Foto-Show: Die Moto Villa V4 250 Grand Prix-Maschine

Sport: Moto Villa Die Grand Prix-Maschine Moto Villa V4 250

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Als die Moto Villa V4 250 GP 1969 die Weltmeisterschaftsbühne betrat, kam sie bereits zu spät, um noch auf Titeljagd zu gehen. Jetzt lebt eine Replika wieder auf.

Die Grand Prix-Maschine Moto Villa V4 250 Gadda
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Eingefleischte Rennsport-Fans erinnern sich gern an Walter Villa, jenen zurückhaltenden italienischen Star, der 1974 und 1976 auf Harley-Davidson/Aermacchi vier WM-Titel errang. Vermutlich nur wenige kennen das Unternehmen Moto Villa, das sein ältester Bruder Francesco 1967 nahe Bologna gründete. Auch er fuhr erfolgreich Motorradrennen, gewann in den späten 50er-Jahren als Werksfahrer für Ducati und Mondial viermal die Italienische Straßenmeisterschaft der 125er-Klasse und zweimal das 24-Stunden-Rennen von Barcelona. Einen guten Ruf erlangte er als Zweitakt-Tuner und Konstrukteur von Rennmotorrädern. Schon 1966 schuf er einen 125er-Zweitakter, dessen Zylinder ein V bildeten. Seine Besonderheit: Im Gegensatz zu einem echten V-Motor mit einer Kurbelwelle verfügte die 125er über zwei separate Kurbelwellen. Francesco Villas neuer Arbeitgeber Montesa interessierte sich jedoch ausschließlich für Einzylinder. Dafür zeigte Villa allerdings wenig Interesse; er hatte andere Pläne für sein Konzept und begann, an einer 250er mit luftgekühltem Vierzylinder-Zweitakter - einer Verdopplung des Zweizylinders mit drehschiebergesteuerten Einlässen - zu arbeiten. Im Frühjahr 1969 rollte die Moto Villa V4 250 GP ans Tageslicht. Doch dem Vierzylinder war kein Erfolg mehr gegönnt. 1970 beschränkte die FIM in der 250er-Klasse die Motoren auf zwei Zylinder und die Getriebe auf 6 Gänge. Die Entscheidung der obersten internationalen Motorradsport-Organisation bedeutete einen schwarzen Tag für die technische Vielfalt im Grand-Prix-Sport.

Der Villa V4 bescheinigten zeitgenössische Berichte eine Höchstdrehzahl von 14 800/min, Leistungsangaben existierten allerdings nicht. Bei Tests im Sommer 1969 auf dem Flugplatz von Modena entschieden die Brüder Villa, mit ihrer Neugeburt zumindest noch bei zwei Weltmeisterschafts-Läufen anzutreten, bevor das neue FIM-Reglement greifen würde. Walter Villa nahm daraufhin am italienischen Grand Prix in Imola teil.

In einem katastrophalen Training lief die Maschine zumeist nur auf drei Zylindern. Deswegen tauschten die Gebrüder Villa den Motor gegen den Einzylinder, den sie vorsorglich im Gepäck hatten. Damit erreichte Walter Villa den neunten Platz.

Eine Woche später in Opatija eroberte er beim letzten Grand Prix der Saison den siebten Rang. Die Karriere eines hochinteressanten Triebwerks war beendet, bevor sie richtig angefangen hatte. Der drehschiebergesteuerte 250-cm³-Motor der Villa V4 besteht aus zwei übereinander liegenden Paralleltwins, deren Zylinderpaare einen 30-Grad-Winkel bilden. Wie bei der 125er-Zweizylinder rotieren im Sandguss-Gehäuse zwei wälzgelagerte, über eine Vorgelegewelle gekoppelte Kurbelwellen. Sie treibt die linksseitig angeordnete elektronische Zündung und die auf dem Getriebe sitzende Ölpumpe an, welche Zweitaktöl direkt in die Ansaugtrakte fördert. Zusätzlich schmiert die 1:30-Zweitaktmischung die Motorinnereien.

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Ihr Erbauer: Giovanni Galafassi ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Moto Villa.

Jeweils 43 Millimeter Bohrung und Hub ergeben 249 cm³. Um die Kühlung zu opti­mieren, sind die Zylinderpaare stark verrippt. Eine Wasserkühlung lehnte Francesco Villa aus Gewichtsgründen und wegen des größeren technischen Aufwands ab. Bei der Original-Rennmaschine sorgten vier Dell’Orto-Vergaser mit 27 Millimetern Durchmesser für die Gemischbildung. Eine Trockenkupplung übertrug das Drehmoment des Motors auf das Achtganggetriebe.

Der einzige jemals fertiggestellte Moto Villa V4 250 GP-Prototyp ist heute im Besitz eines Schweizer Sammlers. Ein weiteres, nicht vollständig aus Originalteilen bestehendes Exemplar, ist in Italien bekannt. Mittlerweile hat Giovanni Galafassi, ein ehemaliger Mitarbeiter von Moto Villa, eine Replika jener V4 aufgebaut, die er in den 70er-Jahren auf dem Werksgelände zufällig während einer Mittagspause entdeckte. „Als ich die V4 250 zum ersten Mal sah, war es wie die Begegnung mit einer wunderschönen Frau“, schmunzelt Giovanni heute, als wir auf der Pirelli-Teststrecke nördlich von Mailand neben seiner Belladonna stehen. Ihr Kleid strahlt in den Werksfarben Orange und Weiß mit der Sonne um die Wette. Einige Zeit nachdem Galafassi das Unternehmen verlassen hatte, begann er, Teile und Pläne zu sammeln. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, eine authentische Replika der Moto Villa V4 GP aufzubauen. In Francesco fand er die beste Unterstützung für sein Projekt, die er sich wünschen konnte: Viele Originalteile trieben sie in den Beständen des Unternehmens auf; manche musste er neu anfertigen, wieder andere suchte er auf Märkten und bei Händlern zusammen. 1999 begann Giovanni mit dem Objekt, 2009 war es endlich fertig.

Ein beißendes Keifen schießt aus den vier langen, fingerdünnen Röhrchen der Auspuffanlage, als Giovanni und sein Helfer die Maschine zum Leben erwecken. Unerwartet komfortabel fällt die Sitzposition aus, obwohl sie für den kleinen Walter Villa konzipiert war. Mein Kopf passt kaum hinter die Cockpit­kanzel, Arme und Knie umschließen den Tank eng. Die Rasten liegen sind gut positioniert. Mit Nachdruck muss der rechte Fuß die Schaltwippe betätigen, um den ersten Gang einzu­legen. Auf alten Bildern ist zu erkennen, dass an der Original-Maschine die Schaltwippe, untypisch für italienische Verhältnisse, links montiert war.

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Die beiden im 30-Grad-Winkel zueinander liegenden Zylinderpaare der Moto Villa V4 verfügen jeweils über eine eigene Kurbelwelle.

Nicht nur die Trockenkupplung verlangt eine kräftige Hand, auch der Gasgriff hat es in sich: Vier Züge öffnen das Rundschieber-Quartett der Dell’Orto-Zentralschwimmervergaser mit 27 Millimetern Durchmesser. Galafassi wählte sie anstelle der originalen Teile, um eine gleichmäßigere Leistungscharakteristik zu erreichen. Erhöhte Konzentration ist vor Haarnadelkurven trotzdem erforderlich: Die rechte Hand unterstützt mit Zwischengas das flotte Herunterschalten und muss zugleich herzhaft am Bremshebel ziehen, um die Maschine vor der Kehre abzubremsen. Nach einiger Ein­gewöhnung überrascht der Motor mit einer erstaunlich guten Fahrbarkeit für einen Drehschieber-Mehrzylinder aus den späten 60er-Jahren. Bereits ab knapp 8000/min reißt er hart an, dreht willig hoch und zieht satt aus den Kurven, bis ihm bei etwa 12 500/min die Puste ausgeht. Die Abstimmung ist eher konservativ: Er leistet etwa 45 PS, mit deutlichem Potenzial nach oben. Statt dem originalen Achtgang-Getriebe hat Galafassi eine Sechsgang-Einheit verbaut.

"Ich habe versucht, eine authentische Replika zu bauen. Einige meiner Verbesserungen hätte das Unternehmen damals sicher ebenfalls so umgesetzt, wenn es mit dem Motorrad weiter Rennen gefahren wäre", erklärt er.

Mit den Optimierungsmaßnahmen meint er auch die leichten Änderungen der Steuerzeiten, um eine fülligere Drehmomentkurve zu erreichen. Feingewuchtete Kurbelwellen und eine elektronische Zündung ergänzen die Detailarbeiten. Den Rahmen bildete er aus Chrom-Molybdän-Stahlrohren nach. Er konstruierte ihn so, dass für den Motorein- und -ausbau die Zylinder nicht mehr demontiert werden müssen, wie es damals beim Verlicchi-Rahmen notwendig war. Markant trägt die Verkleidung vier Ausbuchtungen, hinter denen sich die Vergaser verbergen.

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Dieser Anblick war der Konkurrenz nur kurz gegönnt.

Bereits nach wenigen gefahrenen Metern offenbart die Villa V4 ihre Handlichkeit. Die Metzeler ME22-Bereifung bietet genügend Haftung, um die Leistung in jeder Situation sicher auf den Boden zu bringen. Lediglich in schnell gefahrenen Schikanen wirkt die Villa etwas schwerfällig. Die Ceriani-Grand-Prix-Gabel mit 35 Millimetern Standrohrdurchmesser markierte damals das Maß der Dinge und sorgt in Kombination mit den beiden Federbeinen aus gleichem Haus für Ruhe. Keine Probleme mit der trocken 125 Kilogramm leichten Rennmaschine haben die gut abgestimmten Fontana-Trommelbremsen: Sie geben dem Fahrer jederzeit sensibles Feedback und bieten gute Dosierbarkeit. Vorne verzögert eine Doppelduplex-Trommel mit 210, hinten eine Duplex-Bremse mit 200 mm Durchmesser.

"Es bereitet mir große Befriedigung, die V4 auf der Rennstrecke fahren zu sehen, nachdem ich zehn Jahre meines Lebens in ihren Aufbau investiert habe", gesteht ihr Erbauer Giovanni Galafassi. Die Moto Villa V4 250 GP ist eines jener Motorräder, die nur in ausgesuchten Bildbänden über klassische Rennmotorräder zu finden sind. Zu spät geboren, um auf der internationalen Bühne noch für Furore zu sorgen, dient sie heute als Zeitzeuge der technisch hochspannenden GP-Geschichte der 60er-Jahre. Sie konnte ihre Leistungsfähigkeit nie beweisen; die Änderung des Regelwerks degradierte die Villa V4 GP zu einem Statisten der GP-Geschichte.

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Das ehemalige Produktionsgebäude von Moto Villa.

Nicht nur als Rennfahrer erlangte der älteste der Villa-Brüder, Francesco, einige Berühmtheit. Er war auch ein begnadeter Konstrukteur. 1962 entwarf er bei Mondial eine GP-Rennmaschine mit einem 50 cm³ großen drehschiebergesteuerten Einzylinder, mit dem er selbst Erfolge einfuhr. Früh erkannte er das Potenzial von Drehschiebersteuerung und Resonanzauspuffanlagen für Zweitakter, wie sie Walter Kaaden bei MZ eingesetzt hatte. Er verlagerte sein Engagement vom Rennfahrer immer mehr zum Entwickler. Ab 1965 baute er Zweitakt-Motoren für Montesa und übernahm den Generalimport für Italien. 1967 begann Francesco, unter dem Namen Moto Villa Motorräder zu konstruieren, und präsentierte 1969 zwei verschiedene Konzepte für die 250er-Klasse: einen Einzylinder-Zweitakter mit 244 cm³ und den Vierzylinder der V4 250 GP. Zeitgleich begann das Unternehmen, Geländemaschinen mit 175 und 250 cm³ Hubraum zu produzieren.

1970 wandte sich Francesco Villa dem Geländesport zu. 1974 eröffnete Moto Villa ein zweites Werk, um Zweitakt-Geländesportler herzustellen. Bald schon überstieg die Jahresproduktion 4000 Motorräder, und Moto Villa investierte in eine separate Motoren-Manufaktur. 1980 ging Francesco Villa für einige Jahre nach Mexiko, um dort mit dem Hersteller Carabela ein Offroad-Joint-Venture aufzubauen. Seine Frau Roanna führte die Geschäfte in Italien fort. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Berater für Lamborghini. Derweil entwickelte Moto Villa einen neuen 125-cm³-Einzylinder-Zweitaktmotor, mit dem der junge Luca Cadalora 1982 die Italienische TT4-Meisterschaft gewann. Weitere Erfolge erlangte Claudio Lusuardi: Er beendete die Motorrad-WM 1982 und 1983 auf einer 50er-Moto Villa jeweils als Dritter. 2002 starb Walter Villa im Alter von 58 Jahren. Noch im selben Jahr verkaufte die Familie die Marke aufgrund gesunkener Nachfrage an den malaysischen Modena-Konzern. Francesco Villa ist heute Mitinhaber eines Unternehmens, das Replika-Teile für Moto Villa-Maschinen produziert, die an historischen Geländesport-Veranstaltungen teilnehmen.

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