Das letzte Jahrtausend zählte gerade zwei Jahrzehnte, da kamen sie in Schleiz auf die Idee, auf Zeit ums Eck zu biegen. 1923 erfassten die Chronometer erstmals die Sekunden. Das genügt fürs Prädikat älteste Naturrennstrecke Deutschlands. Natur deshalb, weil die Piste die meiste Zeit im Jahr als herkömmliche Straße dient – gewürzt mit Curbs, Kiesbetten und Tribünen.
Kompletten Artikel kaufen
BMW R nineT Racer und Triumph Thruxton R im Vergleichstest
Racing und Rheuma
Sie erhalten den kompletten Artikel (8 Seiten) als PDF
Die richtige Spielwiese für BMWs R nineT Racer und die mit dem Track Racer-Paket bestückte Triumph Thruxton R – bei so viel Rennsport im Namen. Auf die letzten Sekunden sind wir nicht aus. Nur flott ums Eck biegen mit Racing-Flair: Das wär es doch. Also los, auf Achse nach Schleiz.
Start Stuttgart, in Bayreuth die erste Pause. Wagner lockt, Prunk passt ja irgendwie auch zu den beiden Heizeisen. Aber deswegen wurden die Seitenständer nicht ausgeklappt. Es zwickt mächtig im Rücken des BMW-Piloten, Rheuma im Anflug. Dem Triumph-Treiber geht’s marginal besser. Die R nineT Racer basiert auf der R nineT Pure. Ein paar Bauteile rücken sie mehr in Richtung Rennsport. Die knappe Halbschale fällt sofort auf. Dazu finden die Füße auf weiter hinten platzierten Rasten Halt. Der Rohrlenker wanderte ins Regal, jetzt greifen die Hände zu Stummeln. Weit vorne an der oberen Gabelbrücke aus geschmiedetem Aluminium befestigt. Dazu die Gabel ein gutes Stück durch die Brücke nach oben geschoben. BMW vermeldet, dass dieses Arrangement den Fahrer in eine dynamische Sitzposition zwingt. Zwingen klingt nicht besonders euphorisch. Es trifft aber zu. Entspannung und BMW R nineT Racer fahren, das findet im Alltag schwer zusammen. Und besonders dann nicht, wenn der Kopf in engen Kurven Richtung Ausgang blicken will – weil der Helm ein ums andere Mal gegen den Nacken stößt, sobald die Arme die Lenkerstummel nicht komplett durchgestreckt fassen.
Auf der Triumph fliegen die Kilometer lockerer unter den Reifen durch. Der Tank ist kürzer, der Kniewinkel im Vergleich touristisch entspannt. Einzig die Lenkerstummel, die im Gegensatz zur normalen Thruxton tiefer angeklemmt sind, dürften gerne offener angebracht sein. Im Stile alter Rennmopeds besitzen sie eine weit nach unten und hinten ausgelegte Kröpfung. Gut fürs Kleinmachen bei Topspeed, im kurvigen Leben aber nicht von Vorteil.
Ein Orthopäde war auf die Schnelle nicht aufzutreiben, der Lockruf der Schleizer Piste lässt den Schmerz vergessen. Was auch am Motor der BMW liegt. Frech streckt er seine Zylinder in den Fahrtwind, ein Ölkühler bewahrt ihn vorm thermischen Tod. Der Antritt des Boxers: nachdrücklich. Seine Drehzahlmitte: feist. Kurz vorm Begrenzer: immer noch Schub. Der Flattwin bollert trotz Klappe vor Lebenslust. Einzig wenn das Gasseil wenig gespannt ist, nehmen seine Lebensäußerungen ab. Aber wer will das schon? Klar, politisch korrektes Verhalten sieht anders aus. Wer diesen Boxer und seine Dynamik aber nicht mit Freude zu schätzen weiß, sollte aufs Elektro-Bike umsteigen.
Das sehen sie bei Triumph ähnlich. Damit die Thruxton nicht im Schall-Gewitter der BMW untergeht, zieren sie edle Vance & Hines-Töpfe mit Zulassung. Die stärken den Klang des britischen Zweiers, ohne die rotzige Dominanz der BMW aufzuweisen. Wobei die Sache mit dem Sound für den Triumph-Fahrer noch einen Haken hat: Vom schönen Schlag des wassergekühlten, 1197 cm³ messenden Reihenmotors mit 270 Grad Kurbelwelle bekommt er wenig mit. Hinter der Thruxton klingt’s dafür richtig fett.
Der vergleichsweise gesittete Auspuffsound ist Synonym für das Wesen der Thruxton: Sie ist ein Gentleman. Ihr Kühlrippen-verzierter Motor erklärt Kultiviertheit zur Maxime. Alles gestriegelt und gebügelt im besten Sinn. Unten, in der Mitte, oben, überall zeigt der Zweier Präsenz, eilt wohlerzogen durchs Drehzahlband. Ohne Tiefen, aber auch ohne richtige Höhen. Präzise wie das Besteck in der Hand eines Chirurgen sprechen die stabile Showa-Upside-down-Gabel und die Öhlins-Stereodämpfer an, beide voll einstellbar. Stark gedämpft stemmen sich Front und Heck gegen jeden Versuch, sie beim Bremsen oder Beschleunigen in die Knie zu zwingen. Im Zusammenspiel mit den schmalen Reifen auf den glänzenden Speichenfelgen huscht die Thruxton nur so ums Eck. Dazu kommt noch die feine Anti-Hopping-Kupplung, die beim Runterschalten ein stempelndes Hinterrad vermeidet. In Betragen und Umgangsformen stände klar eine Eins im Zeugnis. Ein Racer im Edelzwirn.
Da kommt die BMW nicht heran, gibt sich rüpelhafter. Im Marketing-Jargon: charakterstärker. Auch wenn der erste Gang ohne Klong das passende Zahnradpaar im Sechsganggetriebe zur Arbeit befehligt, so geschmeidig wie auf der Triumph läuft es bei ihr nie ab. Bei jedem Gasdreh im Stand zuckt der 1170 Kubik große Boxer zur Seite. Den Befehl Vollgas bei niedriger Drehzahl setzt er willig, aber niemals ohne Ruck um. Und sein Fahrwerk kommt nicht an die Güte des Triumph-Pendants heran. Einfache 43er-Gabel und ein zumindest in Vorspannung und Zugstufe justierbares Heck: Hausmannskost im Fahrwerksbau. Das bleibt nicht ohne Konsequenz. Vorne mehr Dämpfung wäre schön, hinten funktioniert’s mit leicht erhöhter Vorspannung (plus eine Umdrehung) und einer nur noch um eine Umdrehung geöffneten Zugstufe passabel. Das ist nicht ganz unwichtig, damit die BMW nicht zum sturen Klotz wird. Radstand und Nachlauf? Lang. Lenkkopfwinkel? Groß. Soll der Einbaum auf zwei Rädern dynamisch ins Kurvige gepresst werden, hilft nur festes Zupacken. Die weit gespreizten Stummel entschlossen gegriffen und den Boxer auf Linie zwingen, dann klappt’s.
Wobei das genau in diesem Moment entscheidend wird, der eilige Boden Schleiz liegt vor uns. Die Mittellinie auf der Landstraße verschwindet plötzlich, jedes Steinchen im Asphalt signalisiert Rennstrecke. Wohlgemerkt: reglementiert und mit Gegenverkehr. Trotzdem atmen die beiden Bikes und ihre Fahrer hörbar auf. Wie im Rausch brausen wir die Seng hinunter, wischen tief geduckt über die Startlinie. Die Motoren pulsieren mit Nachdruck im oberen Drehzahlbereich. Kaum vorstellbar, wie das hier im Rennbetrieb sein muss.
Sprachen wir irgendwann einmal von Schmerzen? Die sind weg. Nach drei Runden kennt das Hirn die Strecke. Die Sitzpositionen finden ihre Bestimmung, machen nach 400 Kilometern Anreise zum ersten Mal richtig Sinn. Ganz gentlemanlike lässt die Triumph der BMW den Vortritt. Das liegt weniger an ihrer guten Erziehung als vielmehr am Boxer. Gegen dessen Schub und Drehvermögen fehlt ihr der entscheidende Biss. Dafür begeistert ihre Leichtigkeit. Fahrradgleich sticht sie durch die Schikanen, setzt im Gegensatz zu den langen Angstnippeln der BMW nicht auf. Erst die tief stehende Sonne beendet das beherzte Treiben mit den zweien. Reine Racer sind sie wahrlich nicht. Sportlich flott können sie aber ohne Tadel. Wären sie damit etwas für die eigene Garage? Der Blick aufs Preisschild ruft schnell die Rückenschmerzen in Erinnerung. Als Ausrede, damit der Familienfrieden gewahrt bleibt und einen die Bank nicht ins Tiefrote des Kontos treibt. Aber wenn Schleiz nur ein wenig näher an zu Hause dran wäre, dann …