Vergleich Moto Guzzi II Racer und Yamaha XV 950 Racer

Moto Guzzi II Racer und Yamaha XV 950 Racer im Vergleich Kaffeefahrer in der Großstadt

Kaffeefahrer waren früher vornehmlich Rentner, denen man in den Hinterzimmern irgendwelcher Landgasthöfe völlig überteuerten Mist wie zum Beispiel Heizdecken anzudrehen versuchte. Heute sieht das völlig anders aus - beispielsweise Moto Guzzi II Racer und Yamaha XV 950 Racer.

Kaffeefahrer in der Großstadt markus-jahn.com
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Sie scheinen ausgestorben zu sein, die Kaffee-Fahrer vom alten Schlag. Wer erinnert sich nicht an die Handzettel, die sich früher fast wöchentlich im Briefkasten fanden und auf denen zu sagenhaft günstigen ­Preisen Ausflüge zu mehr oder weniger sensationellen Zielen ­angepriesen wurden. Im Kleingedruckten fand sich dann der Hinweis, dass es unterwegs die Möglichkeit gebe, an einer Verkaufsveranstaltung teilzunehmen, um sich dortselbst mit vermeintlich wichtigen Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken. In der Regel waren das neben dem namengebenden Kaffee ­irgendwelche Haushaltsprodukte, deren Qualität zumeist dia­metral zum aufgerufenen Preis stand. Um es gleich vorweg­zunehmen: An diesem Punkt eine Verbindung zu den beiden ­Protagonisten dieser Geschichte herzustellen, wäre grob fahrlässig. Und unzutreffend obendrein.

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Die Zielgruppe dieser Bikes ist eher in den In-Vierteln der Großstädte anzutreffen. Auf der Flaniermeile oder vor der angesagten Kneipe braucht es keine dreistelligen PS-Zahlen oder hohen Nutzwert, sondern Stil oder neudeutsch Style. Und den haben sowohl die Moto Guzzi II Racer als auch die Yamaha XV 950 Racer. Beide kommen im derzeit schwer angesagten Look eines Café Racers daher. Der hat seinen Ursprung im England der 1950er-Jahre, als die Jungs von ihren Triumphs, Nortons oder BSAs alles überflüssige ab- sowie einen Stummellenker anschraubten, um so schnell wie möglich von einer Kneipe zur nächsten gelangen zu können.

Einmalige Geräuschkulisse des V2

Die Moto Guzzi V7 II Racer verkörpert diesen Typus nachgerade ideal: Von ihren zivilen Schwestermodellen unterscheidet sie sich durch die Einmann-Wildleder-Sitzbank samt startnummergeschmücktem Höcker, durch einen verchromten Tank sowie einen Stummellenker und zurückverlegte Fußrasten nebst einer winzigen Cockpitverkleidung. Äußerst straff abgestimmte, voll einstellbare Federbeine von Bitubo sowie ein grelles Make-up in Form eines purplefarbenen Rahmens vervollständigen die Metamorphose. Technisch bleibt alles beim Alten, sprich 48 PS, die seit 2015 sechs- statt fünffach übersetzt via Kardanwelle ans Hinterrad durchgereicht werden. Seitdem gibt es auch ABS sowie Traktionskontrolle. Auf dass der Schlupf nicht überhand nehme.

Derlei Zugeständnisse an die Moderne können dem archaischen Charakter der Moto Guzzi II Racer nichts anhaben. Gefühlt Tausend Mal wurde sie schon beschrieben, die einmalige Geräuschkulisse des V2, diese Mixtur aus Schnüffeln und Rütteln, aus Klackern und Tickern, das Ganze untermalt von einem bassig-kernigen Klang, der den beiden Edelstahltöpfen entweicht. Beim frühmorgendlichen Start lässt es sich der Twin nicht nehmen – aller Einspritzelektronik zum Trotz – mit Aussetzern und Verschluckern auf den ersten Metern darauf hinzuweisen, dass ihm kalt sei und man die ersten Kilometer doch zurückhaltend angehen möge.

Am Ende des Tages, nach dem Abstellen, bedankt er sich mit einem Knistern und Knastern und Knacken, das jedem Lagerfeuer zur Ehre gereichen würde, bei seiner Umgebung. Die Zeit dazwischen erfreut die Moto Guzzi II Racer mit leichtem und zielstrebigem Handling. Ebene Straßen vorausgesetzt, klappt es auch mit dem Fahrkomfort, auf holprigem Geläuf zeigt sich die Fahrwerksabstimmung besonders hinten von der hartleibigen Seite. Da hilft dann auch die hübsche, mit Wildleder bezogene Sitzbank nicht weiter. Die zudem, sollte das Motorrad in einer verregneten Nacht draußen gestanden haben, zuverlässig über Stunden für kontinuierliche Bewässerung des Schritts sorgt. Die Schaltbox dieses Testmotorrades ließ sich nur mit Bedacht bedienen, da gab es schon präzisere Exemplare. Dennoch schafft es die Italienerin, den Geist von damals mit den Anforderungen von heute auf eine hochemotionale Art und Weise zu verbinden. Über die Bezeichnung Racer sehen wir großzügig hinweg.

Langer Radstand, flache Gabel, wenig Bodenfreiheit

Das sollte man auch bei der Yamaha XV 950 Racer tun. Denn das Einzige, was sie mit Rennsport verbindet, sind die ­unter der massiven mattschwarzen Gabelbrücke angeschlagenen Lenkerstummel und der neckische Rallye-Streifen über Tank und Bürzel. Und obwohl sie laut Yamaha unter der Rubrik Sport-Heritage – übersetzt: sportliches Erbe – läuft, ist sie im Grunde ihres luftgekühlten, ebenfalls zweizylindrigen Herzens ein waschechter Cruiser. Die Fahrwerksgeometrie belegt dies; sie ist identisch mit dem Langgabler XV 950.

Langer Radstand, flache Gabel, wenig Bodenfreiheit sind die Bündel, die die Yamaha XV 950 Racer zu tragen hat. Der Umstand, dass die Fußrasten von Höhe Kupplung auf Höhe Schwingachse zurückverlegt wurden, sorgt auch nicht für Aufheiterung. Ob beim Halt, beim Rangieren oder Ständerrausklappen. Sie sind im Weg. Immer! Spätestens ab der zweiten Fahrt trägt man freiwillig Stiefel, um blaue Knöchel zu vermeiden.

Um die Liste des Meckerns zu vervollständigen, sei noch Folgendes angemerkt: Das Handling ist im Vergleich zur Moto Guzzi II Racer arg träge, die Kurve, in der die Rasten bei Trockenheit nicht aufsetzen, muss erst noch erfunden werden. Bei Nässe setzen die Reifen das Limit. Beim harten Bremsen biegt sich die Gabel wie Weizen im Sommerwind, zudem regelt das ABS mit groben und unregelmä­ßigen Intervallen. Der rechts angebrachte Luftfilter verhindert den Knieschluss mit dem Tank. Last but not least lässt die Informationsfülle des Cockpits zu wünschen übrig.

Weniger Hubraum, mehr Gänge. Pech gehabt.

Wer jetzt glaubt, der Autor wolle die Yamaha niederschreiben, der irrt. Aber wo Racer-Erwartungen geweckt werden, da sollten zumindest Motorrad-Ansprüche erfüllt werden. Und dem ist eben nicht so. Betrachtet man die Yamaha XV 950 Racer als den Cruiser, der sie letztlich ist, sieht die Welt wieder ganz anders aus. Dort zählt neben der Optik, die aber höchst subjektiv betrachtet wird, der Motor. Und hier schlägt die Stunde der Yamaha. Natürlich profitiert er von seinem Hubraumplus. Da kann die Moto Guzzi II Racer noch so aufgeregt mit den Ventilen schnattern, wenn’s auf der Showmeile zählt, sieht sie keine Sonne. Weniger Hubraum, mehr Gänge. Pech gehabt. In Sachen Emotionalität kann es der Yamaha-V2 wiederum nicht mit der Guzzi aufnehmen, obwohl die Akrapovic-Tüte aus dem Werkszubehör ihr Bestes gibt. Sie sorgt für einen wummrig-bassigen Sound, der den Fahrer erfreut und die Umstehenden in Ruhe lässt. So soll das sein.

Bleibt die Frage nach dem „Welche für wen?“ Wer mit der Ergonomie der Yamaha kein Problem hat und zumeist in urbanem oder ebenem Geläuf unterwegs ist, der kann mit der XV happy werden. Wem sich zwischen Start und Ziel ernst zu nehmende Kurven in den Weg stellen oder wer das Thema Café Racing von der schrägen Lage angeht, der ist mit der V7 besser angezogen.

Fazit

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Nur gucken, nicht anfassen? Das wäre dann nur die halbe Wahrheit. Denn auch Sound, Funktion und Feeling spielen eine Rolle.

Mist, man hätte wetten sollen. Guzzi besiegt Yamaha, das hätte eine verdammt gute Quote gegeben. Sei’s drum. Die V7, wenngleich ebenfalls nicht frei von Schwächen, ist in diesem Fall einfach das stimmigere, rundere Konzept. Sound, Feeling, Funktion – alles passt zusammen. Die Yamaha-Philosophie, einfach einen Stummellenker an einen Cruiser zu klemmen und die Rasten mittschiffs zu legen, funktioniert nicht wirklich. Zum Cruisen zu unbequem, zum Sporteln … – ach, Schwamm drüber. Für die Flaniermeile langt’s aber. Der Motor allerdings, der macht richtig Laune.

Daten und Messwerte

MOTORRAD
Leistung an der Kurbelwelle. Messungen auf dem Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5%.

Schon beachtlich, was rund 200 cm³ und ein modernes Moto­renlayout ausmachen. Die Yamaha XV 950 Racer – wenngleich Akrapovic-gepimpt – drückt ab Standgas rund 20 Nm mehr auf die Kurbelwelle und gibt diesen Vorsprung nicht mehr her. Das Leistungsplus ist nicht ganz so beeindruckend, schließlich ist die Moto Guzzi II Racer auf 48 PS homologiert, die Yamaha nicht. Dennoch hat ihr Motor genau jene Souveränität, die sich die Guzzi-Fans für die V7 seit Jahren ebenso sehnlich wie bis dato erfolglos wünschen. Vielleicht klappt’s ja nächstes Jahr.

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