Fahrbericht Vertemati Enduro 501

Fahrbericht Vertemati Enduro 501 Ja, ich will

Vernunft, Kalkül oder Wirtschaftlichkeit – welch profanes Denken. Die Brüder Vertemati bauen ihre Offroad-Maschinen nach eigenen Kriterien. Entweder man will sie – oder nicht.

Schön, dass es noch Menschen gibt, die bereit sind, ganz eigene Wege zu gehen. Die einfach das tun, was getan werden muss – ihrer Ansicht nach. Schön, dass es solche Menschen gibt wie Guido und Alvaro Vertemati. Seit Mitte der neunziger Jahre verfolgen die Brüder aus Triuggio ganz in der Nähe von Monza unbeirrbar nur ein Ziel: ihre eigene Vorstellung von einer Offroad-Maschine zu verwirklichen.
Und da steht sie nun. Mit ihrem eigenen Konzept. Ein Brückenrahmen aus ovalen Stahlrohren, an einem Strang gezogen vom Lenkkopf bis zur Schwingenlagerung, bildet das Rückgrat der ganz in Silber gehaltenen Italienerin. Die Schwinge, übrigens aus den gleichen Rohren gefertigt, stützt sich über ein direkt angelenktes Federbein am Rahmen ab. Der acht Liter fassende Tank sitzt zentral im Rohrgestell des angeschraubten Rahmenhecks.
Viel stolzer sind Guido und Alvaro allerdings auf ihren selbst konstruierten Motor. Ein Monoblock hatte es von Anfang an sein sollen. Ein vertikal geteiltes Gehäuse, in das Kurbelwelle, Ausgleichswelle und Getriebe einfach und schnell von der Seite einzuschieben sind und dessen kinderleicht auszutauschende Zylinderlaufbuchse dem Aggregat ein sehr großes Spektrum an Hubraumvarianten ermöglicht. Und als Highlight die ewige Liebe der beiden: eine über Stirnräder angetriebene Nockenwelle. Technisch beileibe keine Notwendigkeit. Denn das Konzept einer einzigen Nockenwelle verbietet von vornherein extrem hohe Drehzahlen, für die die Stirnräder eine exaktere Ventilsteuerung als eine Kette oder ein Zahnriemen bieten würden. Doch hat Vernunft bei Guido und Alvaro je gezählt?
Auch jetzt nicht. »Andate«, gibt Guido das Kommando zum Losfahren und unterstreicht mit einem Wink den Freifahrtschein. Direkt von der Werkstatt auf die Enduropfade der Lombardei. Und gleich ist wieder zu spüren, dass die Vertematis am Werk waren. Kickstarter ausgeklappt – und nach vorn getreten. Unkonventionell, doch bequem im Sitzen zu bewerkstelligen. Und deshalb gut. Aber schlechter als ein E-Starter. Der soll nur der Super-Moto-Version vorbehalten bleiben. Des Gewichts wegen.
Die ER 501 springt auf Anhieb an. Das feine Surren der Stirnräder unterlegt den sonoren Sound aus der Auspuffanlage von Leovince. Die ersten Meter führen über Landstraßen. Die Maschine wirkt klein, schmal, fast gedrungen. Die Position des Lenkers, relativ weit hinten auf der aus dem Vollen gefrästen Alugabelbrücke montiert, verstärkt diesen Eindruck. Dafür bietet die Sitzbank, unter deren Nase der Luftfilter hörbar röchelt, Bewegungsfreiheit satt. Sie verläuft fast horizontal.
Auf dem erstbesten Feldweg mit ausgewaschenen, holprigen Spurrillen werden die Fahrwerksqualitäten überprüft. Die 48er-White-Power-Gabel, übrigens die Version, die mit einer golden glänzenden Titan-Nitrid-Schicht bedampft ist, und das Federbein arbeiten gut. Sehr gut sogar. Endurotypisch weich abgestimmt, bügeln die holländischen Teile alles glatt, was sich in den Weg stellt. Klar, Motocrosser werden mit dieser komfortablen Abstimmung nicht glücklich werden. Enduristen schon.
Auf einer Wiese lässt sich eine imaginäre Sonderprüfung abstecken. Schlenker links, Schlenker rechts, ein paar kurze Geraden dazwischen. Die Vertemati flutscht vorbildlich um die Ecken, lässt sich sauber durchschalten, unterstützt von den geringen Handkräften der hydraulisch betätigten Kupplung. Zudem hilft die weiche Motorcharakteristik im Gezirkel. Traktion total. Zahm wird es auch mancher nennen. Zu zahm? Auf glatten Steinpassagen oder nach fünf, sechs Stunden im Gelände werden viele nicht mehr Dampf wollen. Die Entscheidung bleibt trotzdem Geschmackssache. Die Laufkultur des Motors nicht. Eine Ausgleichswelle sorgt für ausreichend Ruhe in den Lenkerenden.
Der Rückweg führt wieder über die Landstraße. Zeit zur Reflektion. Wie heißt es doch schön: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben? Stimmt. 21000 Mark für die individuelle Note im Stollenmetier sind ein strammes Angebot. Doch dafür genügt ein eigenwilliges Konzept nicht allein. Der hundsgewöhnliche Dellorto-Vergaser, die Grimeca-Bremsen und die klobigen Brems- und Kupplungsarmaturen stören den kompromisslosen Anspruch empfindlich. Etwas mehr exklusive Teile am silbernen Nobel-Hobel darf sich ein Edel-Endurist für den fetten Scheck schon wünschen. Denn eigentlich wollte er sich ja freuen, dass es Menschen gibt, bei denen Vernunft nicht immer zählt.

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