Rieju (sprich: Ri-e-chu) stellte im Sommer 2025 rund um den Firmensitz in Figueres zwei Crossover-Modelle der Mittelklasse vor: Rieju XPlora 707 und XPlora 557 . Ein echtes Novum für die bei uns kaum bekannte spanische Marke, denn sie setzte bislang vor allem auf 50er und 125er, seit einigen Jahren auch auf Offroader. Mit Erfolg: rund 20.000 Fahrzeuge baut das Werk pro Jahr, ausschließlich in Katalonien.
Rieju Xplora 707 und Xplora 557 von QJ Motor
Zumindest war das bisher so, und damit kommen wir zum Wermutstropfen für Freunde europäischer Motorradkultur: Riejus Debütantinnen stammen aus China. Um weiter unabhängig zu bleiben, will Rieju seine Modellpalette erweitern, schafft mit seinen 120 Beschäftigten aber keine schnelle Eigenentwicklung. Daher werden die beiden Neuen schlüsselfertig bei QJ Motor in China eingekauft. Sie basieren auf einem Projekt, das MV Agusta zusammen mit QJ Motor entwickelte.
Rieju Xplora 557 mit 48 PS, Xplora 707 mit 70 PS
Das Serienmotorrad segelt nun unter Rieju-Flagge, heißt Xplora und kommt auf der gleichen technischen Basis in zwei Versionen, als 557 mit 48 PS und als 707 mit 70 PS. Wie bei Crossovern üblich, sollen sie sowohl Asphalt als auch leichtes Gelände beherrschen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Die Rieju Xplora 557 ist mit 17-Zoll-Rädern auf Asphalt getrimmt, die Rieju Xplora 707 zielt mit 19-Zöller vorn, Drahtspeichenrädern und einer Bodenfreiheit von 210 mm stärker auf unbefestigte Wege.
Mit hochgezogenem Tank, bauchiger Verkleidung, Doppelscheinwerfer und luftigem Heck wirken beide stimmig und abenteuerlustig. Allerdings auch ziemlich mächtig, sie sehen eher wie Big Bikes denn wie Mittelklässler aus.
Rieju Xplora 557 im Fahrtest
Doch genug der Vorrede, ab in den Sattel der Rieju Xplora 557. Sie lässt es bei moderaten 835 mm Sitzhöhe bewenden, trotz offenkundig langer Federwege. Die exakten Maße konnte Rieju nicht angeben, auch andere technische Daten waren nicht verfügbar, weil die Motorräder erst kurz vor dem Fahrtermin eintrafen.
Die bequeme, aufrechte Sitzposition und die Grundstruktur der Rieju Xplora 557 erinnern an die Benelli TRK 502 – kein Wunder, denn die läuft ebenfalls bei QJ Motor in China vom Band. Doch die Xplora präsentiert sich temperamentvoller, was vor allem am Motor liegt. Der hat zum einen rund 50 Kubik mehr als der Benelli-Antrieb und imitiert zum anderen mit 270 Grad Hubzapfenversatz einen V2-Motor, einschließlich eines schön bassigen Sounds.
Trotz strammer 237 Kilogramm vollgetankt beschleunigt die Rieju Xplora 557 linear aus dem Drehzahlkeller, was sie auf der Berg-und-Tal-Fahrt durch das felsige Küstengebirge der Costa Brava mit einem fröhlichen Kurvenswing unter Beweis stellt. Ihre 17-Zoll-Räder mit Pirelli-Bereifung eignen sich perfekt für den unglaublich ebenen Asphalt dieser Bergstraßen, der Grip fast ohne Ende bietet. Willig lässt sich die Rieju Xplora 557 durch Kurven dirigieren, sie wirkt agil und hinterlässt einen harmonischen Gesamteindruck.
Seitenständer der Xplora 557 setzt auf
Ohne Makel ist sie aber nicht. So setzt der Seitenständer bei flotten Wechselkurven knallhart auf, zudem irritieren Gasgriff und Fußbremse mit allzu langen Leerwegen – kein Beinbruch, aber eben nicht perfekt. Zusätzlich gibt es die Rieju Xplora 557 auch entdrosselt, dann mit knapp 58 PS.
Rieju Xplora 707 im Fahrtest
Die Teststrecke schlängelt sich weiter Richtung Küste. Nun soll die Xplora 707 zeigen, was sie kann. Auch bei ihr handelt es sich um eine teils bekannte Maschine, Benelli und QJ Motor verbauen den gleichen Reihentwin mit 70 PS in ihren Reiseenduros. Die fallen allerdings nicht so gnadenlos hoch aus wie die Xplora 707: Für mehr Bodenfreiheit im Gelände verpasste ihr Rieju eine Sitzhöhe von 865 mm. Da die breite Sitzbank den Effekt verstärkt, gerät schon der Start für die Testerin zum Balanceakt, trotz einer Körperlänge von knapp 1,80 Meter berühren nur die Zehenspitzen den Boden. Beim Rangieren oder beim Stopp an Steigungen stellt sich da kein Wellness-Feeling ein, zumal das Motorrad 243 Kilogramm wiegt.
Im Fahrbetrieb spielt das aber keine Rolle. Hier zeigt sich die Rieju Xplora 707 mit ihrem 19-Zoll-Vorderrad in Schräglagen stabil, klaglos steckt sie kleine Korrekturen weg. Ihre Brembo-Bremsen verzögern gut, ohne dabei bissig zu werden. Wie gut das einstellbare Kayaba-Fahrwerk mit Holperstrecken zurechtkommt, ließ sich mangels Schlaglöchern und Spurrillen nicht feststellen – glückliche Katalanen, die solche Straßen vor der Haustür haben!
Xplora 707 mit wenig Druck bei niedrigen Drehzahlen
Doch obwohl sie gut 20 PS mehr mitbringt als die 557, bleibt die 707 im Küstengebirge der Costa Brava seltsam blass. Das liegt vor allem daran, dass sie wenig Druck bei niedrigen Drehzahlen entwickelt, Schub setzt erst ab 4000 bis 5000/min ein. Dann geht’s durchaus zügig voran, doch einer Reiseenduro stünde mehr Wumms von unten besser zu Gesicht.
Die Elektronik beschränkt sich auf ABS, bei der Rieju Xplora 707 ist es fürs Gelände abschaltbar. Der nicht verstellbare Windschild schützt gut, an seiner Innenseite bietet eine Querstange stabilen Halt fürs Navi.
Rieju Xplora 557 hinterlässt besseren Eindruck
An Zusatzausstattung wartet die Rieju Xplora 707 mit Motorschutzbügeln und Hauptständer auf. Schade nur, dass der schon bei gemäßigter Schräglage Schleifspuren in den Asphalt zeichnet. Insgesamt machte die Rieju Xplora 557 auf der Testtour den deutlich besseren Eindruck, wobei der geplante Ausflug ins leichte Gelände ausfiel – vielleicht hätte die Rieju Xplora 707 dort gepunktet.
Beide Rieju-Reiseenduros in Deutschland erhältlich
Rieju Xplora 707 und Rieju Xplora 557 gibt’s ab sofort über den neuen deutschen Importeur März Motorradhandel. Die Rieju Xplora 557 kostet 6.690 Euro, für die Rieju Xplora 707 sind es 7.990 Euro. Das ist für solch ausgewachsene Crossover-Bikes ein fairer Preis.
Rieju: Spaniens letzter unabhängiger Motorradbauer
Die kleine Marke ist eine Ausnahmeerscheinung unter den europäischen Motorradherstellern: unabhängig, seit der Gründung im Besitz der gleichen Familie, vom Eigentümer geführt und mit einer Produktion, die auf viel Handarbeit und Fertigungstiefe setzt.
Wie die spanischen Motorradmarken GasGas, Derbi, Montesa, Ossa und Bultaco stammt Rieju aus Katalonien. Der Werkssitz liegt in Figueres, rund 150 Kilometer nördlich von Barcelona, unweit der französischen Grenze. Seit 1945 fertigt der kleine Hersteller mit aktuell 120 Beschäftigten hier Mopeds und leichte Motorräder – und ist bis heute eigenständig. Gegründet wurde Rieju von Luis Riera und Jaime Juanola, deren Nachnamen sich im Firmennamen spiegeln; heute leitet Gründer-Enkel Jordi Riera das Unternehmen. Ein Meilenstein für Rieju war Mitte der 1960er-Jahre die Lizenz zum Bau von Motoren des italienischen Herstellers Minarelli – eine Kooperation, die bis heute andauert. Auch in den aktuellen 50er- und 125er-Modellen kommen Minarelli-Aggregate zum Einsatz.

Rieju stammt aus Katalonien. Der Werkssitz liegt in Figueres. Seit 1945 fertigt der kleine Hersteller mit aktuell 120 Beschäftigten hier Mopeds und leichte Motorräder – und ist bis heute eigenständig.
Einen weiteren Entwicklungsschub brachte 2020 die Übernahme der Enduro-Plattformen von GasGas, die KTM als neuer Eigentümer der Marke nicht mehr wollte. Rieju griff zu, führte die Modelle weiter und passte sie an neue Normen und technische Anforderungen an. Neuer Star der Hardenduro-Reihe MR ist die kürzlich erschienene 300er mit Zweitaktmotor und Einspritzung. Alle Offroad-Motorräder entstehen im alten GasGas-Werk im nahen Girona.
Die 50er und 125er mit Straßenzulassung – zu ihnen zählen Supermotos, Scrambler, Naked und Funbikes sowie kleine Elektromotorräder und -roller – kommen aus dem Hauptwerk in Figueres, wo selbst die Beschichtung der Rahmen noch selbst gemacht wird. Nach eigenen Angaben fertigt Rieju derzeit mit 38 verschiedenen Modellen gut 20.000 Zweiräder pro Jahr, der Umsatz liegt bei 60 Millionen Euro.
Weil das Werk in Figueres aus allen Nähten platzt, beginnt Ende des Jahres der Bau einer neuen Fabrik mit vier Fertigungsstraßen und einer Kapazität von 50.000 Fahrzeugen pro Jahr. Dort will Rieju dann auch die Xplora-Modelle selbst montieren; derzeit kommen die in China gebauten Motorräder fertig aus der Kiste. Zudem planen die Katalanen, ihre Modellpalette weiter auszubauen, etwa mit der leichten Enduro Aventura 307, die Ende des Jahres erwartet wird.