Was macht eigentlich...: Test Suzuki DR 800 S
Doktor Big lebt

Lange nichts gehört, vom dicksten Serien-Einzylinder der Welt. Aber keine Angst: Der Riesenhuber ist wohlauf und über die Jahre ganz der alte geblieben.

Mein liebster Bruder. Du hast vollkommen recht – wie üblich: Es ist an der Zeit, wieder einmal ein paar Takte über Deine ach so verehrte DR 800 S zu verlieren. Vier Jahre liegt der letzte Test bereits zurück. Und nicht nur Du fragst Dich: Was macht sie eigentlich, die Dicke?
Nun – sie lebt. Steht nach wie vor im Suzuki-Programm. Bis auf ein paar winzige Design-Abwandlungen und 690 Mark Preiserhöhung hat sich seit 1994 allerdings nichts verändert. Drum ist es ja so still geworden um den größten Einzylinder, der jemals in Serie ging.
Dein Brief jedoch hat uns bewegt: Es kann in der Tat nicht angehen, daß ein derart bemerkenswertes Motorrad totgeschwiegen wird, nur weil es seit Jahren keine Modellpflege erfuhr. Ein Schicksal übrigens, das die DR mit etlichen Kolleginnen teilt. Und nicht zuletzt Deiner Klageschrift ist zu verdanken, daß diese gottvergessenen Geschöpfe ab sofort ein Forum in MOTORRAD haben. Unter der Rubrik: Was macht eigentlich...?
Du erinnerst Dich bestimmt: Ihre letzte Eignungsprüfung absolvierte die DR auf der Strecke Stuttgart/Genua, wo sie ihren Ruf als talentierte Reise-Enduro gegen die BMW F 650, Honda Transalp und Yamaha XTZ 660 verteidigen mußte. Sie schnitt nicht schlecht ab: sehr guter Windschutz, angenehme Sitzposition, enorme Zuladung, hohe Reichweite, brauchbare Gepäckbrücke. Zur unangefochtenen Herrscherin über die Konkurrenz arrivierte sie indessen nicht. Und bitte, fang jetzt nicht wieder damit an, wieviel Charakter so eine DR verglichen mit diesen – wie nennst Du sie noch? Ach ja – »Nuckelpinnen« hat.
Klar besitzt der kernige Schlag des riesigen Kolbens Seltenheitswert. Da passiert richtig was. Fühlt sich an, als könne diesem Motor nichts und niemand etwas anhaben. Und dabei läuft er, dank zweier Ausgleichswellen, erstaunlich vibrationsarm. Wobei die Betonung auf »arm« liegt. Bei höheren Drehzahlen, die aufgrund der kurzen Gesamtübersetzung häufig anliegen, kribbelt’s doch ordentlich im Gebälk. Aber das gehört dazu, da bin ich ganz Deiner Meinung.
Allerdings kann ich bis heute nicht nachvollziehen, was Dich an dieser Leistungsentfaltung so anmacht. Ja, vielleicht bin ich verwöhnt. Vielleicht fehlt mir das nötige Quentchen Einfühlungsvermögen. Trotzdem aber bleibe ich dabei: So berauschend geht das Teil nicht ab. Für meinen Geschmack jedenfalls muß man auf kurvenreichen Strecken zu oft schalten.
Warst Du schon mal im Odenwald? Da hat’s vielleicht Straßen. Klein, klein, klein. Dort mußte sich die DR diesmal beweisen. Und wieder verblüffte das Monstrum mit seiner Handlichkeit. Man denkt: Gleich schlägt die Fuhre in der Böschung ein, doch sie flutscht um die Ecken, als hätte sie nichts mit diesen 226 Kilogramm Gesamtgewicht zu tun. Man kann es ungehemmt krachen lassen. Gewöhnt sich schnell an das leichte Nachschwingen des Hecks und irgendwann wahrscheinlich auch an das tiefe Abtauchen und deutliche Verwinden der Gabel beim Bremsen.
Die langen Federwege bringen eben nicht nur Vorteile mit sich, machen zwar jeden noch so tiefen Krater wett, zeichnen andererseits jedoch für ein relativ indirektes Fahrgefühl verantwortlich. Zudem treiben sie die Sitzhöhe in schwindelnde Höhe. Okay, okay: Die DR ist eine Enduro, und macht abseits der Teerwelt – man sollte es kaum für möglich halten – tatsächlich etwas her. Aber Hand aufs Herz, Bruder: Wer braucht zum ganz normalen Enduro-Wandern 240, respektive 220 Millimeter Federweg? Eine etwas besser gepolsterte Sitzbank wäre sinnvoller. Auf Dauer sitzt sich der weiche Schaumstoff nämlich durch.
Aber ich sehe schon, wir scheinen uns auch diesmal nicht einig zu werden. Lassen wir’s stecken und verbleiben bis zum nächsten Mal: Die Suzuki DR 800 S ist eine ziemlich gute Reise-Enduro, zeigt sich Autobahnen, Bergsträßchen, leichtem Gelände und Passagieren gewachsen, sie hat wesentlich mehr Charakter als ich, und es wäre ein Jammer, wenn es dieses Motorrad nicht gäbe.

Unsere Highlights

Modellgeschichte

Angefangen hat die DR Big als 50 PS starke 750er. Und zwar Ende 1987 auf dem Pariser Salon. Einen so dicken Serien-Einzylinder hatte die Welt bis dato nicht gesehen. Doch nicht nur der gigantische Hubraum sorgte damals für Furore, auch das gewagte Design mit 29-Liter-Benzinfaß und Entenschnabel erhitzte die Gemüter. 1990 dickte Suzuki den Eintopf an: Aus 727 Kubikzentimetern wurden 779, dazu mußte der Hub von 84 auf 90 Millimeter angehoben werden. Fortan firmierte die Dicke unter der Bezeichnung DR Big 800 S. Der große Durchbruch blieb ihr allerdings weiterhin versagt. Schon zuckte man bei Suzuki, wollte die Produktion einstellen, entschied sich aber in letzter Minute für eine Generalüberholung. 1991 schließlich präsentierte sich die DR in der Form, wie wir sie bis heute kennen: zwei Endschalldämpfer statt einem, 24-Liter-Tank im Plastikmantel, 223 Kilogramm Kampfgewicht. Den Beinamen Big verlor der Riesen-Single übrigens im Jahr 1994, unter Insidern aber bleibt er auf ewig: der gute, alte Doktor Big.Die DR 800 S in MOTORRAD: Test 18/1991. Vergleichstest 20/1991. Konzept-Vergleich 18/1992. Vergleichstest 9 und 19/1994. Gebrauchtkauf 26/1997.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023