Vergleichstest BMW F 650 GS Dakar gegen KTM LC4 640 Adventure-R
Hochstapler

Die grell gestylten Rallye-Repliken von BMW und KTM kommen mit ihren sportiven Schalen wichtig daher. Sind sie auch im Alltag voll auf der Höhe?

Der Trick ist nicht neu. Win on sunday, sell on monday. Wie vor gut fünfzehn Jahren, als Dakar-BMW noch allesamt Boxer waren und unter anderem von einem kleinen Derwisch namens Gaston Rahier zweimal in Folge zum Sieg pilotiert wurden. Dieser belgische Teufelskerl konnte im Stand aufrecht unter dem Lenker seines GS-Monsters durchrennen, nur um die Konkurrenz auf der nächsten Etappe gnadenlos sandzustrahlen. Klasse, dachten sich die Münchner und brachten das Paris-Dakar-Sondermodell der ansonsten eher biederen GS unter die Leute. Honda und Yamaha machten es bei XL 500 R respektive XT 600 Ténéré genauso - nur echt mit Riesentank und Solositzbank.
Inzwischen haben BMW-Renner bei der Dakar auch mal nur einen Zylinder, und der Hauptgegner im Wüstensand kommt nicht mehr aus Japan, sondern aus Mattighofen. Nach dem zweiten Dakar-Sieg der F 650 RR in Folge steht jetzt ein sportlicher Ableger der Funduro GS für einen Vergleichstest gegen KTMs LC4 640 Adventure-R parat.
Mit 21-Zoll-Vorderrad, um 40 Millimeter erhöhten Federwegen sowie Verkleidungsscheibe, Handprotektoren und Zielflaggendekor soll die GS Dakar deutlich mehr nach Wüstenstaub denn Rush-hour-Smog schmecken. Und ganz nebenbei die Aura der gloriosen Dakar-Siege so verlustfrei wie möglich in den Motorradalltag zwischen Brötchenholen und Alpentour transferieren.
KTM verzichtet bei der LC4 640 Adventure-R aufs Dakar-Emblem. Durchaus folgerichtig, hält die Adventure doch nicht nur als Basis der Dakar-Spielmobile her, sondern durfte im richtigen Leben bereits zigfach robuster Extremreisebegleiter sein. Ja, sogar im Sportenduro-Bereich hat der Öschi-Bomber Meriten eingefahren. Features wie der weit heruntergezogene 28-Liter-Tank mit Benzinpumpe, Verkleidung mit Doppelscheinwerfer und hoher Scheibe, Multifunktions-Tripmaster sowie stabile Anbauteile verströmen gehobenes Rallyeambiente.
Abgehoben sind die Sitzhöhen von mindestens 90 Zentimeter, die bereits im Stand Respekt einflößen. Die BMW ruht zudem sehr schräg auf dem Seitenständer und ist schwer aufzurichten, während der KTM-Hauptständer beim Aufbocken Muckis fordert. Während sich der BMW-Single lange mit orgelndem Starter bitten lässt, springt die Adventure problemlos an, stirbt aber in der Warmlaufphase ständig ab, bis es bei ihr heißt: Choke rein und volle Kraft voraus.
Da will die F 650 nicht zurückstehen und prescht ebenfalls los. Vibrationen, Kettenpeitschen, Verschlucken - was ist das, scheint die kultivierte Bayerin zu fragen. Der 625 cm3 große KTM-Raubautz kennt die Antwort. Trotz Ausgleichswelle und domestizierendem Mikuni-Gleichdruckvergaser hat er einen Teil des legendären LC4-Charakters bewahrt. Unter 3000/min zieht der Vierventiler noch lustlos an der Kette, um diese anschließend mit rotzfrechem, spontanen Antritt schier zerreißen zu wollen. Jenseits der 7000er-Marke mutiert der 51-PS-Hammer endgültig zum knallhart oszillierenden Plombenkiller. Wirklich lästig werden die KTM-Vibrationen bei Dauerspeed auf der Autobahn. Wo die Wüstenschiffe, wenn’s pressiert, fast wie auf Schienen rollen.
Den Maßstab setzt die BMW. Von der Verkleidungsscheibe beschützt, schwebt der Pilot im bequemen Sattel bis zur Höchstgeschwindigkeit von 167 km/h souverän über den Asphalt. Zu zweit läuft die komfortable Bayerin noch knapp 160, ohne das vom bequem untergebrachten Passagier Klagen kommen. KTM-Treiber leben nicht weniger schnell, aber erheblich gefühlsechter: straffe Sitzbank, stürmischer Winddruck, knalliger Sound, markerschütternde Vibrationen. An letzteren partizipiert unfreiwillig auch der beengt untergebrachte Sozius.
Schnell wieder runter von der Bahn, rauf auf die Landstraße und angriffslustig mit abgewinkelten Ellenbogen den dicken Magura-Lenker gepackt und das Rallyetier ums Eck bombern lassen. Halleluja! Selbst wenn die White Power-Extreme-Gabel mit ihren mächtigen 50 Millimetern Standrohrdurchmesser eher durch Stabilität denn Sensibilität überzeugt, die Adventure zickt auf Asphalt nicht rum – lediglich bei groben straßenbaulichen Mängeln zuckt sie kurz mit dem Lenker.
Aber die Dakar bleibt dran, ja, wenn es in die Berge geht, zieht sie sogar vorbei. Dem gemessene 52 PS starken Single geht nämlich selbst in dünner Höhenluft nicht die Puste aus – das Motormanagement für Zündung und Einspritzung macht’s möglich. Ab 2000 Umdrehungen beginnt der Wohlfühlbereich des per geregeltem Kat abgasgereinigten 652 cm3 großen Vierventilers. Erst jenseits von 8000/min hat der drehfreudige Spaß ein Ende. Einen weiteren trumpf kann die BMW bei nachtfahrten ausspielen. In Linkskurven lässt das Abblendlicht des DE-Scheinwerfers den KTM-Piloten nämlich im Dunkeln tappen. Der breitbandige BMW-Scheinwerfer kann es besser.
Und noch ein Unterschied der beiden Wüstenableger: Im Gegensatz zur straff abgestimmten KTM agiert das Fahrwerk der BMW sensibel. Nicht übertrieben handlich, dafür fast so satt wie die großen GS-Schwestern lässt sich die Dakar über asphaltöse Krümmungen aller Art pilotieren. Unaufgeregt, schnell und souverän. Dabei verzahnen sich die Metzeler Enduro 3, ähnlich wie die Michelin Sirac der KTM, förmlich mit dem Asphalt. Und wer eines der beiden Hochräder aufsetzen lässt, sollte über eine Super-Moto-Karriere nachdenken.
Überraschung beim Umstieg von der BMW auf die KTM: Hier zeigen sich die Brembo-Stopper wesentlich unwilliger als bei der Bayerin, obwohl beide vorn mit 300-Millimeter großen Soloscheiben und Doppelkolbensätteln bestückt sind. Zwar in puncto Dosierbarkeit vergleichbar, ist die Verzögerung der BMW bei gleicher Handkraft um Klassen besser. Trotzdem schade, dass die Dakar im Gegensatz zur zivilen GS-Schwester nicht mit ABS erhältlich ist. Verwindungserscheinungen aufgrund der einseitigen Bremse sind kein Thema.
Ein Thema sind dagegen die nicht einstellbaren Handbrems- und Kupplungshebel der Dakar, die weit abstehen, was die Bedienung erschwert. Trotz oder wegen des Hardenduro-Images zeigt sich die KTM mit einstell- respektive einklappbaren Teilen wesentlich praxisgerechter und eleganter. Nur der kleine, weit innen liegende Fußbremshebel erfordert etwas Gewöhnung.
Spätestens bei Trial-Einlagen lernt man kleine Aufmerksamkeiten wie eine exakt dosierbare Kupplung schätzen. Vor allem, wenn wie bei der BMW der Sprung vom ersten zum zweiten Gang recht groß ausfällt. Vorteil KTM: Selbst wenn die Batterie bei langsamer Fahrt mal vom Kühlerventilator leergelutscht wird, kann sie per Kickstarter problemlos wieder zum Leben erweckt werden, während sich BMW-Piloten mit Schiebung behelfen müssen.
Gleichstand in puncto Schaltbarkeit: Beide Fünfganggetriebe lassen ohne Übung schnelle Gangwechsel zu, bei der Bayerin sind die Wege länger, dafür verlangt die KTM etwas mehr Kraft. Die müssen Menschen bis 1,75 Meter wegen der enormen Sitzhöhe auch beim Rangieren auf dem Alpenkrad mitbringen – vollgetankte 179 Kilogramm bei einem hohem Schwerpunkt auf den Zehenspitzen hin- und herzuschieben bringt selbst Routinierte ins Schwitzen.
Da hilft nur eins: Terrain wechseln und Tempo erhöhen. Schotterwege sind das Revier der beiden Geröllheimer, auf relativ ebener Bahn bolzen sie trotz gemäßigten Reifenprofils pfeilschnell durch die Pampa. Sobald Mutter Erde jedoch Falten wirft und sich das Geläuf kurviger gestaltet, macht die LC4 unbarmherzig Meter. Lenker- und Rastenposition sowie Tank-Sitzbank-Linie fördern eine aktive Haltung: Entweder ganz nach vorn rutschen oder in die Rasten stellen und das orangeblaue Urvieh über die Steinwüste knallen lassen.
BMW-Treiber geraten aufgrund der passiveren Sitzposition mit der fast zwanzig Kilo schwereren, hecklastigen GS ins Hintertreffen. Die nicht einstellbare, soft abgestimmte 41er-Gabel trägt ihren Teil zur schlechteren Zielgenauigkeit bei, so dass die BMW dem Piloten auf kniffligem Terrain mehr Konzentration abverlangt. Da hilft es wenig, dass Federbasis und Zugstufendämpfung an der Hinterhand variabel sind. Zudem ist die Bodenfreiheit im schneller aufgebraucht, als dem massiven Blechschutz lieb ist. Bevor das KTM-Teil Kontakt zum Untergrund aufnimmt, muss es schon dumm laufen.
Kontakte zu Tankwarten reduzieren sich für den Adventure-Piloten ebenfalls auf ein Minimum, nur etwa alle 500 Kilometer zaubert er mit maximal 28 Litern Super ein Lächeln auf das Gesicht des Sprit-Dealers. BMW-Fahrer müssen die Zapfpistole trotz gemäßigten Treibstoffkonsums - etwa fünf Liter auf 100 Kilometer - öfter abdrücken. Dafür haben sie wegen der Position des 17-Liter-Tanks unter der Sitzbank kaum mit einer Schwerpunktänderung zu kämpfen.
Blöd wird’s für sie erst, wenn mal bei einer Fernreise kein bleifreier Stoff zur Verfügung steht. Dann heißt es nämlich: tschüss, Katalysator. KTM verfährt daher beim Offroad-Sporttourer Adventure im Gegensatz zu den übrigen LC4-Modellen nach der Devise: Wo nix ist, kann nix kaputtgehen.
Aber seien wir mal ehrlich, im täglichen Leben durcheilen selbst wüste Hochräder eher Mittelgebirgskurven als Rallye-Etappen. Und da zählen Komfort, Alltagstauglichkeit und Umweltfreundlichkeit mehr als das letzte Quäntchen Reichweite und hemdsärmelige Sportlichkeit.

Unsere Highlights

Fazit: BMW - 1. Platz

BMW F 650 GS Dakar

F 650 GS Dakar – die bislang sportlichste F 650. Ein kraftvoller, sparsamer, kultivierter Motor mit geregeltem Kat in einem komfortablen, agilen Fahrwerk plus bequemer Sitzposition. Das garantiert Reisevergnügen ohne Rückenschmerzen und Vibrationsschäden. BMW hat mit der Dakar eine echte Konkurrenz für die großen GS-Schwestern auf die Räder gestellt – und nicht nur für diese. Ein Motorrad, das viel zu gut ist, um, wie geplant, nur tausend Mal gebaut zu werden.

Fazit: KTM - 2. Platz

KTM LC4 640 Adventure-R

Okay, die Adventure unterliegt knapp nach Punkten, weil sie nicht so ausgewogen ist. Aber die KTM möchte eben nicht Everybody’s darling sein. Obwohl der aktuelle Mattighofener Rallyehammer im Vergleich zu früheren Modellen alltagstauglicher daherkommt, atmet seine sportliche Gestalt Hard-Enduro aus allen Poren. Agil, spontan, gefühlsecht. Egal ob der Weg in die Wüste oder zum nächsten Eiscafé führt: Im Sattel der Adventure wird jede Tour zu einer willkommenen Flucht aus dem grauen Alltag.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023