Samstag, früher Morgen. Noch schweigen die rostigen Hotrods, die glänzenden Mustangs, ebenso die alten Harleys, die AWOs, die MZs. Franky von der 08/15 Racing-Crew, einer Garagengemeinschaft aus Berlin, steht schon im Blaumann vor seinem Zelt. "Mal wieder schrauben, wa?! Muss die Karre fürs Rennen flottkriegen."
Er meint das Race 61, bei dem er jedes Jahr am Start ist. Ein Sprintrennen über die Achtelmeile, offen für alle Fahrzeuge verschiedener Kategorien bis Baujahr 1961. Vor 16 Jahren aus der Taufe gehoben von den Betreibern des Berliner Rock-’n’-Roll-Clubs Roadrunner’s Paradise. Heute Nachmittag soll das Rennen auf der Rollbahn starten. Wo einst Flugzeuge abhoben und landeten, gibt’s zuerst die Qualifikationen, dann wird Auto gegen Auto, Motorrad gegen Motorrad um Zeiten gekämpft. Deswegen sind die meisten hierher auf das weitläufige Gelände des Luftfahrtmuseums in Finowfurt, rund 50 Kilometer nordöstlich von Berlin, gekommen. Wegen des Rennens und um ein Wochenende im Fifties-Spirit des Roadrunner’s abzufeiern.
„Komisch, gestern lief Frankys Harley doch noch“, sagt Lüdd’n Muck. Zusammen mit seinem Bruder Dan und Kumpel Peanuts ist er von Bad Segeberg aus Schleswig-Holstein angereist. Auf dem Zeltplatz haben sich die drei dann mit Achim aus Baden-Württemberg getroffen. So weit, so normal.
Auffällig ist hingegen, dass Lüdd’n Muck, Achim und Peanuts jeweils einen Duna-Beiwagen an ihr Motorrad gehängt haben. Und so stehen in trauter Eintracht ein XS-, ein SR- und ein Guzzi-Gespann nebeneinander, jedes mit einem ungarischen Boot aus den 50ern und immer wieder bestaunt von den über’n Platz schlendernden Besuchern. Während bei Peanuts’ XS 650 alles perfekt sein muss, alles harmoniert und glänzt, ist Achim eher ein Anhänger des Kabelbinder-Customizings: Man nimmt, was man rumliegen hat, und baut es formschön an die 1000 SP. Lüdd’n Mucks Gespann ist ein SR-Traum in Weiß und Gold.
Die Duna-Crew





Die Duna-Crew ist zwar wegen der Rennen gekommen, aber nicht nur. Denn es gibt auch darüber hinaus einiges zu bestaunen: türkisfarbene Chevrolets, BSAs mit Alutank, ehrwürdige Indians, BMWs mit feinen Zierlinien, modifizierte AWOs – sie alle parken neben Zelten, cruisen tagsüber auf der Händlermeile, auf der Klamotten, Schmuck, Totenköpfe jeder Form und jeden Materials, Lackierarbeiten und Pinstripe-Kunstwerke feilgeboten werden.
Viele Fahrzeuge tragen schon stolz eine Startnummer fürs Rennen oder fräsen sich durch die matschigen Fahrwege des Campgrounds. Rock ’n’ Roll schwebt über dem Platz, garniert mit Pommes-Duft. Mehrere Tausend Besucher sind da. Und viele davon sind eine Schau für sich: Weite Petticoats umschwingen die stöckelschuhbewehrten Beine der Mädels im 50er-Look, daneben gehen coole Typen mit Tollen, meist in Jeans und Leder und gerne bis über beide Arme bunt tätowiert.
Die Duna-Crew fährt Kohle abheben ins nahe Finowfurt, um einzukaufen, bevor der Platz anfängt, so richtig zu brummen. Bei diesem Angebot an Devotionalien gehen sogar Männer gerne shoppen. Auf dem Rückweg wartet schon eine lange Schlange an Fahrzeugen, teils dumpf grollende Achtzylinder, teils moderne Autos, die Schaulustige herankarren. Plötzlich heult ein Martinshorn auf, düst ein Krankenwagen in Richtung Eingang. Dann dürfen zumindest die Solo-Motorräder an der Schlange vorbei.
Unglück auf dem Gelände

Aber es ist was passiert. Wie ein Lauffeuer geht es über den Zeltplatz: "Gerade ist ein Kunstflieger abgestürzt", wird mit leiser Stimme erzählt. "Zuerst ist das Flugzeug kopfüber über der Rollbahn an der Tribüne vorbeigeflogen, aber viel zu niedrig. Dann hat der Pilot die Drehung nicht mehr geschafft, der Flügel blieb in einem Solarfeld hängen, das Flugzeug ist aufgeschlagen und explodiert."
Der Flieger hatte mit der Veranstaltung nichts zu tun, und bis auf den Piloten ist – ein kleines Wunder – keinem etwas passiert. Aber für den Kunstflieger kam jede Hilfe zu spät. Auch die Duna-Crew schaut betroffen, als sie eintrifft und vom Unglück hört. "Na, wenn die das Rennen ma’ nich’ absagen", orakelt Lüdd’n Muck.
Er sollte recht behalten: Knarzige Lautsprecher verkünden, dass aus Pietät heute nicht gestartet wird. Wer will, kann am Sonntag die Achtelmeile fahren, aber ohne Wertung. Einige zirkeln ihre Hotrods zurück auf die Anhänger und verlassen den Platz. Das Gros aber bleibt. Und obwohl überall der Flugzeugabsturz Gesprächsthema ist, erwacht am Abend wieder der Geist des Rock ’n’ Roll zwischen Buden und Hangars. Auch Franky – Harley rennfertig oder nicht – und andere Jungs aus dem Umfeld der 08/15-Crew schlendern entspannt herum, wippen zur Musik der Bands. Mädchen mit blonden Haaren, den Pony zu einer kecken Tolle gezähmt, sitzen auf Ladeflächen von Pick-ups, lächeln mit grellrotem Lippenstift in die Menge, lassen die Beine in den weiten Röcken wippen.
Der Rock 'n' Roll ist zurück

Sechs- und Achtzylinder schnurren im Schleichgang und grollen dumpf los, sobald der Fahrer das Gaspedal antippt. Eine AWO schlängelt sich durch die dichte Menge, aufbrüllend verlangt eine Panhead Durchlass, Motorrad-Gespanne sind auch mal mit drei bis vier Personen besetzt. Mit einem alten Polski-Fiat 126, äußerlich verrostet bis zum Zerfall, röhrt ein Trupp Polen immer wieder vorbei. Ein besonders Wagemutiger im Lederwestchen grölt wahlweise vom Dach oder lässt sich auf einem alten Holzschlitten hinterherziehen.
Bei einem Stopp im Airfield-Casino löst sich ein Rockabilly-Pärchen vom Fiat und zeigt, was es kann: Der Petticoat wirbelt, der kirschrote Mund leuchtet durch den Dämmer des Hangars, das Mädel fliegt hoch über die Ledermütze des Tanzpartners. Ein zweites Pärchen zuckt ebenfalls los. Der Rock 'n' Roll ist zurück beim Roadrunner's Paradise.
Wie angekündigt, wird das Race 61 am Sonntag ohne Wertung gestartet. Die Besucher haben auch so ihren Spaß. Das Startergirl hebt die Fahne erst hoch über den Kopf, reißt sie dann im Sprung nach unten. Motoren heulen auf. Doch die Duna-Crew hat schon die Gespanne bepackt und ist abreisebereit. Ein letztes Mal bummeln die Jungs übern Platz. Und das richtige Rennen? Na ja, das wird man sich dann eben nächstes Jahr anschauen.