Triumph Tiger 900 Rally Pro im 50.000-km-Dauertest
Optisch adrette, opulent ausgestattete Reiseenduro

Die schicke Triumph Tiger 900 Rally Pro Modelljahr 2021 nimmt im Dauertest 50.000 Kilometer unter die Räder. Hier erfahrt ihr immer aktuell, was es zu ihr aus dem Dauertest zu vermelden gibt.

Optisch adrette, opulent ausgestattete Reiseenduro
Foto: Rainer Froberg
In diesem Artikel:
  • Kilometer 36.545: Frankreich und zurück
  • Kilometer 34.000. Allgäutour
  • Kilometer 33.300. Angefahren, umgefallen
  • Kilometer 29.500. Die Schaltung stirbt
  • Kilometer 22.134, Pendeldienst
  • Kilometer: 21.145, 10/21
  • Kilometer: 13.100, 8/2021
  • Kilometer: 10.400, 8/2021
  • Kilometer 5.788 und 6.729, 6/2021
  • Dauertest-Beginn

Die optisch adrette und opulent ausgestattete Reise-Enduro Triumph Tiger 900 Rally Pro bereichert seit Juni 2021 den MOTORRAD-Dauertest-Fuhrpark als toller Tourer. Bevor der Dreizylinder endgültig in den Redaktionsalltag entlassen wurde, musste er sich auf dem Prüfstand messen lassen. Danach folgen die Eingangsmessung sowie die Verplombung des Motors und eine Kompressionsmessung. Ungefähr nach 25.000 km veröffentlichen wir in der Zeitschrift MOTORRAD eine ausführliche Dauertest-Zwischenbilanz; nach 50.000 Kilometern folgen Abschlussmessungen, bevor der Motor der Triumph zerlegt und begutachtet wird.

Unsere Highlights

Kilometer 36.545: Frankreich und zurück

Die Mission: 800 Kilometer Anreise nach Südfrankreich in einem Tag. Angelina Leser nimmt die Ochsentour auf der Tiger danke Griff- und Sitzheizung locker. mit 1,74 Metern und ganz tief gestelltem Sitz erreichen die Fußballen gerade noch den Boden. In der Stadt trotzdem nur Anhalten mit leichtem Muffensausen. Einmal in Fahrt: Alles gut. Moniert werden nur nach 400 Kilometer am Stück(!) leichte Verkrampfungen an Knien und unterem Rücken. Lob für den Quickshifter, Bremsen und die Alu-Koffer mit klappbarem Deckel für den Proviant. Ergebnis von Angelina: Eine 800 Kilometer Frankreichreise an einem Tag habe ich noch nie so angenehm wahrgenommen. Die Triumph war eine angenehme Reisegefährtin, mit der ich jederzeit wieder nach Frankreich fahren würde.

Kilometer 34.000. Allgäutour

Die Triumph erweist sich dabei als kompetente Reisebegleiterin. Der durchzugs- und klangstarke Dreizylinder schiebt bereits aus niedrigen Drehzahlen mit nahezu linearer Leistungsentfaltung kräftig an und nachdem ich mich an die recht spät ausrückende Kupplung gewöhnt habe, gelingt der engagierte Ampelstart auf konkurrenzfähigem Niveau. Auch, weil sich das Getriebe in meiner Wahrnehmung butterweich schalten lässt. Als bekennender Schnickschnack-Verweigerer hatte ich die Ausstattungsoption "Schaltautomat mit Blipperfunktion" nicht auf dem Schirm, somit gibt es dazu leider keine Eindrücke von meiner Seite. Der Durchschnittsverbrauch lag bei niedrigen 4,5 Litern, was aufgrund der defensiven Gangart während der Tour nicht überrascht.

Das geländetaugliche Fahrwerk federt auf normalen Straßen natürlich äußerst komfortabel, wenngleich das Thema "dynamische Radlastverteilung" beim Gas geben und Bremsen ein relevantes ist: Es kommt ordentlich Bewegung ins Fahrwerk, auch weil der Fahrer in meinem Fall an der 110-Kilo-Marke kratzt, in kompletter Montur sicher darüber liegt. Durch das 21-Zoll-Vorderrad gewinnt die Triumph natürlich keinen Handling-Pokal, entscheidet sich beim Bremsen in Schräglage tendenziell für die weitere Linie. Aber sie fährt zielgenau, stabil und verlässlich, zumindest so lange der Bremsvorgang vor der Kurve weitgehend abgeschlossen ist.

Die Armaturen funktionieren ordentlich, wobei ich Defizite beim Thema "Tast-Haptik" gegenüber den bewährten Standardarmaturen meines Taiwan-Scooters erfühlen kann. Das LC-Display bietet eine Fülle von Informationen, der Zugang dazu ist einigermaßen selbsterklärend. Dass es nicht möglich ist, den Gesamtkilometerstand dauerhaft einzublenden, ist trotzdem seltsam. Er wird nur beim Ein- und Ausschalten der Zündung für kurze Zeit angezeigt. So richtig logisch ist das nicht.

Am nächsten Tag kommt die Hitzewelle mit voller Wucht zurück, ein Wochenende mit digitalem Wetter: Bullenhitze, Dauerregen, Bullenhitze, so die Abfolge der Tage. Wir wählen auf dem Heimweg eine andere Route, was mit der Calimoto-App ein Kinderspiel ist. Schöne neue Welt… Ansonsten? Keine besonderen Vorkommnisse, sondern die Bestätigung der Fahreindrücke vom Anreisetag.

Mein Fazit nach 525 Landstraßenkilometern fällt eigentlich sehr positiv aus. Das vergleichsweise hohe Gewicht hat mich kaum gestört, alles funktioniert im Grunde, wie es soll. Warum also dieses "eigentlich"? Weil die Triumph trotz aller positiver Eigenschaften verblüffend ereignisarm daher kommt, mich beim Fahren eher auf der nüchternen als auf der emotionalen Ebene anspricht. Ganz anders als die beiden letzten Bikes, die ich aus dem Dauertestfuhrpark fahren durfte. Die Moto Guzzi V85 und die BMW R 1250 GS: Die Italienerin fuhr einfach viel besser, als ich erwartet hatte und glich ihre geringere Motorleistung mit einem wunderschönen Sound aus, die Bayerin zwang meine grundsätzliche – vorwiegend optische – Abneigung gegen sie mit ihrer unfassbaren Performance im Motor- und Fahrwerksbereich nachhaltig nieder. Solcherlei Eindrücke liefert die Tiger 900 nicht.

Kilometer 33.300. Angefahren, umgefallen

Zum Glück ist Kollege und Vielfahrer Rainer F. mit einer robusten Psyche ausgestattet, sonst würde er wohl mit seinem Schicksal hadern. Denn auch als seinerzeit die Dauertest-Gold Wing von einem Autofahrer in Jenseits befördert wurde (MOTORRAD 8/2020), saß er am Lenker. Und schon wieder hat es ihn erwischt, als ihm, vorschriftsmäßig an einer roten Ampel stehend, ein unaufmerksamer Autofahrer hinten auf die Dauertest-Tiger auffuhr. Außer einem Schrecken ist Rainer nichts passiert, auch die Tiger zeigte sich robust: Außer ein paar Kratzern, einem gebrochenen Handprotektor sowie einem verbogenen Fußbremshebel ist nicht passiert, wie ein Check beim Händler ergab. Und so ist sie wieder on the road again.

Kilometer 29.500. Die Schaltung stirbt

Im Zuge der Dauertest-Zwischenbilanz (MOTORRAD 10/22) sollten wie üblich diverse Zubehör-Auspuffanlagen auf dem Leistungsprüfstand getestet werden. Doch gleich bei der ersten Messung mit dem Serientopf machte die Kupplung Ärger und trennte nicht mehr. Also ab in die Werkstatt. Dort stellte sich heraus, das der Zugpilz, der die Kupplung trennt, offenbar mit der Kupplung mitdrehte (was er nicht soll), weshalb die Kontaktflächen mit der Ausrückklaue diese derart überhitzten, dass das Material weich wurde und nachgab. Diese Art der Kupplungsbetätigung ist weitestgehend Standard und eigentlich unauffällig. Egal, Stift auf Garantie getauscht und weiter geht's.

Kilometer 22.134, Pendeldienst

Kollege Jens Kratschmar fuhr die Tiger Anfang November gut 1.000 Kilometer als Pendelfahrzeug. Bei Nebel und niedrigen Temperaturen kommen die Komfortsysteme der Triumph an ihre Grenzen.

Motor: Nach 20 Jahren Triumph mit dem 120°-Grad Triple ist das Umsteigen auf den 90-180-Grad-Motor der Tiger 900 ein schwerer, die Gewöhnung an den rauen, vibrationsstarken Lauf dauert. Versüßt wird diese Zeit dafür vom fein gestimmten Sound, der den Fahrer erreicht. Schönes Timbre von Tank und Airbox, kehliges Fauchen und Brummen aus dem Endtopf. Im Leerlauf mechanisch sehr präsent. Beim Beschleunigen sucht der Chronist vergebens nach Schubladen für die Notenblätter: Twin oder Triple oder V4? Irgendwie stimmen alle. Ein Mitbringsel des neuen Charakters ist mehr Drehmoment, das vorrangig aus dem Keller souverän drückt: Der Triple büffelt sich klaglos in hohen Gängen aus niedrigen Drehzahlen. Leider versanden die proklamierten 10 Prozent mehr Kraft in der Spitze im fehlenden Willen zum Drehen ab knapp über 7.000 Touren. Die Suche nach mehr Charakter und einer Portion Raubein für das oder die Offroad-Modelle war erfolgreich. Den Charme des Gentlemen-Triple verliert die Tiger, vermissen wird ihn dort wohl keiner.

Fahrwerk: Wer ein Motorrad mit 240 Millimeter vorn und 230 Millimeter hinten rein nach seiner Straßengüte beurteilt, hat das Konzept nicht verstanden. Denn Natürlich kann ein Offroad-Fahrwerk mit entsprechender Bereifung nicht mit aller Konsequenz an letzten Prozent Straßen-Performance rumnesteln. Entsprechend arbeitet das Fahrwerk beim Beschleunigen und Bremsen sehr viel und reagiert auf Lastwechsel in der Kurve mit der Wahl der weiten Linie. Großen Anteil daran hat die enorm starke Bremsanlage. Darauf muss man sich einstellen, der Tiger die eigenen Zähne zeigen, genau die Richtung vorgeben und Finger wie Zehen von der Bremse lassen. Dann funktioniert’s mit der Jagd auf Asphalt. Reifen: Dunlop Trailmax Meridian nicht mehr taufrisch, vorn schon knapp vor der Verschleißmarke. Trotz hoher Laufleistung immer noch verlässlicher Grip im feuchten Herbst, selbst wenn er den absoluten Willen zum Einlenken schon etwas verloren hat. Bei 120 Kilo Fahrergewicht hilft die Vorspannung des Federbeins drei Klicks von maximal zu öffnen, dann klappt die Tiger besser ein.

Ergonomie und Komfort: Mit 1,88 Meter stört einzig der leicht zu spitze Kniewinkel der Tiger 900 Rally Pro. Ansonsten sind Sitzbank und Lenker gut positioniert, der schmale Tankschluss integriert passend. Das schicke Display ist mit seinen vielen Anzeigestilen zwar interessant und verspielt, den optimalen Modus findet der Chronist für sich aber nicht. Bedienung über den Joystick gut gelöst. Alle Schalter ohne Hand-vom-Griff zu bedienen mit guter Haptik und klaren Druckpunkten. Höhenverstellung der Scheibe effektiv mit rustikalem Charme. Quickshifter mit Blipper nicht frei von Kritik. Unter 4.000 Touren beim Hochschalten eher ruppig. Beim Blippen muss die Drosselklappe ganz geschlossen sein, damit er funktioniert. Im Allgemeinen wirkt der Quickshifter aufgesetzt. Kein großer Komfortgewinn, da der Gasgriff viel Leerweg hat, kein echtes "Gasgriff-Gefühl" erzeugt und ein feingliedriges Anlegen des Gases erschwert. Sitz- und Griffheizung heizen bis 10 Grad gut ein, kämpfen aber nahe des Nullpunktes beide nicht mehr ganz erfolgreich gegen die Kälte an. Abblendlicht geradeaus ok. Hier helfen die Nebelscheinwerfer mit einem breiten Lichtkranz, wobei deren grundsätzlicher Einsatz nicht erlaubt ist. Fernlicht: Stark. Jedoch: Durch Wälder im Dunkeln fällt der Lichtkegel gefühlt meterweit in den Boden beim Anbremsen, was die Suche nach dem Einlenkpunkt zu einer Schnitzeljagd macht. Im Anschluss leuchtet die Triumph die Kurve in Schräglage zu hoch und schmal aus. Langsamer fahren hilft, ist aber keine Lösung.

Optik und Haptik: Triumph unterstreicht mit der Tiger 900 Rally Pro den Anspruch eines Premiumherstellers. Rahmen in Weiß, Anbauteile, Komponenten und Lack sind Oberklasse. Störend nur der schwer zu bedienende Hauptständer, wenn der Kofferhalter montiert ist.

Fazit: Neuer, toller Motor und neuer, starker Charakter sind die beiden treffenden Kernaussagen der Tiger 900 Rally Pro von Triumph. 15.650 Euro in Khaki plus das Koffersystem sind ein Wort, das man sich leisten können muss und will.

Kilometer: 21.145, 10/21

Acht Monate im Dauertest-Fuhrpark und schon über 20 000 Kilometer abgerissen? Offensichtlich stehen nicht nur prominente Geheimagenten auf die vielseitigen Qualitäten des Brit-Bikes made in Thailand. Neben einem Ausflug nach Sardinien summierten sich eben verschiedenste Fahrten im Redaktionsalltag. Bisher schlug sich die Raubkatze dabei formidabel. Die Liste der negativen Auffälligkeiten ist kurz. Wichtigster Aussetzer: Schon zwei Mal quittierte der Motor beim Beschleunigen mit einem lauten "Klack" den Dienst. Kein gutes Gefühl, mitten auf der Überholspur. Der Triple sprang nach Zündung Aus- und Wieder-Einschalten (gerade noch auf den Standstreifen gerettet) aber sofort wieder an und lief problemlos weiter. Die Ursachenforschung der Werkstatt blieb erfolglos, kein Eintrag im Fehlerspeicher. Wir beobachten das aufmerksam. Anders als alle weiteren Triumph-Triples hat die Kurbelwelle des 900er-Motors keine 120-Grad-Kröpfung mit gleichmäßigen 240 Grad Zündabstand. Stattdessen sorgen zweimal 90 Grad Hubzapfenversatz für ungleichmäßiges Zünden nach 180, 450 und 720 Grad. Daraus resultiert ein individuelles, kerniges Klangbild. Doch auch die Vibrationen fallen spürbar präsenter aus. Letzter Kritikpunkt: Im Sommer heizt die Motorabwärme den Fahrer mitunter übermäßig auf. Dafür ist der Windschutz absolut überzeugend, war die 10 000er-Inspektion günstig, knapp 250 Euro. Reisetechnisch präsentiert sich die Reiseenduro umfassend ausgestattet. Griff- und Sitzheizung (!), Zusatzscheinwerfer, umfassende Regelelektronik und Konnektivität – alles an Bord. Exzellent verrichtet das Getriebe samt Schaltautomat seinen Dienst. Gut harmonieren Dunlop Trailmax Meridian mit der 900er. Unsere Fahrwerkseinstellung bei voller Beladung: Federbasis hinten komplett erhöht, damit die Balance stimmt, viel Gewicht aufs Vorderrad kommt. Dazu die Zugstufendämpfung von einer vollen auf eine halbe Umdrehung fast ganz zugedreht, damit das Federbein auf Bodenwellen nicht nachwippt. An der Gabel blieb die Zugstufendämpfung unverändert fünf Klicks offen. Doch eine zugedrehte Druckstufendämpfung mindert das "Bremsnicken". So fährt die Tiger top!

Kilometer: 13.100, 8/2021

Schon die Autobahn-Anreise ins Kurven- und Urlaubsparadies der Wahl – die Südsteiermark – verliert mit einer Reiseenduro viel von ihrem üblichen Schrecken. Windschutz und Sitzkomfort sind top, und wer im gewohnt "sommerlichen" Deutschland startet, freut sich über die Möglichkeit Händen und Gesäß wohlig einzuheizen. Wie die Vorredner schon sagten, geht dies auf Wunsch auch mit knapp 200 Sachen, was den Wohlfühlfaktor aber aus verschiedenen Gründen drückt. Erstens vibriert der Motor dann doch recht energisch, zweitens zieht es am Kopf erheblich, drittens ist Pendeln für die voll bekofferte und beladene Triumph dann kein Fremdwort mehr. Und viertens ist das auf einer deutschen Autobahn qua ständigem Wechsel aus Tempolimits, Baustellen und gestressten Handelsreisenden in der Regel ohnehin kein Spaß.

Triumph Tiger 900 Rally Pro Dauertest
René Correra
Wieder kamen rund 2.500 Extra-Kilometer auf die Uhr, wieder hieß das Ziel Österreich. Genauer: Steiermark.

Ganz passend also, dass sich der Tempomat maximal auf 161 km/h justieren lässt, womit man im sechsten Gang noch knapp unter den 6.500 Umdrehungen pro Minute landet, bei denen das Vibrieren von Charakter in Nerverei übergeht. Ob es jetzt genau 6.500 Umdrehungen sind, bei denen das Vibrato startet, lässt sich allerdings schwer sagen, denn egal welche der vier Ansichten man im Cockpit wählt: eine schnelle und präzise Auskunft über die Drehzahl gibt keine. Dafür lässt sich diese im Bordcomputer als exakter Zahlenwert anzeigen, verdeckt dann aber mitunter interessantere Informationen. Etwa die Anweisungen des Navis. Grundsätzlich eine feine Sache: "My Triumph"-App gratis aufs Telefon laden, per Bluetooth koppeln und dank immer aktueller Google-Daten sicher ans Ziel kommen. Das Handling ist aber gelegentlich noch verbesserungswürdig. So besteht etwa keine Möglichkeit, Ziele aus der Vergangenheit für eine neue Routenberechnung anzuwählen. Auch kann man nicht die Routenpräferenzen, z. B. das Vermeiden von Autobahnen, ändern ohne die aktuelle Zielführung abzubrechen. Und eine Angabe des aktuellen Ziels im Cockpit wäre sicher auch nicht verkehrt. Aber nun, es gibt ja diesen Spruch vom geschenkten Gaul und seinem Maul, und angesichts einer grundsoliden, kostenfreien Navi-Lösung scheint dieser nicht ganz verkehrt zu sein.

Aber irgendwann hat man ja sein Ziel auch mal erreicht, und dann verschiebt sich das Anforderungsprofil erneut. Südsteiermark hieß dieses übrigens – ein ganz und gar empfehlenswertes Stückchen Erde. Wie jede Reiseenduro lässt sich auch die Tiger entgegen Optik, Waage und Reifendimensionen mühelos im Eiltempo durch die Landschaft scheuchen. Die samt Koffer und Gepäck fast Vierteltonne auf Rädern macht ihr Gewicht schnell vergessen, der lineare und knurrige Dreizylinder trägt maßgeblich dazu bei. Der Wunsch nach mehr kommt in engem Geläuf kaum auf. Generell könnte man fragen, warum der tonangebende Zündversatz nicht auch ein paar andere der vielen Triples im Hause Triumph bereichert. Die Mischung aus typisch fauchiger Dreizylinder-Crema und leichtem Geboller ist einmalig am Markt und macht an. Dabei agiert der Antrieb trotz der rustikalen Note handzahm und butterweich, auch im schärfsten Mapping "Sport". Ein beflügelndes Paket, und zwar so sehr, dass die Angstnippel der Fußrasten beim ein oder anderen schneller über den Asphalt kratzen, als man denkt.

Triumph Tiger 900 Rally Pro Dauertest
René Correra
Trotz Fehlermeldung erfreut sich der Vorderreifen bester Gesundheit. Laiendiagnose: Luftdrucksensor kaputt oder mit Wackler.

Apropos Angst: die machte kurz eine Fehlermeldung, die nach ca. 750 Kilometern erstmals auftrat. Viel rot im Cockpit und Aussagen wie "Sensor Vorderreifen" und "Motorrad sofort abstellen!" können den Stresslevel eben kurz vervielfachen. Sporadisch kam und verschwand diese Meldung seitdem im freudigen Wechsel. Der Vorderreifen erfreute sich aber auch nach der x-ten peniblen Kontrolle bester Gesundheit. Laiendiagnose: Luftdrucksensor defekt oder mit Wackler.

Wenn man die Triumph hin und her rangiert, vielleicht gar aufbockt, merkt man sie dann auch wieder, die knappe Vierteltonne. Es ist schon ein mächtiger Trumm von Motorrad, speziell mit Sack und Pack beladen. Und zirkelt man durch die vielen kleinen als Postkartenmotiv getarnten Ortschaften in der Südsteiermark, merkt man auch, wie hoch das Motorrad ist. 885 Millimeter Sitzhöhe sind ein Wort, ein fast zu großes bei knapp 180 Zentimeter Körperlänge. Glücklicherweise lässt sich die Sitzbank auch mit wenigen Handgriffen eine Stufe tiefer montieren, was dann 870 Millimeter ergibt.

Der Vorderradsensor wurde zurück in Deutschland übrigens gleich vom örtlichen Triumph-Händler inspiziert. Ein Neuer ist bestellt und das Problem wohl nicht ganz unbekannt, wie auch die Redaktionskollegen aus Erfahrungen mit anderen Test-Tigern zu berichten wissen. Wir bleiben dran.

Kilometer: 10.400, 8/2021

Patrick Pietsch entführte die Dauertest-Tiger auf eine 2.500 km lange Alpen-Tour: "Die Triumph 900 Tiger fährt sich im Reisebetrieb spitze! Der Motor hat gefühlt genau die richtige Leistung und ein sattes Drehmoment von unten heraus, sodass vom sportlichen Fahren in den Alpen bis zum entspannten Landstraßenverkehr alle Betriebsmodi abgedeckt werden. Einzig bei dauerhaft höheren Drehzahlen auf der Autobahn (Tempo 120 km/h oder mehr) vibrieren die Handgriffe relativ stark, was bei mir gelegentlich zu tauben Händen geführt hat. Dabei macht der Motor stets Lust auf mehr; sein Klang ist kernig bis spritzig und wird von einem turbinenartigen Pfeifen begleitet. Mit seinen 3 Zylindern ist er mir weder zu bockelig (wie oft beim Zweizylinder) noch zu ruhig (wie manchmal beim Vierzylinder).

Triumph Tiger 900 Rally Pro Dauertest
Patrick Pietsch
Im Vergleich mit der BMW 1250 GS fährt sich die Triumph nach subjektiven Empfinden deutlich einfacher, entspannter und agiler. Dafür ist der Verbrauch etwas höher.

Obwohl sich die Tiger recht schwer und groß anfühlt kommt man damit bestens auch um die kleineren Kurven. Im Vergleich mit der BMW 1250 GS fährt sich die Triumph nach meinem subjektiven Empfinden sogar deutlich einfacher, entspannter und agiler. Insbesondere beim Rangieren und Wenden machen sich dann aber doch auch das Gewicht und die hohe Sitzhöhe bemerkbar – wie bei fast allen großen Reiseenduros kann man leicht umkippen. Ein paar Grad Neigung im Stand reichen und das Kippen ist nicht mehr aufzuhalten. Aber das ändert nichts an meiner Begeisterung für die Tiger 900, denn sie punktet dafür mit einem komfortablen Sitz, einem gut dämpfendem Fahrwerk, sowie einem tauglichen Wind- und Regenschutz – als Naked Bike Fahrer bin ich da anderes gewohnt.

Das Display mit seiner Drehzahlanzeige in beide Richtungen finde ich bei Triumph nach wie vor etwas gewöhnungsbedürftig. Das Koffersystem wirkt zwar optisch etwas klobig, ist im Handling aber praktisch und bietet mehr als genug Stauraum auch für längere Reisen. Zum Verbrauch: Über ca. 2.500 km gönnte sich die Triumph auf unserer Alpentour 5,03 l/100km. Zum Vergleich: Die Dauertest-1250 GS fuhr die gleiche Strecke mit 4,69 l/100 km und hat etwas mehr Leistung.

Kilometer 5.788 und 6.729, 6/2021

Mehr als lästig, fast schon gefährlich: Bereits zweimal ging der Triple unvermittelt auf der Autobahn aus. Einmal machte Rainer Froberg vom MOTORRAD action team diese unliebsame Erfahrung. Nach einer Baustelle ging der Motor beim Gas-wieder-aufreißen unvermittelt aus: "mit einem lauten mechanischen Schlag und Klackgeräusch ging mitten auf der linken Spur plötzlich nichts mehr." Immerhin ging die Bord-Elektrik noch, Rainer konnte sich blinkenderweise auf den Standstreifen vorkämpfen. Nachdem es kein "Lichteinfall im Motorgehäuse", also keinen von außen sichtbaren Motorschaden gab, schaltete Rainer die Zündung einmal aus und wieder an, worauf der Triple sofort ansprang. Auch Chefredakteur Uwe Seitz machte eine ähnliche Erfahrung.

Triumph Tiger 900 Rally Pro Dauertest
Thomas Schmieder
Die Katze sorgte bereits für ordentlich Thrill in der Redaktion.

Doch im Fehlerspeicher war nichts hinterlegt. Auch alle Sensoren arbeiten so, wie sie sollen. Wir schauen also genau hin, wie es weiter geht. Und freuen uns auf tolle Touren mit dem oder der Tiger. Denn dort kann er/sie die Stärken Komfort, Ausstattung und große Reichweite am besten ausspielen.

Dauertest-Beginn

Höchstes Ausstattungsniveau kennzeichnet die Reise-Enduro mit 888-Kubik-Triple. Was alles serienmäßig an Bord ist? Viel, verdammt viel: beheizte Sitze und Heizgriffe, 7-Zoll-TFT-Display, Schaltassistent, beleuchtete Schalter, elektrisch verstellbares Fahrwerk, sechs verschiedene Fahrmodi, Motorschutzbügel, Aluminium-Ölwannenschutz, Hauptständer, Reifendruck-Überwachungssystem, Zusatzscheinwerfer, Kurven-ABS und, und, und. Damit, und mit ihrer schicken Aura (grüner Lack im Kontrast mit weiß lackiertem Haupt-Rahmen), konnte die Tiger 900 bereits auf einer Tour nach Sardinien punkten. Claudia Werel und Markus Biebricher waren auf der Suche nach guten Reportagen für unser Reise-Magazin "Ride".

Was sie dabei auf der Triumph vorfanden? Bequeme Sitze und ein komfortables Fahrwerk: "stabil, aber nicht sehr handlich." Dazu "ein weich zu schaltendes Getriebe und schön dosierbare Kupplung wie Bremsen." Doch es gibt auch Kritikpunkte, etwa an der passiven Sitzposition: "Der Lenker liegt für dynamischen, vorderradorientierten Kurvenswing zu weit weg." Außerdem baut der Rohrrahmen eher breit, spreizt die Beine ziemlich. Und an der Kupplungsglocke ist der hippe Kunststoff-Protektor dem rechten Unterschenkel im Weg. Vor allem aber fühlt sich die Tiger schwerer an, als sie es tatsächlich ist. Das sind real 234 Kilogramm, plus elf Kilogramm für die beiden Alu-Koffer. Das ist alles nicht übermäßig viel. Trotzdem wirkt die Triumph Tiger 900 Rally Pro fahrerisch immer ein wenig behäbig.

Unbedingt andere Reifen ausprobieren

Nur mal zum Vergleich: Unsere Dauertest-Yamaha 700 Ténéré wiegt mit Motorschutz, Hauptständer, 221 Kilogramm, fährt jedoch um Welten leichtfüßiger als die Tiger 900. Inwiefern die Reifen ihren Anteil am trägen Handling haben, müsen wir mit anderen Reifen-Fabrikaten noch ausfahren. Derzeit rollt die 900er noch auf den serienmäßigen Straßen-Enduro-Reifen Bridgestone Battlax A41. Wir sind gespannt, ob Contis oder Metzeler, Michelins oder Pirellis die Triumph handlicher machen werden. Immerhin bleibt die Tiger mit den Bridgestones auch auf der Autobahn bockstabil, bis hin zur Vmax 195 km/h, ganz sanft eingebremst vom Ride-by-wire, dass bei Topspeed einfach nicht volle 90 Grad Öffnungswinkel der Drosselklappen freigibt.

Der Triple zieht zwar tapfer aus bei tieferen Drehzahlen. Doch "er vibriert ab 5.000 Touren spürbar, aber kickt und rockt nicht" steht im Fahrtenbuch. Nanu? Generell gelten die Dreizylinder von Triumph und Yamaha plus die von MV Agusta, doch als hochemotionale Antriebe. Nun, den knurrig klingenden 900er-Drilling hat Triumph anders konstruiert als sämtliche Triple-Schwestern: Der Hubzapfenversatz beträgt bei der Tiger 90-90-180 Grad statt der sonst üblichen dreimal 120 Grad. Das erklärt derbere Vibrationen und zäheres, nicht ganz so turbinenhaft-lockeres Ausdrehen.

Kühler-Splitting à la R 1250 GS

Neu ist gegenüber dem 800er-Vorgänger auch die Einbaulage des Motors. Er rutschte etwas nach vorn. Dies ermöglicht eine neue Kühler-Konstruktion: Statt eines großen einteiligen Radiators verwendet die Tiger 900 zwei kleinere, zu den Seiten versetzte Kühler. Dieses "Kühler-Splitting" à la BMW R 1250 GS soll Gewicht sparen und die Hitzeabstrahlung für den Fahrer reduzieren. Aber, mit Verlaub, letzteres gelingt nicht wirklich: "Der Windschutz ist zwar toll," schrieb MOTORRAD-Chefredakteur Uwe Seitz der Triumph Tiger 900 Rally Pro ins Fahrtenbuch. "Doch heiße Abluft vom Motor wird auch bei höheren Geschwindigkeiten so gut wie keine abgeführt". Uwe fühlte sich im subtropischen Sommer "wie auf einem Grill."

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023