MV Agusta F4 R 312 und Popko-Kawasaki ZZR 1400

MV Agusta F4 R 312 und Popko-Kawasaki ZZR 1400 Speeding mit Tempo 300

»Du sollst keine anderen Verkehrsteilnehmer vor dir haben.« Holger Aue, der begnadete Zeichner der MOTORRAD-Cartoons, hat in Ausgabe 9/2007 (Seite 134) bereits das Motto dieser beiden Speedbikes vorweggenommen. Ist das Knacken von Tempo 300 auf übervollen Autobahnen, acht Jahre nach der Hayabusa, tatsächlich das Gebot der Stunde?

Speeding mit Tempo 300 Gargolov

Ein letztes Mal schalten, sechster Gang. Er will einfach nicht erlahmen, der Vortrieb. 250, 260, 270, der Digitaltacho der MV Agusta wechselt die Balken weiter wie entfesselt. Erst ganz oben wird die Beschleunigung zäher, verharren die Flüssigkristalle schließlich bei 310, 311. Der analog anzeigende Drehzahlmesser vermeldet 13000 Touren. Sind das jetzt die 312 km/h Topspeed, auf die das Kürzel der neuen F4 R 312 verweist? Nein, das sind »bloß« echte 291 km/h. Aber das wissen wir momentan noch nicht. Mehr als 295 werden auch nach mehrmaligem Messen nicht drin sein. Genug ist genug.

Es ist Sonntagmorgen, 7 Uhr, irgend-wo in Deutschland. Einmal leere Bahnen ohne Tempolimit erleben. Denn MV Agusta preist die F4 R 312 als angeblich schnellstes Serienmotorrad der Welt an. Da braucht es besondere Bedingungen für einen Highspeed-Test. Zu dem auch eine vom Braunschweiger Händler Popko elektronisch »entkorkte« Kawasaki ZZR 1400 aufläuft. Eine ohne den bei 299 km/h eingreifen-den Speedcutter und ohne Drehmoment-begrenzung in den unteren Gängen.

Totale Konzentration! Es gibt kein Rechts, kein Links und kein Hinten. Nur den schmalen Tunnel vor dem Vorderrad. Eine Art Rauschzustand bei Vollgas, die völlige Abkopplung vom realen Geschehen. Eine neue Dimension eröffnet sich. Während Höllenfeuer unter einem toben, der Motor bei höchsten Drehzahlen am absoluten Limit arbeitet.

Ständig peilen die Pupillen neu, fokussieren die Welt, die da mit rund 80 Metern pro Sekunde an ihnen vorbeirauscht. Weit voraus geht der Blick, kurz zurück auf die Instrumente, und wieder weit voraus. Schemenhaft, als schmaler Spalt am oberen Rand des Visiers, prangt der Horizont. Rasend schnell zoomt ihn die betörend schöne Maschine heran. Dieses Motorrad ist ein Kunstwerk, eine mechanische Skulptur – nach einem fast zehn Jahre alten Muster. Die Sünde auf Rädern. Voller Anmut die MV, voller Demut ihr Fahrer. Er sitzt weit oben auf dem extrem harten, sich aufheizenden Sitzkissen, der Nacken schmerzt. Komfort? Vergiss es.

Agil, aggressiv und präzise wie ein Skalpell zieht die MV ihre Bahn. Extrem fein, sensibel wie ein Seismograph, spricht die karbonbeschichtete 50er-Upside-down-Gabel an. Sportlich-straff bildet das Federbein die Asphaltbeschaffenheit eins zu eins ab. Die 220 Kilogramm schwere 1000er zuckt allerdings auf buckeligen Streckenabschnitten gern mal unangenehm mit dem Lenker. Deshalb flugs den Öhlins-Lenkungsdämpfer zugedreht, dann zappelt’s nur ansatzweise.

Den lauten, grummelig-heiseren Auspuffsound aus den vier Orgelpfeifen im Heck untermalt knurrig-kehliges Ansaugschnorcheln. Ultradirekt hängt der Vier-zylinder am Gas. Was kann man diesem Motorrad nicht alles vorwerfen. Die schlecht dosierbare Kupplung, die miese Sicht in den viel zu eng stehenden Spiegeln, das sträflich funzelige Licht. Wenigstens spielt der riesige Wendekreis bei der Autobahnbolzerei keine Rolle.

Sven drückt sich noch tiefer hinter die bei der 312er leicht erhöhte MV-Scheibe, kauert extrem gefaltet. Bloß nicht den Kopf heben. Er weicht einem Gegner aus dem Nichts aus, setzt der Luft möglichst wenig Widerstand entgegen. Doppelte Geschwindigkeit bedeutet vierfacher Luftwiderstand. Und die 48er-Drosselklappen stehen noch immer auf Durchzug, die Zeichen auf Sturm. Bei Tempo 300 tobt der Orkan.

Kleine Modifikationen sollen die 312er rasanter machen als die Standard-F4 1000 R. Gute Füllung der Brennräume, darum geht’s. Benzin muss her und ganz viel Luft. Extrem leichte Einlassventile aus Titan wuchsen wie der Nockenhub um einen Millimeter, der Durchmesser der Drosselklappen um zwei Millimeter. Dazu stieg das Drehzahllimit um 500 Touren auf 13500/min. Mehr Drehmomente, aber weniger Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen sind die logische Folge. MV verspricht 183 PS Spitzenleistung, 177 hat MOTORRAD gemessen.

Neben der schlanken MV wirkt die Kawasaki ZZR 1400 wie ein Maikäfer neben einer Hornisse. Doch dies ist kein braver Tourer, sondern das stärkste Serienmotorrad der Welt. Sie ist nicht träge, die ZZR, sondern gelassen. Serienmäßig geht sie bis 4500 Touren zahm zu Werke. Dann, bei 5000/min, erwacht plötzlich die Bestie, als habe man ihr auf den Schwanz getreten. Stürmt mit einer Macht nach vorn, dass einem angst und bange werden kann.

Dieser lästige »Turbo-Effekt« betrifft vor allem die Gänge eins bis vier. In ihnen ist die Leistung stark zurückgefahren, besonders bei niedrigen Drehzahlen. Damit die gewaltige Kraft beherrschbar bleibt, sagt Kawasaki. Mit jedem Gang legt die 1400er an Leistung zu. Doch ganz oben schlägt bei knapp unter 300 der Speedcutter zu. Wegen der freiwilligen Selbstbeschränkung. Bei 299 km/h endet die Anzeige. Popko setzt dem einen Power-Commander entgegen. Und gaukelt dem Motor-management vor, permanent im sechsten Gang zu fahren. Nach reichlich Abstimmung auf dem Leistungsprüfstand präsentiert sich der Drehmomentverlauf über-raschend füllig und geglättet. Nun gibt’s in allen Gängen immer und überall Druck.

Was bleibt, ist der pure Zorn jenseits von 6000 Touren. Von 220 auf 290 km/h huscht die Tachonadel dermaßen rasant, dass man glaubt, die Skala sei verrutscht. Gilt auch für die Verbrauchsanzeige. Über 20 Liter pro 100 Kilometer zeigt sie bei Vollgas an. Nach dem Speeding liegt der Testverbrauch bei durchschnittlich 10,1 Liter/100 Kilometer, die MV verfeuert sogar 11,4. Express-Zuschlag für viel Füllung. Die Reservelampe leuchtet nach 132 Kilometern. »Your personal jet«, der Werbespruch der MV, meint vielleicht die Unterhaltskosten. Die Gedanken fegen ebenso schnell vorbei wie die überholten Lkw: mehr als 200 km/h Speedüberschuss!

Irgendwann liegen im Sechsten 10400 Touren an. Kein Speedcutter greift ein, das sind gemessene 306 km/h. Im Mittel, ganz kurz werden auch mal die 310 angekratzt. Mehr geht nicht. Rein rechnerisch braucht’s bloß zehn Minuten für 50 Kilometer. Rund 100 Liter Luft strömen in jeder Sekunde durch den Ram-Air-Schlund in die Airbox, sollen die Leistung bei Vmax von 190 auf sagenhafte 200 PS anheben. Real traben immerhin 187 Pferde an. Baustelle in zwei Kilometern. Also in knapp 25 Sekunden. Leitplanken links und wenig berechenbare Autofahrer rechts. Die Welt mutiert zu einem Schlauch. Ab etwa 250 km/h passieren selbst routinierte Schnellfahrer eine Grenze. Von da an herrscht Tunnelblick. Mit einem Mal stellt eine Autobahn Anforderungen wie Fahren auf der Rennstrecke. Es gilt weit, ganz weit in die Ecken zu peilen, Einlenkpunkte zu treffen. Fast paradox: Ausgerechnet die superschnellen Speedbikes konfrontieren permanent mit Enge.

Gedrängt geht es zu auf unseren Autobahnen. Und wenn doch mal eine Lücke klafft, wird jenseits der 270 die Straße verdammt schmal. Fehler darf man sich dann keine erlauben. War die Kurve gestern schon so eng? Auf der Geraden schert unvermittelt ein Lkw von der rechten auf die mittlere Spur. Hat »Ergänzungskraftfutter für Hunde« geladen, eilige Fracht. Der Laster setzt eine Kettenreaktion in Gang. Ein feuerroter Ford Transit wechselt abrupt nach ganz links. Geschätzte Entfernung: 250 Meter. Geschätzte Geschwindigkeit: 120. Zweieinhalbmal so schnell rast die ZZR auf den Kleinbus zu. Touch down in 3,5 Sekunden. Adrenalin fließt in Strömen, Stress, es wird eng. Jetzt muss alles verdammt schnell gehen. Gas zu und aufrichten, schon das verzögert immens.

Gleichzeitig voll den Anker werfen bis der Vorderreifen wimmert. Augenblicklich regelt das segensreiche ABS. Von Tempo 290 auf 200 in 2,6 Sekunden! Dazu aufblenden. Aufblenden? Eher schon flutlichten. Die Scheinwerferbatterie der ZZR ist ein echtes Sicherheitsplus. Der Vordermann muss merken, dass dies sehr ernst gemeint ist. Noch mal gut gegangen, der Transitfahrer zieht rechts rüber. Tempo: 130. Puls: 160. Man glaubt zu stehen.

Wer eben noch knapp 300 fuhr, empfindet Tempo 220 als harmloses Herum-rollen. Hat schon gute Gründe, weshalb MOTORRAD üblicherweise aufs Messen der Höchstgeschwindigkeit verzichtet. Freie Bahn für 300 km/h gibt es heute kaum noch. Und das Risiko ist hoch, angesichts der Verkehrsdichte in Deutschland.

Vor allem die ZZR 1400 hüllt ihren Fahrer in eine trügerische Sicherheit. Sie ist unspektakulär schnell, schiebt ohne Ende bis zu echten 306 km/h. Deutlich später als auf der MV muss man sich auf ihr abducken. Die Kawa gleitet geradezu über die Bahn, stoisch und unbeirrbar. Reagiert auf der anderen Seite aber hellwach auf notwendige Kurskorrekturen. Ihre Feder- sollten Filterelemente heißen, so komfortabel, wie sie die Dehnfugen und Frostaufbrüche aus dem Asphalt heraus-fischen. Von der wahren Geschwindigkeit entkoppelt dieser Power-Tourer ein wenig. Vorteil oder Nachteil?

Anders die MV Agusta, da spürst du den Speed mit jeder Faser. Wer vom 260-Kilo-Brocken ZZR auf den filigranen Supersportler umsteigt, biegt in der ersten Kurve nach innen ab. Doch da, wo es um alles oder nichts geht, bei Highspeed, folgt auch sie sklavisch der eingeschlagenen Linie. Das schafft Vertrauen. Exzellent lassen sich die Vierkolbensättel der MV dosieren, leider klassengemäß ohne ABS.

Nur eine Frage bleibt: Macht es Sinn, 300 zu fahren? Schneller zu sein als andere trieb Menschen schon immer an. Zwischen Faszination und Verrücktheit. Einmal erleben, was geht, wie das Motorrad auf sich öffnender Bahn selbst bei 200 Sachen abzischt wie ein Projektil, das die Mündung verlässt. Da bleibt selbst einem Porsche Turbo nur das Nachsehen. In der Endgeschwindigkeit und beim Bremsen ist er schneller, in punkto Beschleunigung und Durchzug aber zieht er den Kürzeren. Gemessen an 137000 Euro Grundpreis für den Sportwagen erscheinen die 14500 Euro für die 1400er-ZZR im Serientrimm fast als Schnäppchen.

Aber 11. Gebot hin oder her, die »Autobahn« heißt nicht ohne Grund so. Weil Motorräder auf ihr nicht wirklich zu Hause sind. Das wahre Leben liegt woanders. Lieber 100 km/h und kurvenreiches Revier! Bei der schnellen Fahrt von A nach B über längere Strecken sind Autos und insbesondere der ICE kaum zu schlagen (siehe MOTORRAD 16/2006), Reiseschnitte jenseits von 150 km/h kaum zu schaffen. Schnell ist man mit diesen Zweirad-Raketen nur für einen Moment. Auch wenn einem der ewig erscheinen kann.

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Highspeed-Hype um Hayabusa & Co

Suzuki
So sieht sie aus, die Hayabusa der nächsten Generation.

Es begann 1999 – mit der Suzuki Hayabusa. Dem ersten Serienmotorrad, das Tempo 300 lief. Für die Sensationspresse ein gefundenes Fressen: »Selbstmordmaschine, Motorrad-Rakete, Todesgerät« titelte sie. Getoppt von Toni Mangs unseligem Autobahn-Ausritt für Pro 7, bei dem er mit der 1300er kurzerhand eine vierte Spur eröffnete. Wie wild stürzte sich danach der Boulevard auf den ersten tödlich verunglückten Hayabusa-Fahrer, der keineswegs beim Speeding ums Leben kam, sondern dem ein Auto die Vorfahrt nahm.

Aufgeschreckt von der Diskussion, beendeten der europäische Herstellerverband und die japa­nischen Marken das Wettrüsten mittels freiwilli­ger Selbstbeschränkung auf 299 km/h. Triumph stoppte die Entwicklung eines serienreifen Prototyps, der sogar die 200-Meilen-Schallmauer (320 km/h) knacken sollte.

Hayabusa & Co rücken seitdem mit Speedcuttern aus, die Anzeige von 300 und mehr wurde von den Tachos verbannt, und in der Werbung heißt es nur noch: »Spitze über 200 km/h«. So verschwand das 300er-Thema in der Mottenkiste. Aktuell sorgt MV Agusta für einen Skandal im Sperrbezirk, zielt mit der 312 nach der Lufthoheit über den Biker-Stammtischen. Die freiwillige Selbstbeschränkung hat MV nie unterschrieben – marketingtechnisch sicher nicht ohne Grund. Schon für die F4 1000 R wurden 301 angegeben. Aller­dings eher ein Sturm im Wasserglas: Selbst die F4 R 312 schafft nicht mehr als 295 km/h.

Ende einer Dienstfahrt

Der zerstörte Hinterreifen der MV.

Hohes Tempo stellt Fahrer wie Reifen unter enormen Stress. Die kleine Kontaktfläche am Hinterreifen muss für mehrere Minuten die volle Leistung von über 180 PS übertragen. Das führt zu Schlupf: Der Reifen rutscht permanent leicht durch und legt somit eine größere Strecke zurück als das gesamte Motorrad – ein aufreibender Job. So zeigt das Datarecording bei echten 306 km/h eine Umfangsgeschwindigkeit am Hinterradreifen von 314 km/h. Hinzu kommt noch die Wärme, welche durch Walkarbeit erzeugt wird. Aus diesem Grund geben Hersteller von Speedbikes wie Hayabusa und ZZR nur gründlich getestete Reifen frei. MV Agusta rüstet die 312 teilweise mit dem Dunlop D 208 GP Racer M aus, einem Rennsport-Pneu mit eher weicher, griffiger Mischung. Eine riskante Wahl, für die Autobahnbrennerei eignet sich dieser Reifen anscheinend nicht. Bei den MOTORRAD-Messungen führten wenige Fahrten im Highspeed-Bereich dazu, dass die MV ihre Serienbereifung im Verlauf von 155 Kilometern fast völlig ruinierte. Das Profil in der Mitte des 190ers ist praktisch komplett verschwunden, nur eine hauchdünne Lage Gummi liegt noch über der Karkasse, einzelne Kevlarfäden schimmern schon durch.

Nicht auszudenken, was wenige zusätzliche Kilometer Topspeed hätten ausrichten können. Ein Einzelfall oder ein generelles Problem? Dunlop untersucht den Testreifen zurzeit, eine Stellungnahme folgt in Kürze. Der Fahrer hatte die sich zersetz­ende Oberfläche nicht gespürt. Zum Glück musste die MV an die Tankstelle. Vor den Vollgastests war der Reifen neu. Lediglich warm fahren, Tachoabweichungen ermitteln, Beschleu­nigungs- und Durchzugswerte messen hatte er zuvor über sich ergehen lassen müssen. Bei den Vollgastests betrug die Asphalttemperatur 15 Grad Celsius, der Reifen war 70 Grad warm. Bei einer zweiten Testsession rüstete MOTORRAD die MV auf Pirelli Dragon Supercorsa um, damit gab es keine Probleme. Unbeeindruckt zeigten sich auch die Bridgestones der Kawasaki: BT 014 in Sonderkennung »SL« und »L«.

Aero-Dramatik und Leistungsbedarf

Künstle
Eine fragwürdige Methode, die Aerodynamik zu verbessern.

Auf dem atmosphärelosen Mond fallen eine Feder und ein Hammer gleich schnell zu Boden, auf der Erde ist das bekanntermaßen nicht der Fall. Alles, was sich hier bewegt, muss Luft verdrängen. Ein Kubikmeter Luft, also 1000 Liter, hat in Meereshöhe eine Masse von 1,3 Kilo-gramm. Ohne den darin enthaltenen Sauerstoff, 290 Gramm, läuft kein Verbrennungsmotor.

Wer durch Stromlinienform und/oder kleine Stirn­-fläche besser durch den Fahrtwind huscht, ist klar im Vorteil. Weil er entweder weniger Leistung für die gleiche Geschwindigkeit braucht oder mit gleicher Power deutlich höheren Topspeed erreicht. Gute Aerodynamik ist deutlich effektiver als Motortuning! So reichten der legendären Moto Guzzi V8 im Jahr 1957 mit Vollverkleidung und hochkomplexem 500er-Achtzylinder-Motor rund 80 PS für etwa 280 km/h. Wer schnell sein will, muss sich möglichst klein und windschlüpfig machen. Wobei auf einem Motorrad die Sitzhaltung des Fahrers sowohl die Fläche als auch den cw-Wert beeinflusst. Strömungsgünstig ideal ist die Tropfenform: Sie ermöglichte der Ducati Siluro (»Torpedo«) 100, mit gerade ein­-mal 98 cm³ und 12 PS 171,9 km/h zu rennen. Von solcher Stromlinienform sind moderne Motorräder ohne aerodynamisch wirksamen Enten-bürzel und verkleidete Vorderräder (»Rundum-Bugverkleidung«) weit entfernt.

Der gesamte Fahrwiderstand setzt sich zusammen aus Roll- und Luftwiderstand. Während der Roll­-widerstand nur wenig mit der Geschwindigkeit zunimmt, wächst der Luftwiderstand im Quadrat: Bei Tempo 200 sind die bremsenden Kräfte des Windes bereits 16-mal so groß wie bei 50 km/h. Umgekehrt sinkt der Luftwiderstand auf ein Viertel, wenn man die Geschwindigkeit halbiert. In die exakte Berechnung des Luftwiderstands gehen die Luftdichte, die Anströmgeschwindigkeit, die Stirn­-fläche und der Luftwiderstandsbeiwert (cw-Wert) ein. Der cw-Wert ist ein Maß für die aerodynamischen Qualitäten eines Körpers, der nur von der Form des Körpers, nicht von seiner Größe abhängt. Die projizierte Stirnfläche A entspricht dem Flächen­-inhalt der Körper-Umrisse. Da MOTORRAD mit der 750er-MV Agusta im Windkanal war, sind Stirnfläche und cw-Wert (bei liegendem Fahrer) der optisch gleichen, zierlichen 1000er bekannt: Die Stirnfläche mit liegendem Fahrer beträgt 0,64 m², das Produkt aus cw-Wert mal Fläche ist 0,326. Mit diesen Werten kann man den Leistungsbedarf errechnen. Schon rechnerisch reichen die gemessenen 177 PS der F4 R 312 nicht für Tempo 312, sondern theore-tisch nur für knapp unter 300 km/h. Mit der Serien-übersetzung kann die MV übrigens selbst bergab mit Rückenwind nicht die angegeben 312 km/h erreichen, weil der Drehzahlbegrenzer dem Vortrieb bei 306 km/h ein Ende setzt. Das Fahrzeuggewicht spielt hingegen für die Höchstgeschwindigkeit kaum eine Rolle. Daher erreicht die aerodynamisch besonders ausgefeilte, doch 40 Kilogramm schwerere Kawasaki ZZR 1400 sogar Vmax 306 – sofern nicht der Speed-cutter zuschlägt. Der Luftwiderstand hat üb­rigens auch angenehme Effekte, weil er zusätzlich bremst, wenn’s drauf ankommt: Allein Gas zu und aufrichten verzögert bei Tempo 300 schon mit fünf m/s2. Dies entspricht in etwa dem, was wenig geübte Fahrer bei einer Vollbremsung erreichen. Und summiert sich bei Einsatz beider Bremsen zu einer negativen Beschleunigung von rund 15 m/s2 – viel mehr, als bei niedrigen Geschwindigkeiten möglich ist.

Durchzug im letzten Gang


KAWASAKI ZZR 1400 / MV AGUSTA F4 312
50–60 km/h 1,15 sek / 1,15 sek
50–100 km/h 5,25 sek / 5,20 sek
50–140 km/h 8,80 sek / 9,00 sek
50–180 km/h 12,40 sek / 12,60 sek
50–200 km/h 14,30 sek / 14,40 sek
50–280 km/h 26,10 sek / 28,00 sek

Verzögerung von 290 auf 200 km/h:
nur Ausrollen 6,9 sek / 4,7 sek
mit Bremsen 2,6 sek / nicht gemessen

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