Eigentlich sollte sie ab 1952 die Motorradschar des Jakob Oswald Hoffmann in die Zukunft führen. Doch dafür hätte selbst ein(e) Gouverneur glücklichere Begleitumstände gebraucht.
Eigentlich sollte sie ab 1952 die Motorradschar des Jakob Oswald Hoffmann in die Zukunft führen. Doch dafür hätte selbst ein(e) Gouverneur glücklichere Begleitumstände gebraucht.
Wenige Stunden, immerhin, verwöhnt noch mal fast sommerliche Wärme, streift weiches Licht über abgeerntete Felder und zart verfärbtes Laub. Goldener Oktober, und die Hoffmann Gouverneur nutzt diese Chance mit berechnendem Geschick: Fröhlich lässt sie ihren Zweizylinder tönen und sanft den Sattel schwingen, wohl wissend, dass ihr Fahrer nicht schnell, sondern genussvoll unterwegs sein möchte. Ein Mal noch draußen spielen, heute, wer würde sich da in schnöden Vergleichen von Leistungsdaten oder Zulassungszahlen ergehen? Nein, nein, das schwarze Motorrad hier, das ist doch wunderbar. Sieht wirklich toll aus, erfreut mit ungewöhnlicher Technik und problemloser Handhabung.
Na gut, ein Leistungswunder ist er nicht, dieser kleine, glattflächige Boxer in seinem Stahlblech-Pressrahmen. Kommt nur zögernd aus dem Keller, dreht aber danach willig hoch, nimmt dem einzelnen Bing-Vergaser ruckfrei sein Gemisch ab, dreht noch höher – irgendwo in weiter Ferne wird er mal vierzehn Komma irgendwas PS abgeben. Aber will man ihn dazu zwingen? Heute? Das angeblockte Kettengetriebe hält vier Gangstufen parat, mit etwas Gefühl für den richtigen Zeitpunkt allesamt rauf wie runter einfach zu ertasten, also kann man den Boxer bei mittleren Drehzahlen munter schnurren lassen. Die vordere Simplex-Trommelbremse lässt sich wirkungsvoll von ihrem hinteren Pendant unterstützen, alles funktioniert ohne großen Kraftaufwand. Prima. Fast von selbst und mit hinreichender Genauigkeit legt sich die Hoffmann Gouverneur MP 250-2 in Kurven und durcheilt sie mit überraschend guter Stabilität. Was die mit zwei Federn pro Holm sowie viel dämpfendem Fett gefüllte Gabel und die ungedämpften Federbeine an Straßenunebenheiten nicht schlucken, das schluckt eben der gummigefederte Sattel. Motorradfahren kann so einfach sein.
Aber Motorräder auch: Beim abendlichen Rotwein dämmert langsam die Erkenntnis, dass der frühherbstliche Tagesausflug auf einer BMW R 25/3 oder DKW RT 250 ähnlich nett verlaufen wäre. Genau dieser ehedem heikle Punkt macht heute einen Teil der Gouverneur-Faszination aus. Hoffmanns Boxer ist nicht besser, sondern anders. Und, anders als genannte Konkurrenzmodelle, weder vernünftig noch preisbewusst. Nie. Der ist Metall gewordener Übermut. Oder Dummheit? Egal, etwas ganz Besonderes jedenfalls, ein zweirädriges Zeitdokument, schillernd wie nur wenige andere.
Auf der IFMA im Oktober 1951 feierte die Gouverneur Premiere, ihre Produktion startete jedoch erst ausgangs des folgenden Jahres, der Verkauf Anfang 1953. Will sagen: Die ersten Planungen fielen in eine Zeit, als der deutsche Kraftradmarkt jedes Angebot aufnahm, und die ersten Kundenauslieferungen in die Morgendämmerung der deutschen Motorradkrise. Schwierig genug. Doch der Hersteller fügte weitere Lasten hinzu. Seit 1948 erst bauten die Hoffmann-Werke in Lintorf nahe Düsseldorf Krafträder, und zwar einerseits in Manier klassischer Konfektionäre – eigene Fahrgestelle bestückte man mit Motoren von Sachs, Villiers und hauptsächlich ILO. Andererseits hatte Firmenchef Jakob Oswald Hoffmann 1949 bereits die Lizenz zum Nachbau der italienischen Vespa ergattert und profitierte vom Rollerboom. Schon bald verkaufte er davon genauso viel, wenn nicht mehr als von seinen Motorrädern. Jährlich über 10.000 Stück, 1953 gar über 15.000. Nicht schlecht, und offenbar Grund genug für eigenen Übermut und fremde Neidereien.
Hoffmann wollte das von 98 bis 200 cm³ reichende Modellprogramm unbedingt mit einer Eigenkonstruktion krönen. Aus diesem Grund verpflichtete er den bekannten Konstrukteur Richard Küchen. Der hatte schon vor dem Krieg unter anderem mit den Zündapp KS- und K-Modellen von sich reden gemacht. Allerdings neigte Küchen zu technischen Alleingängen, die den Qualitäten seiner Konstruktionen nicht immer dienten. Kettengetriebe ist ja noch okay. Aber diese fast schon sektiererische Neigung zu glatten Flächen... Manche behaupten, er habe von außen nach innen konstruiert, doch davon später. Das Topmodell von Hoffmann sollte, da wurde man sich schnell einig, einen Viertelliter Hubraum besitzen. In dieser Klasse trafen sich alle renommierten Hersteller, hier wurden schon richtige Motorräder verkauft, und zwar dank günstiger Führerscheinregelung massenhaft. Das Segment darüber überließ man einstweilen den Etablierten von BMW, Horex und Zündapp. Bis hierhin scheint das Kalkül recht logisch, doch was die Herren Küchen und Hoffmann bewog, sich auf einen Boxermotor festzulegen, wird immer ihr Geheimnis bleiben.
Mag sein, dass Küchen über alte Weggefährten davon erfahren hatte, dass auch Zündapp seit 1949 an einem solchen Motor arbeitete, und er es den Bayern nun zeigen wollte. Mag sein, dass eine derart aufwendige und in dieser Hubraumklasse exklusive Konstruktion Hoffmanns Eitelkeit schmeichelte. Fakt ist, dass Zündapp das Projekt zwar 1953 auf der IFMA präsentierte, aber kurz darauf stoppte, weil man es niemals zu marktgerechten Preisen hätte produzieren können. Da war es für Hoffmann längst zu spät: 1953 kosteten eine BMW R 25/3 oder eine NSU Max rund 2000, eine weniger temperamentvolle Gouverneur aber über 2300 Mark. Die aufgrund der schwierigen Gouverneur-Entwicklung 1952 eilig nachgeschobene Einzylinder-Hoffmann mit 250er-ILO-Motor gab es immer noch, und zwar für 1850, andere Zweitakter lagen ähnlich. Ach ja, die konzeptionell durchaus vergleichbare BMW R 51/2 kam damals so um die 3000, und damit dürften die Bayern deutlich mehr verdient haben als die Rheinländer an ihrer Gouverneur. Von den Kosten her macht es nämlich keinen Unterschied, ob man in einen Zylinder ein großes oder ein kleines Loch bohrt.
Aber wir schweifen ab ins kaufmännisch Banale. Dabei ist die Hoffmann Gouverneur MP 250 doch Kunst. Nicht nur irgendwie, sondern in jeder Hinsicht. Dem ästhetischen Zeitgeist mehr verpflichtet als gewohnten Zweiradtraditionen. Gewollt, gestaltet. Ein klarer gezeichnetes unverkleidetes Motorrad dürfte es bis dahin kaum gegeben haben, und deshalb bemerkte der zeitgenössische Tester Wolfgang Müller in der Frankfurter Neuen Presse denn auch: „Das Äußere dieses Motorrades ist so elegant wie ein Abendanzug.“ Optisch bestimmend wirken die großen Seitenflächen des Blech-Pressrahmens. Sie formen nicht nur den Kasten für Batterie und Luftpumpe, sondern erhalten als Teil dieses Kastens eine tragende Rolle. Er nimmt nämlich hinten direkt die Beine der Geradwegfederung auf; außerdem verdeckt er die Welle des Hinterradantriebs. An den Kasten ist das angeschraubt, was man Hinterradschutzblech nennen könnte. Oder auch Rahmenheck, denn bei Bedarf schultert das elegant geformte, ungefähr mittig zwecks leichteren Radausbaus geteilte Blech einen Soziussitz sowie einen Gepäckträger. Der aufgeschraubte Träger des über ein in seiner Härte verstellbares Gummi-Federelement abgestützten Fahrersitzes schließt besagten Kasten nach oben ab.
Weitere Ausstattungsfeinheiten der Hoffmann Gouverneur MP 250: verschließbares Werkzeugfach im Tank, einstellbarer Reibungsdämpfer für die Lenkung, Leerlauffinder links am Triebwerksgehäuse, serienmäßige Seitenwagenanschlüsse und Leuchtweitenregulierung des Scheinwerfers. Jawohl, das ist Oberklasse, und mehr davon gab‘s bei den Viertellitern nirgendwo.
Gehobenen Ansprüchen sollte natürlich auch das Triebwerk genügen. Lästige Vibrationen verweist der Boxer ganz nonchalant in die schnöde Einzylinderwelt, und dennoch kann er diese nicht so einfach verlassen. Viele Singles, namentlich die seit 1952 käufliche NSU Max, gingen nämlich besser, selbst eine 250er-BMW kommt energischer unten raus und die Zweitakter sowieso. Merke: In den 50ern tobte bereits der Leistungsdruck, doch oh weh, ganze elf PS entlockte Küchen seinem kopfgesteuerten Kurzhuber. Er war selber schuld, die Glattflächigkeit... Ansaugkanäle müssen ihm ein Gräuel gewesen sein, just wie bei seiner Vorkriegs-Zündapp K 800 führen sie auch bei der Hoffmann Gouverneur MP 250 durchs Gehäuse, dann eingegossen in die Hinterseite der Leichtmetallzylinder empor zum Einlassventil. Dabei hätte der verkapselte Vergaser allein schon genügt, um das Gemisch aufzuheizen. Zudem – man glaubt es kaum – verordnete Küchen den Kanälen einen rechteckigen Querschnitt. Seine alten Kollegen bei Zündapp jedenfalls hatten von solchen Ideen die Nase voll und steckten direkt auf jeden Zylinder ihres Prototypen einen eigenen Vergaser, ziemlich steil sogar, beinahe im Fallstrom. Sie zauberten über 18 PS hervor.
Der verkaufshindernde Leistungsmangel, vor allem jedoch die Biegeschwingungen der Kurbelwelle und daraus resultierende Schäden ihrer beiden Rollenlager erzwangen eine rasche Revision – nur rund 450 Exemplare der ersten Serie verließen das Werk. Bereits die IFMA 1953 sah mit der in dieser Geschichte gezeigten MP 250-2 eine gründlich, aber nicht von Küchen überarbeitete Gouverneur. Mit ovalen Ansaugkanälen, 24-mm-Bing- statt 17-mm-Pallas-Vergaser, geänderter Ölführung, steiferem Gehäuse und einer mittels breiterer mittlerer Kurbelwange verstärkten und solider gelagerten Kurbelwelle. Außerdem trug diese nicht länger eine aufgepresste, sondern eine angeflanschte Schwungscheibe. Weil sich die Belegschaft mittlerweile an die für Konfektionäre unüblichen Arbeitsgänge, etwa die Motorenmontage, gewöhnt hatte, entstand die Zweizylinder-Hoffmann nun in standesgemäßer Qualität und begann – mit knappen 15 PS sogar konkurrenzfähig – ihr eigentliches Leben.
Leider schwebten da schon tiefdunkle Wolken über den Hoffmann-Werken (siehe Seite "die Hoffmann-Werke"), die sich auch durch halbwegs befriedigende Gouverneur-Verkäufe nicht aufhellen ließen. Rund 3000 renovierte MP brachte man angeblich noch unter die Leute, die horrenden österreichischen Zölle für 250er umging eine – übrigens sehr lebhafte – 300er-Version und fand weitere 800 Kunden. Im Spätherbst 1954 endete die Produktion. Ein filmreifer Absturz. Dabei wollte die Gouverneur eigentlich in Schönheit glänzen. Nicht nur im Herbst.
Die deutschen Motorräder der 50er-Jahre begeistern mich immer mehr, und jetzt habe ich nach tapferen und wackeren (das ist ein Unterschied), fixen und braven Vertretern dieser unglaublich vielfältigen Spezies einen echten Feingeist entdeckt. Eine 250er, deren technischer Sonderweg heute erfreut, ein Schlaglicht auf die Aufbruchstimmung jener Jahre wirft, und die dank drehfreudigem Motor sowie handlichem Fahrwerk nicht nur beim Anschauen Spaß macht.
Hoffmann Gouverneur MP 250-2
Motor: längs eingebauter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, eine untenliegende Nockenwelle, je zwei über Stoßstangen und Kipphebel betätigte Ventile pro Brennraum, Bohrung x Hub 58 x 47 mm, Verdichtung 7:1, Hubraum 248 cm³, Leistung 15 PS bei 5700/min
Kraftübertragung: Zweischeiben-Trockenkupplung, Vierganggetriebe, Kardanantrieb
Fahrwerk: geschlossener Stahlblech-Pressrahmen mit Unterzügen, fettgefüllte Telegabel vorn, Geradwegaufhängung mit zwei ungedämpften Federbeinen hinten, Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Reifen vorn und hinten 3.25-19, 180-mm-Simplex-Trommelbremse vorn und hinten
Maße und Gewichte: Radstand 1350 mm, Trockengewicht 150 kg, Tankinhalt 16 l
Fahrleistung: Höchstgeschwindigkeit zirka 110 km/h
Info: Eine schöne und informative Website pflegen einige Hoffmann-Freunde unter: www.hoffmann-oldtimer.de
Der 1896 in Düsseldorf geborene Jakob Oswald Hoffmann lernte Kaufmann, versuchte sich in jungen Jahren zweimal im Tabakhandel und scheiterte. Dann gründete er 1932 in Köln eine Fahrrad-Verkaufsgesellschaft, mit der er im Jahr darauf wieder in Konkurs ging. Doch parallel hatte er sich Anfang 1933 bereits in die Solinger Fahrradfabrik eingekauft – und hier beginnen die eher dubiosen Seiten seines Schaffens: Dem Firmengründer und Mitbesitzer wurde die Prokura entzogen, Hoffmann konnte schalten und walten. Ab 1939 wurde die Firma – wie so viele andere auch – auf Kriegsproduktion getrimmt, sie fertigte nun Granaten, Minen, Zünder, erhielt 1942 den Exklusiv-Auftrag, eine Stielgranate zu entwickeln. Die Auftraggeber scheinen zufrieden gewesen zu sein, Hoffmann wurde von Hitler persönlich das Kriegsverdienstkreuz erster Klasse verliehen. Und er wollte die Nazis weiter zufriedenstellen: Jüdische Zwangsarbeiter wurden bei ihm so schlecht behandelt, dass örtliche Behörden mehrmals mahnten. Weshalb Hoffmann – der seit 1943 Alleininhaber der Werke war – die Kontrollen unterbinden ließ.
Trotz dieser Vorgeschichte drängte er gleich nach dem Krieg ungeniert wieder ins Geschäftsleben: Hoffmann erwarb in Lintorf ein Gelände nebst Hallen von den Mannesmann Röhrenwerken, zog – mit Hilfe eines Hamburger Kaufmanns – eine Produktion auf, stellte 60 Leute ein und baute schon 1945 wieder Fahrräder. Drei Jahre später dann das erste Kraftrad, im Jahr darauf die ersten Lizenz-Vespas. Über 60.000 Roller verkaufte Hoffmann bis 1954, damit stieg er zu nationaler Größe auf, und dieser Erfolg weckte die deutsche Konkurrenz. Heinkel, NSU und Zündapp brachten mindestens ebenbürtige Roller. Hoffmann reagierte und verbesserte sein Lizenzprodukt. Eigenmächtig, und das gab Ende 1953 Ärger mit Piaggio. Man trennte sich 1954 im Streit. Es kam noch schlimmer: Dem Trend zum Kleinwagen wollte Hoffmann mit einer weiteren Lizenzfertigung genügen und knüpfte Kontakte zu Iso. Die Italiener lehnten ab, in Lintorf entstand die Hoffmann-Kabine. Darin werkelte der modifizierte Gouverneur-Motor, doch der Rest sah so sehr nach Isetta aus, dass Hoffmann vom Erfinder sowie dem – inzwischen feststehenden – deutschen Lizenznehmer BMW im November 1954 vor den Kadi gezerrt wurde.
Des Dramas letzter Akt vollzog sich dann unter Regie der Rheinisch-Westfälischen Bank aus Düsseldorf. Die freilich aus der vorübergehend von den Alliierten zerschlagenen Deutschen Bank hervorgegangen war und bald schon wieder in ihr aufgehen würde. Der Spiegel berichtete im Januar 1955 über die spektakuläre Hoffmann-Pleite und zitierte Bankdirektor Walter Karklinat: „Das ist der größte und hässlichste Zusammenbruch, den ich in den letzten zwanzig Jahren erlebt habe.“ Jemandem, der so einen Satz nach Nazi-Herrschaft und Zwangs-Enteignungen jüdischer Betriebe über die Lippen kriegt, sollte man niemals trauen, und tatsächlich verstrickte sich die Bank in jede Menge Widersprüche. Seit 1953 schon war sie tief in die Firmeninterna von Hoffmann eingeweiht, hatte ihm für die Produktion des Kleinwagens einen Halbe-Millionen-Kredit in Aussicht gestellt. Und wollte Ende 1954 plötzlich nichts mehr davon wissen. Merkwürdig. Nicht zuletzt deshalb, weil die Deutsche Bank damals direkt oder im Auftrag ihrer Kunden die Mehrheit der Stimmrechte bei BMW besaß.
Hoffmann beantragte noch im November 1954 die Insolvenz. Seine mittlerweile über 900 Beschäftigten besetzten aus Protest gegen ihre Kündigung das Werk. Letztlich vergebens. Danach entstanden aus den Beständen noch einige Roller und Motorräder. Sie wurden verramscht. Die bereits gebauten Kabinenautos mussten vernichtet werden. Jakob Oswald Hoffmann konnte sein Werk halten, die Villa rettete er, indem er sie – bei lebenslangem Wohnrecht freilich – der katholischen Kirche vermachte. Seine Wendung zum Christentum hinderte ihn nicht, nach einem Intermezzo als Kfz-Zulieferer bald wieder Kriegsgerät zu produzieren. Er starb 1971.