Hirth-Rennmaschine von 1924

Hirth-Rennmaschine von 1924 im Studio Die Rechnung ohne den Hirth gemacht

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Den Namen Hirth kennen viele nur im Zusammenhang mit der Hirth-Verzahnung oder der Fliegerei – dabei entstanden Mitte der 1920er-Jahre einige sehr inno­vative und im Rennsport erfolgreiche Motorräder. Wie dieser Renner von 1924.

Die Rechnung ohne den Hirth gemacht Bilski
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Sie stand viele Jahre in einem Schuppen, verstaubt und fast vergessen. Dabei ist sie unter den wenigen je gebauten Hirth-Maschinen sogar eine Besonderheit, die einzige rein für die Renneinsätze gebaute Hirth mit dem 250er-Einzylinder-Doppelkolbenmotor. Doppel­kolben hatten sie alle, auch die 250er-Straßen-Zweizylinder, die zum Teil dennoch für die Rennerei herhalten mussten. Beim Bergrennen Pforzheim, oder auf der Solitude. Gebaut und bewegt von Hellmuth und seinem Bruder Wolf Hirth.

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Doch muss man beim Namen Hirth noch eine Generation weiter zurückgehen und beim Vater Albert Hirth beginnen, um die Geschichte der erfinderischen wie erfolgreichen Hirth-Familie zu beleuchten. Albert Hirth, geboren 1858, sollte eigentlich wie seine Vorfahren Müller werden. Doch entwickelte dieser schon früh eine Leidenschaft für die Technik und wurde schnell als „Mühlendoktor“ bekannt, der sich mehr aufs Reparieren der Mahl­technik als aufs Müllern verstand. Er ­durfte Mechaniker werden, gründete 1904 die Firma Norma und machte sich mit zukunftsweisenden Lösungen im Bereich Kugel- und Wälzlager einen Namen. 1886 kam Sohn Hellmuth zur Welt, der zwar die Technik-Leidenschaft und -Begabung des Vaters geerbt hatte, doch ein nicht immer gern gesehenes, wildes Leben führte, mit einer Vorliebe für schnelle Zweiräder und Autos. Vom Vater nach England geschickt, entwickelte er dort zudem noch eine weitere gefährliche Passion – die Fliegerei. Nachdem er Vater Albert ebenfalls für das Thema begeistert hatte, ­entstanden bald ernst zu nehmende Flugapparate, unter anderem mit mächtigen ­Maybach-Motoren. Doch Hellmuth ­experimentierte auch mit kleinen Zweitaktmotoren mit Doppel­kolben und mit speziellen Propellerkonstruktionen. Vater Albert hatte mittlerweile die Albert Hirth AG gegründet und eine neue Stirnverzahnung patentiert – die legen­däre und weltbekannte Hirth-Ver­zahnung, die es erlaubte, Kurbel­wellen mit Wälzlagern zu bauen.

Hirth Archiv
Wolf Hirth im Rennen auf der Solitude 1926: Trotz widriger Wetterbedingungen und tech­nischer Probleme wurde er mit einer bravourösen Leistung Dritter.

Längst war Wolfram, der 14 Jahre jüngere, meist nur „Wolf“ genannte Bruder von Hellmuth von der Fliegerleidenschaft des großen Bruders angesteckt worden, und mit der Begeisterung für Motorräder, in denen die „kleinen“ Doppelkolben-Zwei­taktmotoren erprobt wurden. Mit dem Spaß am Schnellfahren erwachte das Renn­fieber, und der erste Einsatz bei einem großen Rennen sollte beim Lauf auf der Solitude 1924 erfolgen. Hellmuth hatte seinem Bruder wegen dessen Beinver­letzung nach einem Flugzeug­absturz die Teilnahme verboten. Wolf ließ sich aber nicht abwimmeln, sondern arbeitete stattdessen die Nacht im Werk durch, um auf die Schnelle heimlich aus verfügbaren Teilen und einem Motor vom Prüfstand ein Motorrad zusammenzubauen. Und der Erfolg sollte ihm recht geben: Er gewann die 250er-Klasse. 

Zahlreiche Siege folgten, nicht zuletzt ein grandioser Erfolg 1926 auf der Avus. Wolf Hirth kam leider bei ­einem Flugzeugabsturz 1959 ums Leben, doch seine Leidenschaft für die Fliegerei lebt weiter – in Gestalt seines Sohnes Hellmut Hirth. Der Motorrad-Bazillus hat diesen nicht befallen, und wohl nur so konnte es geschehen, dass in einem Schuppen über viele Jahrzehnte ein Motorrad verstaubte und beinahe in Vergessenheit geriet – die Siegermaschine seines Vaters von 1924. Hellmut Hirth wollte sie wieder im alten Glanz erstrahlen lassen, irgendwann so um 2005/2006 muss es gewesen sein.

Vorausschauend fahren und früh ­bremsen

Im Museum sollte sie stehen aber nicht nur im Stand bewundert werden, sondern auch im Einsatz. Peter Kuhn, technischer Leiter des Zweiradmuseums Neckarsulm, nahm sich der Maschine an, restaurierte sie innerhalb eines Jahres komplett und bewegt sie seither regel­mäßig bei Klassik-Veranstaltungen. Rost und Staub sollen nie wieder eine Chance haben. „Wir konnten fast alles verwenden, die Hirth besteht überwiegend aus Originalteilen, nur die Räder mussten wir neu anfertigen.“ Selbst der eigenwillige Rahmen mit an den Verbindungsstellen gelöteten ­Fittingen konnte verwendet werden. Der nicht mehr brauchbare Magnesium-Kolben wurde durch einen von Mahle extra angefertigten Alu-Kolben ersetzt. Mahle, einst hervorgegangen aus „Versuchsbau Hellmuth Hirth“, war schließlich auch ­damals bereits der Kolbenlieferant ge­wesen. Der Doppelkolben-Zweitakter lieferte ordentlich Leistung, von bis zu 14 PS war die ­Rede. Beim Fahrwerk schlägt die ­England-Phase von Konstrukteur Hellmuth wieder durch, Webb-Trapez­gabel und -Bremse stammen von der Insel. Peter Kuhn weiß eines sehr genau: „Man muss vorausschauend fahren und früh ­bremsen, die Wirkung der winzigen Simplex-Trommel ist äußerst bescheiden.“

Der winzige, kaum 15 Millimeter breite „Bremsbelag“ wurde aus Bremsband-Meterware passend geschnitten und vernietet. Wie Kuhn heute musste sich auch Wolf Hirth damals stets zwischen Bremsen oder Schalten im Burman-Dreiganggetriebe entscheiden – beides verlangte nach der rechten Hand. Mangels Hinterradfederung musste ein Federsattel genügen, um die derben Schläge der Rumpelpisten zu lindern. Aber Hirth, pardon, hart im Nehmen waren sie ja stets alle – über alle Genera­tionen, egal ob im Motorrad-Sattel oder im Flieger-Cockpit.

Technische Daten Hirth-Rennmaschine

Bilski
Circa 80 Kilogramm bringt die Rennmaschine von Hirth auf die Waage.

Motor:

Wassergekühlter Einzylinder-Zweitakt-Doppelkolbenmotor mit liegendem Zylinder,
Bohrung 45 mm, Hub 80 mm,
Hubraum 254 cm³,
ca. 11 bis 14 PS bei ca. 8000/min,
ein 26er-SUM-Vergaser,
handgeschaltetes Dreiganggetriebe von Burman,
Kettenantrieb

Fahrwerk:

Doppelschleifen-Rohrrahmen mit verlöteten Fittingen,
Webb-Trapezgabel vorn,
starre Zweiarmschwinge hinten,
Simplex-Halbnaben-Trommelbremsen, vorn Ø 120 mm, hinten Ø  150 mm
Gewicht ca. 80 kg
Tankinhalt 15 l

Kontakt:

www.zweirad-museum.de

Hirth-Zweitakter

Bilski
Hellmut Hirth, der Sohn des ­Solitude-Siegers von 1924, Wolf Hirth, hat die ­betagte 250er aus dem Schuppen gerettet.

Zwei in einem

Bilski
Gut gespült: Die Doppelkolbentechnik soll klare Vorteile beim Gaswechsel bringen.

Leicht muss er sein – und leistungsfähig. Der Motor, besser gesagt die Motoren, die Hellmuth Hirth ursprünglich für seine kleinen und leichten Flugzeuge konzipiert hatte, besaßen diese Eigenschaften. Sie sind aber auch im Motorrad durchaus von Vorteil, wie die Hirth-Brüder in Renn­einsätzen ja eindrucksvoll bewiesen haben. Zweitakter sparen im Vergleich zum Viertakter Bauteile, klar, Doppelkolben-Versionen machen ihr etwas höheres Gewicht durch eine bessere Effizienz, sprich höhere Leistung wieder wett. Erreicht wird dies unter anderem durch die Möglichkeit, mit Gleichstromspülung statt der unwirtschaftlicheren Gegenstromspülung zu arbeiten. Die je zwei Pleuel pro Zylinder (es gab die Doppelkolbenmotoren als Ein- und Zweizylinder, mit liegenden oder stehenden Zylindern) laufen auf einem gemeinsamen Hubzapfen. Im ovalen Brennraum entflammt eine Zündkerze das Gemisch, die beiden Auslassöffnungen münden in einen breiten, speziell geformten Krümmer. 

Hirth Archiv
Wolf Hirth im Rennen auf der Solitude 1926: Trotz widriger Wetterbedingungen und tech­nischer Probleme wurde er mit einer bravourösen Leistung Dritter.

Die berühmte Hirth-Verzahnung kommt im 250er ebenfalls zum Einsatz: Sie verbindet die große rechtsseitig montierte Schwungscheibe mit der Kurbelwelle. Aus den gut 250 cm³, die sich aus der Bohrung von 45 mm und dem Hub von 80 mm ergeben, zauberte der bereits bei niedrigen Drehzahlen recht drehmomentstarke Motor in damaligen Messungen zwischen 11 und 14 PS. Der wassergekühlte Zweitakter ist an sich zuverlässig, lediglich die an manchen Stellen arg knapp bemessene Zylinderkopfdichtung brennt schon mal durch. Und mit Sprit geht der Single ebenfalls nicht besonders zimperlich um. Wer hart arbeitet, muss eben auch trinken.

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