Test Honda SLR 650
Ab durch die Mitte?

Gibt es Bikes, die Citys besser meistern als andere? Fördert Honda die Illegalität, weil sich die SLR 650 Citybike nennt? Taugt ein Citybike auch für Landstraßen?

Natürlich höchst illegal, was der werte Kollege da vorexerziert: Durchschlängeln an einer Ampel während der Rush-hour in einer verstopften City. Aber das Motorrad nötigt seinen Fahrer förmlich dazu. Handelt es sich doch nicht um irgendeine Maschine, sondern um Hondas neues Citybike namens SLR 650. Und war es nicht Honda, die das Modell mit einem eindeutig zweideutigen Werbefilm auf der IFMA vorgestellt hat? Eine wilde Verfolgungsjagd durch Tokio, bei der zwei Blues-Brothers-Verschnitte einen armen SLR-Fahrer jagen? Natürlich hängt der seine fiesen Verfolger schließlich ab.
Aber was muß so ein Motorrad eigentlich wirklich drauf haben, fernab allen Werbebotschaften? Eine Maschine also, die nicht nur für Schönwetterfahrten zur Eisdiele dient, sondern vielleicht sogar als Ganzjahresfahrzeug herhalten muß, folglich robust, unkompliziert und wendig sein sollte.
Was sich im Fall der SLR schon beim ersten City-Ausflug nicht als hohle Phrase, sondern als Realität erwies. Ja, sie wirkt tatsächlich ganz schön handlich, diese Mischung aus Dominator und den Scrambler-Motorrädern der 70er. Dazu trägt sicherlich die entspannte Sitzposition auf einer fast crossmäßig straff gepolsterten, schmalen Sitzbank bei. 176 Kilogramm sind ein akzeptables Fahrgewicht, und mit 84 Zentimetern Sitzhöhe gerät der Stop and go-Verkehr auch für kleinere Fahrer nicht zum Hochseilakt.
Bei dieser vermeintlich neuen Gattung Citybike, die Honda bei Montesa in Spanien fertigt, stammt lediglich der 650 cm³ große Single aus Japan. Ansonsten setzt Honda voll und ganz auf europäische Zulieferer. So stammt die im Vergleich zur Dominator von 21 auf 19 Zoll geschrumpfte Vorderradfelge wie auch die hintere Felge von Akront, die Bremsen von Brembo, die Gabel und das Federbein von Showa Europe.
Dem japanischen Herz der SLR 650 sollte Honda endlich ein Denkmal setzten, tat das Vierventil-Triebwerk doch anno 1983 in der XL 600 R und mit mehr Hubraum schließlich in der Dominator seinen Dienst. Wobei sich der Charakter des Einzylinders sich im Lauf der Jahre wandelte. Lief er in der heimlichen Mutter aller Honda-Citybikes, der XL 600 R, in unteren Drehzahlregionen noch recht unwillig, so gewöhnte er sich in der Dominator rundum gute Manieren an. Wegen einer geänderte Nockenwelle fehlen dem SLR-Triebwerk zum Pendant der Dominator fünf PS, was sich, zumindest im unteren Drehzahlbereich, kaum auswirkt. Der Motor tritt schon aus dem Drehzahlkeller kräftig an, erfreulich beim Spurt von der Ampel, aber auch bei Trial-Einlagen im Gelände positiv. Zudem tritt kein lästiges Ruckeln, eine schlechte Gasannahme oder unwilliges Kaltstartverhalten auf. Anders als bei der Dominator wirkt der 39 PS starke SLR-Motor oben heraus allerdings reichlich zäh.
Also lieber schnell die leichtgängige Kupplung ziehen und den nächsten, sauber einrastenden Gang einlegen. Wobei das Schalten reine Gefühlssache ist, denn ein Drehzahlmesser fiel wohl dem Rotstift zum Opfer. Mit 8990 Mark (inklusive Nebenkosten) liegt die SLR immerhin 1275 Mark unter der Dominator. Nicht verwunderlich also, daß einige Details den sonst gewohnten Honda-Standard nicht erreichen. Über das Aussehen des »Mono-Backbone« getauften Stahlrohrrahmens, der gleichzeitig als Trockensumpf-Öltank dient, läßt sich sicherlich streiten. Er erinnert ein wenig an überlackierten Baustahl. Dafür glänzt die SLR mit anderen Stärken, wie etwa der bekannten Doppelauspuffanlage der Dominator. Schön, daß aus den in Edelstahl gehüllten Töpfen trotz scharfer Geräuschbestimmung noch ein wohliger Einzylindersound ertönt. In ein positives Licht rückt sich die SLR auch mit ihrem 180 Millimeter großen Scheinwerfer, der die mickrigen Funzeln manch anderer Enduros buchstäblich in den Schatten stellt.
Aber was passiert, wenn der City-Biker das Ortsschild hinter sich läßt und auf Landstraßen ausrückt? Kein Problem: Auch hier überzeugt die SLR. Frech und zielgenau läßt sie sich um Kurven zirkeln, was nicht zu Lasten des Geradeauslaufs auf Autobahnetappen geht. Zum Beschleunigen aus engen Kehren paßt der auf niedrige Drehzahlen spontan reagierende Motor und die Getriebeabstimmung sehr gut. Der Druckpunkt der Vorderradbremse verdient zwar das Prädikat »etwas teigig«, dafür verzögert die Doppelkolbenanlage aber wirksam und läßt auch nach scharf gefahrenen, kurvigen Bergabpassagen nicht nach.
Die Fahrwerksabstimmung geriet straff, und während die Vordergabel tadellos arbeitet, kommt das überdämpfte Federbein seiner Aufgabe vor allem auf holperigen Asphalt nur sehr widerwillig nach.
Beherzter Landstraßenräuberei steht nach kurzer Zeit aber noch ein weit größeres Hindernis im Weg: der kleine 13-Liter-Tank. Bei strammer Fahrweise gönnt sich der luftgekühlte Single mitunter schon nach 140 Kilometern die eiserne Spritreserve. Citybike hin oder her, das Schieben zur nächsten Tankstelle macht sicherlich keinen Spaß.

Unsere Highlights

Mein Fazit

Kein Sonderangebot, die SLR, denn die Dominator NX 650 kostet lediglich 1275 Mark mehr. Aber auch kein Billig- Motorrad. Sicher, an einigen Details wie dem hinteren Federbein oder dem zusammmengezimmerten Rahmen machen sich Sparmaßnahmen bemerkbar. Dennoch stellt Honda mit der SLR ein grundsolides, ehrliches Motorrad auf die Räder. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das freut nicht nur die Neueinsteiger, sondern auch Leute, die nach einem Ersatz für ihre alte XT, KLX, DR oder XL suchen. Ein robustes Motorrad mit einem ausgereiften Motor, das einem den hohen Bordstein in der Stadt ebenso wenig krumm nimmt wie leichte Geländeeinlagen in der Kiesgrube und zudem günstig im Unterhalt ist. Einziges Manko: die viel zu kurzen Wartungsintervale. Alle 3000 Kilometern zum Ölwechsel, das ist absolut nicht mehr zeitgemäß.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023