Realisiert hat dieses Projekt der exzentrische Brite Allen Millyard, 47, der sich in der Motorradszene bereits mit spektakulären Vielzylinder-Eigenbauten einen Namen gemacht hat. Die Idee zur Viper hatte Millyard bereits im Jahr 2004 auf dem Festival of Speed in Goodwood. Millyard bestaunte die Dodge Tomahawk, eine Mischung aus Auto und Motorrad, bei der ein V10-Motor mit acht Litern Hubraum als Antrieb in einem Chassis steckte, das vorn und hinten auf Zwillingsreifen stand.
Die Tomahawk war unfahrbar, wurde aber neun Mal gebaut und zu einem Stückpreis von 500000 Dollar an Sammler verkauft. Das kann ich alles besser, dachte sich Millyard und ersteigerte bei Ebay für rund 5000 Euro einen gebrauchten V10 mit 8,3 Litern Hubraum. Der Startschuss für sein Projekt fällt im Juli 2007. Sechs Monate später sitzt das Triebwerk bereits in einem selbstgebauten Stahlchassis mit Rädern. Ein Jahr später drückt Millyard zum ersten Mal auf den Anlasser. Es haut ihn fast in Nachbars Garten.
Das Rückdrehmoment des mächtigen Antriebs ist beim Startvorgang und besonders bei harten Gasstößen derart enorm, dass die Viper jedes Mal wie von einer Riesenfaust getroffen nach rechts schwingt. Um diesen Effekt zu mildern, ersetzt Millyard das schwere Schwungrad aus Stahlguss gegen ein leichtes aus Aluminium. Die meisten Teile sind in Handarbeit nach Feierabend entstanden und bestehen aus Stahl, der entweder lackiert oder pulverbeschichtet wurde.Doch 712 Newtonmeter bei 4200 Umdrehungen spotten jeglicher Beschreibung. Der Antrieb dreht seidenweich. Und grollt dabei wie ein Dinosaurier, dem man sein Fressen wegnehmen will. Bei jedem noch so winzigen Gasstoß windet sich die Viper kurz, und schnellt dann blitzartig nach vorn. Beschleunigen aus Schrittgeschwindigkeit ist besonders imposant, da schießt das Monster mit Urgewalt voran.

Die Schwinge stemmt sich am Rahmen mit zwei Yamaha-R1-Federbeinen ab, Tank und Sitzbank stammen von einer 1970er-Kawasaki H1. Im April 2008 steht die Maschine nach zusammengerechnet einem Jahr harter Arbeit zu Probefahrten bereit. Bei ersten Testläufen erreicht das 630 Kilogramm schwere Ungetüm knapp 250 km/h. Um der Maschine auf den Zahn zu fühlen, bringt Millyard seine Viper auf den Hochgeschwindigkeitskurs nach Bruntingthorpe. Wie erwartet setzt die Viper neue Bestmarken: Für den Durchzug von 100 auf 210 km/h braucht der Eigenbau nur 7,35 Sekunden rund 3,5 Sekunden weniger als eine Yamaha Vmax und halb so viel wie eine Triumph Rocket mit 2,3-Liter-Motor.
Kurios: Durch einen Konstruktionsfehler konnte Millyard bei den Messfahrten die Drosselklappen angeblich nur halb öffnen. Unser englischer Kollege Trevor Franklin darf die Viper weltexklusiv als erster fahren. Und fühlt sich dabei „wie ein Hühnchen überm Lagerfeuer“, weil Motorblock, Krümmer und Auspuff eine unglaubliche Hitze abstrahlen. Auch liegt man förmlich auf dem Tank wegen des großen Abstands zwischen Sitzbank und Lenker. Die gewaltige Sitzhöhe in Verbindung mit dem hohen Gewicht ist respekteinflößend und beim Anhalten ein echtes Manko. Jeder unvorsichtige Dreh malt Streifen auf den Asphalt. Hier kein Gummi zu lassen, ist die hohe Kunst. Die Viper erzählt dir auf jedem Zentimeter, dass du sie nie richtig beherrschen kannst.
Als Franklin nach einigen Runden stoppt, kritisiert er zwar das Ansprechverhalten der Federelemente und lobt die Bremsen, doch er sucht vergeblich nach Worten für das Gefühl der gigantischen und doch völlig relaxten Power. Allen Millyard ist zufrieden: Seine Viper wurde von den Behörden für straßentauglich befunden und zugelassen, neun weitere Exemplare will er noch bauen. Und wenn das Drosselklappenproblem behoben ist, soll die Viper 300 km/h erreichen. Vorausgesetzt, ein Windschild schützt den Fahrer davor, von der Maschine geblasen zu werden. Ungeachtet dessen denkt der Bastler über eine Hubraumvergrößerung auf zehn Liter nach. Die würde die Leistung auf 850 PS pushen. Die spinnen doch, die Briten.
Technische Daten der Millyard Viper V10

Motor
Flüssigkeitsgekühler V10-Motor, Ursprung Dodge Viper SRT-10
Bohrung x Hub: 102,4 mm x 100,6 mm
Hubraum: 8277 cm³
Leistung: 372 kW (500 PS) bei 5600/min
Drehmoment: 712 Nm bei 4200/min
Fahrwerk
Stahlrohr-Rahmen, Motor und Getriebe mittragend, Stahlschwinge mit zwei direkt angelenkten, voll einstellbaren Federbeinen, 75er-Upside-down-Gabel, AP-Lockheed-Scheibenbremse vorn, 310 mm, mit zwei Sechskolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, 320 mm, Sechskolben-Festsattel. Outlaw Triad-Alufelgen v/h
Reifen vorn/hinten: 180 x 18/280 x 20
Bereifung: Avon Venom
Maße+Gewichte
Gesamtlänge 2742 Millimeter, Radstand 2032 Millimeter, Gewicht vollgetankt 630 kg, Tankinhalt 15 Liter.
Verbaute, teilweise
abgeänderte Teile
JCB-Standrohre, Hagon-Gabelfedern, Yamaha R1-Federbeine, Kawasaki-H1 500-Tank mit Triumph Rocket III-Einfüllstutzen, Honda Fireblade-Rücklicht, Koso-Cockpit, Honda NTV 650-Spiegel, Honda ST1100-Bremszylinder, Suzuki TL 1000 S-Schaltgestänge und -umlenkung, Auspuffanlage Eigenbau mit NASA Space Shuttle-Hitzeschutz-Teilen.