Nicht zu laut tönen die aneinander geschmiegten, schlanken Auspufftüten. Sie hat Michael im Hoske-Stil selbst gebaut. Und sie auf Hitzeband-ummantelte Krümmer einer R 1100 RT verpflanzt, die jedoch früh aufsetzen. Los! Die Drehzahlmessernadel im Chronoclassic-Instrument von Motogadget schnellt augenblicklich hoch. Der Zweiventiler hängt fein am Gas, Getriebe und Kupplung funktionieren gut. Der Hintern fläzt sich auf der mit Porsche-Leder abgesteckten Sitzbank, die Arme müssen sich weit zu den massiven Magura-Lenkerstummeln strecken. Fühlt sich verdammt gut an. Okay, die LSL-Lenkerendenspiegel bieten nur rudimentäre Rücksicht. Na und? Man spürt doch, wie einem längs der Spree viele Augenpaare zufliegen.
Diese BMW verströmt Race-Spirit, noch gesteigert durch die überstreckte Sitzhaltung beim Flug durch die Häuserschluchten. Frontal dominiert das blanke Startnummernfeld. Unterm Lenkkopf versteckt sich ein Projektionsscheinwerfer; er sitzt in einem ehemaligen R50-Topf-Rücklichtgehäuse. Eigentlich will Urban Motor keine Beleuchtung, aber ein bisschen StVZO muss sein. Zuguns-ten cleanen, aufgeräumten Looks haben Michael und Peter das Motorengehäuse in der Höhe gekappt (Stirndeckel gekürzt), den Luftfilterkasten weggelassen. Hörbar schnorchelt das Herz des Boxers aus den offenen K&Ns nach Luft.
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Finale: Urban Motor Café Racer
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Völlig serienmäßig ist das 70-PS-Aggregat, bloß gut „revisioniert“: Zylinder nikasil-beschichtet, Ventil- und Kurbeltrieb überholt, Köpfe und Kolben neu. Passt. Der Boxer puncht kräftig, gleichmäßig und elastisch. Dankbar folgt die 1000er auf den schmalen Reifen (3,25 x 19 und 4,00 x 18) jedem Lenkimpuls. Im Wortsinn, beim Abbiegen. Okay, Bridgestone BT 45 würden besser haften als Metzeler Rille 11 und ME 77. Aber diese kommen einfach klassischer rüber. Dieser Café Racer ist ein Kunstwerk, das selbst im an Attraktionen reichen Berlin auffällt wie ein bunter Hund, den Fahrer beseelt. Wir fahren ja Motorrad, um uns selbst zu finden, bei uns selbst anzukommen. Am liebsten formvollendet.
Erst hohes handwerkliches Können und erlesene Zutaten machen aus diesem an sich einfachen Grundrezept eine erlesene Zweirad-Köstlichkeit. 300 bis 400 Arbeitsstunden stecken in diesem Café Racer, „100 zum Überlegen, der Rest zum Bauen“ (Michael). Eine Eigenanfertigung etwa sind Kennzeichen- und Fußrastenträger sowie das Rahmenheck als Halt des verführerischen Bürzels. Dies hat der Spezialist Friedhelm Lammers (www.alu-tanks.de) nach Zeichnungen und Maßen von Urban Motor aus Alublech gefertigt. Auch das rudimentäre Schutzblech und der 26-Liter-Tank von WBO bestehen aus Aluminium. Alles anthrazit-grau lackiert. „Weil poliertes Alu einfach out ist“, sagt Peter.
Dieses Motorrad ist kein Blender, sondern lebt gepflegtes Understatement. Extrem reduziert. Eine Maschine für Haptiker, für Menschen mit taktilem Empfinden. Jedes einzelne Teil besteht den Klopftest. Weil die Auspuffe zusammen mit dem Kardangehäuse und dem gekürzten Wilbers-Federbein auf der rechten Seite liegen, verleihen sie dem Motorrad eine ganz eigene Asymmetrie. Von links betrachtet scheint das Hinterrad frei zu schweben. Gestartet wird per Induktion - dank schlüssellosem Zündschloss von Motogadget. Mit dem Druck aufs Knöpfchen pröttelt und brummt der Boxer angenehm vor sich hin.
Schmieder
Urban Motor: das steht für individuelle Café Racer ganz nach den Vorstellungen der Kunden.
Berlin-Friedrichshain im Herbst 2010, zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke. Auf einem 1300 Meter langen Stück der Berliner Mauer prangt in bunten Bildern die längste dauerhafte Open-Air-Galerie der Welt, die East Side Gallery.
Geschaffen im Frühjahr 1990 von gut 100 Künstlern aus 21 Ländern als spontanes Gesamtkunstwerk.
Vor ihren legendären Graffiti parkt ein ebenso ästhetisches Kunstobjekt. Eine mechanische Skulptur, plastisch und puristisch. Was für ein Auftritt! Scharenweise erliegen Touristen dem Charme dieses Motorrads. Tschechische Studentinnen streicheln zärtlich über das wohl geformte Hinterteil, flirten mit Peter Dannenberg, dem Besitzer.
Eine sexy BMW? Eine, die Herzklopfen, deren Rundungen Begierde auslöst? Ein seltener Moment. Dieser Boxer scheint geradewegs herausgefallen aus der Zeit. Vergangenheit trifft Zukunft. Gebaut aus Aluminium und Stahl, gemacht aus Ideen. Leidenschaft in Metall.
Geschweißt, gedengelt und gefräst in der „Kradschmiede“, so der Untertitel von Urban Motor (Tel. 030/23456930, www.urban-motor.de). Dahinter stecken Peter Dannenberg und Michael Schulz-Vollmers, Berlins coolste Schrauber. Cool, nicht unterkühlt. Dafür sind die ge-bürtigen Hamburger viel zu herzlich. Aber ihre Werkstatt nahe der East Side Gallery ist wie vieles in der Hauptstadt einfach anders: in sechs Meter hohen S-Bahn-Bögen unterm Bahnhof Jannowitzbrücke. Mitten in der brodelnden Metropole macht Urban Motor seinem Namen alle Ehre.
Städtischer, urbaner, verkehrsgünstiger kann ein Motorradladen kaum sein. S-Bahn und ICE rollen und rumpeln über den Köpfen, eine vierspurige Straße dröhnt vor der Tür und an der Rückseite des Gebäudes plätschert die Spree, dümpeln Frachtschiffe vorbei. Urban Motor, erst 2009 gegründet, besetzt konsequent eine Nische: „Zwei Ventile, zwei Zylinder, europäische Marken.“ Heißt konkret Ducati, Moto Guzzi und vor allem BMW. „Wir machen das“, sagt Peter, „was wir gut können und was uns Spaß macht.“ In Form hochwertiger, individueller Umbauten. Nur dass dieser schlanke Cafè Racer stilistisch ganz anders ist als das, was Urban Motor sonst meist so baut.
Oft sind das „stylische Stadtmotorräder“, Boxer mit fetten Einzelsitzen, breiten Enduro-Lenkern und eher wuchtigen Kotflügeln.
Anders, ganz anders steht diese elegante 1000er lässig auf dem Seitenständer. Lang gestreckt und schmal, wenn man von den breiten Zylinderohren mal absieht. Aber selbst diese entfalten eigenen Reiz, halten ihre Kühlrippen stolz in die Sonne. Hier hat das Schönste aus BMWs Boxerbaukasten zusammen gefunden. Peter und Michael haben Motor, faltenbalgbestückte Gabel und Vorderbremsen einer R 100 RS mit dem Rahmen und der Einarmschwinge einer R 80 G/S gekreuzt.