Neugierige auf dem Weg in die MOTORRAD-Tiefgarage, jeder will sie sehen. Redakteure bestaunen mit offenem Mund die Ducati von Jens vom Brauck. Schreiende Schlichtheit auf zwei Rädern. Stämmig und stimmig. Die Kunst der
Reduktion, in dieser Kreation wird sie zur Perfektion. Ein großer Motor in einem höchst kompakten Motorrad. Niedrig, gestreckt, schmal.
Kaum zu glauben, dies hier war eine Supersport 900. Von der erbte die JvB
ihre technischen Gene: Desmo-V2, Gitter-
rohrrahmen, Upside-down-Gabel, polierte Dreiecksschwinge, Räder, Bremsen. Alles andere ist verändert, verfeinert, verfremdet. Der Visionär vom Brauck versteht sein Handwerk, hat alles selbst zurechtgesägt, geschweißt und gedengelt. Mit Enthusiasmus, Energie und Leidenschaft. Das hat
er schon beim einzylindrigen Zwitterwesen aus Suzuki Freewind und Kawasaki GPX 600 (MOTORRAD 2/2005) getan. Nun lie-
fert er mit der Ducati sein Meisterstück ab. Man muss das Unmögliche wagen, um das Mögliche zu erreichen.
Der 35-jährige »Schrauber« und Motorrad-Designer aus Köln (Kontakt: www.jvb-
moto.com) lässt in diesem Einzelstück die Formen sprechen, auf den ersten Blick
offenbaren sie ihre Funktion. Etwa der auf die linke Seite verlegte Ölkühler. Er be-
tört und besticht in seinem kongenialen Gehäuse, das eigentlich der Aufnahme der ins Exil verbannten Batterie dient, wächst aus sich heraus. Oder der mattrote Acht-Liter-Aluminiumtank, handgefertigt und zwischen die oberen Rahmenrohre eingepasst. »Flat Red« heißt eben beides, flach und rot oder schlicht mattrot.
Die wenigen verbliebenen Bauteile streicheln die Seele. Das Geheimnis? Keine Kompromisse. Niemals. Wochenlang hat vom Brauck allein an der quadratischen Lampenmaske modelliert, Karbonschicht um Karbonschicht. Dem Auge verborgen bleibt die viele Arbeit, die im »Cleaning« steckt: Wo immer möglich, hat vom Brauck Kabel und Sensoren nach innen verlegt. Keine profanen Leitungen sollen die Ästhetik in Metall, Gummi und Kohlefaser stören. Weniger ist mehr. Man muss nicht groß sein, um ein Gigant zu sein.
Platz nehmen auf dem spartanischen Sitzkissen, der Puls schlägt schneller. Eng falten sich die Knie auf dem Donnerbalken zusammen, spannen das Motorrad ein, knapp überm Asphalt ruht der Hintern. Gern geduldete Erniedrigung. Wege zur Weisheit. Selbst Zwergen reicht diese Duc nicht mal bis zum Bauchnabel. Aus der schmalen Silhouette ragen allein die beiden breiten Lenkerhälften weit heraus, lassen die Ochsenaugen in die Ferne sehen.
Dieses Kunstwerk lässt man nicht einfach an, man zelebriert den Start. Zündschloss und der wörtlich zu nehmende Startknopf stecken beide im Luftfilterkasten unterm Tank. Kawumm! Klang-Mole-
küle fluten den Auspuff, durchströmen eine Träne aus Edelstahl – den modifizierten Sammler einer Multistrada. Weiter geht’s durch das V-förmige Krümmer-Kunstwerk in die beiden hochgelegten Supertrapps. Sie trommeln und trompeten laut, entfesseln oben heraus ein Inferno.
Wenige Zentimeter unterm Kinn wummert das stimulierende Stakkato aus dem Alu-Ansaugschlund der Airbox. Und grollt von dort direkt unter die behelmte Schädeldecke. Im Hirn explodieren kleine Kügelchen aus Glückshormonen. Ein Fahrerlebnis der dritten Art. Wie Münchhausen bei seinem Ritt auf der Kanonenkugel. Nur dass man sich hier nicht den Hut fest-
halten muss. Hinter einem gähnt das pure Nichts, ein Hauch von Heck: mitschwingender Karbon-Kotflügel samt LED-Rücklicht. Der Sozius hat einen prima Platz – zu Hause auf dem Sofa.
Gut festhalten, der rund 80 PS starke Einspritz-V2 hängt hungrig am Gas und katapultiert das 165 Kilogramm leichte Energiebündel rasant nach vorn. Weniger Masse, mehr Fahrspaß. Nur gut, dass die weichen Pirelli Dragon Supercorsa haften wie der Teufel. Bockig überspringt die
Serien-Gabel schroffe Absätze. Sinnlich-straff spricht das gekürzte Federbein von Öhlins an. Hart, aber herzlich. Unverfälscht, direkt und pur ist nicht nur das
Design, sondern auch das Einlenkver-
halten. Herrlich agil biegt das Flacheisen
um große und kleine Kurvenradien, saugt sich in die Kurven. Außer beim Wenden, der riesige Wendekreis hat Lkw-Format.
Bei jedem Ampelstopp beißen vierkölbige Brembos auf imposante 320er-Scheiben. Die hohen Handkräfte passen zum drahtigen Konzept. Wohlige Wärme kriecht am stehenden Zylinder entlang, strömt in Leder und Gesäß. Brabbelnd
poltert der Ducati-Desmo im Leerlauf. Daneben rappelt’s, eine XT 660 wirkt im Vergleich zur JvB wie ein schwangerer Blauwal. Grün! Im Auge des Sturms verändert sich die Wahrnehmung. Die Welt ist groß, dein Motorrad flach und verwegen. Gechoppt und beseelt, gibt es dir ein Gefühl von Unverwundbarkeit. An diesem höchst mobilen Monument lässt sich nichts mehr weglassen. Es stimmt, weniger ist mehr.