Liebe Mitbürger in Norddeutschland. Wir wollten bei der Herbstausfahrt 2016 wirklich in den Harz oder ins Weserbergland. Denn das Prinzip ist so einfach: Wir schnappen uns jedes Jahr im Herbst die Dauertest-Motorräder und starten zum Saisonausklang noch mal auf eine gemeinsame, verlängerte Wochenend-Ausfahrt „um die Ecke“. Jeder der acht Dauertest-Kandidaten muss 50.000 Kilometer absolvieren, bevor der Motor zerlegt und Bilanz gezogen wird. Addiert entspricht dies der Distanz von der Erde zum Mond.
Doch wie schon 2015 war uns Petrus im Norden 2016 wieder nicht gnädig. Deswegen machen wir es den Vögeln nach, ziehen im Herbst nach Süden. Mandello del Lario, die Guzzi-Stadt, liegt wirklich näher an Stuttgart als Bielefeld. Doch vor der Kür kommt die Pflicht, deutsche Autobahn.
Dauertest-Motorräder auf der Autobahn
Mit der riesigen Scheibe läuft die Indian Chief Vintage bei 170, bergab 180, gegen eine undurchdringliche Wand aus Wind. Ohne Scheibe, pur, lief sie sonst immerhin Tacho 200. Gabriel gibt alles auf der A 81: Die viel kleinere Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA bleibt tapfer dran. Uramerikanische Motorräder sind beide. Lieber lässig und gelassen bleiben.
Höflich reiht sich der Rest des Felds dahinter ein. Die Yamaha YZF-R1 und die KTM 1290 Super Duke R könnten fast 300 schaffen. Aber rasen? Wozu? Nicht heute, nicht in der Gruppe. Prima: Die hohe, steil stehende Indian-Scheibe erlaubt kleineren Fahrern, mit offenem Visier zu fahren. Sie stanzt ein Riesenloch in die Atmosphäre, produziert aber je nach Größe mitunter Zug und Turbulenzen.
Permanenten Liegestütz auf der R1
Thomas schaut permanent durch den Windschild der Indian Chief Vintage. Er bräuchte bei Regen einen Scheibenwischer, hat bei Gegenlicht im Tunnel schlechte Sicht. Probleme und Abmessungen wie bei einem Auto sind das. Unauffällig, aber effektiv bringt die MRA-Scheibe der Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA etwas Windschutz, zusammen mit dem hohen Magnet-Tankrucksack. Achim auf der quirligen Suzuki GSX-S 1000 F kennt Vor- und Nachteile der hohen Nachrüst-Scheibe: Sie schirmt gut ab, produziert aber laute Turbulenzen, schüttelt mitunter den Kopf hin und her. Auf der Yamaha YZF-R1 ist der Windschutz mau. Sven muss sich schon ziemlich klein machen, richtig falten. „Permanenten Liegestütz“, nennt er das.
Reise-Kompetenz zeigt die anmutige MV Agusta Turismo Veloce 800 : Auch mit voll beladenen Koffern liegt sie stabil, ohne zu pendeln. Dank easy höhenverstellbarer Scheibe und Handprotektoren mit integrierten Blinkern genießt MV-Pilot Peter sehr passablen Windschutz. Ganz im Gegensatz zu Benedict auf der Triumph Thruxton R und Georg auf der KTM Super Duke R. Tief angeklemmte Lenkerstummel aus Triumphs Zubehörprogramm peppen das Design des Café Racers auf, sind aber nicht mehr so angenehm auf Langstrecken. Kommod geriet der reine Sitzkomfort auf der braunen Triumph-Sitzbank. Auch wenn der Knieschluss erst unterhalb des formschönen Stahltanks stattfindet.
Indian und MV Agusta mit Tempomat
Wer von der mächtigen Indian Chief Vintage auf die drahtige KTM 1290 Super Duke R umsteigt, verinnerlicht den Begriff Naked Bike: Man hockt nackt im Wind. Plötzlich frieren die Finger, vermelden die Knie Kälte bei 16 Grad Celsius und Nieselregen. Irgendwann zwackt derselbe, schwere Rucksack, den man auf der Indian Chief noch bequem auf dem hohen Soziussattel ablegen konnte.
Auffallend eilt der Honda-Tacho vor: Anzeige 202 sind GPS-gemessen gerade mal echte 186, 187. Voll beladen mit Koffern schaukelt sich die Honda Africa Twin in lang gezogenen Autobahn-Kurven auf. Brav kaufen wir acht Vignetten für die Schweiz, berappen Mitte Oktober die volle Jahresgebühr. Wir sind auf Seereise: Was für ein verwinkeltes Gewässer der Vierwaldstättersee südlich von Schwyz ist.
Wenn das Oktett sein Konzert aus Zwei-, Drei- und Vierzylindern anstimmt, ist das ein großes Erlebnis: 21 Zylinder mit 9.304 Kubikzentimeter Hubraum leisten zusammen 964 PS. Puh, hat das Land der Eidgenossen viele 80er- und 100er-Zonen! Die Tempomaten von Indian und MV helfen, beim Gezuckel nicht zu schnell zu werden, schützen vor Strafe. Supersportler à la R1 zu fahren ist in der Schweiz Höchststrafe, Sven leidet. In der Gotthardröhre blicken wir in selbige: 17 endlose Kilometer Fahrzeug an Fahrzeug, die dunstige Abgaswolke heizt sich auf 35° Celsius auf.

Endlich wieder Tageslicht – und immer noch Schauer. Südlich von Locarno wartet Italien, bringt Sonne und Wärme. Was für ein Panorama am Westufer des Lago Maggiore: Palmen im Tal, grüne Hügel, schroffe Felsen, schneebedeckte Gipfel. Fahr- trifft Lebensfreude: Wir schrauben uns noch etliche Kurvenkombinationen empor, erst kleine, dann flüssige. Das „Hotel Moderno“ wartet auf uns, kurz vor Saisonende. Am nächsten Morgen liegt uns der Lago Maggiore wie eine überdimensionale Badewanne zu Füßen. Danke, Gletscher, dass ihr in der letzten Eiszeit die Furchen für das mächtige Gewässer ausgewälzt habt.
Aufrecht und erhaben sitzt Zwei-Meter-Mann Jens auf unserer Honda Africa Twin. Jens passt perfekt auf die hochgestellte Honda-Sitzbank. Markentypisch, diese gute Ergonomie. Und kleinere Piloten müssen nicht kapitulieren. Sitzbank runter und den riesig breiten Lenker gegriffen – dieses Gefühl ist einfach unnachahmlich. Willkommen zu Hause, auf einer echten Enduro. Das Gefühl der Souveränität und Unantastbarkeit fährt immer mit – die Honda Africa Twin käme überall durch. Helle LED-Scheinwerfer und Dauerlicht-Blinker vorn im US-Stil verbessern die Erkennbarkeit. Besser als Warnwesten zu tragen.
KTM 1290 Super Duke R mit Heizgriffen
Wie Schwalbennester kleben die Dörfer an mit grünem Pelz überzogenen Bergen. In einem davon treffen wir zufällig Magdalena aus Monschau. Sie wanderte mit Hund und ihrer Honda CB 500 von der Eifel an den Lago Maggiore aus. Mutig. „Ich fühle mich sehr wohl im Süden.“ Ist ja auch herrlich hier. Spontan schließt sie sich den acht Kerlen als Tour Guide an. Bei der Auffahrt zum Simplonpass Richtung Schweiz liegen riesige Felsbrocken im Bach. Haben hier Giganten mit Felsen gekegelt? Auf der Passhöhe in 2005 Meter Höhe ist es 8° C kühl. Die surreale Bilderbuch-Landschaft ist ein Geschenk. Gleiches gilt für die dreistufigen Heizgriffe der KTM 1290 Super Duke R, die einzigen hier. Auf Maximum gestellt, sind sie echte Hand-Röster.
Was für ein faszinierendes Spiel- und Feuerzeug der Austria-Express ist. Präzise und schlafwandlerisch fährt die KTM 1290 Super Duke R, ist trotzdem ein hochseriöses Motorrad. Auch die königsblaue Suzuki GSX-S 1000 F gibt eine herrliche Fahrmaschine ab. Perfekt zum Kopf-frei-Fahren. Bergauf, bergab rollt die Suzuki leichtfüßig-behände. Sie ist mit leichtem, fluffigem Handling gesegnet. Gut abgestimmt präsentiert sich ihr einstellbares Fahrwerk. Nur die tief heruntergezogene Front erinnert eher an einen Großroller: „Mich hat eben ein Rollerfahrer gegrüßt“, sagt Achim irritiert.
Etwas hoch liegen die Fußrasten bei der Suzuki GSX-S 1000 F, hier schimmern Sportgene durch. Aber die Sitzposition passt auf Mittelstrecken. Nach 300 Kilometern im Sitzpolster zwickt und zwackt der Po. Der Fahrer sitzt gut integriert, wenn auch etwas breitbeinig. Und ist gut drauf.
Schnell und schräg - mit Honda Africa Twin schwierig
Oben auf dem Berg heizt sich die Yamaha YZF-R1 auf 115° C Wassertemperatur auf. Ist die R1 thermisch auf Kante genäht?
Ästhetisch wirkt die Honda Africa Twin im edlen Tricolore-Lack mit golden eloxierten Speichenfelgen. Aber der im Fuhrpark als Reisebegleiter so beliebte Herzensbrecher hat auch Schwächen: Die serienmäßigen Dunlop D 610 irritieren. Erst klappt die Honda ein wenig störrisch und dann von alleine ab, braucht ständig Korrekturen. Bereits feuchte Fahrbahn, in den Alpen nun wirklich keine Seltenheit, lässt sie unvermittelt wegrutschen. Tricky. Schnell und schräg wird auf der Honda Africa Twin schwierig. Okay, am Hinterrad grätscht Hondas defensiv abgestimmte Traktionskontrolle dazwischen. Stufe drei ist bereits beim flotten Ampelsprint eine Bremse, kneift nach dem Regeleingriff lange zu. Feinfühliger und dadurch besser regelt Stufe eins.
Manchmal weiß man im Sattel der 390 Kilogramm schweren Indian Chief Vintage gar nicht: Fährt man nun oder wird man gefahren? Auf schlechten Strecken findet der dicke 16-Zoll-Vorderreifen jede Bodenwelle, jede Längsrinne, schmiegt sich an alles an. Dann sucht sich der rote Riese eigene Linien. „Queen Mary“ in schwerer See. Der Koloss braucht klare Kommandos. Nur so schwingt die Indian flüssig durch die Kurven. „Gemessen an Größe und Gewicht fährt der Häuptling richtig gut“, findet Thomas. Durchaus Reserven bietet das Zentralfederbein.

Wir tauschen wild die Mopeds durch. Unter Jens sieht die Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA aus wie ein Kindermotorrad. „Das passt aber“, sagte der Hüne lapidar, „ich bin genügsam.“ 268 Kilogramm sind nur im Harley-Ranking ein Leichtgewicht. Gut liegt der Drag Bar-Lenker auf den hohen Risern zur Hand. Schön schmal und kompakt, lässt sich die Harley erstaunlich gut handeln. Gabriel gibt ihr flott die Sporen. Genau diese Sportster Custom Limited Edition A mit Fünf-Speichen-Gussfelgen und Zweifarblack im Dragstyle purzelt 2017, dem 60-jährigen Jubiläum der Sportster-Baureihe, aus dem Programm. Aber der V2 bleibt ja erhalten.
Manchmal läuft der im US-Ranking nur mittelgroße V2 nach: Große Schwungmasse bremst genau wie bei der Indian Chief Vintage nicht mit. Auf Tour bremst die Harley-Davidson Sportster jedoch die Truppe aus, muss mit 17-Liter-Tank als Erste Sprit nachfassen. Die mechanische Geräuschkulisse kündet von vier untenliegende Nockenwellen samt zugehörigen Stoßstangen. Akustisch pröttelt der V2 wie ein VW-Käfer. Schüttelt sich im Leerlauf wie ein Presslufthammer auf Speed.
Vielbewunderte Triumph Thruxton R
Es wird Abend. Wir erreichen Stresa am Seeufer. Im Hotel „Milan Sperenza“ spricht Concierge Andrea perfekt Deutsch, glänzt mit Ausflugstipps und bestem Service. Nicht nur im gediegenen Touristenort läuft die Triumph Thruxton R zur Hochform auf, wird viel bewundert – beim Betrachten, beim Zuhören und beim Fahren.
Ein feuerroter, rollender Sympathieträger ist die Engländerin, ein Motorrad von cremig-perfekter Konsistenz. Reihenweise fliegen ihr Herzen zu. Ihren nur 14,5 Liter fassenden Tank, den kleinsten des Oktetts, kompensiert der sparsame, charakterstarke Motor. Für eine 1200er wirkt die Mixtur aus klassisch und modern eher zierlich. Der Reihenmotor mit der 270-Grad-Kurbelwelle imitiert wie die Honda Africa Twin einen 90-Grad-V2. Der 1200er-Triumph-Twin pulsiert spürbar, aber nicht störend: Dies ist genau die richtige Dosis an good vibrations. Zu den perfekten Manieren passt der schön bollernde Sound. „Kraftvoller Klang“, nennt Fahrer Bene das, im Hauptberuf ist er Musiker – Schlagzeuger.
Als in sich ruhende Persönlichkeit kommt die 97 PS starke, noch fast jungfräuliche Triumph Thruxton R rüber. Bullig von unten zieht der sämige, feine Landstraßen-Motor. Er schiebt sanft, aber nachdrücklich an. Und ist gesegnet mit ganz weichem, sanftem Leistungseinsatz und toll abrufbarer Power. Klasse! Kritikpunkte? Höchstens, dass der rote Bereich ziemlich früh kommt, schon bei 7.000/min. Tempo 100 bedeuten nur 3.500 Touren. Noch vor Tempo 200 strich der Twin auf der deutschen Autobahn die Segel. Der Fahrspaß fällt so hoch aus, wie das Drehzahlniveau niedrig.
Harley ist das günstigste Dauertest-Motorrad!
Das toppt der V2 Indian Chief Vintage der am nächsten Morgen. Mindest-Drehzahl 750 Touren im Leerlauf bei warmem Motor. Tempo 100 sind im Sechsten bloß rund 2.300/min. Wie der V2 im tiefsten Drehzahlkeller blubbert, ist ein echtes Langhub-Erlebnis. Eben diese ellenlange Übersetzung und acht Zentner Leergewicht fordern Tribut: Im letzten Gang zieht die Indian am schlechtesten durch. Will man flott vom Fleck kommen, muss man den 1.811-Kubik-Motor trotz seines Drehmomentgebirges immer wieder mal runterschalten. Lange Schaltwege und mitunter heftig „kalonkende“ Schläge begleiten die Gangwechsel. Nun, hier greifen Zahnräder groß wie bei einem Eisenbahn-Stellwerk ineinander. Etwas dünn, leicht blechern klingt der Auspuffsound.
Ein wenig hört es sich an, als würde der Motor ganz leicht klappern – mal sehen, ob und was bei der Demontage nach 50.000 Kilometern mechanisch zum Vorschein kommt. Beide Ami-Eisen glänzen mit toller Lackqualität und stählernen Schutzblechen, irritieren aber mit billigen Baumarktschrauben selbst im Sichtbereich. Teils „rustikale Machart“ heißt das. Von Traktionskontrollen haben weder Indian Chief Vintage noch Harley-Davidson Sportster auf ihren 16-Zoll-Rädern je gehört. Echte 71 PS drückt die Sportster, „nur“ 78 die Indian mit 50 Prozent Hubraum-Plus. Erst 145 zu 97 Newtonmeter rücken die Rangordnung gerade. Hier wie dort ist das Ami-ABS mit plumpen Regelintervallen nicht gerade Stand der Technik.
Sind die US-Bikes also Blutsbrüder? Oh nein. Ihre Marken waren bis zum Untergang Indians im Jahr 1953 erbitterte Gegner. Und sie sind es heute, nach der erfolgreichen Neugründung der Marke durch Polaris/Victory wieder: Auch wenn Indian gemessen an Harley-Davidson noch ein Stückzahlenzwerg ist, so sind die Rothäute doch ein echter Stachel im Fleisch der Traditions-Company. Verkehrte Welt: Eine Harley ist das günstigste unter acht Motorrädern. Dagegen verkörpert die über 25.000 Euro teure Heavy Metal-Indian, uff, unseren teuersten Dauertester. Egal, wir stechen erst einmal in See. Wörtlich. Wir nehmen die Fähre über den Lago Maggiore: von Verbania-Intra nach Laveno am Ostufer. Echtes Urlaubsfeeling kommt auf!

Eigentlich war es nur als Scherz gemeint, mit der MV Agusta Turismo Veloce 800 zum Werk ihrer Entstehung in Varese zu fahren. Aber PR-Mann Matteo Maresi führt unsere Truppe aus neun Leuten mal eben spontan durchs Werk. Wir staunen in dieser Motorrad-Manufaktur am Lago di Varese. Erleben, wie in abgewogener Mixtur aus Hand- und moderner Maschinenarbeit feinste Motorräder entstehen. Hier, in der ehemaligen Aermacchi- und späteren Cagiva-Fabrik, entstehen derzeit rund 30 Maschinen pro Arbeitstag, MV Agusta muss sich nach der Finanzkrise wieder hocharbeiten. Die Dreizylinder mit 675 und 800 Kubik (Matteo: „eine erfolgreiche Baureihe“) kennzeichnen für 2017 Euro 4 und schwarze Motorgehäuse.
Rund 180 Beschäftigte arbeiten im Werk von MV Agusta. Wir stehen vor dem „Heiligen Schrein“, einer Wand mit vielen großformatigen Fotos vom Firmen-Neugründer Claudio Castiglioni, der „Wall of Fame“. Wir bewundern die ehemalige 500er-Werks-Cagiva, mit denen das kleine Werk 1990/91 den übermächtigen Japanern in den Hintern getreten hat. David gegen Goliath. Man muss Italien einfach ungeheuer dankbar sein für die herrlichen Motorräder, die hier entstehen. Zum Abschied beweist der aggressiv klingende, akustisch leicht fauchende MV-Motor – wie auch viele Triumphs –, weshalb Triples nicht nur rechnerisch zwischen Zwei- und Vierzylinder liegen. „Ein Dreizylinder gehört in jede gute Garage“, meint Thomas.
Wunderbarer Sound der MV Agusta Turismo Veloce
„Wunderbar“, findet Peter den Sound der MV Agusta Turismo Veloce 800, „er erinnert an die legendären MV-Rennmaschinen.“ Viel besser als früher hat MV die Abstimmung des Ride-by-Wire im Griff. Der Drilling hängt nun fein und berechenbar am Gas. Höchstens beim Kavalierstart braucht man etwas Konzentration und Feingefühl. Seine Leistung entwickelt der elastische Triple mit der rückwärts drehenden Kurbelwelle schön linear, hat spätestens ab 3.000 Touren Bums, dreht locker und unangestrengt bis in fünfstellige Bereiche. Mit dieser Drehfreude kassiert der kleinste Motor (der einzige deutlich unter 1.000 Kubik!) sein Hubraum-Manko.
Zwischen Varese und dem Comer See folgt Kreisverkehr auf Kreisverkehr. 70 Kilometer sollen laut Navi 90 Minuten dauern. Hier fahren wir italienisch – links an der Warteschlange vorbei. Für solche Aktionen bauen die Lenkerenden-Spiegel der Triumph Thruxton R ziemlich breit. Frecher, verwegener und befreiter von unnützen Regeln wirkt der Verkehr in Italien. Einfach relaxter: Hier wird situationsabhängig entschieden. Dieses tolle Volk hat eingebaute Lässigkeit. Genau wie unsere Motorräder. Nicht nur das klassisch-stylishe Design macht die Triumph zu Everybody’s Darling.
Thruxton R - ehrliches, direktes Handling
Traditionell inspiriert und klasse ablesbar sind ihre Runduhren, trotzdem informieren Flüssigkristalle übersichtlich über die Befindlichkeiten des Bordcomputers bis hin zur Traktionskontrolle. Sehr viele schöne Details hat der fein verarbeitete Café Racer. Etwa den schönen und trotzdem sicheren Klappdeckeltank, haufenweise gebürstetes und poliertes Aluminium. Ehrlich und direkt ist das Handling, nicht so präzise und leichtfüßig wie die R1, aber trotzdem sportiv. Ein bisschen Körpereinsatz verlangt die englische Lady trotz besonders steiler Gabel, kürzesten Nachlaufs und nach der Yamaha YZF-R1 kleinsten Radstands. Metzeler Roadtec-01 sind verlässliche Partner.
Und Feder und Dämpfer der Triumph Thruxton R arbeiten sämig genug, richtig klasse für klassische Federbeine. Wir erreichen den von hohen Felsen eingerahmten Comer See: Hier hat George Clooney ein Haus, drehte George Lucas Einstellungen für den siebten Teil von „Star Wars“. Leider haben wir keine Moto Guzzi im Dauertest, wir warten schon lang auf eine. Dann käme jetzt die zweite Italienerin zu Hause an, in Mandello del Lario. Im Guzzi-Werksmuseum stehen wir ehrfürchtig vor dem 70 Jahre alten V8-Renner – Hightech der 50er-Jahre. Danach nehmen wir einen verträumten Pass unter die Räder, den Morterone östlich von Lecco. Traumhaft! Das Fahrwerk der Honda Africa Twin hat so viele Reserven – ihre langhubigen Federelemente bügeln alles platt. Einziger Wermutstropfen: Das Honda-Federbein dürfte einen Tick sensibler ansprechen.
Trotz der schmalen Endurobereifung läuft die Honda Africa Twin Spurrinnen nach. Besser sollte die Rückmeldung sein. Lieber Gott, schmeiß Contis vom Himmel, feine Trail Attack 2. Verrückt bei einer der geländegängigsten Reiseenduros überhaupt: Ein harmloser Umfaller im Stand daheim schlug mit neuen Verkleidungs- und Kleinteilen für rund 1.400 Euro zu Buche. Teures Plastik! Und das Herzstück, der Twin? „Gefällt mir super“, findet Jens, auch wenn der Motor oben raus etwas träge wirkt. Ein ausgeglichener Charakter, nie wüst, nie schlapp. Angenehm bollert der Pseudo-V2 aus dem hochgelegten Auspuff.
KTM 1290 Super Duke R mit Hammer-Motor
Kernigen, aber nicht zu lauten Klang bietet die KTM 1290 Super Duke R. Ihr 1.300er-Motor ist ein Hammer. Allerdings tut’s der Freudenspender im sechsten Gang erst ab Tempo 90, rund 3.000 Umdrehungen. Gibt man ihm die Sporen, hält den 75-Grad-V2 bei mittleren Drehzahlen, tritt er stärker ins Kreuz als Godzilla. Entfesselt stürmt die Super Duke R den Pass empor. Ihr Drehmoment überwältigt. Dazu beißen ihre Bremsen so kräftig zu, dass man glaubt, ein Vierkantholz stecke in den Speichen. Zumindest, wenn man von den Ami-Bikes kommt – die Einzelscheibe der Harley braucht viel Kraft für wenig Wirkung. Sogar der Federungskomfort auf der Super Duke R geht okay. Nur das direkt angelenkte Federbein dürfte kurze, harte Stöße sensibler abarbeiten. Es muss eben spürbar ohne progressiv wirkende Umlenkung auskommen.
Komfortabel wirkt die KTM-Powerparts-Sitzbank. Kleinen und großen Fahrern passt die Ergonomie, man sitzt ideal in den knallorangen Maßanzug integriert. In Serpentinen fährt die KTM 1290 Super Duke R klasse, macht genau, was sie soll. Und vermittelt mit Contis besohlt ein gutes, sattes Gefühl für das, was unter einem passiert. Ein solch formidables Pass- und Spaßgerät war die KTM auf den serienmäßigen, eher störrisch, wenig neutralen Dunlops nicht.
Ja, es gab schon Defekte am Austria-Stern. Die Hupe musste mal getauscht werden, der Kühler hatte ein Loch, der Seitenständer-Ausleger war abgebrochen und die Kette mal gerissen. Hinzu kam ein defekter Sensor für die Kühlwassertemperatur. Alles vergeben und vergessen.
Suzuki GSX-S 1000 F fahraktiv und manierlich
Am durchzugsstärksten im sechsten Gang hechtet die Suzuki GSX-S 1000 F los, noch vor der fast ebenso feurigen KTM 1290 Super Duke R. Der Vierzylinder ist ein Erlebnis, ein echter Verwöhn- und Wohlfühl-Motor. Dieses K5-Aggregat (Fahrer einer GSX-R 1000 wissen Bescheid) mit seiner nicht ganz so extrem kurzhubigen Auslegung drückt bärig von unten, schiebt prachtvoll an. Mehr Zylinder verbessern Rundlauf und Elastizität, so ist das, Freunde. Bis über Tempo 150 wuchtet die Suzuki von allen acht Maschinen im letzten Gang am meisten Hinterrad-Leistung. Ein Dreh am Gasgriff und weg. Da sucht man trotz Ganganzeige oft nach dem siebten Gang. An sich wirkt der Motor fast unspektakulär. Japanisches Understatement. Nicht laut, aber rauchig klingt der Vierzylinder, hat dadurch etwas Rattiges.
Und die Brembo-Bremsen sind ein Gedicht. Halten gut dagegen, beißen kräftig, doch hochtransparent zu. Mehr Sport als Touring kennzeichnet die Suzuki GSX-S 1000 F. Etwas schöner, gefälliger und besser ablesbar dürften die Instrumente informieren. Echte Defekte waren bisher Fehlanzeige. Japanisch-aufopferungsvoll verrichtet die Suzuki ihren Dienst im Dauertest, Dauerstress. Nur das hakelige Zündschloss sorgte daheim mal für einen krummen Schlüssel, beim Versuch, es doch noch zu überlisten. Weil das Zündschloss direkt vor dem Tank sitzt, lässt es sich mit aufgeschnalltem Tankrucksack nur schwer vom Sitz aus erreichen. Und die linke Lenker-Armatur musste bereits getauscht werden. Genau wie ein, zwei Jahre zuvor bei der V-Strom 1000. Hat Suzuki da ein Problem mit seinem Zulieferer? Ansonsten ist die GSX-S 1000 F ein sehr fahraktives und manierliches Motorrad.
Wie Kampfjet-Fliegen im Wohnzimmer
Lang nichts vom Fahrer der Yamaha YZF-R1 gehört. Er ist in den Bergen nicht in seinem Revier. Es wirkt wie Kampfjet-Fliegen im Wohnzimmer. Die futuristisch gestylte, extreme Maschine gehört auf die Rennstrecke. Nur dort passt die auf Dauer anstrengende Sitzposition, mit extrem nach unten gekröpften Lenkerstummeln: Ständig ist die Halsmuskulatur überstreckt, kontraproduktiv für gute Blickführung in Kurven. Höhere Lenkerstummel sind bestellt. Um aus Kehren oder Kreisverkehren gut vom Fleck zu kommen, zirkelt man mit schleifender Kupplung im bis weit über Tempo 100 reichenden ersten Gang. Dies ist eine mäßig dosierbare, rupfende Seilzugkupplung. Erschwerend wirken die harte, ruppige Gasannahme, selbst im besseren B-Modus, und viel Spiel im Antriebsstrang.
Okay, beim Beschleunigen oben heraus explodiert die Welt. Aber wo will man hier bloß hin mit all der Leistung? Deren Entfaltung ist ein wenig wie die Gebirgslandschaft ringsum: Erst oben heraus wird es richtig imposant. Bis 7.000 Touren hat der Crossplane-V2 eine ausgeprägte Drehmomentsenke. Luxussorgen mit 200 PS? Nicht ganz. Erst bei 8.000/min sprengt der unechte V4 seine Ketten, wechselt die Farbe des TFT-Drehzahlmessers von Schwarz auf Grün. Nun, dies ist leider zu spät für die Bedingungen am Berg. Denn dann liegen im ersten Gang bereits rund 90 Sachen an! Egal, ob im vierten, fünften oder sechsten Gang: KTM 1290 Super Duke R und Suzuki GSX-S 1000 F sind immer durchzugsstärker, warten weiter oben!
Ist die Rennstrecken-Granate Yamaha YZF-R1 auf Landstraßen also ein Rohrkrepierer? Das wäre übertrieben. „Unter Feuer macht sie an“, befindet Sven. Wo man mal Gas geben kann, ist das schon ein herrliches Erlebnis. Faszinierend ist die messerscharfe Lenkpräzision des Nippon-Pfeils. Wie gelasert zischt die R1 um die Kurven. Ihr Top-Handling und das fantastische Feedback machen vieles wett. Mann und Maschine verschmelzen wie auf keiner anderen hier zu einer Einheit. Doch manch anderer 1000er-Supersportler tritt bulliger an als die unten defensiv abgestimmte Yamaha.
An der Yamaha YZF-R1 steht der gut funktionierende Schaltautomat recht sinnfreien Anzeigen für Bremsdruck und Längsbeschleunigung gegenüber. Kurz-Fazit: ein geiles, aber ziemlich unpraktisches Motorrad. Basta. Am Motorrad-Café direkt am Comer See in Lecco parken nicht ohne Grund gleich zwei MT-10-Schwestern neben dem Supersportler – auf engen Landstraßen sind Naked Bikes klar das überlegene Konzept. Bergab den engen Pass runter ist sogar die Harley die bessere Wahl.
Spagat zwischen Sportlichkeit und Reisekomfort
Das Fahrverhalten der MV Agusta Turismo Veloce 800 polarisiert: Der Italo-Feger schlägt engere Haken als ein Hase auf der Flucht. Mit Ausnahme der Yamaha YZF-R1 ist kein anderes der sieben Motorräder so herrlich handlich. Nur wirkt die MV für manchen Geschmack dadurch schon fast nervös, kippelig. Sie klappt in engeren Kurven fast von allein ab. Bei tiefen Schräglagen und hohen Tempi liegt sie satt und neutral. Auf ebenem Asphalt gilt: je schneller, desto lieber.
Auf zernarbtem Teer fühlt es sich dagegen an, als folgten Vorder- und Hinterrad nicht immer der gleichen Linie. Dann bringt das wenig sensible Federbein leicht etwas Unruhe ins Chassis mit dem italienisch roten Gitterrohrrahmen und der feinen Einarm-Schwinge. Nun, ein 190er-Hinterreifen mag chic sein, ist aber für diese Klasse unnötig breit (und teuer).
Selbst den leichtesten Lupfer am Lenker, womöglich aus Versehen eingeleitet, setzt die MV schneller in Lenkbefehle um, als der Fahrer gucken kann. Vielleicht machen ja Michelin Pilot Road 4 schon überhandlich? Dafür waren sie auf überfluteten Straßen eine Macht. Einerseits ist die Sitzposition auf der Turismo Veloce sehr aufrecht, schön entspannt und prima vorderradorientiert. Andererseits sind die Arme ziemlich angewinkelt, weil der breite Lenker extrem nah vor der Brust liegt. „Ist doch toll“, freut sich der Veloce-Fahrer Peter, „wie bei Motocross oder Supermoto.“ Andere fühlen sich „eingezwängt“, würden gern etwas weiter nach hinten rücken. Was der hohe Soziussitz verhindert. Hoch baut der Crossover-800er auch vorn, kleinere Fahrer müssen fußeln im Stand.
Gute Sparringspartner sind die MV-Bremsen, fangen die 110 PS sicher wieder ein. Letztlich gelingt der MV der Spagat zwischen Sportlichkeit und Reisekomfort besser als erwartet. Sie ist ein breit aufgestelltes Motorrad für (fast) jeden Einsatzzweck. Dabei hilft ihr die gute Ausstattung: zwei Bordsteckdosen, ein USB-Anschluss zum Aufladen eines Handys (hat die Triumph auch), der größte Tank (22 Liter Volumen) usw. Viel Kleines macht eben ein Großes.
Nun, bei 15.000 Euro darf man auch etwas erwarten. Vielleicht ja auch ein übersichtlicheres Display. Extrem überfrachtet mit haufenweise kleinen Infos ist nämlich die Mäusekino-Anzeige. Trotz einiger Kinderkrankheiten: Sie kann begeistern, die MV Agusta Turismo Veloce 800. Sie hat auf jeden Fall eine Chance am Markt verdient.
Büffelleder-Sitz teuer wieder aufgearbeitet
Ein Fall für sich ist die Harley-Davidson Sportster im Stand: Verdammt schräg steht sie auf dem kurzen Seitenständer. Nachgerüstet haben wir Kartuscheneinsätze für die Gabel aus Harleys Werkszubehör. Sie funktionieren besser, aber nicht top. Eine starke Verbesserung bringen dagegen die Öhlins-Federbeine „HD 7540“. Lediglich in der Federbasis verstellbar sind sie, bieten jedoch viel mehr Reserven und sind zudem um mehrere Zentimeter länger. Dadurch schlagen sie im Gegensatz zu den lumpigen Serienteilen nicht durch und beeinflussen sogar die Geometrie positiv: Steiler steht der Lenkkopf, größer geriet dadurch die Schräglagenfreiheit.
Nun setzen bloß noch die vorverlegten Fußrasten und nicht mehr rechtsrum auch der Auspuff auf. Trotzdem läuft die Harley noch tadellos geradeaus. Genauso müssten die Sportster vom Band rollen, um ihren Namen ansatzweise einzulösen.
Cool ist die Sitzposition auf der Indian Chief Vintage. Zumindest geradeaus, in endlosen Weiten, im breiten Büffelleder-Sitz. Der hat im Dauertest stark durch Wind und Wetter gelitten (Regen, UV-Licht). Er wurde zusammen mit den Leder-Packtaschen teuer wieder aufgearbeitet. Und in der Produktion mittlerweile geändert. Beim Wenden zieht der Häuptling kleinen Fahrern den geschwungenen Wünschelruten-Lenker aus der Hand. Überhaupt, Wendemanöver. Sie muss man sich gut zurechtlegen, speziell am Hang, vorher wissen, was man will. Nichts für Novizen im Sattel oder zaudernde Fahrensmänner.
An- und Ablegen des Luxusdampfers bleiben heikle Momente, zumal der weit entfernte Seitenständer das Aufrichten des Halbtonners zum Balanceakt macht. Nein, man braucht kein großes Kapitänspatent. Aber ein Lkw-Führerschein könnte durchaus helfen: Unter einer halben Tonne geht gar nichts. Allein mit Fahrer. Umgekehrt sind dem Giganten 50 oder 80 Kilo mehr Ladung schnurzpiepegal. Da ist es eine Ironie des Schicksals, dass der Rote Riese zusammen mit der Suzuki GSX-S 1000 F am wenigsten satteln darf, läppische 183 Kilogramm. Aber genug, um zumindest ohne Sozius jederzeit wieder loszufahren.
Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA

Kilometerstand: 27.654 km, Dauertestbeginn: 19. März 2015
Bei der Herbstausfahrt im letzten Jahr standen vor allem die Federelemente der Dauertest-Harley im Fokus der Kritik. Lasche Gabel, maue Federbeine lautete die Meinung zum Fahrwerk der Harley-Davidson Sportster XL 1200 CA. Trotz nachgerüstetem Cartridge-Kit direkt von Harley hat sich an der unterdämpften Gabel wenig geändert. Besser sieht es dagegen am Heck aus. Mit den aktuell montierten Öhlins-Dämpfern rollt die Sportster stabiler ums Eck. Da die schwedischen Federbeine mehr Federweg aufweisen, nimmt die Schräglagenfreiheit spürbar zu. Rechtsherum setzt nun als Erstes wieder die Raste und nicht der Auspuff auf.
Ansonsten spult der Milwaukee-V2 zuverlässig Kilometer ab, bietet mit dem kleinen Gepäckträger von Fehling sogar die Möglichkeit, Gepäck sicher zu verzurren. Einzig das Startverhalten wird kritisiert. Nach kalten Nächten hat der Anlasser Mühe, die Kolben über den oberen Totpunkt zu wuchten. Ist die Hürde überwunden, verrichtet der luftgekühlte Motor aber tapfer Dienst. Wenn jetzt noch die Reifen mit Grip glänzen würden. Weder originale Michelin Scorcher noch nun aufgezogene Commander II mögen Nässe. Im Zuge der bald anstehenden Zwischenbilanz stehen weitere Alternativen im Blickpunkt, die hoffentlich bei Nässe besser haften. Wir sind gespannt. Bisherige Inspektionen (8.000er-Intervalle) kosteten im Schnitt 285 Euro.
Honda Africa Twin

Kilometerstand: 21.580, Dauertestbeginn: 16. März 2016
Als Typ RD 03 schuf die erste Honda Africa Twin 1988 aus dem Stand heraus ihren eigenen Mythos: Egal wohin, egal wie weit, die Africa Twin trägt dich hin. Dieses Erbe führt die aktuelle Africa Twin fort. Sie bringt beste Anlagen dafür mit. Die Ergonomie auf der zweifach höhenverstellbaren Sitzbank taugt langen Kerls und kurzen Zwergen für entspannte Trips. Wohlfühlen ist angesagt: 21.580 Kilometer in nur sieben Monaten sprechen für sich.
Wenig Begeisterung bedingen die Originalreifen: Dunlop D 610 bieten wenig Eigendämpfung, laufen holprig über Flickstellen und Längsrillen hinterher. Das kann der Conti Trail Attack 2 viel besser. Sehr gewinnen die Fernreisequalitäten durch die montierten Koffer von Honda und den Touratech-Tankrucksack. Schön: Die Kofferhalter sind ohne Gepäck kaum zu sehen. Die Koffer lassen sich nicht gut von oben beladen, öffnen nur gut 45 Grad. Auf dem Boden liegend, fällt der Deckel immer zu. Das gibt Abzüge beim Bedienkomfort. Zudem steigt die Pendelneigung mit Gepäck bei flotter Autobahnfahrt. Rasen mit der Africa Twin? Reisen heißt ihre Devise, abends ohne Zwacken im Kreuz vom Bike steigen – dafür ist sie prädestiniert. Die beiden ersten Inspektionen kosteten je unter 200 Euro! Ganz klar: Welcome back, Africa Twin.
Indian Chief Vintage

Kilometerstand: 39.570, Dauertestbeginn: 10. November 2014
Zwei Größen bestimmen das Leben mit der Indian: Drehmoment und Gewicht – fast 400 Kilogramm. Da stöhnen selbst kräftige Zeitgenossen, wenn der Cruiser in die Senkrechte gewuchtet werden soll, der „Chief“ beim Rangieren aus dem Lot gerät. Allzu groß sollte der Chief-Kapitän nicht sein, weil der weit nach hinten gezogene Lenker sonst beim Wenden die Knie touchiert. Für große Erlebnisse stehen 145 Newtonmeter des V2-Motors. Auf denen lässt sich immer mühelos gleiten. Allerdings verlangt der dicke Ami angesichts der schlechtesten Durchzugswerte des Oktetts mitunter nach Runterschalten.
Dass er bei dem Gewicht nicht federleicht einlenkt, ist klar. Aktuell helfen aufgezogene Metzeler „888“ dem Handling auf die Sprünge. So kippt die Indian Chief Vintage, einmal in Schräglage gebracht, im Kurvenverlauf sogar stets noch etwas weiter gen Scheitelpunkt, will mit Druck am Lenker wieder auf die richtige Linie gebracht werden. Bald hat man das raus, werfen die Trittbretter Funken. Nicht immer leicht fällt der Durchblick durch die „Panorama“-Scheibe. Wer nicht drüberschauen kann, tastet sich bei Regen im Blindflug die Straße entlang. Nachts nicht zu sehen sind aktuell die Kontrollleuchten auf der Tankkonsole: Ihre Beleuchtung fiel aus. Addiert 1.060 Euro teuer kamen die zwei letzten Inspektionen (Service-Intervalle: 8.000 Kilometer).
KTM 1290 Super Duke R

Kilometerstand: 38.973 km, Dauertestbeginn: 25. Februar 2015
In der Dauertest-Zwischenbilanz (MOTORRAD-Ausgabe 19/2016) mutierte die KTM 1290 Super Duke R mit den montierten Packtaschen aus dem Powerparts-Katalog optisch zum Reisemobil. Die Hecktaschen bewährten sich auch auf der Herbstausfahrt, genau wie die straffer gepolsterte Nachrüstsitzbank. Draufsetzen und wohlführen lautet das Credo mit der großen KTM. Ihr Motor ist so kultiviert, dass er auch im italienischen Kreisverkehrsdschungel nicht die Contenance verliert, mit feinen Manieren jeden Stau erträglich macht. Und wenn die Zügel der Gashand dann mal feist gespannt werden dürfen, marschiert er mit bestem V2-Puls durchs Drehzahlband. Niemals biestig, immer fein kontrollierbar, aber gerne richtig nachdrücklich.
Da freut es umso mehr, dass an dieser Performance alle teilhaben können. Mit ihrem großzügigen Kniewinkel ist die KTM 1290 Super Duke R richtig gut zu langen Kerls, der schmale Tank samt ebenso geschnittener Sitzbank erlaubt aber auch Kurzen, die Füße sicher auf den Boden zu bekommen. Nur das Federbein rumpelt über Betonplatten-Autobahnen arg trampelig hinweg. Das dürfte ruhig sensibler klappen. Ein neuer Kettensatz kostete 286 Euro, der Kühler 550 Euro. Schön, dass du da bist, Super Duke R, und dass du noch ein paar Kilometer bleibst.
MV Agusta Turismo Veloce 800

Kilometerstand: 30.166, Dauertestbeginn: 12. Juni 2015
Die Herbstausfahrt kam für den italienischen Patienten MV Agusta Turismo Veloce 800 im MOTORRAD-Dauertest-Fuhrpark gerade recht. Wurde kurz vor Abfahrt noch der Blinker hinten links wegen eines Wackelkontakts getauscht, machte pünktlich zum Start in Stuttgart die Kennzeichenbeleuchtung schlapp. Die müsste es doch direkt bei MV in Varese geben? Gesagt, getan, nur leider war beim spontanen Besuch der richtige Ansprechpartner nicht vor Ort. Macht nichts, ohne Licht fürs Kennzeichen geht’s auch voran.
Und wenn sie läuft, verbreitet die MV Agusta Turismo Veloce 800 richtig Freude. Wuselt frech und fast schon überhandlich durchs Winkelwerk, prescht feurig die Drehzahlleiter hoch und schaut aus wie eine Primadonna auf zwei Rädern. Angucken, Espresso trinken, sich verlieben – Design können sie bei MV. Was nicht darüber hinwegtäuscht, dass die MV mit vielen kleinen Defekten fast immer auf sich aufmerksam macht. Der Blipper funktioniert nur noch beim Schalten nach oben, die Kupplung hört sich im Leerlauf nicht gut an, ein Schloss der sich schön ans Heck anschmiegenden Koffer wandert langsam immer weiter heraus. Die Liste ist lang. Trotzdem: Die MV hat den Italien-Trip gut überstanden, sogar ein paar neue Fans gefunden. Das stimmt positiv für die noch ausstehenden 20.000 Kilometer.
Suzuki GSX-S 1000 F

Kilometerstand: 33.550 km, Dauertestbeginn: 13. August 2015
Die Suzuki GSX-S 1000 F schiebt überall gewaltig voran, egal, ob tief unten im Drehzahlband oder oben raus. So eine Motorcharakteristik macht souverän, die Gangwahl spielt fast keine Rolle mehr. Zwar dürfte der Reihen-Vierer in Sachen Ansprechverhalten etwas geschliffenere Manieren aufweisen, aber ansonsten gibt es nichts, was ihm vorzuwerfen wäre. Und da die Suzuki mittlerweile eine große, zwar nicht hübsche, aber sehr wirkungsvolle Scheibe ziert, sind auch schnelle Autobahnetappen mit richtig gutem Windschutz drin. Das Gepäck wandert dabei in die zwei Hecktaschen von SW-Motech, Kleinkram in den Tankrucksack des gleichen Herstellers.
So gerüstet, wird die Suzuki GSX-S 1000 F zum waschechten Powertourer, der dank aktuell montierten Metzeler Roadtec 01 zudem spielerischer um Kurven bügelt als mit der Serienbereifung Dunlop D 214. Bekäme man jetzt noch den Heckständer für die Kettenpflege irgendwie unter, würde die Suzuki auf der Touring-Wohlfühlskala weiter nach oben wandern. Aber auch so gibt sie ein fulminantes Sport-Touring-Mobil ab. Drei Inspektionen kosteten zusammen 1300 Euro; allein 764 Euro entfielen auf die aufwendige 24.000er-Durchsicht mit Ventilspielkontrolle, Drosselklappen-Synchronisation sowie neuen Bremsbeläge vorne und hinten.
Triumph Thruxton R

Kilometerstand: 7.005, Dauertestbeginn: 4. Juli 2016
Die Triumph Thruxton R als Jüngste im Bunde der Dauertester lässt vor allem die Herzen der Älteren höherschlagen. Die goutieren das rückwärtsgewandte Design samt moderner Technik mit spontanen Haben-wollen-Reflexen. Diese nahmen noch zu, als beim englischen Zweizylinder der schöne, aber unpraktische Einzelsitz gegen die bis zum Heckfender durchgehende Sitzbank getauscht wurde. Nun kann man einen Sozius mitnehmen oder das Gepäck einigermaßen sicher an den spärlich vorhandenen Verzurr-Möglichkeiten abspannen. Aber wer will solch einem schicken Krad schon mit Praxisnutzen kommen, wenn das Auge stetig Tränen der Freude verdrückt?
Nun, ein paar Vernunftbegeisterte gibt es schon, die auf der Herbstausfahrt lauthals über den Sinn der tiefen Stummel sinnierten: Seit Neuestem zieren Pendants aus dem Triumph-Zubehör die Gabel der Triumph Thruxton R , die Lenkerhälften klemmen 65 Millimeter tiefer als zuvor. Das sieht sportlich-chic aus, sorgt für eine geducktere, dynamischere Linie. Beim Fahren ist das aber zu viel des Guten. Es lastet massig Gewicht auf den Stummeln, der Blick durch enge Haarnadeln fällt schwer. Höhere Original-Stummel bedeuten ein Plus an Fahrfreude mit dem englischen Zweizylinder-Flitzer im Retrogewand. Die 1.000er-Erstinspektion kostete 161 Euro, noch tolerierbar.
Yamaha YZF-R1

Kilometerstand: 25.158 km, Dauertestbeginn: 28. August 2015
Herbstausfahrt, das heißt Landschaft genießen, reisen, nicht rasen. Für die Yamaha YZF-R1 im Dauertest kein ideales Einsatzgebiet. Mit der Liegestützsitzposition auf dem straffen Polster wird das ein Kraftakt. Als Supersportler besitzt die Yamaha einen sehr langen ersten Gang. Der reicht locker fürs Landstraßenlimit in Deutschland – von der Schweiz oder Italien gar nicht zu reden. Hinzu kommt: Die Kupplung brilliert nicht mit feiner Dosierbarkeit, trennt hart und ruppig. In Summe macht das langsames Fahren sehr anstrengend.
Aber dann gibt es sie doch noch, die Momente, in denen die Yamaha YZF-R1 ihr Potenzial andeuten darf. Dann rapportiert die Gabel haargenau über die Beschaffenheit des Untergrunds, das straff abgestimmte Federbein hält den Sportler auch in schnellen Bögen stabil auf Kurs, und der Motor werkelt endlich in der zweiten Hälfte seines Drehzahlbandes. In diesen Augenblicken nimmt dich die Yamaha gefangen, schärft dein Bewusstsein, lenkt den Fokus unnachahmlich auf Kurve und Straße. Bis die erste Ampel kommt und die schleifende Kupplung wieder leidet. Mittlerweile werkelt nach offiziellem Rückruf des Getriebes das dritte Exemplar. Fast eine Dauerbaustelle, während sich die R1 ansonsten tapfer schlägt. Die 10.000er- und 20.000er-Inspektionen kosteten 330 und 520 Euro. Wenn die R1 nur öfter frei rennen dürfte …