Wenn sich Enduro-Profi Jutta Kleinschmidt mit militärischen Motorrad-Profis mißt,wackelt die Heide.
Wenn sich Enduro-Profi Jutta Kleinschmidt mit militärischen Motorrad-Profis mißt,wackelt die Heide.
Folgende Geschichte hat sich in Wahrheit zwar nicht so zugetragen, Personen und Motorräder sind aber nicht frei erfunden. Doch lesen Sie selbst: »Berger?« »Hier.« »Kremer?« »Hier.« »Schäfer?« »Alexander Schäfer?« Schweigen in der Kette. Alexander Schäfer, Kradmelder bei der Bundeswehr - fehlt. Da hebt sich schüchtern eine Hand: »Ääh, ich glaube, ich weiß, wo der steckt. Der Alexander hat gestern Abend einen Anruf gekriegt. Danach hat er nur noch etwas von ‘Übung’ und ‘Drover Heide’ gemurmelt.« Noch nie ist Jutta Kleinschmidt ein Kursteilnehmer abhanden gekommen. Nicht in Frankreich, nicht in Spanien und noch nicht mal in der Sahara. Und jetzt verschwindet einer beim Moto Cross-Lehrgang in Kleinhau-Hürtgenwald? Das kann ja wohl nicht wahr sein. »Wo liegt diese Drover Heide?« »Zehn Kilometer nordöstlich von hier, Richtung Köln. Aber das ist Manöver-Gebiet.« Doch der letzte Teil geht schon unter im Bollern von Juttas 400er KTM LC 4. Die Staubwolke über dem tarnfarbenen Lastwagen und der Gruppe militärischer Gestalten auf der Drover Heide verrät Jutta schon von weitem ihr Ziel. »Augenblick mal, Sie können doch hier nicht... aber Moment: Sie kenn« ich doch?« Glück muß Frau haben.
Hauptmann Endert fährt in seiner Freizeit selbst Enduro und kennt Jutta von den Bildern der Rallye Paris-Dakar. »Was haben Sie denn hier verloren?« »Nicht was - wen. Den Alexander Schäfer suche ich. Der sollte eigentlich heute mit mir in auf dem Cross-Gelände in Kleinhau sein.« »Zu spät. Der ist bereits weg. Wir fahren heute »ne Kradmelder-Wettfahrt aus. Wir haben Motorradfahrer aus ganz Europa hier, und der Oberfeldwebel Schäfer ist halt unser bester Mann am Gasgriff. Den holt keiner mehr ein.« »Und wenn doch?« will Jutta wissen. »Wenn Sie den Schäfer einholen, gehört er Ihnen«, lacht da der Hauptmann. »Meinen Segen haben Sie. Aber unsere Kradmelder sind von der schnellen Truppe.« Als da wären: der Schwede auf seiner Husqvarna 250, der Engländer auf Rotax-Harley 350, der Holländer auf Moto Guzzi V 50 III, der Belgier auf Bombardier 250, der Deutsche auf Herkules K 180, der Franzose auf Cagiva W 12 und der Österreicher standesgemäß auf KTM 250.«So, so. Na, schau‘n mer mal, was ich mit meiner LC 4 gegen die ausrichten«, meint Jutta, und ab geht‘s - mit einer Fontäne aus Steinen, Staub und Schotter. Nach einigen hundert Metern führt die Military-Strecke ins Unterholz.
Der Weg der schnellen Truppe ist nicht nur an den aufgestellten blauen Wimpeln erkennbar. Schon bald hängt der Geruch von Zweitakt-Abgasen in der Luft, und in windstillen Ecken stehen sogar noch Rauchschwaden. »Tolle Tarnung«, denkt Jutta. Und noch zwei nehmen die Verfolgung auf: Der russische Manöverbeobachter Brandikov verstaut Schreibblock und Laika-Kamera im Boot des Dnjepr-Gespanns und gibt seinem Fahrer, Maschinist Holgitschev, Zeichen, die sumpfige Abkürzung zu nehmen. »Interessante Maschine, die bunte da«, murmelt der Kommandant gegen das Blubbern des Boxermotors an: »Mal kucken, was die taugt.«Der Boden wird weich und schlammig. Hier schlägt die Stunde der LC 4. Relativ problemlos durchpflügt Jutta den Lehm. Selbst mit der langen TÜV-Übersetzung kommt sie auf ihrer LC 4 hier schneller voran wie die Militär-Biker.
»Fein macht sie das«, nickt Kommandant Brandikov zustimmend in seinem archaischen Dnjepr-Gefährt und dreht die Transportkurbel seiner Laika weiter. »Wie ein Florett neben einem Schmiedehammer«, fährt ihm der Vergleich durch den Kopf. »Klein, leicht, schnell und handlich. Das ist es!« notiert sich Brandikov in seinem Notizbuch. Zerwühlte Fahrspuren und Fußabdrücke lassen Jutta ahnen, daß die Kradmelder vor ihr Probleme hatten. Sicher ist sie mit ihrer zivilen KTM etwas im Vorteil, haben die Vaterlandsverteidiger doch noch jede Menge schwerwiegende Ausrüstung mitzuschleppen.
Der Weg führt nun steil aufwärts, wird fest und trocken. Jutta bricht aus dem Unterholz und findet sich mit der KTM gleich einen Meter hoch in der Luft. Da vorn am Horizont - eine Staubwolke und ein paar schwarze Punkte. Jutta gibt Gas, was der Vierventil-Single hergibt. Gar so viel ist das allerdings gar nicht. Ihre 400er LC 4 leistet TÜV-gerechte 32 PS. Zwischen 26 und 32 Pferdestärken leisten auch die Militärmaschinen - einzig die deutsche Hercules fällt mit 19 PS deutlich ab. Aber auch ohne leistungsvorteil kommt Jutta der Gruppe schnell näher. Der Weg mit Sprüngen und Senken ist nichts anderes als eine Schotteretappe auf einer Wüstenrallye - für Jutta schon fast eine alltägliche Übung. Auch die KTM LC 4 fühlt sich auf solche Strecken wohl. Die straff gedämpfte Federung mit langen Federwegen steckt Wellen und Sprünge ungerührt weg, das Fahrwerk, handlich in engen Kehren, bietet auch bei höherem Tempo stabilen Geradeauslauf, das Vorderrad, 21 Zoll groß, überrollt leicht Steine und Löcher und bleibt nicht gleich in jeder Spurrille hängen.
In puncto Geländetauglichkeit können die Militärmaschinen mit der LC 4 kaum mithalten. Speziell die Guzzi und die Hercules orientieren sich eher an Straßenmotorrädern als an echten Enduros. Beide rollen nur auf 18-Zoll-Rädern durch die Lande. Was die Kradmelder jedoch besonders ins Hintertreffen geraten läßt, sind die längst überholten Fahrwerke ihrer tarnfarbenen Untersätze, deren Konstruktionen tief in den frühen siebziger Jahren wurzeln. Lediglich die Cagiva W 12 und die KTM 250 besitzen immerhin schon den Luxus eines -wenn auch schlecht abgestimmten - Zentralfederbeins. »Maschinist Holgitschev, würde es Ihnen etwas ausmachen, um die Weglöcher herumzufahren?« Kommandant Brandikov rutscht mit dem Stift vom Block, während Maschinist Holgitschev mit Begeisterung durch die Heide fegt und den kurzen Federwegen des Dnjepr-Gespanns sehenswerte Luftsprünge abringt. »Maschinist Holgieeeeee...« Das »...tschev« verliert sich in den Tiefen einer Fünf-Meter-Steilabfahrt.
Die Benommenheit weicht drückendem Schmerz: »Maschinist Holgitschev, klettern Sie sofort runter von mir.« Das Dnjepr-Gespann hat sich am Fuß der Wand sauber zwischen zwei Buchen verkeilt. »Kein Problem, mein Kommandant, wir haben doch das Beil.« »Wohl verrückt? Mit deutschen Naturschützern lege ich mich ganz bestimmt nicht an.« Mit Hau-Ruck und Rückwärtsgang kommt das russische Schwermetall wieder frei. Aber: »Maschinist Holgitschev: Was haben Sie zur Ihrer Verteidigung vorzubringen?« »Mein Kommandant, ich wollte doch nur an diesem bunten Motorrad dranbleiben. Den Abhang hab ich schon gesehen, aber Sie kennen doch unsere Bremsen?« »Auch wieder wahr«, seufzt Brandikov und klopft sich den Staub von Stiefeln. Solchen Probleme plagen auch die westlichen Militär-Kradler. Die Bremsen an ihren Motorrädern sind ein Trauerspiel. Die Bremsleistung der Simplex-Halbnaben-Trommelbremsen der Husqvarna, der Bombardier und der Hercules sind furchterregend schlecht.
Die vorderen Scheibenbremsen der KTM, der Rotax-Harley-Davidson und der Cagiva des französischen Kradmelders bringen immerhin auf der Straße die nötige Sicherheit. Im Gelände allerdings wird die Hinterradbremse zum wichtigeren Instrument. Hier reicht zwar auch eine Trommel locker aus, wenn sie ordentlich funktioniert. Doch nach längeren Tauchfahrten zeigen die trommelgebremsten Fahrzeuge leichte Ausfallerscheinungen. Eine Scheibenbremse im Hinterrad, die deutlich schneller wieder abtrocknet und greift, besitzt nur der stolze Franzose an seiner W 12.Als Jutta auf dem unwegsamen Terrain gerade so richtig in Fahrt gekommen ist, führt der Weg zum Ziel plötzlich über eine längere Straßenetappe. Erstmals kämpft auch Jutta gegen die Tücke des Objekts. Harte Vibrationen vom Motor ohne Ausgleichswelle und die grobe Stollenbereifung machen den Asphalt- zum Horrortrip. So wie Jutta ergeht es vielen Kradmeldern. Die Fahrer der Motorräder mit Zweitakt-Einzylinder-Motoren werden von kernigen Vibrationen geplagt, die auch das Material nicht ungeschoren lassen. Nachträglich geschweißte Kotflügel- und Auspuffaufhängungen zeugen davon.
Der in den USA bei Harley-Davidson in Lizenz gebaute Armstrong-Rotax-Viertakt-Single hat zwar auch keine Ausgleichswelle, seine Vibrationen sind aber erträglich. Die Cagiva mit einer Ausgleichswelle und vor allem die Guzzi mit ihrem 90-Grad-V-Zweizylindermotor ermöglichen dem Fahrer ermüdungsfreie Einsätze auf der Straße. Und hier liegt der Schwerpunkt der Arbeit eines Krad-«Melders«: Militärische Motorradfahrer dienen heutzutage als Wegweiser, Verkehrsordner und Begleiter von Kolonnen und nicht mehr als Nachrichtenübermittler oder Geländepatroullien.»Extreme Geländetauglichkeit allein ist also ungesund«, notiert Kommandant Brandikov in sein Notizbuch, während er gleichzeitig versucht, nicht aus dem Boot des Dnjepr-Gespanns herausgeschleudert zu werden.
Die Truppe biegt endlich wieder ins Gelände ab: Steine, Staub und Schlamm. Die sumpfige Panzerkuhle fordert von allen Beteiligten das letzte an Einsatz. Jutta ist mit der hochbeinigen KTM am besten bedient. Dann noch ein kurzer Zwischensprint - und Soldat Schäfer gehört endlich ihr: »Alexander, kehrt marsch und dann ab nach Kleinhau zum Moto Cross.«Leichter gesagt als getan, denn im Tank der Herkules herrscht langsam Ebbe. Das nur 19 PS starke »Klein-Krad« K 180 braucht immerhin sechs Liter des lebenswichtigen Saftes. »Tja, das ist ein großes Problem, die Reichweite«, muß auch der Schwede auf der Husqvarna zugeben. Sein luftgekühlter Zweitakter mit 27 PS zieht sich schon mal zehn Liter Sprit auf 100 Kilometer rein. Und die 250er Bombardier des Belgiers und die 250er KTM des Österreichers brauchen kaum weniger als acht Liter auf dieser Distanz. Der moderne, wassergekühlte Vierventil-Viertaktmotor von Juttas KTM LC 4 dagegen begnügt sich unter gleichen Umständen trotz 32 PS Leistung mit nur fünf Litern. Ähnlich genügsam zeigten sich die militärischen Viertakt-Kollegen von Rotax-Harley, Moto Guzzi und Cagiva.»Dann haben Sie Ihr verlorenes Schäferchen doch noch vor dem Ende der Military eingeholt, Frau Kleinschmidt«, lacht Hauptmann Endert, der unvermittelt aus dem Wald bricht. »Weißt du was, Hauptmann? Wenn du magst, pack« hier die Sachen und komm’ mit deiner schnellen Truppe mit nach Kleinhau. Das wird bestimmt für alle ein Heidenspaß.« Ende gut - alles gut.
Und was will uns diese Geschichte sagen? Auch wenn die Handlung frei erfunden ist, so sind die darin vorkommenden Militärmaschinen doch traurige Wirklichkeit und eigentlich längst reif fürs Museum. Besonders leid kann einem der Schwede tun, der mit der Viergang-Vollautomatik seiner Husqvarna von einem Leistungsloch ins andere fällt, was ihm gerade in kniffligen Geländepassagen immer wieder zum Verhängnis wird. Auch der Guzzi-Pilot aus Holland hat im Abseits asphaltierter Wege nichts zu lachen: 193 Kilogramm auf Straßenreifen hat mit sportlicher Herausforderung nichts mehr zu tun. Mit den miesesten Bremsen muß der belgische Bombardier-Fahrer abfinden und deshalb äußerst weitsichtig agieren. Weniger die mangelnde Verzögerung, sondern die fehlende Beschleunigung vereitelt dagegen deutsche Heldentaten. Die schmalbrüstige Hercules verlangt nach einem beherzten Würger am Gasgriff. Die KTM des Österreichers und die Rotax-Harley des Engländers zeigen zwar gute Ansätze, mehr aber leider nicht, ihre Technik ist ebenfalls nicht auf dem Stand der Zeit, wenn auch nicht aus dem Zweiten Weltkrieg wie das Dnjepr-Gespann. Die Einäugige unter den Blinden darf der Franzose pilotieren, seine Cagiva ist noch am ehesten wehrtauglich.
Die KTM 400 LC 4 an dieser Stelle nun das Maß aller Dinge zu nennen wäre doch allzu verwegen. Zwar kann sie im extremen Gelände voll überzeugen, aber die fehlende Ausgleichswelle verursacht auf Straßenetappen schon mal lockere Plomben im Gebiß, weshalb Kommandant Brandikov in seinen Notizblock kritzelt: »Lieber ein paar Plomben als eine Schlacht verlieren.« Zum Glück für die russische Militärkrankenkasse wird er mit dieser Botschaft niemals Moskau erreichen, bei der Zuverlässigkeit seines Boxergespanns.