Montagmorgen. Anruf von Moto Guzzi in der Redaktion: Zeit und Lust, in Rom der neuen V7 Café Classic auf den Zahn zu fühlen? Außerdem der renovierten 750er-Schwester Nevada und der Special Edition der Griso 8V? Ja klar. Passt doch ideal: Rom, Ewige Stadt. 90-Grad-V2, ewiges und schon lange einziges Antriebskonzept bei Guzzi: luftgekühlt, die Zylinder exponiert und dennoch hoch aufragend in den Fahrtwind gereckt. Toll. Und dann der Name. V7 Café Classic. Klingt doch schon so, wie ein gut geschäumter Cappuccino duftet.
Sieht auf den ersten Blick jedenfalls lecker aus, die Neue. Keck zitiert der matte, gelb-grüne Lack die legendäre V7 Sport von 1972. Schon irre, wie verführerisch Stummel-Lenker, üppige Höckersitzbank und moderat hoch gelegte Auspufftöpfe wirken um die einzigen technischen Unterschiede zur 2008 vorgestellten V7 Classic aufzuführen. Ansonsten blieb alles beim Alten. Oder besser: beim Neuen, das auf alt macht. Rahmen, Reifen, Speichenräder und Federelemente teilen die beiden Schwestern ebenso wie den 17-Liter-Kunststoff-Tank und den 744-cm³-Zweizylinder mitsamt Kardanantrieb. Ja, die Italiener haben ein Gespür für Stil und Formen, da stimmt alles. Zumindest aus einigen Metern Entfernung betrachtet. Der gute Eindruck hält sich nicht mehr ganz, wenn man dicht herantritt, auf Tuchfühlung geht. Bei der Konstruktion der Café Classic hat schon ganz schön viel Rotstift regiert. Hier sind die günstigsten Komponenten der europäischen Zulieferindustrie verbaut. Beide Handhebel sind in der Griffweite nicht verstellbar. Billig-rustikal wirken Leuchten wie Kotflügel aus Kunststoff, haufenweise verchromtes Plastik und derb zusammengebrutzelte Schweißnähte. Ist das noch Vorserie oder bereits der endgültige Serienstandard?

Von mäßiger Verarbeitung künden auch schlecht entgratete Kunstoffteile, noch dazu bei diesen wirklich schönen Seitendeckeln. Sie stammen mit ihren waagerechten Reihen von Gitterchen ebenfalls eins zu eins von der Classic. Und zitieren damit die Ur-V7 von 1967, konzeptionell die Urmutter aller heutigen Guzzis. Doch die Café Classic soll ja eine Hommage an die legendäre V7 Sport sein. Und die trug charakteristisch aus drei Dreiecken aufgebaute Seitendeckel. So, wie sie hier und heute farblich angedeutet sind. Ist eh egal. Denn die von 1972 bis 1974 gebaute Sport durchbrach mit serienmäßigen 62 PS die magische Grenze von 200 km/h. Die stolze 750er war damals eines der schnellsten Motorräder der Welt. Sie hatte ferner ein Fahrwerk, das dem der potentesten Japaner weit überlegen war. Diese Fußstapfen sind der Nachfolgerin dreieinhalb Jahrzehnte später mehrere Nummern zu groß. Sie leistet bei nahezu identischem Hubraum wie einst bescheidene 48 PS, mit Einspritzung und Lambda-Sonde. Da war die 91 PS starke V11 Sport im Jahr 1999 schon authentischer.
Wo bleibt im Zeichen des Adlers der Fortschritt?
Lang liegend wären heute vielleicht 170 Sachen drin. Aber wie soll man das wissen? Moto Guzzis Mutterkonzern Piaggio hat entschieden, während der Präsentation der neuen Modelle Rom gar nicht zu verlassen. Das habe sich bei ähnlichen Veranstaltungen mit Rollern ja auch bewährt... Hmm. Der mal wuselige, mal anarchistische Verkehr beansprucht fast die ganze Konzentration: Sich nicht abdrängen lassen, den Vordermann im Blick behalten und den Hintermann nicht verlieren. Geht doch! Smooth und elastisch lässt der Small-Block-V2 seine Pferde vom Zaume. Ist schon okay, der Vortrieb im rein urbanen Dschungel. Sonor genug klingt die 750er. Kehlig schnorchelt sie die Luft an, wohlig-dumpf pufft sie die Abgase aus. Soundtechnischist die Kleine eine Große. Nur ans Ausdrehen des Twins ist nicht zu denken, und über den dritten, vielleicht mal vierten Gang kommen wir nie hinaus. Lang sind die Schaltwege, teigig das Schaltgefühl. Immerhin rasten die fünf Fahrstufen exakter als in den 1970er Jahren. Butterweich lässt sich die Kupplung ziehen. Immer wieder schön: Wie sich jede Moto Guzzi beim Gasstoß im Leerlauf erst nach rechts neigt, dann nach links und schließlich zurück in die Mittellage. Alles bedingt durch das Rückdrehmoment der quer zur Fahrtrichtung rotierenden Kurbelwelle. Da tanzt, stampft und lebt etwas unter einem.
Wunderbar einfach lässt sich die laut Werksangabe fahrfertig 198 Kilogramm leichte Maschine um die Fiats dirigieren, zirkelt Pirouetten um ausladende Lkw und tapsige Touristen. Schmale Reifen wie damals fördern das einfache Handling. 100 Millimeter vorn, 130 hinten. Wenigstens zeitgemäß auf 17-Zoll-Rädern. 18-Zöller waren gestern. Und offenbar kompensiert der recht kurze Radstand (1449 Millimeter) den recht flachen Lenkkopfwinkel (62,5 Grad). Leichtes Spiel haben die Bremsen, schließlich beißt vorn ein Brembo-Vierkolbensattel auf die Einzelscheibe. Komfortabel sind 40er-Marzocchi-Gabel und Sachs-Federbeine abgestimmt. Denn auch in Italiens Hauptstadt gibts derbe Schlaglöcher und Frostaufbrüche. Beim Versuch, es etwas sportlicher anzugehen, scheint es den weichen Federelementen an Dämpfungsreserven zu fehlen. Nur recht bescheiden haften die brasilianischen Metzeler Lasertec-Reifen. Vermutlich wären Bridgestone BT 45 die bessere Wahl. Die Sitzposition passt. Nicht halb so sportlich, wie es die Lenkerstummel zuerst vermuten ließen. Lässig beugt man sich nicht zu tief über den extrem schmalen Tank. Der fette Höcker und die fehlenden Soziusrasten vereiteln Soziusbetrieb. Der deutsche Importeur überlegt, letztere samt einer Zweipersonen-Sitzbank beim Kauf zum Preis von 8500 Euro als Dreingabe mitzuliefern.
Der erste Fotostopp mitten in der Metropole ist völlig ungeeignet, die Italiener brechen die Aktion ab. Zu viel Verkehr. Die Location war vermutlich gestern noch ein Geheimtipp. Nicht weiter darüber nachdenken... Noch ein Versuch. Zwar keine wirkliche Kurve, mehr so eine Art abknickender Vorfahrt auf einem der Hügel Roms. Aber es geht, endlich kann der Fotograf in Aktion treten, siehe Aufmacherfoto. Jetzt schnell noch mal auf die bereitstehende Nevada und Griso SE gewechselt. Doch bald endet das Treiben. Nach zwei Stunden Fahrzeit und 23 Kilometern Fahrstrecke heißt es: ab zum Flugzeug. Halt, erst noch die DVD mit den Fotos! Solch Ansinnen überrascht die Guzzi-Leute etwas. Darauf noch warten? Klappt aber dann doch noch irgendwie. Einem alten Witz zufolge ist der Himmel in Europa dort, wo Italiener die Liebhaber sind, die Hölle, wo sie organisieren. Ist vielleicht etwas dran, das Zeug zum Herzensbrecher hat dieser Café Racer von der Stange, die Café Classic, jedenfalls.
Technische Daten - Moto Guzzi V7 Café Classic

Motor
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, eine unten liegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Stoßstangen, Kipphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, ø 36 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 330 W, Batterie 12 V/14 Ah, mechanisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kardan, Sekundärübersetzung 4,825.
Bohrung x Hub 80,0 x 74,0 mm
Hubraum 744 cm³
Verdichtungsverhältnis 9,6:1
Nennleistung 35,5 kW (48 PS) bei 6800/min
Max. Drehmoment 55 Nm bei 3600/min
Fahrwerk
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, ø 40 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, zwei Federbeine, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, ø 320 mm, Vierkolben-Festsattel, Scheibenbremse hinten, ø 260 mm, Zwei-kolben-Festsattel.
Speichenräder mit Stahlfelgen 2.50 x 18; 3.50 x 17
Reifen 110/90 18; 130/80 17
Maße+Gewichte
Radstand 1449 mm, Lenkkopfwinkel 62,5 Grad, Nachlauf 109 mm, Federweg v/h 130/118 mm, Sitzhöhe 805 mm, Trockengewicht 182 kg, Tankinhalt/Reserve 17,0/2,5 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farbe Grün
Preis inkl. Nebenk. 8500 Euro
Aufgefallen
Positiv
+ Sound einfach ein schöner Klang
+ Design elegantes Retro-Styling
+ Leistungsentfaltung berechenbar
+ Anfängerfreundlich optional 34-PS-Version
+ Handling/Gewicht einfach zu fahren, leicht
Negativ
- Verarbeitung mäßig
- Getriebe lange Schaltwege
- Fahrleistungen wegen geringer Power mau
- Alltagseignung mit Einmannhöcker gering
Moto Guzzi Nevada 750 - Der Mitläufer
Ja, es gibt sie noch, sogar mit etwas Modellpflege: Die einfach zu fahrende Nevada hält bei Guzzi die Fahne der Softchopper hoch.

Vom ersten Blick darf man sich nicht täuschen lassen. Klar erinnert die Nevada an japanische Softchopper aus den 80ern. An eine Motorradgattung also, die wohl zu Recht in der Versenkung verschwunden ist.
Die Insignien der Italo-Braut jedenfalls erinnern ziemlich an die Viragos und LTDs, Customs und Specials: Peinliche Lufthutzen aus verchromtem Plastik, Hischgeweih-Lenker, Stufensitzbank und unentschlossene Sitzposition etwa. Man hockt irgendwo zwischen relaxed und gewollt, aber nicht gekonnt. Auf der anderen Seite hat das sogar was: Für Sightseeing-Touren taugt die aufrechte Haltung des Oberkörpers ideal.Insofern trägt die einfach so im Programm mitlaufende Nevada ita-lienisches Dolce Vita in sich. Ein Motorrad für Leute, die einfach nur einen fahrbaren Untersatz wollen, denen ein noch praktischerer Großroller aber zu wenig Stil oder Dampf hat.
Nun sind zwar 48 PS und 55 Newtonmeter eine ziemlich bescheidene Ausbeute für eine 750er. Allerdings müssen sie hier, ganz chopper-untypisch, nur rund vier Zentner anschieben: Moto Guzzi nennt 198 Kilogramm als fahrfertiges Gewicht, den wenig voluminösen 14-Liter-Tropfen-Tank vollgefüllt inklusive. Auf ihren schmalen Reifen rollt die Nevada viel quirliger, handlicher und berechenbarer als alles echte Schwermetall. Vorn rotiert ein 110/90-18er, hinten ein 130er-16-Zöller. Neu beim Modelljahr 2009: die Auspuffanlage mit den nun tief platzierten Schalldämpfern. Die Endtöpfe sind ein Erbgut der V7 Classic. Ferner präsentieren sich die Instrumente modifiziert. Dazu gibt es neue Farben: Neben dem gezeigten modischen Weiß klassisches Bordeaux-Rot. Entfallen ist der Namenszusatz Classic, der Preis wurde leicht erhöht auf 8390 Euro inklusive Nebenkosten.
Moto Guzzi Griso 8V SE - Ein anderes Kaliber
Mit mattem Zweifarb-Lack, Speichenrädern und feinen Details wird die Griso zuredlen Special Edition.

Punch und Postmoderne, das sind die Pole, welche die Moto Guzzi Griso 8V vereint. Ihre Quattro Valvole-Köpfe mit den à la BMW-Boxer hochgelegten, nicht oben liegenden Nockenwellen erlauben höhere Drehzahlen und mehr Gasdurchsatz als der antiquierte Zweiventiler zuvor. Satte 110 PS Nennleistung sind für den luftgekühlten Boliden ein Wort. Der Ölkühler sitzt rechts vom traditionell verrippten Motorgehäuse. Dort, wo sich links die martialischen, armdicken Edelstahlkrümmer aneinander schmiegen. Die Gestaltung des Endschalldämpfers und der Alu-Einarmschwinge mit Momentabstützung folgt dem Design eines waschechten Muscle-Bikes.
Die stylishe, gut verarbeitete Griso 8V avancierte in Deutschland gar zum bestverkauften Modell aus Mandello. Nun schiebt Guzzi ihr die Special Edition hinterher. Bei der SE kontrastieren mattgrüner Lack und beigefarbene Zierstreifen mit reichlich schwarzen Metallteilen: Der Stahlrahmen und das Motorgehäuse sind ebenso dunkel gehalten wie der breite, konifizierte Lenker oder das Instrumentengehäuse. Gleiches gilt für die 43er-Upside-down-Gabel, die Schwinge, und die Alu-Felgen von Excel. Letztere hängen an klassischen Drahtspeichen. Den Mix aus Traditio-nellem und Modernem setzt die braune Sitzbank mit unterschiedlichen Bezügen für Sitz- und Seitenflächen fort. Auf den ersten Blick sieht das aus wie echtes Leder.
Diese Komposition stimmiger Proportionen und feiner Formen zielt durchaus auf das Harley-Klientel. Die Bremsperformance allerdings liegt deutlich über dem der meisten Ami-Bikes: radial angeschlagene Brembo-Festsättel verzögern vorn. Die stramm zu ziehende Kupplung und knapp 250 Kilogramm Kampfgewicht erfordern im Stadtverkehr von Rom Kompromisse. Doch der Antritt stimmt. Zumindest, wenn man über oder unter dem lästigen Drehmomentloch zwischen 3000 und 5000 Touren bleibt. Die Special Edition kostet 13900 Euro, 600 Euro mehr als die Standard-Griso.