Vorstellung BMW HP2
Wilde Sorte

Man reibt sich verwundert die Augen: Hier ist sie, die HP2. Ein wildes Offroad-Gerät auf Basis der GS für ganz harte Einsätze mit ellenlangen Federwegen, stabilem Gitterrohrrahmen und einem sensationellen Kampfgewicht unter 200 Kilogramm – vollgetankt!

Wilde Sorte
Foto: BMW

Mercedes hat es ja auch geschafft, den Imagewandel vom Hut tragenden 200er-Diesel-Fahrer zum sportlichen Yuppie im SLK. Warum also sollte BMW
im Motorradbereich nicht Ähnliches gelingen? Statt für Klapphelm und Koffer wollen die Weißblauen schon bald mit ähnlicher Glaubwürdigkeit für Sport und Dynamik stehen. Motorräder wie die K 1200 S oder R sind erste Vorboten dieser Entwicklung. Nun werden sogar richtige Sportmodelle folgen, die das Kürzel »HP« tragen dürfen, vergleichbar mit dem »M« der bayrischen Autosparte.
Dass die Münchner es wirklich ernst meinen, dafür ist das erste Modell der HP-Klasse ein eindeutiger Beweis. HP2 steht für High-Performance-Zweizylinder, eine Sportenduro auf Basis der R 1200 GS. Die setzt die Idee so radikal um, wie man es bei BMW bis jetzt nicht für möglich hielt. Die Sportversion ist beileibe keine abgespeckte GS, sondern im Prinzip ein völlig neues Motorrad, mit dem selbst härteste Offroad-Eskapaden denkbar sind.
Bisher war die Geländetauglichkeit der aktuellen Boxer-Enduros aus drei Gründen stark eingeschränkt. Der Verzicht auf einen tragenden Rahmen mindert die Belastbarkeit des Chassis unter Extrembedingungen. Außerdem ist der maximale Federweg der vorderen Telelever-Radaufhängung begrenzt, deutlich über 200 Millimeter erscheinen mit der Hebelkinematik kaum möglich. Und schließlich ist so ein Brocken wie die GS schlicht und einfach viel zu schwer.
Also musste für die Sport-GS zunächst einmal ein ganz neues Rückgrat her. Dabei konnte man auf die Erfahrungen aus dem Rallye-Sport aufbauen. Die Edelschmiede HPN hatte in der Vergangenheit stabiles Rohrwerk für Rallye-Einsätze des BMW-Werksteams entworfen. An dem orientiert sich das Gittergerüst der HP2, das jedoch im Werk selbst konstruiert wurde. Durchgeknickte Maschinen oder herausgeris-
sene Schwingenlagerungen, wie sie bei
der Rahmenkonstruktion der GS vorkamen, sollen der Vergangenheit angehören. Mit der HP2 darf der Pilot gern mal an
einer ausgewachsenen Wanderdüne zum Sprung abheben.
Für eine weiche Landung sorgen
langhubige Federelemente, die mit aller-
lei technischen Raffinessen aufwarten. Vorne ist eine 45er-Upside-down-Gabel mit
270 Millimeter Federweg implantiert, deren Zug- und Druckdämpfung vielfach einstellbar ist. Das Besondere an der Druckstufeneinstellung ist, dass diese nicht auf den ganzen Arbeitsweg wirkt, sondern nur das Durchschlagen im unteren Teil des
Gesamthubs beeinflussen soll. Damit wollen die Techniker erreichen, dass sich die Gabel für harte Belastungen im Gelände ohne Einbußen an Komfort und Ansprechverhalten straffer abstimmen lässt.
Noch mehr Innovationsfreudigkeit findet sich am Heck der HP2. Dort kommt
ein extrem leichtes und voll gekapseltes Luftfederbein zum Einsatz, das die BMW-Techniker in Zusammenarbeit mit Continental entwickelt haben. Das ungewöhnliche Teil federt und dämpft ausschließlich mit Luft. Grundsätzlich neu ist diese Technologie nicht, bisherige Luftfederbeine konnten aber nie vollends überzeugen.
BMW proklamiert in der aktuellen Variante interessante Vorteile. Trotz direkter Anlenkung ist die Federkennung progressiv. Die Dämpfung kann selektiv auf den Resonanzbereich des hinteren Aufhängungssystems ausgerichtet werden und soll bei hoher Belastung und entsprechender Erhitzung des Federelements nicht nachlassen. Des weiteren kann die Federung mittels einer mitgelieferten Handpumpe einfach an den Beladungszustand und die Einsatzbedingungen angepasst werden. Bei der Dämpfung hat der Fahrer nur die Wahl zwischen den beiden Grundeinstellungen Straßen- und Geländebetrieb.
Die drei Zentimeter längere Paralever-Schwinge musste wegen der höheren
Belastungen ebenfalls modifiziert werden, es handelt sich um eine Schweißkonstruktion aus hochfesten Alu-Schmiedeschalen. Entsprechend der Offroad-Auslegung rollt die HP2 auf soliden Speichenrädern in den Größen 21 Zoll vorn und 17 Zoll hinten. Metzeler hat extra für die Supersport-GS eine spezielle Variante des grobstolligen Karoos entwickelt. Hoffentlich mit besserer Standfestigkeit, denn auf der 950er-KTM schmolz der Reifen dahin wie Butter in der Sonne. Wer es noch härter treiben will,
für den hat Metzeler sogar noch gröberes Stollenwerk im Programm. Alle Reifen
können wahlweise auch mit Schlauch und Reifenhaltern gefahren werden.
Als Sportenduro muss sich die HP2 mit einer vorderen Bremsscheibe und einem Schwimmsattel begnügen. Stoppies im Supermoto-Stil werden damit wohl kaum möglich sein. Eine zusätzliche Bremszangen-Aufnahme für eine größere Scheibe ist zwar am linken Holm zu erkennen, nicht
jedoch das Gegenstück rechts für den Umbau auf Doppelscheiben. Zumindest bei der Markteinführung wird kein ABS zur Verfügung stehen. Ob der Blockierverhinderer später als Option angeboten werden soll, ist noch offen. Ein Straßenbrenner
will die Leichtbau-GS aber nicht werden.
Auch der kleine 13-Liter-Tank deutet die Einsatzgebiete an, nämlich Offroad und Kurzstrecke. Ein optionaler größerer Spritbehälter für Rallye-Einsätze ist zunächst nicht lieferbar, jedoch zu erwarten.
Während sich das Chassis also meilenweit von der Serien-GS entfernt hat, ist
der Motor der High-Performance-Enduro bekannt. Er stammt ohne größere Eingriffe aus der GS, leistet durch einige kleinere Modifikationen an der Elektronik nun
105 statt 98 PS bei einem unveränderten
Drehmomentmaximum von 115 Nm. Der Verzicht auf die Ausgleichswelle bringt etwas weniger Gewicht und vielleicht einen Hauch mehr Lebendigkeit. Leichter ist zudem der Schalldämpfer, exakt zwei Kilogramm konnten bei ihm eingespart werden. Und zwar deshalb, weil der Dämpfer heißer werden darf, da bei der HP2 der Einsatz von hitzeempfindlichen Koffern nicht vorgesehen ist. Das macht den Topf kürzer und spart das zusätzliche Hüllrohr.
Sämtliche Übersetzungen entsprechen dem bisherigen Stand bei der GS. Trotzdem soll bei trialartigen Einlagen keine Kupplungsunterstützung erforderlich sein, da der Motor erwiesenermaßen mit sehr guten, ruckfreien Langsamfahr-Qualitäten glänzt, wozu neben dem günstigen Baukonzept das momentenbasierte Motormanagement mit elektronischer Leerlaufregelung der neuen Boxer-Generation beiträgt.
Wie ernst die Bayern es mit dem Thema Sport meinen, beweisen Einsätze mit Prototypen bei US-Rallyes im vergangenen Jahr. Dieses Engagement soll fortgesetzt werden, außerdem will BMW die komplet-te German Cross Country Championship mit dem finnischen Vorjahres-Sieger Simo
Kirssi bestreiten (siehe unten). Sicher dürfte es der Enduro-Profi gegen die agileren
Einzylinder schwer haben, aber mit einem nominellen Trockengewicht von 175 Kilogramm setzt die HP2 bei den Zweizylinder-Enduros neue Maßstäbe. Zum Vergleich: Der einzige Konkurrent in diesem Segment, die KTM 950 Adventure, wiegt ohne Benzin knapp unter 200 Kilogramm.
Wie diese wird wohl auch die neue BMW zu mehr als 90 Prozent auf der
Straße eingesetzt. Dort dürfte der leichte Boxer ebenfalls reichlich Spaß versprechen. Die Zeit bis zu Markteinführung im Herbst sollte der Interessent nutzen, um sich ein paar Euro nebenher zu verdienen. Denn die wird er angesichts einer Preisvorstellung »um 16000 Euro« brauchen.

Unsere Highlights

German Cross Country Championship - In die Vollen

Für den sportlichen Stapellauf der HP2 hatten sich die BMW-Verantwortlichen die Latte gewaltig hoch gelegt. Der Termin: Tollwitz bei Leipzig, erster Lauf zur derzeit boomenden
German Cross Country Championship. Die Strecke: ein extrem ausgefahrenes, sandig-kiesiges Terrain mit Motocross-typischem Layout. Der Modus: Zwei-Stunden-Rennen ohne Fahrerwechsel. Die Konkurrenz: hochkarätig – Arnaud Demeester, fünffacher Sieger des Strandrennens von Le Touquet, die französischen Ex-WM-Crosser Jérome Héméry, Frédéric Vialle oder die deutschen Enduro-Größen Christoph Seifert und Arne Domeyer, natürlich ausnahmslos auf Einzylinder-Sportenduros oder Motocross-Bikes angetreten.
Viel Feind, viel Ehr? Offensichtlich. Nach holprigem Start – schon nach der ersten Runde zwang ein losgeschütteltes Batteriekabel die BMW an die Box und auf den vorläufig letzten Platz –
zirkelte das Fahrtalent Simo Kirssi die HP2 erstaunlich zügig um den Kurs. Der Eindruck von außen: In Verbindung mit dem langen Radstand von 1610 Millimeter bügelt das Luftfederbein von Continental kleine Wellen perfekt platt. Nur vor tief ausgefahrenen Löchern musste der Finne vorsichtig vom Gas, um ein Aufschaukeln des vergleichsweise massigen Geräts zu verhindern. Ebenfalls auffällig: die sanfte Motorcharakteristik, die Kirssi manche Kehren am Hang untertourig auf der Innenspur im Trialstil bewältigen ließ. Apropos Fahrstil: die Kombination von abstehenden Boxer-Zylindern und Offroad-Fahrstil mit stützendem Bein am Boden harmoniert wenig. Dass es mit beiden Füßen permanent auf den Rasten auch geht, bewies der Finne eindrücklich. Kirssi brachte die HP2 nach einer Aufholjagd auf Platz 18 von 33 Startern ins Ziel.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023