Retro-Bike Honda Xpresso V4 und Honda CB 1000 R im Vergleichstest
Retro-Bike vs. Newcomer

Retro-Bike-Umbauten sehen gut aus und fahren meist schlecht, meint MOTORRAD-Urgestein Werner „Mini“ Koch. Der Tüftler will mit seinem Projekt Honda Xpresso V4 beweisen, dass Oldies mehr können – soviel wie zum Beispiel eine aktuelle Honda CB 1000 R.

Retro-Bike vs. Newcomer
Foto: www.bilski-fotografie.de

Des Motorrad hät mer früher uffs Kinderkarussell montiert”, flachst Kollege Werner „Mini“ Koch in breitestem Originalton Süd. Ein Lächeln relativiert die lästerliche Äußerung über die Optik der Honda CB 1000 R. Mini meint’s nicht böse. Denn im MOTORRAD-Urgestein schwingt die Begeisterung für Motorräder so unaufhörlich wie der Quarz in einer Atomuhr. Mini mag sie alle. Supersportler, Reisedampfer, Rennfeilen, Enduros – kein Konzept, für das er nicht nette Worte fände. Und was es nicht gibt oder gab, hat er selbst geschaffen. Etwa 30 Eigenbauten entstanden in den vergangenen 25 Jahren in seiner Werkstatt.

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Nur eins mag Mini nicht: Mainstream und Show-Bikes. Etwa bayerische Zweiventil-Boxer, Honda CX oder Yamaha XT-Singles, die vom aktuellen Retro-Tsunami gelegentlich in fahrdynamisches Strandgut verwandelt werden. Gut, um Preise auf Customizer-Shows zu ergattern, sich auf der Landstraße aber manchmal so zickig benehmen wie Popstar Beyoncé beim Frühjahrsputz. Also, kein Flat-Twin, kein V2, kein Eintopf. Und: Funktion geht vor Optik. Statt nett servierten Schonkaffees ein kräftiger Espresso – eben die Honda Xpresso V4.

11.800 Euro kostet die aktuelle CB 1000 R

„Und die fährt koi bissle schlechter als jedes Motorrädle ausm Schaufenster“, setzt Mini noch einen obendrauf – und seine Schöpfung unter Druck. Wie bitte? Ein in Heimarbeit gebastelter Café Racer soll genauso gut sein wie ein aktuelles Motorrad? Nun mal halblang. Oder die Hand drauf. Bevor die Honda CB 1000 R ins Schausteller-Gewerbe wechselt, soll das Naked Bike der Gradmesser für die Honda Xpresso V4 werden.

Auch wenn die Honda CB 1000 R preislich zunächst nicht in der gleichen Liga spielt. 11.800 Euro kostet der aktuelle Reihenvierzylinder. Gerade mal 680 Euro die Xpresso-Basis, eine Honda VF 1000 F2, Baujahr 1985 mit 80.473 Kilometern auf dem Tacho. Und mit ihrem faszinierenden, in der offenen Version 116 PS starken V4-Motor. Genau der sollte in Szene gesetzt werden. Also: Plastik runter vom 277-Kilo-Brocken. Überhaupt stand Entrümpelung ganz weit oben auf der To-do-Liste. Doppel-Sitzbank, Heckkotflügel, Lenker, Instrumente, Scheinwerfer – alles weg. Ersetzt durch ein in Eigenregie gebautes Monoposto-Heck im Stil der Yamaha TZ-Racer, durch den schlankeren Tank des Schwestermodells VF 750 F, die schmalen Lenkerhälften einer angejahrten Honda CBR 600 F und einen Nachrüst-Scheinwerfer von Gericke. Die neue, schlanke Linie zieht sich nahtlos durch. Nur Platz für die Airbox bietet der Schmalhans nicht mehr. Nun saugen die Gleichdruckvergaser von Keihin über vier Einzelluftfilter an. Die bislang in der Nachbarschaft des Luftfilterkastens untergebrachte Elektrik wanderte bei der Honda Xpresso V4 in den Hohlraum des Heckbürzels.

Schlüssel zum Anschluss an die Moderne liefert das Fahrwerk

Doch so sehr die Abspeckkur den optischen Auftritt dominiert, den Schlüssel zum Anschluss an die Moderne liefert das Fahrwerk der Honda Xpresso V4. 17-Zoll-Gussräder, zudem mit den neuesten Dunlop Roadsmart 3 besohlt, ersetzen die Räder im mittlerweile veralteten 18-Zoll-Format. Auch der ursprünglich touristisch orientierten Fahrwerksgeometrie rückte Mini zu Leibe. Ein 15 Millimeter längeres Wilbers-Federbein hebt das Heck durch die Umlenkhebelei um insgesamt 30 Millimeter an. Zusätzlich senkt der um 25 Millimeter reduzierte Federweg an der Gabel die Front. Das Resultat: 64 statt 61 Grad Lenkwinkel und 88 statt 116 Millimeter Nachlauf.

Ach so, da war doch noch was. Längst säuselt die CB 1000 R im monotonen Reihenvierer-Summen vor sich hin – um sich kurz darauf von der Klangwolke der Xpresso restlos einhüllen zu lassen. Was für ein Sound! Diese Intonation sollte noch manch späteren Höhepunkt der Honda-Modellhistorie ankündigen. Stichworte: RC 30, RC 45, RC 213V. Nebenbei bemerkt: Wer die Honda Xpresso V4 hören möchte, sollte sich das folgende Video anschauen.

Video: Honda Xpresso V4 - Café Racer auf Honda VF 1000 F2-Basis

Mit einem Fingerschnippen kippt die Nackte in Schräglage

Gut auch, dass der Klangteppich aus den – ursprünglich für die Kawasaki Z 800 konzipierten – Tüten von Laser straßenzulassungsfähig ist und deshalb sozial verträglich bleibt. Abfahrt. Die Honda CB 1000 R legt vor, überzeugt auf Anhieb mit ihrem unkapriziösen Fahrverhalten. Der Motor schiebt knapp über Standgas butterweich an, dreht trotz 125 PS kinderleicht beherrschbar hoch. Mit einem Fingerschnippen kippt die Nackte in Schräglage, zieht unaufgeregt ihre Spur, bietet flauschigen Sitzkomfort und softe Federelemente. Susi Sorglos auf zwei Rädern. Auweia, Xpresso V4. Die Latte liegt hoch.

Auch wenn Minis Honda Xpresso V4 kaum noch an die Ur-VF erinnert. Lang, schmal, schlank wirkt sie auch im Sattel. Doch die über den Gabelbrücken montierten Lenkerhälften und relativ tief platzierten Fußrasten entspannen Pilot und Situation. Vorn federt sie erstklassig mit ihrer Kombination von zwei – aus optischen Gründen – außerhalb der Holme angebrachten Federn (Federrate 5,5 Nm/mm) sowie einer im linken Holm untergebrachten Einzelfeder (9,5 N/mm), steckt jedes Schlagloch locker weg. Nur hinten fiel die 160er-Feder etwas straff aus, lässt den Fahrer über Rüttelpisten gelegentlich zusammen-zucken. Auf den gutmütigen Contis lenkt sie blitzsauber ein, zieht auch im engen Geläuf einen bombensicheren Strich und muss ihren horrend kurzen Nachlauf nicht mit kippeliger Lenkung bezahlen. Nur in Wechselkurven büßt sie für ihren mit 1551 Millimetern im Vergleich zur Honda CB 1000 R fast elf Zentimeter längeren Radstand (1445 mm).

V4 steht auf Druck von unten

Dort verlangt die 233 Kilogramm schwere Xpresso beim Umlegen Nachdruck – trotz stattlicher 44 Kilogramm weniger Speckröllchen als die Ausgangsversion. Stichwort Druck. Müsste nicht gerade die so sanftmütige Honda CB 1000 R als Maß herhalten, könnte der V4 als Exempel dienen, wie weich Vergasermotoren anno dunnemals doch ans Gas gingen. Als wären die Getrieberäder mit Gummi überzogen, setzt der V4 am Kurvenscheitelpunkt geschmeidig ein, schiebt sanft, aber bestimmt voran. Gemessene 99 PS sind nach fast 90.000 Kilometern und drei Jahrzehnten von den 116 Pferden noch übrig geblieben. Genug, um die Honda Xpresso V4 in 3,7 Sekunden auf 100 km/h zu katapultieren. Nicht schlecht für eine ältere Dame. Und auch altersgerecht serviert. Denn der V4 steht auf Druck von unten, reitet gern auf seiner bei 4500/min aufwogenden Drehmomentwelle. Und schon altershalber mag man ihn nur ungern bis zum Limit von 10.500 Touren drehen.

Vielleicht auch, weil man die Honda Xpresso V4 damit aus ihrem selbst abgesteckten Schussfeld nehmen möchte. Denn zweifellos schindet der trotz vieler gebrauchter Teile insgesamt 6000 Euro teure Umbau mit seiner mehr als ein Vierteljahrhundert alten Basis Eindruck. In Sachen Fahrbarkeit werden ihm wohl die wenigsten Café Racer-Variationen das Wasser reichen können. Und die Wette? Schwamm drüber. Fürs Karussell ist die Honda CB 1000 R noch lange nicht reif.

Und nun?

Mal ganz in Ruhe betrachtet: Mini hat recht. Der aktuelle Retro-Umbau-Trend spült gelegentlich fahrdynamisches Strandgut an Land. Insofern bricht die Honda Xpresso V4 mit dem 1000er-V4-Motor nicht nur aus dem Einerlei der Zweiventil-Boxer, CX- und XT-Eisen in der so angesagten Bastler-Szene aus, sondern dürfte vielen Show-Bikes auf der Straße um Längen vorausfahren. Und mehr erwartete auch niemand – außer der Meister selbst. Und die Wette? Noch mal, Mini: Schwamm drüber.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023