Test Yamaha WR 400 F
Jubel, Trubel, Heiterkeit

Fast bis 12000 Umdrehungen läßt sich die WR 400 F hochjubeln, das stimmt den Fahrer heiter. Die etablierte Konkurrenz aus Europa ist eher beunruhigt - zu Recht?

Wie eine Bombe schlug Yamahas YZ 400 F Anfang des Jahres in die Viertakt-Cross-Szene ein, von einem Tag auf den anderen ließ der Newcomer die Crosser von KTM, Husaberg und Husqvarna alt aussehen. Kein Wunder, denn erstens ist die YZ eine taufrische Konstruktion, und zweitens ist sie von vornherein als reinrassiger Crosser konzipiert. Bei den Europäern liegt der Fall anders: Sie haben schon einige Jährchen auf dem Buckel und sind als Enduros geboren, erst nachträglich und eher halbherzig zum Crosser mutiert. Das läßt vermuten, daß der Ableger WR 400 F bei den etablierten Spezialisten in der 400er Enduro-Klasse auf mehr Gegenwehr stößt.
Ein Blick auf die Leistungskurven zeigt, daß der Wechsel in die Enduro-Sparte Zugeständnisse erforderte. Die WR dringt mit maximal 11750/min zwar in ähnliche Drehzahlsphären vor wie die YZ, das nutzbare Band ist jedoch schmaler. Im mittleren Bereich tut sich zwischen Enduro und Crosser eine bemerkenswerte Lücke auf, bei 6000/min fehlen der WR fast zehn Pferde. Dagegen ist die Differenz in der Spitze mit nur zwei PS eher marginal. Anzumerken ist, daß die Testmaschine mit gemessenen 48 PS die Werksangabe deutlich übertrifft. Aber der Vergleich mit dem phänomenalen Cross-Motor ist unfair, daher hier die Werte einer Husqvarna TE 410 aus dem 400er Vergleichstest 1996: Spitze 45 PS bei 7900/min, bei 6000/min stehen bereits 35 PS an. Auch nicht schlecht, oben heraus macht die Husky jedoch deutlich früher zu, ab 10000/min geht es mit der Leistung steil bergab. Daß Prüfstandskurven nicht graue Theorie sind, spürt der Fahrer im direkten Vergleich der beiden Yamaha-400er auf der Piste. Der Punch der YZ, der die Arme langzieht, fehlt der WR, bei ihr geht alles viel moderater und softer ab. Drehzahlorgien hart am Begrenzer schüttelt die Enduro ebenso locker und lässig aus dem Ärmel wie der Crosser.
Woher kommt der Unterschied? Mit Sicherheit zeichnet in erster Linie der voluminöse Stahlauspuff verantwortlich, aus dem im Vergleich zur animalisch kreischenden YZ nur ein laues Lüftchen säuseln darf. In der getesteten, offenen Enduro-Version bleibt die WR unter dem Geräuschlimit im Endurosport, schafft aber nicht ganz die im Straßenbereich geforderten Grenzwerte. Die homologierte 37-PS-Variante muß noch ein bißchen leiser werden, das soll im wesentlichen über einen Schieber-Anschlag geschehen. MOTORRAD wird diese Version in den nächsten Wochen testen und die Meßwerte nachliefern.
Weitere Unterschiede zwischen den Motoren von Crosser und Enduro: Die Auslaßnocke ist zwar identisch, jedoch um einen Zahn versetzt. Außerdem arbeitet das Zündmanagment mit unterschiedlichen Kennfeldern. Trotz größerer Schwungmasse infolge der 70-Watt-Lichtmaschine läßt sich die WR bei unsensibler Behandlung leichter ausbremsen oder abwürgen als die YZ, Fingerübungen am Kupplungshebel sind ratsam. Zu hart sollte die Kupplung aber nicht mißbraucht werden, ein wandernder Druckpunkt deutet Grenzen der Belastbarkeit an.
Ein kleines Fragezeichen gilt der thermischen Standfestigkeit. Die Robustheit einer luftgekühlten Honda XR 400 besitzt die wassergekühlte WR nicht, Kurvereien im Tiefsand brachten sie trotz mäßiger Lufttemperaturen schnell zum Kochen. Ähnliche Probleme plagen die europäischen Wasserkocher jedoch auch. Dabei verleitet das spielerische Handling und die messerscharfe Lenkpräzision der WR zum Herumtoben auf engsten Raum. Ein flüchtiger Gedanke genügt, schon biegt die Yamaha wie von selbst rechtwinklig aus dem Anlieger, in dieser Beziehung gibt es nichts Vergleichbares. Auf der anderen Seite wirkt der Geradeauslauf beruhigend, nur in ganz extremen Fällen beim Anbremsen kommt Unruhe in die Lenkung.
Die Federung ist von Haus aus Richtung Komfort getrimmt. Sie spricht sauber und weich an, schluckt auch tiefe Wellen. Bei crossmäßig harter Fahrweise sind Grenzen spürbar, dann fehlt es an Progression, besonders die Gabel schlägt im Extremfall hart gegen den Anschlag. Eine ideale Abstimmung für hobbymäßiges, aber engagiertes Fahren im Gelände, eher mit einer XR 400 als mit einer Husaberg vergleichbar. Langen Off-Road-Etappen steht somit außer mangelndem Sitzfleisch nichts im Weg, zumal Tankpausen selten nötig sind. Der zwölf Liter fassende Tank baut zwar hoch, stört den Freizeit-Enduristen aber nicht. Sportler kritisieren allerdings, daß sie in Kurven nicht weit genug nach vorn rutschen können.
Fazit: Wie die YZ setzt die WR 400 F Akzente. Obwohl nicht ganz so kompromißlos abgestimmt wie die europäischen Viertakter, wird sie als Gegner aber ein harter Brocken. Das macht neugierig auf den direkten Vergleich.

Unsere Highlights

Die WR im Endurosport

Pokale gibt es im Sport nur bei optimalem Material, adäquate fahrerische Qualitäten vorausgesetzt. Das bedeutet wie bei jeder anderen Enduro: Es darf ein bißchen geschraubt werden. Zunächst einmal gilt es die Federung an das Gewicht und den Fahrstil anzupassen. Die komfortable Serienabstimmung bietet in Extrrmsituationen zu wenig Reserven. Wer es ordentlich fliegen läßt und um die 70 Kilo oder mehr auf die Waage bringt, braucht straffere Federn und entsprechende Dämpfung. Die progressiven Elemente der YZ wären für rennmäßige Fortbewegung gerade richtig. Kostengünstiger ist auf jeden Fall eine Überarbeitung der Serienteile beim Fahrwerksspezialisten. Auch in puncto Leistung ist die YZ das Maß der Dinge. Daß es nicht ganz leicht fällt, deren Potential auszuschöpfen, beweisen die Probleme des französischen Enduro-Champions Stéphane Peterhansel in der Weltmeisterschaft: Er ging bei den ersten Rennen mit einem hörbar modifizierten Auspuff an den Start und handelte sich prompt Schwierigkeiten mit den Funktionären ein. Die Verlockung ist groß, mit anderen Schalldämpfern auch das ein oder andere Kilogramm abspecken, bei den pedantischen Geräuschkontrollen deutscher Abnahmekommissare dürfte das jedoch auf wenig Gegenliebe stoßen.Weniger Streß bringen andere Modifikationen: Vorteilhaft für enge Sonderprüfungen ist eine crossmäßige Sitzposition, mit der viel Druck auf die Vorderpartie gemacht werden kann. Der französische Importeur bietet dazu den kleineren Tank des Crossers nebst Sitzbank und Dekorsatz als Kit für etwa 850 Mark an. Acht Liter Brennstoff dürften für hierzulande übliche Etappen im Endurosport ausreichen.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023