Am Anfang überwog Skepsis. Kann ein sehr gutes, schon als erschwingliches Massenprodukt mit extrem sportlichen Talenten gesegnetes Basismotorrad wie die Aprilia RSV mille durch edle wie teure Modifikationen eine Wert- und Leistungssteigerung erfahren, die einen Preis von 60.000 Mark rechtfertigt?
Eine Skepsis, die beim ersten Blickkontakt - die Aprilia RSV mille SP steht etwas gelangweilt auf einem Podest neben dem Rednerpult des Pressesprechers - noch nicht verfliegt. Klar, ein elegantes, hochwertig ausgestattetes Stück, diese Basisversion für die Superbike-WM. Aber auch sie trägt den etwas kühlen Nimbus der Standard-Mille, der die eine wie die andere ein bisschen unscheinbar macht.
Äußerlich unspektakulär, innerlich unvergleichlich potenter
Für Exklusivität und Werterhalt sei gesorgt, versichern die Aprilia-Verantwortlichen voll Selbstvertrauen, denn definitiv werden nicht mehr als 150 Mille SP produziert, und vor allem besitze sie innere Werte, die nicht nur den Preis erklärten, sondern die Aprilia RSV mille SP auch über andere Edelbikes herausragen liessen. Äußerlich unspektakulär, innerlich unvergleichlich potenter, unvergleichlich anders.
Da wäre etwa der Motor, der zwar grundsätzlich dem der Standard-Mille ähnelt, tatsächlich aber gründlich modifiziert wurde. Drumherum finden sich geänderte Ansaugwege, ein neu programmiertes Motormanagement sowie eine frische Auspuffanlage - mit Monoschalldämpfer für die Straße (125 PS) oder, wie im Test auf dem GP-Kurs in Mugello gefahren, mit im Preis inbegriffenem, wohlklingendem, schickem Titan-Doppelschalldämpfer plus Eprom für die Rennstrecke (146 PS, V-Twin-Rekord!). Lobenswert: wie schon die Serien-RSV erfüllt auch die Aprilia RSV mille SP ohne Katalysator die EURO 1-Abgasnorm. Einschneidende Änderungen erfuhr auch das Fahrwerk, das in dieser Form selbst Profi-Belangen gerecht werden dürfte. Etliche Leichtbauteile - viele Kohlefaserschalen, hochfeste Titanschrauben an Bremssätteln und Gabelbrücken - runden das Edel-Paket ab.
Ein Aufwand, der sich lohnt
Viel Aufwand also, aber ein Aufwand, der sich lohnt. Nicht nur, dass die Aprilia RSV Mille SP mit der offenen Doppelrohranlage Fahrleistungen realisiert, die 146 PS nicht ganz unrealistisch erscheinen lassen. Spektakulär ist, wie sanftmütig, wie elastisch, wie gleichmäßig und doch nachdrücklich - kurz: wie kontrollierbar - der Motor seinen Druck freisetzt. Dabei läuft er im Vergleich zur Serie seidenweich. Kein Kettenschlagen, nie ruppig, nur minimale Vibrationen, samtige Lastwechsel, eine Freude, durch das hervorragende Getriebe zu beschleunigen.
Ebenso beeindruckend, wie sicher das Fahrwerk der Aprilia RSV mille SP diese Leistung auf die Straße bringt. Immer frecher in immer tieferer Schräglage das Gas aufreissen, kein Problem. Die Italiener scheinen ihre Hausaufgaben in puncto Schwingenkinematik gemacht zu haben, denn der mechanische Grip am Hinterreifen - ein speziell für die Aprilia weiterentwickelter, entsprechend gut harmonierender Pirelli Dragon Evo Corsa - sucht mit oder ohne Beschleunigungslast seinesgleichen.
Modifizierte Brembo-Bremse an der Aprilia RSV mille SP überzeugt
Sicher auch ein Verdienst des ausgezeichneten, sehr straffen Öhlins-Federbeins, das im Verein mit der Gabel aus gleichem Haus auch in großen Schräglagen, wenn schon mal der Verkleidungskiel streift, den Asphalt glattbügelt. Auch Lenkeigenschaften und Vorderradführung überzeugen, schnell weichen die Bedenken gegenüber dem Vorderreifen mit 65er Querschnitt der schieren Lust am Fahren. Handlich in jeder möglichen Situation - sei es beim langsamen Einlenken oder beim Schräglagenwechsel in schnellen Wechselkurven -, extrem zielgenau, in Schräglage immun gegen Fahrbahneinflüsse und Lastwechsel. Sogar die sonst gescholtene, an der Aprilia RSV mille SP modifizierte Brembo-Bremse überzeugt, zumal die pneumatisch unterstützte Kupplung wirkungsvoll Hinterradstempeln unterbindet. Das Fahrwerk reagiert ungeheuer präzise auf jeden Fahrbefehl, informiert mit tadelloser Rückmeldung über den Fahrzustand. Die Aprilia zu dirigieren ist so einfach, so spektakulär unspektakulär.
Na gut, beim harten Bremsen deutet die Aprilia RSV mille SP schon mal ein Schlingern an, beim harten Beschleunigen über Bodenwellen zuckt sie schon mal ganz leicht mit dem lenkungsgedämpften Lenker. Und macht’s was? Überhaupt nix macht’s. Dieses Chassis in echte Schwierigkeiten zu bringen sei den Goddards dieser Welt oder kapitalen Fahrfehlern überlassen. Und jetzt? Skepsis? Keine Spur mehr davon. Skepsis vielleicht darüber, ob mein Konto jemals erlauben wird, 60 Mille in einen solchen Traum zu investieren.
Motor und Fahrwerk

Das sorgfältig von Meisterhand montierte Triebwerk der Aprilia RSV mille SP unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Standard-Pendant. Ein kürzerer Hub (63,4 statt 67,5 Millimeter) gestattet höhere Drehzahlen, die Bohrung wächst entsprechend, somit zeigt die SP das extremste Bohrung-Hub-Verhältnis unter den Liter-V-Zweizylindern. Der Kurbeltrieb mit notwendigerweise neuer Kurbelwelle ist sorgfältig feingewuchtet. In den Zylindern oszillieren extreme Slipperkolben mit sehr niedriger Kompressionshöhe, geschmiedet aus einer besonders widerstandsfähigen, silikonhaltigen Aluminium-Legierung. Die Zylinderwände wiederum tragen zwecks optimierter Wärmeabfuhr sowie minimierter Reibung eine Elektrolytschicht, zudem sind Zylinder und Wassermantel nicht nur unten, sondern auch oben in sogenannter «Closed-Deck”-Bauweise zusammengegossen, was die Steifigkeit erhöht und Schwingungen des Zylinders vermindert.
Sandgegossene, völlig neu konstruierte Zylinderköpfe mit gefrästen Brennräumen, deren Profil in langwierigen Versuchs- und Berechnungsreihen bei Cosworth in England entwickelt wurde, zeigen einen zur verlustfreieren Füllung verringerten Ventilwinkel sowie die Umstellung von Doppel- auf einfache Zündung mittels zentraler Zündkerze. Deren Sitz - in jedem Vierventil-Brennraum ein empfindliches Wärmenest - wird vom Kühlwasser umspült. Auch im neuen Motor der Aprilia RSV mille SP rotiert eine zusätzliche Ausgleichswelle zwischen den Nockenwellen des hinteren Zylinderkopfs.
Fahrwerk der Aprilia RSV mille SP
Das Fahrwerk der Aprilia RSV mille SP bietet alle Voraussetzungen, um die Leistung eines Superbikes sowie die harte Fahrweise auf WM-Niveau zu verkraften. Der Rahmen ist nochmals 20 Prozent verwindungssteifer als sein Standard-Pendant (Rekord laut Aprilia), auch die Schwinge wurde verstärkt. Gegenüber der Serie geriet die SP um etwa fünf Kilogramm leichter und etwas frontlastiger, die Massen lagern noch näher um den Fahrzeugschwerpunkt.
Mannigfaltige Verstellmöglichkeiten - Motorposition vertikal plus/minus vier Millimeter, Schwingendrehpunktshöhe plus/minus vier Millimeter, Lenkkopfwinkel plus/minus ein Grad, Nachlauf korrespondierend kürzer oder länger - lassen jede Anpassung der Aprilia RSV mille SP auf Streckencharakter und Fahrweise des Piloten zu.Edle, in Federrate und Dämpfung straffe Öhlins-Komponenten - Gabel mit hartbeschichteten Tauchrohren, Federbein und Lenkungsdämpfer - sorgen für die sichere Führung der Räder auf dem Asphalt. Die Progression der Federbein-Umlenkung wurde etwas verringert.Die Brembo-Bremsanlage profitiert von einer minimal verringerten mechanischen Übersetzung am Handhebel und überarbeiteten Dichtgummis der Bremskolben.