Modus setzt das Herz der Aprilia Caponord 1200 ABS Gasbefehle sanft um und hat trotzdem mit 125 PS seine volle Leistung. Die kann zur Sicherheit wahlweise für Regenfahrten durch den Regen-Modus auf 100 PS reduziert werden. Wohingegen sich das Fahren im Sport-Modus nur für die Rennstrecke oder für Grobmotoriker empfiehlt. Hier hängt der Motor deutlich härter und spontaner am Gas, was ein stärkeres Lastwechselverhalten generiert. Also: ATC zwei, Touring-Modus, eine Person ohne Gepäck - alles richtig gewählt, weiter gehts.
Und zwar auf Landstraßen dritter Ordnung. Auf denen das semiaktive Fahrwerk der Aprilia Caponord 1200 ABS mit seinen Sachs-Federelementen zeigen muss, was es kann. Ein Computer, der mit Daten wie Einfederungsgeschwindigkeit von Gabel und Federbein sowie Bremsaktivität und Gasbefehlen gefüttert wird, errechnet in Millisekunden die dazu passende Dämpfung des Fahrwerks. Bremst man vorn stark, wird das tiefe Eintauchen der Gabel durch das Schließen der Dämpfung gemildert. Anders als beispielsweise bei Ducati werden die Bewegungsdaten in den Federelementen nicht über Beschleunigungssensoren erfasst. Bei Aprilia arbeitet in der Gabel ein Drucksensor, hinten wird die Einfederung in Winkelgrad von einem Linear-Potenziometer erfasst. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Vorteile der komplexen Elektronik sind gegenüber einem guten konventionellen Fahrwerk ohne Elektronik nicht recht ersichtlich, im Fahrbetrieb ist davon nur wenig zu spüren. Die automatische Niveauregulierung im Auto-Set-Modus funktioniert dagegen ausgezeichnet. Während man bei den Systemen von BMW oder Ducati vor Antritt der Fahrt die Einstellung per Knopfdruck wählt, erkennt das ADD (Aprilia Dynamic Damping) im Auto-Set-Modus auch während der Fahrt den Beladungszustand und passt neben der Dämpfung auch die Federbasis des Federbeins daran an. Das System hält die Maschine stets auf optimal, ausbalanciertem Federungsniveau.
Wie man sich das vorstellen muss? So einfach, dass der Rest der Einstellvarianten eigentlich völlig überflüssig ist. Wie in der Automatikstellung einer Digitalkamera kann man auch hier nichts verkehrt machen.
Einfach Gepäckrolle und Freundin hintendrauf, und die Federung wird automatisch angepasst. Verliert man das ein oder andere unterwegs, so passt sich das Fahrwerk der Aprilia Caponord 1200 ABS dem geänderten Beladungszustand auch an. Das System reagiert so feinfühlig, selbst der Füllzustand des 24-Liter-Tanks wird berücksichtigt. Gut so. Denn glaubt man der Verbrauchsanzeige im iPhone, genehmigt sich der V2 bei zügiger Fahrweise immer noch 7,3 Liter auf 100 Kilometern.
Die Vorteile des semiaktiven Fahrwerks bleiben allerdings der Travel-Pack-Version vorbehalten, für die Aprilia in Deutschland 16190 Euro verlangt. Die Basisversion der Aprilia Caponord 1200 ABS, ohne das elektronische Fahrwerk, Hauptständer, Koffersystem und Tempomat, hat nur ABS und Traktionskontrolle und kostet 13 790 Euro. Für Deutschland stehen 450 Maschinen bereit, die der Importeur in diesem Jahr verkaufen will. Hoffen wir mal, dass es klappt.
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 690 W, Batterie 12 V, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.
Bohrung x Hub 106,0 x 67,8 mm
Hubraum 1197 cm³
Verdichtungsverhältnis 12,0:1
Nennleistung 92,0 kW (125 PS) bei 8000/min
Max. Drehmoment 115 Nm bei 6800/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung (Travel Pack: mechanisch verstellbare Federbasis, elektronisch verstellbare Zug- und Druckstufendämpfung), Zweiarmschwinge aus Aluminium, Federbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung (Travel Pack: elektronisch verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung), Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße+Gewichte
Radstand 1555 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 125 mm, Federweg v/h 167/150 mm, Sitzhöhe 840 mm, Gewicht fahrfertig 251 (Travel Pack: 265) kg, Tankinhalt/Reserve 24,0/5,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Serviceintervalle alle 10000 km
Farben Rot, Silber, Weiß
Preis 13790 Euro (Travel Pack: 16190 Euro)